© Ralf Vetterle- pixabay.com
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Industrie-Studie zeigt: Klimaschutz braucht in Deutschland Investitionsturbo

80 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2050 ist realistisch machbar

Klimaschutz braucht einen Investitionsturbo. Eine Reduktion von Treibhausgasen von 80 Prozent bis zum Jahr 2050 gegenüber dem Basisjahr 1990 ist grundsätzlich technisch und ökonomisch machbar. Zwingende Voraussetzung ist, energieintensive Unternehmen von klimapolitisch bedingten Zusatzlasten zu befreien, solange international nicht vergleichbare Bedingungen bestehen. Dann ist ein 80-Prozent-Ziel sogar im nationalen Alleingang ohne Wachstumseinbußen, also mit einer schwarzen Null, möglich. Unter diesen Umständen werden Industrieunternehmen von ehrgeizigem Klimaschutz sogar profitieren. Zu diesem Ergebnis kommt die im Auftrag des BDI entstandene Studie „Klimapfade für Deutschland“, die der BDI auf einem Klimakongress am Donnerstag in Berlin vorstellte.

Den Berechnungen zufolge erfordert die Erreichung eines 80-Prozent-Klimaziels Mehrinvestitionen von etwa 1,5 Billionen Euro bis 2050. Die Studie geht von einer optimale Umsetzung aus, auch durch die Politik. Eine 95-prozentige Treibhausgas-Reduktion wäre vorstellbar, wenn es global in allen wichtigen Wirtschaftsräumen vergleichbare Klimaschutzanstrengungen gäbe. Dazu sollte die künftige Bundesregierung ein unabhängiges Monitoring beauftragen. Die Mehrinvestitionen für dieses 95-Prozent-Szenario würden sich bis 2050 auf rund 2,3 Billionen Euro addieren.

„Politische Fehlsteuerung bleibt für den Klimaschutz das größte Umsetzungsrisiko“, warnte BDI-Präsident Dieter Kempf. „Ob Wohnen oder Verkehr, ob Industrie oder Landwirtschaft: Investitionen kommen nicht von alleine. Die deutsche Klimaschutzpolitik droht, auf eine drastische Erfüllungslücke zuzusteuern.“ Was klimapolitisch und gesamtwirtschaftlich Sinn ergebe, sei betriebswirtschaftlich nicht unbedingt rentabel. Der Studie zufolge klaffen klimapolitische Ziele und Mittel, diese zu erreichen, erheblich auseinander: Ohne zusätzliche politische Anstrengungen sind 61 Prozent Treibhausgasminderung bis 2050 realistisch. Alle darüber hinausgehenden Investitionsentscheidungen finden nur mit weiteren Anreizen statt, weil sie für den einzelnen Entscheider nicht ausreichend attraktiv sind.

„Nachhaltiger Klimaschutz eröffnet vielen unserer Unternehmen langfristig Chancen auf dem wachsenden Weltmarkt für klimaschonende Produkte und Prozesse“, betonte Kempf. „Richtig gemacht, unterstützt er die Modernisierung einer Volkswirtschaft.“ Der Staat müsse aber realistische und verlässliche Ziele vorgeben und die Umsetzung den Unternehmen überlassen, sagte Kempf. „Unflexible Sektorziele, Technologieverbote, beispielsweise von Verbrennungsmotoren, oder planwirtschaftliche Instrumente wie eine E-Auto-Quote sind der falsche Weg.“ Mit der Studie präsentiere der BDI eine fundierte Grundlage für die Diskussion um den Klimaschutzplan 2050, der die zukünftige Bundesregierung in diesem Jahr beschäftigen werde.

Die teils erheblichen betriebswirtschaftlichen Risiken seien umso größer, je stärker Branchen im internationalen Wettbewerb stehen. „Die deutsche Industrie ist in Wertschöpfungsnetzen organisiert. Gegen ein Wegbrechen dieser Verbünde bedarf es eines wirksamen Schutzes. Zumindest so lange, bis vernünftige, weltweit vergleichbare Rahmenbedingungen erreicht sind“, forderte der BDI-Präsident. Sonst würden Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Emissionen schlichtweg exportiert – und dem Klima wäre nicht geholfen.

„Die deutsche Klimaschutz- und Energiepolitik befindet sich auf gefährlichem Schlingerkurs. Den muss die Politik dringend korrigieren“, kritisierte Kempf. „Nach wie vor hohe Stromkosten, das Schneckentempo bei der energetischen Gebäudesanierung und eine fehlende gemeinsame Vision der zukünftigen Mobilität beunruhigen die deutsche Industrie“, warnte der BDI-Präsident. „Wir brauchen dringend einen Strategiewechsel im politischen Management der Energiewende von einer Strom- hin zu einer umfassenden Effizienzwende. Neue Impulse und wesentliche Kurskorrekturen sind dringend notwendig, damit Treibhausgas-Emissionen effektiv und kostengünstig vermieden werden.“ Klimaschutz sei ein gesamt­gesellschaftlicher Kraftakt. Er erfordere enorme Investitionen quer durch die Volkswirtschaft und betreffe alle Bürgerinnen und Bürger in ihrem unmittelbaren Lebenshorizont.

Die Studie verdeutlicht das enorme Potenzial disruptiver Innovationen. „Wir brauchen eine technologieoffene Forschung und Unterstützung durch die Politik“, erklärte der BDI-Präsident.

Die Untersuchung „Klimapfade für Deutschland“ betrachtet als technologieoffene Analyse umfassend und in diversen Szenarien alle technischen und wirtschaftlichen Potenziale zur Minderung von Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bis 2050. Insgesamt waren in dem Projekt, das im Auftrag des BDI von der Boston Consulting Group sowie Prognos erstellt wurde, fast 200 Personen sowie 68 Verbände und Unternehmen aus der gesamten Breite der Industrie involviert.



Greenpeace-Klimaexperte Andree Böhling meint dazu: „Wenn sogar der BDI unterstreicht, dass Ökonomie und Ökologie Hand in Hand gehen, verlieren die reaktionären Kräfte bei Union und SPD auch das letzte Argument gegen ehrgeizigen Klimaschutz. Zu Recht fordert der Wirtschaftsverband Planungssicherheit in der Energie- und Klimapolitik. Statt mutlosem Stückwerk muss die nächste Bundesregierung einen klaren Plan vorlegen, wie ein modernes, sauberes Deutschland schrittweise ohne Kohle, Öl und schließlich Gas auskommt.

Doch auch der BDI muss sich ehrlich machen. Ohne politische Vorgaben, wie ein Gesetz zum Ausstieg aus der Kohle, bewegt sich die deutsche Industrie beim Klimaschutz viel zu langsam. Der europäische Emissionshandel ist von der Industrielobby soweit verwässert worden, dass er über Jahren keine ökologische Lenkungsfunktion entwickeln wird. Bei den Kosten präsentiert der BDI eine Milchmädchenrechnung. Ein großer Teil der nötigen Investitionen, etwa in Stromnetze, Elektromobilität oder neue Erzeugungskapazitäten, wäre ohnehin angefallen. Dank der Energiewende machen diese Investitionen Deutschland moderner und sauberer.“


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /