Klimaschutz-Fahrplan für Österreich: Wissenschaft hilft der Politik nach
Der Klimawandel bringt nicht nur die Lebensqualität der Menschen in Gefahr, Nicht-Handeln oder weitere Verzögerungen im Klimaschutz können in eine Klimakatastrophe führen, aus der es absehbar keinen Ausweg mehr gibt.
Das belegen viele wissenschaftliche Publikationen. Die Erde könnte aus ihrem bisherigen, einigermaßen stabilen Klimazustand in einen Zustand geraten („Hothouse Earth“), in dem es durch selbstverstärkende Prozesse zu unaufhaltsam weiterer Erwärmung kommt, unabhängig von den Treibhausgasemissionen der Menschen.
Daraus resultiert die Notwendigkeit rasch zu handeln und die Treibhausgasemissionen weltweit bis Mitte des 21. Jahrhunderts einzustellen. Diese Notwendigkeit stellt jedoch auch eine enorme Chance dar, gleichzeitig auf die vielen anderen großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (z.B. Armut, Verteilungsgerechtigkeit, Biodiversitätsverlust, Ernährungssicherheit) zu antworten, statt sich von den vielfältigen Veränderungen überrollen zu lassen.
"Man soll Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein“, appellierte Gottfried Kirchengast, Vertreter der Wissenschaft im Klimaschutzkomitee und Leiter des Wegener Center, an die politisch Verantwortlichen.
Doch wie soll uns der Übergang zu einer Treibhausgas und Emissions-freien Gesellschaft bis 2050 gelingen? Mit dem von der letzten Regierung bei der EU-Kommission eingereichten Klimaplan #mission2030 war jedenfalls kein Blumentopf zu gewinnen, geschweige denn, dass die Klimaziele von Paris damit zu erreichen wären. Im Gegenteil, laut Expertenmeinung würde dieser mangels Ambitionen eher zu Strafzahlungen in Milliarden Höhe führen. Bis Ende des Jahres muss nun ein fundamental nachgebesserter Nationaler Energie- und Klimaplan für Österreich (NEKP) präsentiert werden.
Über siebzig ExpertInnen aus dem österreichischen Klimaforschungsnetzwerk Climate Change Center Austria (CCCA) und der Kommission Klima und Luftqualität der ÖAW sprangen nun in die Bresche politischer Inaktivität und veröffentlichten einen eigenen und deutlich ehrgeizigeren Plan: Gottfried Kirchengast (Uni Graz, ÖAW), Helga Kromp-Kolb (BOKU), Karl Steininger (Uni Graz), Sigrid Stagl (WU) und Mathias Kirchner (BOKU), stellten am Montag im Rahmen einer Pressekonferenz ihren neu erarbeiteten “Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und mit den Pariser Klimazielen in Einklang stehenden Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich (Ref-NEKP)“ vor.
Emissionsfreie Gesellschaft bei steigender Lebensqualität
Dieser Referenzplan soll ohne politische "Vorschriften" aber mitttels machbarer Umsetzungswege aufzeigen, dass und insbesondere wie Österreich seinen Beitrag zur Erreichung des Pariser Ziels einer globalen Erwärmung von maximal 1,5 °C zu leisten in der Lage ist. Übergeordnetes Ziel ist es, eine nahezu treibhausgas-emissionsfreie Gesellschaft und Wirtschaft bis spätestens Mitte dieses Jahrhunderts, bei gleichzeitig steigender Lebensqualität zu schaffen. So gilt es auch die 17 SDG Ziele (Sustainable Developement Goals) der UNO für eine nachhaltige Entwicklung einzubetten, zu denen sich Österreich, wie auch zum Pariser Abkommen, 2015 bekannt hat.„Klimaneutralität bis 2050“ kann tatsächlich erreicht werden - auch wenn es nicht die "Eine optimale Lösung" gibt, weil sich Interessenslagen, Weltbilder und Werthaltungen der Akteure unterscheiden. Es geht daher um das, was die Wissenschaft eine „clumsy solution“ nennt, das heißt eine Lösung, die ausgehandelt werden muss, sodass letzten Endes alle Akteure guten Willens zusammenwirken, wenn auch aus verschiedenen Gründen und Interessenslagen. Es ist daher unerlässlich, die Bevölkerung aktiv in die Umsetzung des NEKP einzubeziehen.
