Atommüll: Brisantes Gutachten

Keine Betriebsbewillingung für AKW´s ohne geklärter Atommüllendlagerung?

Der Verein FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V. veröffentlicht heute ein brisantes Rechtsgutachten, das in den letzten Wochen von Professor Christoph Degenhart erstellt wurde. Der renommierte Staatsrechtsexperte war vom Rechtsanwalt des FORUMS, Dr. Bernd Tremml, mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Atommüll-Zwischenlagerung beauftragt worden. Dieses Gutachten ist im Gundremminger Verfahren Bestandteil der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (Leipzig). Es wird auch den Klägern in Ohu und Grafenrheinfeld zur Verfügung gestellt.

Der aus München stammende Leipziger Rechtsprofessor rügt das per 2.1.06 gefällte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) als in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Das Gericht hätte nicht den klagenden Nachbarn die Prüfung der bisher nur behaupteten Sicherheit der Atommüll-Lagerung verwehren dürfen. Auch sei auf falscher Rechtsgrundlage und von der falschen Behörde die Genehmigung erteilt worden.

Zugleich stellt Professor Degenhart, der schon mehrere Bundesländer, so auch Bayern, vor dem Bundesverfassungsgericht als Prozessbevollmächtigter vertrat, fest, daß die in 2002 erfolgte Neufassung des Atomgesetzes verfassungswidrig ist. Dieses auf eine Ver­einbarung zwischen den Atomstromkonzernen und der rot-grünen Bundesregierung zurückgehende Gesetz schreibt neue Zwischenlager vor.

Das Gutachten sagt, daß es zu Beginn der Nutzung der Kernenergie wohl hinzunehmen war, daß die Atomanlagen noch keine Entsorgung hatten und diese entwicklungsbegleitend verwirklicht werden sollte. Aber dieser Zustand verstoße heute, 45 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten dt. AKW, gegen die in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 20 a GG verbrieften Grundrechte. Die Atomgesetznovelle von 2002 schmälere sogar die Rechte der Bürger auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Wenn ein Zustand, wie der Betrieb der AKW ohne Entsorgung, jahrzehntelang ohne besondere gesellschaftliche Konflikte andauert, hält man ihn offenbar für normal und rechtens. Nicht so die die Atomanlagen sehenden und die Gefahr spürenden Gesundheits- u. Umweltschützer. Auch deshalb führen wir den Rechtsstreit.

Hier einige Zitate aus dem 56-seitigen Gutachten:

‘… die Nutzung der Risikotechnologie der Kernenergie wurde mit den damit verbundenen technisch-zivilisatorischen Risiken zugelassen, ohne dass die Entsorgungsfrage bereits gelöst war, im Vertrauen auf deren Bewältigung durch Staat und Betreiber. Dies bedeutete andererseits die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, für gesicherte Entsorgung Sorge zu tragen.’

‘Weder kann von Entsorgung gesprochen werden, wenn die abgebrannten Brennelemente auf dem Gelände des KKW gelagert werden, noch auch von einem ‘Konzept’, wenn nicht erkennbar und nicht absehbar ist, was damit nach Ablauf des genehmigten Zeitraums für die Zwischenlagerung geschehen soll.’

‘Wenn auch in einem früheren Stadium das Konzept einer entwicklungsbegleitenden Lösung der Entsorgungsfrage als verfassungskonform unter der Voraussetzung gelten durfte, dass der Gesetzgeber in hinreichend gesicherter Prognose von deren zeitgerechter Bewältigung ausgehen konnte, so müssen an den Gesetzgeber des Jahres 2002 deutlich höhere Anforderungen gestellt werden. Angesichts wiederholt geänderter Lösungsansätze der Entsorgungsproblematik, angesichts zögerlich und inkonsequent durchgeführter Ansätze zu deren Realisierung seitens einer in gleichrangiger Grundrechtsverantwortung stehenden Exekutive, angesichts eines sich abzeichnenden Rückzug des Staates aus seiner Entsorgungsverantwortung kann das normative Konzept einer Zwischenlagerung mit offenem Ende der generellen staatlichen Mitverantwortung für die Risiken aus der Kernenergienutzung und seiner gesteigerten Verantwortung für die Entsorgungsvorsorge nicht genügen.’

‘Auch dies belegt: dem Staat geht es bei der Genehmigung der standortnahen Zwischenlagerung weniger um die Wahrnehmung seiner Mitverantwortung für die Auswirkungen der Kernenergienutzung und seiner besonderen Entsorgungsverantwortung, als um ein Ausweichen vor dieser Verantwortung. …

Festzuhalten ist: Die Bestimmungen über die Zwischenlagerung in der 10. Atomgesetznovelle 2002 verstoßen gegen die Schutzpflichten des Art. 2 Abs. 2 GG und sind hierin verfassungswidrig.’

‘Denn unabhängig davon, ob Drittbetroffene sich gegen eine Anlagengenehmigung allein mit der Begründung wenden können, hinreichende Entsorgungsvorsorge sei nicht getroffen, werden sie dann jedenfalls in eigenen Rechten betroffen, wenn aus mangelnder Entsorgungsvorsorge bzw. dem Fehlen eines realistischen Entsorgungskonzepts eine Minderung ihres grundrechtlichen Schutzniveaus erfolgt. Sie können sich insbesondere auch darauf berufen, dass die ihnen gegenüber zur Anwendung kommenden Normen verfassungswidrig sind, weil sie grundrechtlichen Schutzpflichten nicht genügen. …

Nicht zu verkennen ist schließlich auch, dass mit der Genehmigung der Zwischenlagerung ohne gleichzeitig hinreichend gesicherte oder auch nur absehbare Lösung derjenigen Fragen, die sich nach Ablauf des fraglichen Zeitraums ergeben, die Entstehung ‘vollendeter Tatsachen’ zu besorgen ist. Denn dann muss entschieden werden, was mit den zwischengelagerten Brennelementen weiter geschehen soll. Und dass diese Entscheidung wiederum zu Lasten der bereits jetzt Betroffenen erfolgen könnte, ist jedenfalls nicht auszuschließen (und nach den bisherigen Erfahrungen sogar wahrscheinlich: die Dinge zu belassen, wie sie sind und wo sie sind, bedeutet den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.)

Quelle: FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V.



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