Die Vertreibung der Klimaschützer von Wien
Eine Ansichtssache von Philipp Kronbichler
Der 1. Februar 2022 wird in die Geschichte der Stadt Wien als Tag der Gegnerschaft von Klima- und Umweltschutz eingehen, und als Schandfleck für ihre Regierung. An diesem Tag vertrieb ein Großaufgebot der Polizei die Klimaschützer von der Baustelle der Stadtstraße, die in und mit ihrem Camp gegen die Umsetzung dieses Steinzeitprojektes demonstrierten. Dutzende Personen wurden dabei festgenommen. Das Polizeiaufgebot war groß, Maßnahmen wie die großräumige Absperrung des Geländes und die Sperrung einer U-Bahnstation wirkten unverhältnismäßig. Sind bei den allwöchentlichen Corona-Demonstrationen mit viel mehr Teilnehmern auch U-Bahnstationen gesperrt worden?
Dieses Verhalten der Stadtregierung steht in krassem Gegensatz zu den dringenden Notwendigkeit, den Treibhausgasausstoß in Österreich binnen achtzehn Jahren von derzeit ca. 80 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent jährlich bilanziell auf Null zu bringen. Dieses Ziel steht sogar im „Klimafahrplan“, den die Wiener Stadtregierung erst am 21.1.2022 vorgestellt hatte. Trägt die geplante Stadtstraße dazu bei? Wird sie nach ihrer Fertigstellung helfen, den Straßenverkehr und die damit verbundenen Emissionen zu verringern?
Es waren solche und ähnliche Fragen, welche die Klimaschützer von Wien dazu gebracht hatten, sich gegen den Lobautunnel und die Stadtstraße zu engagieren, unter Einsatz ihrer freien Zeit, ihrer Freiheit, teilweise sogar von Leib und Leben (wenn man etwa an den mutmaßlichen Brandanschlag vom 31.12.2021 denkt!). Sie wurden argumentativ von unabhängigen Experten, u.A. der technischen Universität Wien, unterstützt, die seit Beginn der Planungen zur Stadtstraße vor den Folgen gewarnt hatten. Bis sie mit einer Klage vonseiten der Stadt Wien bedroht wurden. Diese flatterte auch den Klimaschützern ins Haus, anstatt dass ihr selbstloses Engagement für eine lebenswerte Zukunft und für künftige Generationen gelobt und angemessen gewürdigt worden wäre.
Und nicht nur das. Monatelange Anfeindungen und Diffamierungen vonseiten der Stadtregierung gehörten sozusagen zum täglichen Brot. Leider zeigten sie auch Wirkung: in der Berichterstattung der Medien war allzuoft vom „Protestcamp“ und von „Besetzern“ die Rede, nicht von „Klima- und Umweltcamp“ und „Klimaschützern“, immer wieder von „Räumung“ und nicht von „Vertreibung“.
Die Stadt Wien hat offenbar ein gespaltenes Verhältnis zum Klimaschutz und zur Zukunftsvorsorge heute und morgen geborener Kinder. Auf der einen Seite treibt sie durchaus vernünftige Projekte voran, wie die Planung neuer Radwege, die Erleichterung zur Errichtung von Dach-Solaranlagen, dem stehen jedoch immer wieder so merkwürdige Entscheidungen wie eben das Beharren auf Lobautunnel und Stadtstraße entgegen. Sie hat damit auch sehr deutlich gezeigt, dass klimaschädliches und menschenverachtendes Verhalten Hand in Hand gehen. Hingegen haben die Klimaschützer der Lobau deutlich gezeigt – auch in ihrem Verhalten bei der Zerstörung des Camps – dass sie eben keine Gewalt praktizieren, keine Polizisten verprügeln, mehr passiven Widerstand leisten und mehr auf Deeskalation setzen als gewalttätige Konfrontation. Ja, auch passiver Widerstand ist eine Form von Gewalt. Die Stadt Wien ist so aktiv gehindert worden, die Bauarbeiten in Gang zu setzen. Es war ein letztes Mittel, da Argumente und sonstige friedliche Proteste auf taube Ohren gestoßen waren. An keinem Punkt der Geschichte hatten sich die gesetzlich gewählten Vertreter der Stadt Wien jedoch gewillt gezeigt, über Alternativen zur Stadtstraße und zum Lobautunnel zu diskutieren oder auch nur nachzudenken, entgegen anderslautender Beteuerungen. Die „Gesprächsangebote“ der Stadt Wien hatten sich immer nur um die Räumung des Camps gedreht, nicht um eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Stadtstraße, worum es den Klimaschützern ja geht.
Was läßt sich daraus schließen? Wes Geistes Kind sind Michael Ludwig, Ulli Sima oder Jürgen Czernohorszky? Begreifen sie sich als Diener der Allgemeinheit, der Wähler, der Bevölkerung? Oder begreifen sie sich als Diener von konservativer Finanz, Wirtschaft und Großkonzernen? Die Rücksichtslosigkeit, mit der gegen die Klimaschützer von Wien vorgegangen wurde, der Unwillen zu einer sachlichen Auseinandersetzung und zur Zusammenarbeit an einer besseren Zukunft, lässt mehr auf zweiteres schließen.
Sie haben noch nicht begriffen, dass die Zeit und die unerbittlich voranschreitende Klimakrise gegen ihre rückwärtsgewandte Einstellung und Haltung arbeitet. Bei der unglaublich raschen Klimaveränderung, die gerade zu beobachten ist, müssen vor zwanzig Jahren geplante Bauprojekte einfach einer neuerlichen Evaluierung unterzogen werden. Das ist nicht nur vernünftig, sondern auch logisch. Insofern schlug Bundesministerin Leonore Gewessler hier den richtigen Weg ein. Ist es ihr gedankt worden? Von den Landesregierungen und der Stadtregierung Wien auf keinen Fall – im Gegenteil: das kollektive Aufheulen, das ihrer Bekanntmachung folgte, war ebenso schmerzlich anzuhören, wie die gewaltsame Zerstörung des Klimaschutz-Camps mitanzusehen.
Dabei gäbe es ja durchaus Alternativen zur Stadtstraße: Ein Radschnellweg, wie gerade von der Donaustadt ins Zentrum geplant, wäre auch als Verbindung zur Seestadt und als Erschließung für die neuen Siedlungsgebiete gut geeignet, in Kombination mit einer Straßenbahn natürlich. Gleichzeitig sollte es z.B. eine Kaufförderung für Velomobile geben (wetterfeste Kabinenfahrräder), um den Anwohnern einen Anreiz für komfortablen, geschützten Individualverkehr zu geben, der noch dazu unschlagbar umwelt- und klimafreundlich ist. Dass es auch für LKWs die Möglichkeit geben muss, innerstädtisch zu fahren, steht außer Frage, dazu braucht es aber keine vierspurige Stadtstraße, dazu reichen zwei Spuren völlig aus. So wird nämlich ein weiterer Anreiz geschaffen, mehr Waren mit Lastenrädern zu befördern, was wiederum dem Klimaschutz und der Lebensqualität der Anrainer entgegen käme.
Andere Städte wie Kopenhagen zeigen sich hier viel mutiger als Wien. Dort wird die Radmobilität und der öffentliche Nahverkehr in ganz anderem Ausmaß gefördert und unterstützt als hierzulande. Klimaschützer zu vertreiben und Umweltcamps niederzureißen erfordert keinen Mut. Sich mächtigen Lobbys wie der Auto- und Betonlobby entgegen zu stellen hingegen schon. Ebenso wie die Pflicht zum Ungehorsam gegen die Staatsgewalt wahrzunehmen, wenn diese offenkundig falsch und nicht im Sinne ihrer Bürger*innen und derer Nachkommen handelt.
Die Wiener Stadtregierung hat am 1. Februar 2022 einen schal und bitter schmeckenden Sieg errungen, indem sie ihren Kopf durchsetzte. Sie wird sehen, dass es ein Pyrrhus-Sieg ist. Der Widerstand gegen dieses und ähnliche Projekte wird nicht abnehmen, wird nicht erlahmen, sondern im Gegenteil, mit zunehmend fortschreitender Erderwärmung und den damit zunehmenden Naturkatastrophen, weiter zunehmen. Und mit der Natur ist es unmöglich zu verhandeln.
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