Der Referenzplan der Forscher macht deutlich, dass das derzeit von der EU vorgegebene NEKP Mindestziel von –36 % Emissionsreduktion gegenüber 2005 (im Non-ETS Bereich) für den Pariser Klimazielweg nicht reicht. Will Österreich diesen Weg glaubwürdig gehen, ist eine Nachbesserung auf mindestens – 50% nötig. Da maximal 5 % bis 10 % der derzeitigen Emissionsmenge mittels aktiver Kohlenstoffspeicherung durch Boden- und Waldbewirtschaftung ökologisch gut verträglich gebunden werden können, muss Österreich schon bis 2045 seine Emissionen um mindestens 90 % bis 95 % verringern (Netto-Null Inlandsemissionen), um die erforderliche Klimaneutralität für das 1,5 °C Ziel zu erreichen.
Die wichtigsten Punkte des Referenzplans
Eine Diskussion, welche Maßnahmen in welcher Reihenfolge erforderlich sind, ist (nahezu) obsolet, denn es werden (fast) alle sinnvollen Maßnahmen eingesetzt werden müssen. Es geht lediglich darum, wie sie gewichtet und ausgestaltet werden und welche sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgewirkungen damit erreicht bzw. ausgeschlossen werden können. Als wichtigste Maßnahmen und Zielsetzungen für eine erfolgreiche Transformation zu einer klimaemissionsfreien und klimarobusten Wirtschaft und Gesellschaft nennt der Referenzplan:Klimagerechte Steuerreform
Eine sozial-, wirtschafts- und umweltgerechte Steuerreform, auch sozial-ökologische oder ökosoziale Steuerreform genannt, die Kostenwahrheit annähert (CO2-Preis, Abbau fossiler Subventionen, Anreiz klimafreundlicher Innovationen) und mit Blick auf breite Akzeptanz zugleich Entlastung für Menschen mit niedrigem Einkommen sowie für Nebenkosten auf Arbeit sicherstellt.
Als Beispiel: Scientists for Future empfehlen einen Einstiegspreis für Emissionen, die nicht vom europäischen Emissionshandel betroffen sind (v.a. Verkehr und Gebäude), von mindestens 50 Euro / t CO2 , der bis 2030 auf mind. 130 Euro / t CO2 ansteigen sollte. Die Verwendung der Steuereinnahmen gilt es aufkommensneutral und transparent zu gestalten, sowie auch für einen Klimabonus zu verwenden, der an alle Haushalte pro Kopf ausgezahlt wird.
Effiziente Energiedienstleistungen
Enge Technologievernetzungen zur optimalen Entwicklung hocheffizienter Energiedienstleistungen über alle Sektorgrenzen hinweg (Energie & Industrie, Verkehr, Gebäude, Land- & Forstwirtschaft, usw.) und für alle Konsumbedürfnisse, sodass der Primärenergiebedarf für jede Art Bedarfsabdeckung einschließlich für Mobilität grundlegend reduziert wird und fossile Energieträger vollständig durch Erneuerbare ersetzbar werden, ohne die nötige systemische Robustheit (Resilienz) außer Acht zu lassen;
Klimazielfördernde Digitalisierung
Eine alle digitalen Systeme umfassende, zielgerichtete Nutzung und Förderung der Möglichkeiten der Digitalisierung („Industrie 4.0“), konsequent im Einklang mit und im Dienst einer klima- und umweltgerechten Lebens- und Produktionsweise (neuer Kernbereich „Umweltschutz 4.0“), sodass Digitalisierung (Internet der Dinge, Smart Grids, Automatisierung, usw.) Ressourcenbedürfnisse wirklich tiefgreifend senken hilft.
Klimaschutzorientierte Raumplanung
Eine klar klimaschutzorientierte Energie- und Mobilitäts-Raumplanung, mit Schwerpunkt auf urbane und regionale Kernräume nach den Grundsätzen von Funktionsmischung, maßvoller Dichte und Innenentwicklung, die kurze Wege schafft und den Energie- und Mobilitätsbedarf strukturell verringert. Beispiele: Einkaufsmöglichkeiten innerhalb anstatt konzentriert am Rand von Siedlungen; keine weiteren Umwidmungen in Bauland bei bestehenden Leerständen; Einschränkung der Parkplatzflächen gekoppelt mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und von Ride&Car Sharing Angeboten.
Adäquater Ausbau erneuerbarer Energien
Am Gesamtsystem orientierter und gezielt am Energiedienstleistungsbedarf ausgerichteter rascher Ausbau der Produktionskapazitäten für Elektrizität und Fernwärme & -kälte aus erneuerbaren Energiequellen (Sonne, Wind, Wasser und Biomasse) sowie der jeweilig notwendigen Energie-, Anergie- und Informations-Netze samt Speichern. Beispiel: Investitionsförderungen und Einspeisevergütungen für erneuerbare Energie, gekoppelt an Bedarfs- und Effizienzprüfungen, sowie Umweltprüfungen; Investitionen in den Ausbau eines intelligenten Stromnetzes und Energiespeicher.
Naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung
Eine gezielt auf Basis zunehmend biologisch-regenerativ orientierter Land- und Forstwirtschaft aufgebaute Kohlenstoffspeicherung in Österreichs Böden und Holzbiomasse durch Einschränkung der Bodenversiegelung und durch Humusaufbau sowie mittels Energiewaldwirtschaft und Holznutzung, um mit nachhaltiger Landnutzung das Nötige zur Klimaneutralität beizutragen. Beispiele: Ausbau der jährlichen Speicherfähigkeit um ca. 0,3 Mt CO2 / Jahr ab 2020 bis zu einer jährlichen Kapazität von ca. 7,5 Mt CO2 / Jahr ab 2045; durch Förderung von Maßnahmen zum Humusaufbau in der Landwirtschaft (biologischer Landbau, Leguminosen, Rückführung der Erntereste, Pflanzenkohle) und biologisch-regenerativ orientierter Forstwirtschaft. Kohlenstoffspeicherung integriert in der Bioökonomie.
Wegweisende Pariser Klimazielorientierung
Sektor- und ebenenübergreifende Ausrichtung aller Entscheidungen, Verordnungen und Gesetze am Pariser Klimaziel, u.a. durch Schulung der EntscheidungsträgerInnen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Unterstützung der überparteilichen, internationalen Pariser Klimazielbewegung aus zivilgesellschaftlichen, institutionellen und Politik-gestaltenden AkteurInnen (aus NGOs, Graswurzelbewegungen wie Fridays For Future, Sozialpartnern, Unternehmen, Universitäten, Institutionen der EU, Medien, politischen Parteien, u.v.m.), die wegweisend, bahnbrechend und wegbegleitend das Mitgehen Österreichs am Pariser Klimazielweg sicherstellt. Klimawirksamkeit wird damit als verbindliches Entscheidungskriterium in alle politischen Entscheidungen einbezogen, z.B. in Entscheidungen zu Handels - und Investitionsabkommen und Infrastrukturmaßnahmen (z.B. 3. Piste, G5-Ausbau, Digitalisierungsförderungen).
Bildung und Forschung
Verankerung des Themas Klimawandel und Transformation im Rahmen systemischer Ansätze als wesentlichen Teil aller Bildungs- und Ausbildungswege, von Kindergärten bis Universitäten, in Verbindung mit einer grundlegenden Umorientierung der Bildung hin zu motivationsbasiertem, individuell-förderndem, kreativitäts -förderndem, problem- und projektorientiertem sowie fächerübergreifendem Unterrichten und Lernen; in Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen gleichzeitig Stärkung öffentlicher Investitionen für Forschung, Entwicklung und Innovation zu diesem Thema, auch um nicht-nutzerinteressensgeleitete Forschung im notwendigen Ausmaß zu gewährleisten.
Sektorspezifische Maßnahmenbündel im Referenzplan
Ergänzend dazu sind sektorspezifische Maßnahmenbündel wichtig, mit Schwerpunkt auf die Sektoren Energie & Industrie, Verkehr, Gebäude, Land- & Forstwirtschaft, Bioökonomie sowie Stofffluss- & Abfallwirtschaft, die nahtlos in die oben genannten Rahmenmaßnahmen und Rahmenzielsetzungen zu integrieren sind, da sie nur so ausreichend wirksam werden.Energie & Industrie: Reduktion des Energiebedarfes, Steigerung der Energieeffizienz und adäquater Ausbau erneuerbarer Energien; Investitionen in dezentrale, intelligente Stromnetze und Speicher, sowie in der Industrie ein Fokus auf bedarfsorientierte, langlebige und reparierbare Qualitätsprodukte ohne geplante Obsoleszenz.
Kreislaufwirtschaft: Klimazielfördende Digitalisierung und effiziente sektorübergreifende Lösungen („Sektorkopplung“). Ziel ist eine starke Verringerung des Energie- und des Ressourcenverbrauchs und ein entsprechend starker Abbau von Emissionen, der wegen des geringeren Verbrauchs auch kostensenkend wirkt.
Verkehr: Eine Aufwertung der aktiven Mobilität (Radfahren, Gehen) und des öffentlichen Verkehrs, Einführung von Mobilitäts-Lenkungsabgaben (zzgl. zu einem CO2-Preis) und/oder einer Verringerung der Höchstgeschwindigkeit (insbes. auf Autobahnen als eine effektive und vergleichsweise rasch umsetzbare Maßnahme). Weiters Maßnahmen, die sicherstellen, dass fossile Antriebe zeitgerecht auslaufen (z.B. keine Neuzulassung von fossil betriebenen Personen-Kfz einschließlich Zweirädern ab 2030) und dass klimazielfördernde Digitalisierung und Automatisierung sowie Mobilitäts-Raumplanung eine nahezu emissionsfreie und für alle leistbare Mobilität unterstützen.
Gebäude: Priorität von Sanierung vor Neubau in allen Genehmigungen, Förderungen, etc.; Nutzung klimafreundlicher Materialien und Bauweisen und Verankerung dieser in Richtlinien und Gesetzen; lokale Strom- und Wärmenetze (insbesondere für Abwärme) und Produktion, Verteilung, und Speicherung in „Energy Hubs“. Programme und Förderungen für nachhaltige Gebäude zielen auf integrierte Sanierung und klare Vorschriften für klimagerechte Standards in Neubau und Sanierung ab (z.B. klimagerecht Bau- und Dämmmaterialien, Raum und bodenschonende Bauweisen, Passivhaus-Standard, Plusenergie-Gebäude) sowie auf Integration der Gebäude in lokale Heiz- und Kühlsysteme (Energieerzeugung, -speicherung, -kreislaufführung, und thermische Qualität). Klimaschutzorientierte Raumplanung führt Wohnen, Arbeiten und Mobilität im Sinn einer Funktionsmischung näher zusammen, ebenso wie Städte und ländliche Räume.
Land- & Forstwirtschaft: Zunehmend flächendeckender Ausbau von klimafreundlichen und klimawandelrobusten Bewirtschaftungsformen, insbesondere Biolandbau; starke Reduktion des Stickstoffmineraldünger-Einsatzes und Tierbestandes (wegen deutlicher Verringerung des Fleischkonsums); nachhaltigkeitsorientierte Präzisionslandwirtschaft; Aufbau von Bodenhumus und Holzbiomasse für Kohlenstoffspeicherung und Bioökonomie; Unterstützung nachhaltiger Ernährungsweisen (weniger Fleischkonsum, für alle leistbare biologische Lebensmittel). Der Erhalt und die Erhöhung von naturverträglicher Kohlenstoffspeicherung in Böden und Wäldern, mit Rücksicht auf Biodiversität, ist dabei eine übergreifende Priorität;
Bioökonomie: Forcierter Aufbau einer kreislauforientierten, nachhaltigkeitsorientierten Bioökonomie (auch im sozioökonomischen Bereich), unter sorgfältiger Berücksichtigung von Zielkonflikten mit Nahrungsmittelerzeugung (z.B. Flächenbedarf) und Umwelt (z.B. Biodiversität), vor allem durch kaskadische Nutzung (Holzbau, Ersatz fossiler Rohstoffe in der Produktion). Es soll zu Emissionsabbau und zu Kohlenstoffspeicherung ein wichtiger Beitrag geleistet werden.
Stofffluss- & Abfallwirtschaft: Weiterer Ausbau des Fokus auf stofflicher Verwertung und Abfallvermeidung im Sinn kreislaufwirtschaftlicher Konzepte (z.B. „Design for Maintenance / Re-use / Re-furbishment / Re-cycling / Re-selling“). Ebenso ist es wichtig, die Klimaschutz Potenziale für Emissionsverringerung und Emissionsvermeidung in der Abfallbehandlung (z.B. Deponienachsorge, Abfallverbrennung) optimal auszuschöpfen.
Quellen:
CCCA Executive Summary
228-seitiger Referenzplan
Die #mission2030 der österr. Regierung
Autor: Robert Manoutschehri für oekonews
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /