© Neuwirth
© Neuwirth

Gedanken zum Tierschützerprozess

Von Gernot Neuwirth "Bitte mehr Respekt vor der Würde des Gerichtes!!!"

Viel Unglaubliches ist seit meinen letzten Berichten über die ersten Tage dieses wohl seltsamsten Prozess der Zweiten Republik geschehen. Eine sehr ausführliche, schon mehrere hundert Seiten dicke Mitschrift gibt es im Internet. Googelt man z.B. TIERSCHUTZPROZESS 29, kommt man sofort zum 29. Prozesstag. Die Lektüre zieht sich, aber sie ist eine Offenbarung.
Nach monatelanger Abstinenz zwecks Erholung von dieser Prozessführung habe ich mir noch einen Prozesstermin in Wiener Neustadt gegeben – den Tag 40, den letzten vor der Sommerpause.
Der Saal ist nur mehr halb gefüllt, auch die Polizeischüler, die angeblich seit einigen Wochen täglich herangekarrt werden, besetzen offenbar nicht so viele Plätze, dass den wenigen ausharrenden Sympathisanten der Zutritt verwehrt werden kann. Diese Idee soll ja anfangs so erfolgreich gewesen sein, dass sogar angereiste Eltern von Angeklagten wieder nachhause fahren mussten. Und die Angeklagten beschweren sich, dass sie sich in der 30-minütigen Mittagspause 20 Minuten hinter den Polizeischülern anstellen müssen und daher gar nicht zum Essen kommen.
Ich weiß nicht, wer und wo die Polizeischüler sind. Im Verhandlungssaal bekomme ich einen Platz neben einer jungen Dame angewiesen, die mich freundlich anlächelt. Ein guter Tagesbeginn, denke ich. Aber die Atmosphäre ist immer noch so bedrückend und skurril wie vor Monaten. Heute ist die Zeugeneinvernahme eines der beiden Kleiderbauer-Brüder am Programm. Die Richterin schreitet zu einer endlosen Durchbesprechung seiner Schadensaufstellungen, seiner einzelnen Rechnungsposten. Nur zu ihrem besseren Verständnis, wie sie sagt. Es handelt sich unter anderem um Schäden durch stinkende Buttersäure - ‘Gasangriffe’ in der eigenartigen Diktion der Polizei. Diese Straftaten haben tatsächlich stattgefunden, aber es dürfte manchen der ZuhörerInnen und vielleicht zeitweise auch der Richterin entfallen sein, dass den Angeklagten nicht eine einzige davon nachgewiesen werden konnte.

Nach endslanger detaillierter – und in den Augen vieler BeobachterInnen völlig irrelevanter, zeitschindender Beleuchtung verschiedener Posten der Schadensaufstellung seitens der Richterin ist endlich die Verteidigung dran. Sie stürzt sich auf einzelne Widersprüche, glaubt divergierende Zahlen in Zusammenhang mit der Versicherungsmeldung zu erkennen. Aber siehe da – nun sind solche Punkte plötzlich irrelevant, die Richterin unterbricht nun wieder laufend wie gehabt, blockt viele Fragen ab.

Dass ein verbitterter Verteidiger einmal lacht, muss ins Protokoll. Und ausdrücklich verbietet sie – in beiden Fällen nicht ganz erfolgreich – Lachen, aber auch lautloses ‘Grinsen’ seitens der Verteidiger, der Angeklagten oder der Zuhörer. Und wie schon oftmals früher fordert sie mehr Respekt vor der Würde des Gerichtes. Wäre es denkbar, dass der Staatsanwalt und vor allem die Richterin diesen Respekt vielleicht schon in den ersten Tagen verspielt haben könnten? Sollten nicht vielmehr sie selbst mehr Respekt vor ihrem Amt haben? Könnten sie selbst die Totengräber dieses Respekts gewesen sein? Respekt jetzt nur mehr vor zwei schwarzen Talaren? Respekt vor der Würde eines Hutes auf einer Stange? Hat das nicht schon Friedrich Schiller thematisiert? Und wie in dessen Freiheitsdrama wird der Respekt zunehmend durch Angst ersetzt. Angst um dieses Land, in dem manche befürchten, dass man sich mit den richtigen Verbindungen einen Prozess gegen Missliebige bestellen kann, die eine Bedrohung für einige wenige fragwürdige Wirtschaftszweige darstellen könnten. Dabei macht der Pelzanteil bei Kleiderbauer ohnehin weniger als ein Prozent des Umsatzes aus.
Die Gruppe junger Menschen, die in der Reihe hinter mir sitzen, fadisiert sich sichtlich. Ich kann meine Neugierde nicht mehr bezähmen und frage einen: ‘Sind Sie von der Polizeischule?’ Nach kurzem Zögern antwortet er ‘Ja’. Nun wende ich mich der jungen Dame neben mir zu, die mich vor zwei Stunden so lieb angelächelt hat und stelle ihr die gleiche Frage. Aber das Lächeln friert im Nu ein, sie meint, wie ich denn dazukomme, das wissen zu wollen. ‘Mein Gott’, erwidere ich, ‘wenn Sie mich fragen, woher ich bin, sag ich’s ja auch’. Immer amtlicher und strenger wird sie, man glaubt schon die künftige erfolgreiche Oberkommissarin zu erkennen. Eine neue Christina Sprenger. Sie beendet das Gespräch mit ‘Ich frag‘ Sie aber nicht.’ Unwiderlegbar und unmissverständlich in die Schranken gewiesen, ziehe ich mich in mich zurück und reflektiere über die kurze Dauer österreichischer Gemütlichkeit bei manchen Behörden und sogar schon bei deren Lehrlingen.

Die Befürchtung, die Vergangenheit sei nahe daran, sich zu wiederholen, ist mir immer als linkslinke Spinnerei erschienen. Aber woher kommt mir jetzt beim Anblick des Wiener Neustädter Gerichtssaales und seines Inhalts plötzlich die Alptraum-Vision ‘1938’? Als fast der gesamte Justizapparat samt Richtern und Staatsanwälten innerhalb kurzer Zeit nahtlos in der Justiz der neuen Machthaber aufging? Und die wenigen Aufrechten vertrieben oder eingesperrt wurden? Und die Polizeiorgane buchstäblich über Nacht die neuen Armbinden aus den Hosentaschen zogen?
Ein neuer Hitler wird ja wohl nicht kommen, hoffentlich. Aber mir reicht schon eine Demokratur mächtiger Interessensgruppen, ob das nun die Tierquäler-, Geldwäscher-, Korruptions- oder sonstige Mafien sind.

Doch hinweg, ihr pessimistischen Gedanken! Eine ganz andere, wohl noch wahnwitzigere Vision haben einige naive Prozessbeobachter. Sie meinen: Vielleicht agiert die Richterin in diesem Prozess, der sogar von der erzkonservativen PRESSE als skurril eingestuft wird, nur deswegen so, weil sie sich für den Fall eines nicht verhinderbaren Freispruchs decken möchte? Weil sie dann den empörten Pelzhändlern, Schweinefabrikanten, Zirkusdirektoren, Jagdorganisatoren, Versuchstierzüchtern und sonstigen berufsmäßigen Tierquälern entgegnen kann, sie habe ohnehin getan, was sie konnte? Auch ich gebe mich manchmal für Sekunden diesem Traumbild hin. Weil die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt.

P.S. Einer der Angeklagten hat übrigens gleich zu Anfang der Polizei-(Schüler-)Aktion zu Protokoll gegeben, diese erinnere ihn an Hitlers Volksgerichtshöfe, wo die Verhandlungssäle durch Busladungen von SA-Leuten blockiert wurden …
P.P.S. Neueste Meldung: Kleiderbauer hat inzwischen den Betreiber eines Internet-Forums auf € 50.000.- geklagt und dann von ihm durch einen Vergleich fünftausend Euro kassiert, weil er ein Interview ins Netz gestellt hatte, in dem Kleiderbauers Angaben zu den Schäden durch Buttersäure als übertrieben bezeichnet wurden! Siehe dazu im Internet-Standard: ‘Verklagter Blogger muss 5000 Euro zahlen’. Zum Eindecken von lästigen, aber finanzschwachen Kritikern mit Klagen durch Großfirmen siehe Wikipedia unter SLAPP (strategic lawsuit against public participation – der Brauch kommt aus den USA).


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /