© pixabay.Geralt
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Jean Ziegler betont weltweite Bedeutung der Zivilgesellschaft

Schweizer Globalisierungskritiker zu Gast beim 3. vida-Gewerkschaftstag: Zivilgesellschaft ist weltweite Widerstandsfront gegen Verteilungsungerechtigkeit

Wien - Im Rahmen des 3. Gewerkschaftstages der Verkehrs-und Dienstleistungsgewerkschaft vida hielt der international bekannte Schweizer Globalisierungskritiker Jean Ziegler ein Impulsreferat zum Thema "Kampf gegen die absurde Weltordnung -Verteilungsgerechtigkeit". "Die internationale Solidarität ist die Essenz jeder Gewerkschaftsbewegung", hielt Ziegler Eingangs fest. Das Freihandelsabkommen TTIP bedeute hingegen nicht nur die Totalliberalisierung des Wassers sowie des Dienstleistungs- und Verkehrssektors, es sei auch ein Angriff auf die Gewerkschaften und ihre Mitsprache. Mit der Schiedsgerichtsklausel in TTIP könnten multinationale Konzerne gegen ihren Interessen zuwiderlaufende Beschlüsse von demokratisch gewählten Regierungen klagen, kritisierte Ziegler, was einer totalen Entmachtung von Nationalstaaten gleichkomme.

Jean Ziegler, Soziologe, Politiker und Autor, gehört zu den international profiliertesten und charismatischsten Kritikern weltweiter Profitgier. Seit Jahrzehnten kämpft er gegen Hunger und Ungerechtigkeit in dieser Welt. In seinem Referat blickte Ziegler zuerst auf die historische Entwicklung von internationaler Solidarität zurück. Diese habe sich vor rund 150 Jahren erstmals durch die Streiks englischer TextilarbeiterInnen gegen Baumwollimporte aus den Südstaaten der USA manifestiert. Die ArbeiterInnen hätten damals großes Elend in Kauf genommen. Ihre "strahlende Menschlichkeit" und Solidarität habe aber die ArbeiterInnen über die Sklaverei siegen lassen, so Ziegler.

Das Kapital wüte aber noch heute. Die 500 größten transkontinentalen Konzerne kontrollierten 52,8 Prozent des Wertes des Weltbruttosozialprodukts, das im letzten Jahr 85.000 Milliarden Dollar überschritten habe, spannte Ziegler den Bogen ins hier und jetzt. Diese Konzerne hätten jetzt mehr Macht, wie sie ein König, ein Kaiser oder ein Papst nie besessen haben.

Während die Profitmaximierung voranschreite, wüchsen im Süden die durch Hunger entstandenen Leichenberge weiter an: "Diese kannibalische Weltordnung ist ein System aus struktureller Gewalt. Das muss gebrochen werden", sagte der Globalisierungskritiker. Denn alle fünf Sekunden verhungere ein Kind, 57.000 Menschen würden pro Tag an Hunger sterben. Der Hunger, hervorgerufen durch Verteilungsungerechtigkeit und den verwehrten Zugang zu Nahrung, sei bei weitem die bedeutendste Todesursache auf diesem Planeten, sprach Ziegler vor diesem Hintergrund von "Massenmord". Das UNO-Menschenrecht auf Nahrung sei zudem jenes Recht, dass weltweit am massivsten verletzt werde.

Die Ursachen für die Verteilungsungerechtigkeit und den Hunger sieht Ziegler zum einen in den großen Auslandsverschuldungen der Länder der südlichen Erdkugel begründet. Das hindere etwa Afrika an Investitionen in die Landwirtschaft. Ein weiterer Grund sei der "permanente Landraub", dass immer mehr Agrarland von Konzernen, Hedgefonds und Großbanken aus Gründen der Spekulation übernommen werde.

Als weitere Hauptkausalitäten für Zerstörung und Unterernährung nannte Ziegler die Börsenspekulationen mit Energie und Agrarrohstoffen. Dies bringe astronomische Gewinne. Von 2008 bis 2013 sei der Weltmarktpreis von Mais um 38,2 Prozent gestiegen, der Preis für eine Tonne Getreide habe sich in diesem Zeitraum verdoppelt. Es sei zwar aus Umweltschutzgründen vernünftig, fossile Energien durch vegetale ersetzen zu wollen, es sei jedoch angesichts des Hungers in der Welt ein "Verbrechen an der Menschlichkeit, Nahrung zu Agrartreibstoff zu verbrennen", wandte der Globalisierungskritiker ein.

Der Feind im Kampf gegen Hunger und Verteilungsungerechtigkeit sei erkannt, aber wie könne man ihn bekämpfen? Zieglers Antwort auf diese Frage ist eine eindeutig optimistische, denn in der Demokratie gebe es Hoffnung, Solidarität und keine Ohnmacht. Mit entsprechenden Mehrheiten und Gesetzen verfügten Demokratien über alle Waffen, um die Herrschaft der Konzerne, um die kannibalische Weltordnung zu brechen. Egal, ob es dabei um Gesetze gegen Lohn- und Sozialdumping oder um ein Verbot von Spekulationen mit Nahrungsmitteln gehe.

Auf demokratischem Wege sei auch eine Totalentschuldung der südlichen Länder durchzusetzen. Für Ziegler scheint dies machbar zu sein. Denn die Hoffnung dafür bringe die "planetarische Zivilgesellschaft". Diese Zivilgesellschaft sei der Motor, diese bilde durch das Weltsozialforum oder Nichtregierungsorganisationen wie attac die weltweite Widerstandsfront gegen Verteilungsungerechtigkeit. "Diesen Bewegungen gehört die Zukunft und sie werden gewinnen", bekräftigte Ziegler.

VIDEO des Votrags:


GastautorIn: vida für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /