Bestimmt die Vielfalt der Ressourcen die Artenvielfalt?
Das Pflanzenwachstum auf einer Wiese ist abhängig von der Verfügbarkeit mehrerer Nährstoffe gleichzeitig.
Und: Die zunehmende Beschattung durch das vermehrte Wachstum der Pflanzen nach einer Düngung erklärt nicht vollständig den damit einhergehenden Verlust an Artenvielfalt. Das sind die zwei wichtigsten Ergebnisse einer internationalen Studie, an der auch Leipziger und Hallenser Forscher beteiligt waren. Die Wissenschaftler relativieren damit zwei etablierte Lehrsätze der Pflanzenökologie, die jeweils nur einzelne Faktoren in den Vordergrund stellen und damit die Vielfalt in realen Systemen nicht hinreichend erklären. Veröffentlicht sind die Ergebnisse jetzt im Fachjournal NATURE.
Alle Pflanzen einer Wiese nutzen für ihre Ernährung die gleichen wenigen Hauptnährstoff-Elemente, zum Beispiel Stickstoff, Phosphor, Kalium oder Calcium und konkurrieren darum. Ein internationales Forscherteam hat nun die Mengen dieser an einem Ort zu einer bestimmten Zeit vorhandenen Nährstoffe und weitere Ressourcen, die Pflanzen für ihr Wachstum brauchen, mit der Artenvielfalt auf solchen Wiesen in Beziehung gesetzt. ‘Das Ergebnis unserer Untersuchungen zeigt deutlich, dass die Pflanzenvielfalt zumindest auf einem Teil der Flächen mit traditionellen Erkenntnissen der Ökologie nicht erklärt werden kann’, sagt Prof. Stan Harpole, Hauptautor der NATURE-Publikation. Er ist Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und in gemeinsamer Berufung Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Arbeitsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. ‘Es ist nicht jeweils ein einzelner Faktor, der über das Auftreten einer Art an einem bestimmten Ort entscheidet. Vielmehr bestimmt eine Zusammensetzung aus zahlreichen Faktoren, die miteinander in komplexer Weise interagieren, welche Artenvielfalt sich an einem Standort ausprägt.’
Harpole ist einer der Initiatoren des 2005 gegründeten internationalen Forschungsnetzwerks NutNet (Nutrient Network), das die experimentelle Basis für die jetzt in NATURE publizierte Forschungsarbeit liefert. Den mehr als 100 an NutNet beteiligten Wissenschaftlern geht es darum, auf natürlichen Grasflächen in den verschiedensten Klima- und Vegetationszonen die Vielfalt der vorhandenen Pflanzenarten zu bestimmen. Sie versorgen dabei einzelne Parzellen mit zusätzlichen Nährstoffen entweder einzeln oder kombiniert und erfassen, wie sich die Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften ändert. Deutsche NutNet-Standorte befinden sich in Bad Lauchstädt (UFZ-Feldversuchsstation), in Papenburg (Feldstation der Universität Oldenburg) und in Remderoda (Feldstation der Friedrich-Schiller-Universität Jena).
Zwei etablierte Lehrsätze der Pflanzenökologie relativiert
Der erste Lehrsatz das aus dem 19. Jh. stammende Gesetz vom Minimum besagt, dass das Wachstum einer Pflanzenart durch die im Verhältnis knappste Ressource eingeschränkt wird. Die Pflanze, die einen knappen Nährstoff an einem bestimmten Standort am effizientesten nutzen kann, hat einen Konkurrenzvorteil. Da neben den wenigen relevanten Nährstoffen nur Licht- und Wasser das Wachstum begrenzen, dürfte es laut dieser Theorie auch nur entsprechend wenige Arten geben, die auf einer Grasfläche koexistieren können. Stan Harpole und seine Kollegen vom NutNet-Projekt fanden auf ihren Versuchsparzellen jedoch bis zu 30 verschiedene Arten innerhalb eines Quadratmeters.
Der zweite Lehrsatz, der im Diversitätskontext offenbar nur beschränkte Gültigkeit besitzt, befasst sich mit den Auswirkungen der Düngung auf die Artenvielfalt. Er besagt, dass das Pflanzenwachstum auf einer Wiese nach Düngung zunimmt, dadurch weniger Licht in die unteren Pflanzenschichten gelangt und in der Folge diejenigen Arten verschwinden, die die stärkere Beschattung nicht tolerieren können. Diese herkömmliche Denkweise beschreibt eine eindimensionale Wechselbeziehung zwischen Nährstoffmenge im Boden und Lichteinfall in der Vegetation.
Die Experimente der NutNet-Forscher zeigen aber nun, dass die Düngung auf einem Drittel der 45 untersuchten Flächen nicht zu vermehrtem Pflanzenwachstum und damit verbundener stärkerer Beschattung führt. Trotzdem nahm die Diversität auf diesen Flächen im Laufe der drei bis acht Untersuchungsjahre ab. Neben vermehrter Tätigkeit von Pflanzenfressern müssen hier noch andere, bislang nicht untersuchte Effekte wirksam geworden sein.
Multidimensional statt eindimensional denken
Für die Autoren der Studie sind diese Ergebnisse ein klarer Hinweis darauf, dass nicht ein einzelner Faktor den Grad der Biodiversität zu einer bestimmten Zeit an einem Ort limitiert, sondern eine Kombinationen aus verschiedenen Faktoren bzw. Nährstoffen. Die Wirkzusammenhänge sind multidimensional mehrere Faktoren limitieren das Wachstum gleichzeitig und bestimmen darüber, wie viele Arten an einem Standort eine ökologische Nische finden.
‘Meine Botschaft ist: Wir müssen multidimensional denken, wenn wir die Auswirkungen des globalen Wandels verstehen und vorhersagen wollen, da diese ebenfalls multidimensional sind (Stickstoffdeposition, Temperaturanstieg, Dürreperioden, Epidemien usw.). Es ist die Vielfalt der Ressourcen, die die Vielfalt der Arten an einem Standort bestimmt’, sagt Harpole abschließend.
Publikation:
Addition of multiple limiting resources reduces grassland diversity. W. Stanley Harpole et al. Nature 2016, doi: 10.1038/nature19324
http://dx.doi.org/10.1038/nature19324
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /