Ybbstal-Wirrwarr
Bleibt das Bahngleis Lunz-Göstling erhalten? Planungschaos im Dreieck Bürgermeister-Land-NÖVOG
‘Jeden Tag der Woche steht wieder eine der sieben Ybbstalgemeinden im Rampenlicht und präsentiert ihre Attraktionen. Am besten lässt sich das Ybbstal dabei natürlich mit der Schmalspurbahn erkunden. [
] Ob in einem dieser planmäßigen Züge oder im Nostalgie-Sonderzug eine Fahrt mit der Ybbstalbahn ist ein Erlebnis für Groß und Klein! Gute Fahrt und einen erlebnisreichen Tag auf der Ybbstalbahn!’
Diese euphorische Hymne auf die legendäre Schmalspurbahn im Ybbstal stammt man staune vom Niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll, abgedruckt in einem ÖBB-NÖVOG-Werbefolder aus dem Frühjahr 2008. Neben dem Text blickt aus einem Foto der Landeshauptmann staatsmännisch auf seine Wähler.
Angesichts solch gewichtiger politischer Unterstützung haben die ÖBB vor wenigen Jahren etliche hunderttausend Euro in teure, aber wichtige Eisenbahnsicherungs- und Lichtsignalanlagen investiert.
Dreieinhalb Jahre später ist alles anders. Derselbe Landeshauptmann will die Bahn nicht mehr, die Bürgermeister freuen sich angeblich (zumindest laut NÖVOG und dem Büro des Landesrates Wilfing), dass die Bahn durch einen Bus ersetzt wird. Und während im Pinzgau und im Waldviertel Tourismus- und teilweise auch Regelverkehre am Schmalspurgleis bestens funktionieren, treiben NÖVOG und Verkehrsministerium die juristische Auflassung der Bahnstrecke im Ybbstal energisch voran. Obwohl es auch hier potenzielle private Betreiber gegeben hätte, etwa Veolia/BOB.
Abriss teurer Anlagen
Mitte November wurde ich von Ybbstal-Bewohnern informiert, dass Arbeiter der Straßenmeisterei St. Peter in der Au die neuen, teuren Eisenbahnsicherungsanlagen entlang der Bahnstrecke demontieren. Und das, obwohl noch ein juristischer Einspruch gegen den Streckenauflassungsbescheid laufe, sodass dieser nicht rechtsgültig sei. Angeblich würden hinter den Kulissen noch immer Gespräche laufen. Falls man sich nun doch noch für einen Tourismusverkehr mit einem privatem Betreiber entschließe (so wie das derzeit auf der viel weniger spannenden Strecke bei Mank angedacht wird), müsste man die hunderttausende Euro teuren Anlagen, die kürzlich gebaut und nun rausgerissen wurden, um teures Steuergeld ein zweites Mal errichten.Ich werde neugierig und rufe die Straßenmeisterei St. Peter in der Au an. Man habe nur mit vier Leuten ausgeholfen, erfahre ich. Zuständig sei DI Rainer Hochstöger von der Straßenbauabteilung VI in Amstetten. Von ihm erfahre ich dann telefonisch, dass er den Auftrag zum Rausreißen der Eisenbahnsicherungsanlagen direkt von der NÖVOG bekommen habe, also von Niederösterreichs Eisenbahngesellschaft. Über die juristische Rechtmäßigkeit könne er nichts sagen, das müsse ich Herrn Dr. Gerhard Stindl fragen, den Geschäftsführer der NÖVOG.
Alles längst entschieden?
Diesmal gelingt es mir nicht, mit Dr. Stindl persönlich zu sprechen. Ich werde zur NÖVOG-Presseabteilung umgeleitet und erfahre dort, dass der Streckenauflassungsbescheid Waidhofen-Lunz bereits rechtsgültig sei, weil der Einspruch, der angeblich vom potentiellen Streckenbetreiber YEG komme, rechtlich gar nicht möglich sei. Die YEG sei keine Verfahrenspartei und könne deshalb gar keinen Einspruch erheben. Die NÖVOG habe, erfahre ich von der Pressestelle, beim Land nachgefragt, und das Land im Verkehrsministerium. Ergebnis: Weder die YEG, noch sonst irgendwjemand, habe ein Recht auf Einspruch. Außerdem sei von Bürgermeistern und Land längst politisch entschieden worden, dass die Strecke Waidhofen-Lunz abgetragen und durch einen Radweg ersetzt werde.Ich wundere mich, weil ich aus dem Umfeld von Ybbstal-Bürgermeistern von noch laufenden Gesprächen mit dem Land gehört habe. Ob es denn nicht sinnvoll sei, mit dem Rausreißen der teuren, erst frisch errichteten Sicherungsanlagen zu warten, bis alles geklärt sei, um nicht Steuergeld zu verschwenden, frage ich.
Zwang zur Demontage?
Die NÖVOG sei verpflichtet worden und habe keine andere Wahl gehabt, als sämtliche Anlagen zu entfernen, erfahre ich von der Pressestelle. Die Eisenbahnsicherungsanlagen würden die Verkehrssicherheit gefährden. Warum, frage ich. Weil Autos beim Überqueren der Gleise abbremsen müssen und rumpeln, und das störe die Anrainer, erfahre ich erstaunt und überlege grübelnd, warum das Entfernen der Sicherungsanlagen etwas am Rumpeln ändern soll.Hätte die NÖVOG einen zeitlichen Spielraum gehabt beim Abbau der Anlagen, will ich noch wissen? Es gäbe doch diese Gespräche mit den Bürgermeistern, zuletzt am 6. November 2011, als Erwin Pröll in Waidhofen den 63 Millionen Euro teuren und 1,5 Kilometer langen Buchenberg-Straßentunnel eröffnete und dabei mit den regionalen Bürgermeistern zusammentraf.
Vorerst kann mir niemand sagen, ob die NÖVOG die Signalanlagen zwingend derart hastig entfernen musste. Einige Tage später rufe ich im Büro von Verkehrslandesrat Karl Wilfing an. Auch dort weiß man nicht, ob die NÖVOG zur Demolierung der Sicherungsanlagen eine juristische Fristsetzung bekommen hat. Man verweist mich an einen NÖVOG-Juristen, der dies möglicherweise wissen könnte. Außerdem erfahre ich, dass alle Gemeinden von Waidhofen bis Lunz glücklich seien, nun eine Buslinie statt der Bahn zu haben. Überdies sei die Bahn nicht umweltfreundlich, nämlich wegen der Dieselabgase. Eine Elektrifizierung sei ja zu teuer. Ich wende zaghaft ein, dass auch Busse keine Elektromotoren verwenden und frage, ob die Touristen nun ihre Räder in jedem Bus transportieren können, so wie früher in jedem Zug.
Man sagt mir, dass es im Sommer, vermutlich an Wochenenden, Fahrradanhänger an manchen Bussen geben werde. Ansonsten könne man einzelne Räder in den Bus-Kofferraum stecken. Details müssten aber die Gemeinden selber entscheiden, NÖ sei ja sehr föderalistisch organisiert.
Erhebt NÖVOG gegen NÖVOG-Antrag Einspruch?
Und wie ist das nun mit der Parteienstellung beim Streckenauflassungsverfahren? Ich spreche mit dem Büro von Verkehrsministerin Doris Bures und erfahre, übrigens gleichlautend wie von der NÖVOG, dass überhaupt nur die NÖVOG gegen den Auflassungsbescheid des Ministeriums Einspruch erheben könne. Der Antrag auf Streckenauflassung stamme übrigens von der ÖBB, als diese noch Eigentümer der Strecke war. Die NÖVOG ‘übernahm’ den Antrag auf Streckenauflassung. Niemand sonst, keine Gemeinde und kein privater Betreiber habe die Möglichkeit zu einem formalen Einspruch gegen die Streckenauflassung, wurde mir gesagt. Nur die NÖVOG.Der Bescheid sei also rechtsgültig, und Land und Bürgermeister hätten längst entschieden, dass zwischen Waidhofen und Lunz auf der Bahntrasse ein Radweg errichtet werde, sagt die NÖVOG-Pressestelle. Die angeblichen Gespräche mit Bürgermeistern seien wahrscheinlich eine Propagandabehauptung der YEG.
Ich wundere mich und frage einen hochrangigen Gemeindevertreter von Lunz am See, ob es denn nun noch irgendwelche Gespräche mit dem Land gäbe, oder ob die Entfernung der Gleistrasse beschlossene Sache sei. Es sei ziemlich fix, dass der Regelverkehr auf Busse verlagert werde, wird mir gesagt. Aber das Gleis zwischen Lunz und Göstling werde definitiv liegen bleiben und saniert werden, höre ich überrascht. Man werde die erfolgreichen Tourismusfahrten zwischen Gaming und Lunz bis nach Göstling ausdehnen. In welcher Frequenz, sei allerdings noch nicht klar. Einen Radweg auf der Bahntrasse brauche man jedenfalls nicht, da es zwischen Lunz und Göstling längst einen sehr guten Radweg gäbe.
Niemand weiß nix, aber das ganz sicher
Die NÖVOG-Pressestelle ist höchst überrascht, man wisse nichts von einem solchen Projekt. Aber man werde nachfragen. Eine Stunde später werde ich zurückgerufen: Ja, tatsächlich, der Streckenauflassungsbescheid habe nur die Abschnitte Waidhofen-Ybbsitz sowie Waidhofen-Göstling betroffen. Und das Rausreißen der Bahnsicherungsanlagen? Man habe nur westlich von Göstling Zugsicherungsanlagen abgebaut, es sei also kein Steuergeld verschwendet worden.Ich wundere mich ein wenig über den Wirrwarr. Sowohl das Büro Wilfing, als auch die NÖVOG-Pressestelle haben von einer Gleisabtragung bis Lunz gesprochen. Ob hier aufmüpfige Bürgermeister mit einem Gerücht ruhiggestellt werden, oder ob das Tourismusbahnprojekt real existiert und die Kommunikation zwischen den Institutionen bzw. deren Pressesprechern nur bruchstückhaft läuft, ließ sich nicht klären.
Zuletzt frage ich nochmals, warum das Entfernen der Zugsicherungsanlagen so überstürzt erfolgte. Man habe das laut Bescheid ‘raschestens’ durchführen müssen, sagt mir die NÖVOG-Pressestelle. Ist das nicht klarer definiert, frage ich. ‘Raschestens’ sei ja kein juristisch exakter Begriff. Zögernd kommt die Antwort: Die NÖVOG hätte sich bis Ende 2012 Zeit lassen können, die Zugsicherungsanlagen zu entfernen, die erst kürzlich um rund eine halbe Million Euro installiert worden sind. Jetzt kann die NÖVOG nur ‘hoffen’, dass am Abschnitt Waidhofen-Göstling auch wirklich das Gleis rausgerissen wird. Ansonsten wäre der Abriss und Neubau der teuren Anlagen eine sagenhafte Geldvernichtungsaktion.
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GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /