AMA-Gütesiegel Teil 2: Was sagt die AMA Marketing zu den schweren Vorwürfen?
Pressesprecherin Göll: AMA besitze keine Daten zu Einstreu und Freigang der Schweine. Die EU verhindere Importbeschränkungen für Fleisch von nicht artgerecht gehaltenen Tieren.
In der Pressekonferenz vom 2. Juli 2012 sprachen der Jurist Mag. Eberhart Theuer und der VGT-Experte Dr. Elmar Völkl über mutmaßliche schwerste Missstände in AMA-Gütesiegel-Schweinemastbetrieben. Was sind nun die genauen Vorwürfe, und wie reagiert die AMA Marketing darauf?
Die extrem enge Haltung von ‘schlachtreifen 110-Kilogramm-Schweinen’ auf einem Quadratmeter pro Schwein (Tag und Nacht, ohne Auslauf ins Freie, großteils ohne Stroh-Einstreu, auf einem Vollspaltenboden, wo Urin und Exkremente durch die Spalten rinnen/fallen sollen) entspricht den Vorgaben der Tierhaltungsverordnung des Landwirtschaftsministeriums. Die AMA Marketing geht bei ihren ‘Gütesiegel-Kriterien’ für die Haltungsbedingungen um keinen Zentimeter darüber hinaus, sondern übernimmt diese ‘Minimal-Kriterien’, obwohl dadurch unhygienische Bedingungen, Aggressionen und schwere Bissverletzungen, sowie Kot in Tränke und Futtertrog verursacht werden.
Festlegung der Kriterien durch die Schweinebranche und den Handel
‘Die Gütesiegel-Kriterien sind ein Gemeinschaftswerk der Schweinebranche, des Handels und vieler anderer Gremien. Man einigt sich auf Standards und fragt sich dabei, bis zu welchem Fleischpreis der Konsument die Ware noch kaufen wird’, sagt dazu die Pressesprecherin der AMA Marketing, DI Manuela Göll. Fleisch sei im Handel derzeit viel zu billig. Mit 2,99 Euro pro Kilogramm Schweinefleisch zahle man zuweilen weniger als für ein Kilogramm Brot. Da sei wenig Spielraum für eine tiergerechte Haltung der Schweine.Wozu brauche man dann überhaupt noch ein Gütesiegel, wenn bloß die Mindeststandards übernommen werden, frage ich. ‘Tierschutz ist ein kleiner Aspekt unter vielen’, sagt Göll. Schweine, die vor der Schlachtung verletzt in den Schlachthof kommen, werden nicht akzeptiert, ebenso ein gewisser pH-Wert des Fleisches, der auf extrem überhöhte Stresshormone im Fleisch durch die lang dauernde Todesangst hinweise. Auch Fettabdeckung und Magerfleischanteil seien Kriterien für das Gütesiegel.
Aber diese Fotos von extrem enger Sardinenbüchsen-Haltung der Schweine, von Kot in der Tränke, von blutigen Verbissspuren seien doch ekelerregend, da würde es wohl auch den Konsumenten grausen, wenn sie davon wüssten, frage ich. Göll erwidert, dass die Haltung auf einem Quadratmeter vom Gesetzgeber (Landwirtschaftsministerium) zugelassen sei. Das müsse über eine Gesetzesänderung geregelt werden. ‘Und warum macht man das nicht?’, frage ich. ‘Die Leute würden dann nur mehr billiges, nicht tiergerecht produziertes Schweinefleisch aus dem Ausland kaufen’, sagt Göll.
Ist freier Handel wichtiger als eine hygienische und tiergerechte Nutztierhaltung?
‘Und wenn Österreich per Gesetz vorschreibt, dass im österreichischen Handel nur mehr Fleisch verkauft werden darf, das beispielsweise von einer Schweinehaltung auf mindestens drei statt einem Quadratmeter pro Schwein stammt, und so weiter? Damit könnte man das Problem der billigen Import-Konkurrenz von minderwertiger Ware aus nicht artgerechter Haltung doch lösen?’, frage ich.‘Dann hätten wir sofort riesige Probleme mit der EU’, sagt Göll. Sie wirkt fast entsetzt über meine Idee. Das sei nämlich eine Wettbewerbsverzerrung und würde sich gegen den freien Handel richten. Holländische und deutsche Schweineproduzenten würden sofort auf die Barrikaden steigen.
‘Das heißt, die EU verhindert im Grunde bessere Qualitätsstandards in Österreich?’, frage ich. Frau Göll druckst ein wenig herum und gibt letztlich zu, dass es ohne eine EU-weite einheitliche Regelung für Österreich verboten (!) ist, bessere Qualitäts-, Hygiene- und Tierhaltungskriterien für Import-Fleisch zu verlangen, als sie von der EU vorgeschrieben sind.
Göll meint, man müsse alles ‘über den Markt regeln’, der Konsument könne ja Bio-Ware kaufen. Ein Herr Hackl im Burgenland züchte beispielsweise Bio-Freilandschweine und vermarkte sie selber. Da koste das Kilogramm Fleisch dann aber eben 20 Euro.
Ich erwidere, dass man besonders in ‘Krisenzeiten’ wahrscheinlich kaum alles ‘über den Markt’ regeln könne, noch dazu, wo die Konsumenten ja gar nicht wissen, was für ekelerregende Zustände in manchen Gütesiegel-Betrieben herrschen. Bei der Cadmiumbelastung von gelbem Kinderspielzeug oder bei der Salmonellenbelastung von Hühnerfleisch wäre es ja auch komisch, wenn man unzureichende Gesetze erlässt und lediglich vom Konsumenten verlangt, dass er eigenständig teureres Spielzeug und besonders saubere Restaurants aussucht. Ich halte, sage ich, die Käufer bei solch komplexen Themen nicht für informiert genug.
Göll stimmt zu, dass man Missstände nur schwer ‘über den Konsumenten’ wegbekommen könne, schon Einstein habe an der Weisheit der Menschen gezweifelt. (Wer den Ausspruch nicht kennt, er lautet: ‘Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.’)
Kot in der Tränke
Im Übrigen, ergänzt Göll, könne man die Hygiene in einem Stall nicht anhand solcher Fotos beurteilen. Sie seien vermutlich nachts durch ein Stallfenster gemacht worden, und jeder Bauer würde in der Früh alles reinigen, den Boden, die Tränke und den Futtertrog. ‘Einem Schwein kann man nicht vorschreiben, dass es nachts nicht aufs Klo gehen darf, und wenn schon, dann nicht in den Futtertrog.’‘Aber Schweine sind doch extrem reinliche Tiere?’, wundere ich mich. Solche Zustände wie auf den Fotos seien doch eine Folge der unzumutbar engen Tierhaltung. Göll beruft sich auf das Gesetz, dass eine solche Dichte eben erlaubt sei. Ob die schweren Bissverletzungen, der Kot in Futtertrog und Tränke und auf der Schweinehaut eine Folge dieser extrem engen Tierhaltung sei, will sie nicht kommentieren.
Da bin ich die falsche Ansprechpartnerin!
‘Das Tierschutzgesetz fordert bei landwirtschaftlicher Tierhaltung für jedes Tier einen ‘ethologisch (=verhaltensbezogen) angemessenen’ Platz. Glauben Sie, Frau Göll, und glaubt die AMA Marketing, dass ein Quadratmeter pro 110-Kilogramm-Schwein ethologisch angemessen ist?’, frage ich erneut.‘Da bin ich die falsche Ansprechpartnerin’, antwortet Göll. ‘Diese Frage müssen Sie an die Universität für Bodenkultur richten!’
Ich staune über diese merkwürdige Antwort. Auch wenn man nicht, wie der Autor dieser Zeilen, ein promovierter Biologe ist, leuchtet es ein, dass es wohl kaum ‘artgerecht’ ist, wenn ein Schwein sein gesamtes Leben (!) auf einem einzigen (wechselnden) Quadratmeter verbringt, eingepfercht zwischen anderen Schweinen. Dass dann Aggressionsbisse und grausliche Kotverunreinigungen auftreten, erscheint auch dem landwirtschaftlichen Laien logisch.
Da haben wir keine Daten
Der VGT behauptet nun, dass bei den 28 zufällig ausgewählten AMA-Gütesiegel-Schweinemastbetrieben in 96 Prozent der Fälle ‘Vollspaltenboden’ bestand (also der gesamte Boden mit Spalten, um Kot und Urin durchzulassen), und dass in allen (!) Betrieben kein Einstreu (z. B. Stroh) für die Schweine zum Liegen existierte.Ich bitte Frau Göll um Zahlen, wie viele Prozent der AMA-Gütesiegel-Schweinemastbetriebe Einstreu (Stroh) verwenden, und wie viele Prozent den gesamten Stall als Vollspaltenboden eingerichtet haben. ‘Die AMA hat dazu keine Zahlen’, sagt Frau Göll. Das werde nicht aufgezeichnet. Vielleicht habe die Statistik Austria irgendwelche Informationen, meint sie. Außerdem sei Vollspaltenboden nicht verboten. ‘Der VGT hängt uns immer das Bummerl um.’
Freiland? Keine Daten.
In der Bilddatenbank der AMA Marketing sind viele Fotos mit glücklichen Schweinen zu finden. Fast die Hälfte der Fotos (41 Stück) zeigen Schweine im Freien, auf grünen, von Sonnenlicht durchfluteten Wiesen. Auch auf den Stallfotos (44 Bilder) sind die Schweine schön sauber, haben meist Stroh-Einstreu und viel Platz im hellen Stall. Ich will nun von Frau Göll wissen, ob dieses Verhältnis (Hälfte der Fotos aus Freilandhaltung) wenigstens annähernd der Realität entspricht. Also wie viele Prozent der AMA Gütesiegelbetriebe mit Schweinehaltung die Tiere zumindest zeitweise ins Freie (Stallauslauf, Wiese) lassen. Ob das auch etwa die Hälfte sei?‘Auch dazu führen wir keine Aufzeichnungen’, sagt Frau Göll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die AMA nicht weiß, wie ihre Gütesiegelbetriebe ausschauen, und ich frage mich im Stillen, ob die AMA bloß die Daten nicht heraus rücken will (weil sie eine allzu schlechte Werbewirkung hätten), oder ob die AMA wirklich so ahnungslos ist.
Gegenargumente
Frau Göll führt einige, wenig überzeugende Gegenargumente an. Ein Vollspaltenboden sei, wenn er gut funktioniere, total sauber. Man halte sich zudem an die Vorgaben. Bei Hitze würden die Tiere überdies nicht ins Freie gehen wollen, um Kot zu lassen, sondern trotzdem im engen Stall Kot absetzen. Ob sich eine Sau in einem engen Stall wohlfühle, dazu sei sie zu wenig ‘Tierethikerin’. (Frau Göll meint vermutlich ‘Tierethologin’.)Und, ergänzt Göll, Schweine würden sich auch dann, wenn sie viel Platz haben, beim Schlafen eng zusammen legen. Die Fotos mit dicht gepackt schlafenden Schweinen seien also ihrer Meinung nach nicht aussagekräftig.
Allerdings muss dagegen gehalten werden, dass sich bei den meisten Ställen die Frage des Hinausgehens auch bei Hitze nicht stellt, da die Tiere lebenslang nicht hinaus können. Und einige Fotos des VGT zeigen sehr wohl deutlich, dass die Schweine nicht freiwillig eng geklumpt liegen, sondern deshalb, weil sie keinen Platz zum Ausweichen haben auch nicht in Aggressionssituationen.
Ankündigung der Kontrolle am Vorabend
Wie steht es nun um die viel zitierten ‘strengen Kontrollen der AMA’? Jeder Gütesiegelbetrieb wird 4 bis 6 Mal pro Jahr vom zuständigen Tierarzt angesehen, erklärt Frau Göll. Zusätzlich wird alle ein bis drei Jahre von der AMA oder einer beauftragten Firma kontrolliert. Diese AMA-Kontrollen seien unangemeldet, sagt Göll. In der Regel mache man sich am Vorabend einen Termin aus.Ich wende ein, dass eine am Vorabend angekündigte Kontrolle nicht wirklich ‘unangekündigt’ sei. Man könne bis zum nächsten Vormittag den Stall blitzblank säubern und zumindest manche Missstände (fehlende Einstreu, unversorgte Bisswunden) beseitigen bzw. behandeln. Göll argumentiert, dass ein Landwirt nicht imstande sei, in einer Nacht Missstände unsichtbar zu machen.
Gemeinsamer Lokalaugenschein?
Noch während der Pressekonferenz fragte ich, unter dem Eindruck der abstoßend ekelerregenden Fotos, ob Frau Göll und der ebenfalls anwesende AMA-Schweineexperte Mag. Andreas Hermann nicht schockiert seien angesichts solcher Missstände. Beide schienen wenig beeindruckt und meinten, man müsse das erst genauer untersuchen.Göll schlug damals dem VGT vor, die dokumentierten und teilweise angezeigten Problembetriebe gemeinsam zu besuchen. Dies würde, wie sie mir am Telefon erklärte, allerdings nur mit Einverständnis des Bauern und per Voranmeldung möglich sein.
Man kann somit annehmen, dass diese Betriebe sofern der Bauer überhaupt zustimmt an dem Termin blankgeputzt und mit Einstreu versehen sind. Ob dieser Eindruck allerdings repräsentativ ist für die Zustände in AMA Gütesiegel-Betrieben, bleibt fraglich.
Insgesamt waren die offiziellen Stellungnahmen der AMA Marketing (‘Da bin ich die falsche Ansprechpartnerin’, ‘Da haben wir keine Daten’, ‘Das muss der Markt regeln’) nicht wirklich geeignet, das Vertrauen in dieses Gütesiegel wieder herzustellen.
Vielleicht haben wirklich jene Leute recht, die sagen, dass das AMA-Gütesiegel keine Qualitäts-Kennzeichnung ist, sondern ein Marketing-Gag des Handels und der Schweineindustrie.
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Weitere Infos: Linktipp: Gerd Maiers Homepage - www.gerdmaier.com
GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /