© Gernot Neuwirth
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Tierschutzprozess: Der erste Verhandlungstag nach der Sommerpause: Ja derfen’s denn des?

Gedanken zum Herbstbeginn- eine Ansichtssache von Dr. Gernot Neuwirth - Teil 2

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Pünktlich am 1. September geht der Prozess gegen die Tierschützer-Sündenböcke, die so gut wie ohne Beweise wegen Gründung einer imaginären ‘kriminellen Organisation’ angeklagt sind, weiter


Wieder müssen die 13 dreimal pro Woche von Wien (und auch von Tirol) nach Wiener Neustadt fahren, samt ihren Rechtsanwälten. In der Mittagspause müssen sie, um nicht zu verhungern, um ihr Leben rennen, um die zu jedem Termin herangekarrten 30 Polizeischüler am Weg zur Kantine zu überholen und sich nicht hinter ihnen anstellen zu müssen.

Wieder hält es Ihr Berichterstatter nur einen halben Tag lang aus, denn wieder versteht es die Richterin, durch Abblocken vieler Wortmeldungen von Verteidigung und Angeklagten eine Atmosphäre zu schaffen, in der das Skurrile vom Beklemmenden überschattet wird.

Da diese verbotenen Fragen dann wohl auch nicht im offiziellen Protokoll aufscheinen werden, ist es umso wichtiger, dass ein unabhängiges Protokoll über jeden Prozesstag geführt wird. Das lässt sich z.B. unter ‘Tierschutzprozess 41’ googeln (41 ist die Zahl des gewünschten Prozesstages). Dieser Bericht umfasst schon viele hundert Seiten, gibt aber jedes Mal auch eine Kurzfassung für eilige Leser.

DDr. Balluch erzählt Ihrem Berichterstatter übrigens, dass die Richterin sogar jene Fragen und Antworten, die sie zulässt, hinterher nochmals redigiert: In den wenigen Protokollen, die fertig sind, findet sich z.B. zwar ihre Rüge, weil er nach der Mittagspause seinen halbvollen Teller in die Verhandlung mitgebracht hat, aber seine komplette Antwort – eben die Sache mit den hungrigen Polizeischülern - fehlt.

Ja derfen’s denn des?

Dem Laien kommt das ja fast wie Dokumentenfälschung vor. Ist es aber nicht. Eine Richterin darf das offenbar wirklich. Aber auch die Angeklagten dürfen manches, was einen naiven, biederen Bürger wie den Berichterstatter zunächst überrascht. Einer hat am letzten Verhandlungstag vor der Pause gefehlt, war im Spital. Wird er eine Bestätigung bringen? Er schüttelt nur wortlos den Kopf. Und eine Angeklagte wird gefragt, ob sie sich in einer vorgespielten Fernsehaufzeichnung einer Nerzbefreiung hinter einer Tiermaske wiedererkennt. Wird sie ja oder nein sagen? Sie sagt nichts.

Auch das darf sie.

Aber das wird an der Einstellung ‘des Gerichts’ (auch Einzelrichter/innen bezeichnen sich als ‘das Gericht’) wohl auch nicht mehr viel ändern. Eine Täterschaft bei der Nerzbefreiung ist zwar nicht bewiesen und anscheinend auch (noch) gar nicht angeklagt, aber das Video und die anschließende Einvernahme eines Experten für Tierstress haben sehr wohl einen Sinn, und der beleuchtet deutlich einen weiteren perversen Aspekt dieses Prozesses: Dem Beobachter scheint es nämlich, als ob die Richterin dem Staatsanwalt in den Mund legen möchte, auch hier wie schon früher bei einer Schweinebefreiung ‘Tierquälerei’ anzuklagen. Das haben sie sich offenbar von der kanadischen Justiz abgekupfert, die die Robbenschützer seit Jahren wegen Tierquälerei verfolgt, wenn sie die kleinen Seehunde mit ungiftiger Farbe besprühen und sie damit vor den Knüppeln der Robbenjäger bewahren.

Kollege

Das ärgerliche Trauerspiel wird nur selten durch Skurrilitäten aufgehellt, etwa wenn der - übrigens keineswegs hundertpozentig unsympathische – Experte über einen geschädigten Nerzfarmer als ‘Kollege’ spricht. ‘Kollege?’ fragt ein befremdeter Balluch. Ja, meint der Sachverständige, er spreche über andere Menschen meist als Kollegen (und das ist bei Uni-Professoren tatsächlich oft so). ‘Sind wir auch Kollegen?’ fragen gleich ein paar Angeklagte. Warum nicht, meint der Sachverständige. Also spricht ihn Balluch gleich als Herr Kollege an - was ihm die Richterin sofort verbietet. Aber der Herr Kollege sagt, dass er nichts dagegen hat, und daher bleibt es trotz des Richterinnenspruchs bei dieser Anrede. Jedoch bekommt der Herr Kollege nun Benimmunterricht von der Richterin. Denn als er einem Angeklagten eine Frage beantworten muss, dreht er ihm das Gesicht zu. Das aber darf er ihrer Meinung nach nicht. ‘Schauen Sie MICH an, wenn Sie antworten, Herr Sachverständiger!’ richtet sie ihm die Wadln nach vorne.

In Zeiten wie diesen

Es ist und bleibt ein Trauerspiel: In Zeiten, wo wir demnächst alle gewaltig zur Kassa gebeten werden, wirft die Justiz mit Millionen um sich. Kann wohl schon lange nicht mehr anders, weil sie in dem Augenblick, wo sie zurückrudern würde, auch von den weniger kritischen Medien wegen fahrlässiger Verschwendung von Steuergeld attackiert würde. Will mit einem sich selbst erfüllenden Paragraphen die Existenz einer düsteren Geheimorganisation beweisen, treibt sich selbst immer mehr in die nächste Instanz. Vielleicht bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ja dann hoffentlich ein Machtwort spricht, wenn die Beweislage so dünn bleibt, wie sie nach vielen Jahren Observation und fünf Monaten Prozess immer noch ist.

Stacheldraht

Aus Protest gegen den Prozess und gegen den § 278a und gegen die Versuche einflussreicher Kreise, diesen Gummiparagraphen noch zu verschärfen und damit weiterem Missbrauch Tür und Tor zu öffnen haben am Tag vor der Prozess-Fortsetzung fünf angeklagte Tierschützer, mit Stacheldraht gefesselt, vor dem Parlament demonstriert.

Petition zum § 278a

Unterstützer wie Amnesty International, Global 2000, Vier Pfoten, Reporter ohne Grenzen, Attac, Greenpeace, SOS Mitmensch, SOS Regenwald usw. bürgen dafür, dass hier nicht die parlamentarische Demokratie ausgehebelt, sondern im Gegenteil ein letztes Mindestmaß an Rechtsstaat und demokratischer Kultur gerettet werden soll. Bitte teilnehmen!

www.demokratie-retten.at

GastautorIn: Univ.-Lektor Mag. Dr. Gernot Neuwirth für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /