IPPNW: Deutschland und Österreich wollen in Europa klammheimlich "Atomstrom-Autobahnen" errichten
EU-Gipfel berät über Ausbau der Stromnetze
Auf dem bevorstehenden EU-Gipfel beraten die Staats- und Regierungschefs über den Ausbau der europäischen Stromnetze. Nach offizieller Darstellung seitens der deutschen Ratspräsidentschaft wird der Ausbau der europäischen Stromverbundtrassen benötigt, um den "grenzüberschreitenden Wettbewerb" zu erleichtern und die "Versorgungssicherheit" zu gewährleisten. Laut EU-Kommission könne man damit einen "wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Stromausfällen" leisten. Auch sei der Netzausbau "eine entscheidende Voraussetzung für die von der EU angestrebte Integration von Ökostrom ins Netz."
Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW wirft Deutschland und Österreich vor, sich in der Öffentlichkeit als Atomskeptiker und Freunde erneuerbarer Energien zu präsentieren, beim EU-Gipfel jedoch klammheimlich "Atomstrom-Autobahnen" für Europa beschließen zu wollen. "Es geht hierbei um Atomstromimporte aus geplanten Atomkraftwerken in Litauen und der Slowakei sowie aus dem tschechischen Dukovany", so IPPNW-Energieexperte Henrik Paulitz.
"Die geplanten Stromtrassen dienen offenbar großteils dem europaweiten Transport von Atomstrom", so Paulitz. Als prioritäres Projekt will die EU insbesondere "die Stromverbindungen zwischen Deutschland, Polen und Litauen" vorantreiben. Polen und Litauen haben im Februar laut Nucleonics Week vereinbart, am litauischen Standort Ignalina zwei neue Atomkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 3200 Megawatt zu errichten. Im Gespräch sind offenbar zwei Reaktoren vom Typ "Europäischer Druckwasser-Reaktor" (EPR) von Siemens und AREVA. Die Euroreaktoren sollen die Anlagen vom Tschernobyl-Typ ersetzen. Eine der geplanten Verbindungen zwischen Litauen und Polen soll eine Kapazität von 1000 Megawatt haben. Eine weitere Leitung ist bezüglich ihrer Übertragungskapazität noch nicht festgelegt, soll aber bis 2010 in Betrieb sein.
"Dieses Vorhaben erinnert an Gespräche von vor einigen Jahren zwischen Siemens, der deutschen, der französischen und der russischen Regierung", so Paulitz. "Damals wollte man am westrussischen Standort Smolensk einen EPR errichten und den Atomstrom mit Hilfe einer Stromtrasse über Weißrussland und Polen bis nach Berlin und Kassel leiten."
Weiterhin plant die EU bis 2009 eine zusätzliche 900-Megawatt-Stromtrasse zwischen der Tschechischen Republik und Österreich. "Diese Stromtrasse beginnt im tschechischen Slavetice und das liegt nur 3 Kilometer vom Atomkraftwerk Dukovany entfernt. Das ist nichts anderes als eine Atomstromtrasse zur Lieferung von Nuklearenergie nach Österreich", kritisiert Paulitz. Die EU-Kommission benennt in ihrer Mitteilung vom 10. Januar selbst das wichtigste "Hemmnis" gegen das Projekt: "Austria's opposition to nuclear energy".
Auch mit einer 1800-Megawatt Stromtrasse von der Slowakei nach Wien soll Atomstrom nach Österreich und mit Hilfe weiterer Stromtrassen auch weiter in das ebenfalls "atomkraftwerksfreie" Italien geleitet werden, vermutet die IPPNW. "Diese Stromtrasse soll im slowakischen Umspannwerk Stupava beginnen. An diesen Stromknoten sind die Atomkraftwerke Bohunice und Mochovce angebunden", so Paulitz. "Der italienische Energiekonzern ENEL hat erst im Februar 2007 angekündigt, in Mochovce zwei weitere Atomkraftwerksblöcke als Ersatz für die stillzulegenden Blöcke in Bohunice errichten zu wollen. Mit deren Bau soll noch im Jahr 2007 begonnen werden." ENEL-Chef Fulvio Conti hat der Nachrichtenagentur Bloomberg erklärt, dass der Atomstrom aus Mochovce auch nach Zentraleuropa exportiert werden soll. Zudem überlegt die slowakische Regierung am Standort Bohunice ein neues Kernkraftwerk zu errichten - sobald die Abrissarbeiten an Bohunice V1 abgeschlossen sind.
Beim EU-Gipfel ist offenbar auch geplant, eine Richtlinie zur "Verschlankung der Planungs- und Genehmigungsverfahren" auf den Weg zu bringen, um die Stromtrassen im Schnellverfahren durchsetzen zu können. "Hier kann es sich wohl nur um die Einschränkung von Bürgerrechten in den Genehmigungsverfahren handeln", so Paulitz.
Die IPPNW fordert die deutsche und die österreichische Bundesregierung dazu auf, diesen Plänen eine Absage zu erteilen: "Die Bevölkerung will keinen Atomstrom, auch nicht aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten."
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