© congerdesign auf Pixabay  / Keimlinge
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Neues EU-Saatgut-Recht: Parlamentsbericht versäumt es, Bedrohung von Vielfalt und Menschenrechten abzuwenden

ARCHE NOAH: Bericht des EU-Parlaments zur neuen Saatgutverordnung ist nur ein Anfang – weitere Verbesserungen notwendig

Brüssel, Schiltern - Neue Einschränkungen, neue bürokratische Hürden, weniger Vielfalt. Herbert Dorfmann von der Europäischen Volkspartei (EVP) hat am 16. November 2023 seinen Bericht zum Vorschlag der EU-Kommission für neue Regeln für die Erzeugung und das Inverkehrbringen von Saatgut und anderem “pflanzlichen Vermehrungsmaterial” (PVM), wie Obstbäume, Kartoffeln oder Wein, veröffentlicht. Der Südtiroler Dorfmann ist der zuständige Berichterstatter im Landwirtschaftsausschuss des Parlaments.

"Die EU-Kommission will Regeln, die den formellen Saatgutmarkt regulieren sollen, auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt und auf informelle bäuerliche Saatgutsysteme anwenden. Der aktuelle Vorschlag hätte verheerende Folgen für die Erhaltung der noch verbliebenen genetische Diversität unserer Kulturpflanzen – gerade in Zeiten der Klimakrise, in denen wir dringend mehr Vielfalt und dezentrale Saatgutproduktion brauchen", erklärt Magdalena Prieler von ARCHE NOAH in Brüssel.

ARCHE NOAH begrüßt, dass Dorfmann einige wichtige Aspekte des Kommissions-Vorschlags verbessert hat, insbesondere die Klarstellung, dass die Saatgut-Gesetze nur für kommerzielle Akteur:innen gelten sollen. Die Organisation vermisst jedoch nach wie vor, dass die Weitergabe von pflanzlichem Vermehrungsmaterial zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von den neuen Regeln ausgenommen ist – analog zu den Ausnahmen, die für Züchtung und Forschung vorgesehen sind.

Im Juli 2023 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die bestehenden zehn Richtlinien für die Erzeugung und das Inverkehrbringen von Saatgut, die aus 1960er Jahren stammen, durch eine einzige Verordnung zu ersetzen. Der vorgeschlagene Text weitet den Geltungsbereich der Vorschriften erheblich aus und gilt jetzt für alle Akteur:innen, die beruflich an der Erzeugung, Erhaltung oder Vermarktung von PVM beteiligt sind. Der Vorschlag führt gleichzeitig neue Beschränkungen für die Weitergabe von Saatgut und neue bürokratische Hürden und Kosten selbst für kleinste Akteur:innen ein.

"Nach den vorgeschlagenen Regeln könnten Saatgut-Organisationen wie ARCHE NOAH, aber auch öffentliche Genbanken traditionelle Sorten aus ihren Sammlungen nicht mehr an Bäuer:innen zur Erhaltung auf deren Feldern weitergeben. Angesichts der Klimakrise ist der Anbau von traditionellen Sorten an verschiedenen Standorten für deren Erhalt unerlässlich", sagt Magdalena Prieler von ARCHE NOAH. Der Einsatz alter Sorten kann Bäuer:innen neue Einkommensmöglichkeiten und Chancen für die ländliche Entwicklung bieten, wie zum Beispiel bei der alten österreichischen Winterweizensorte „Laufener Landweizen", einer traditionellen, an die Salzburger Bedingungen angepassten Sorte.

Der Dorfmann-Bericht enthält 59 Änderungsvorschläge. Sie konzentrieren sich in erster Linie auf technische Klarstellungen, einschließlich verbesserter Definitionen der Begriffe "Inverkehrbringen" und "Endnutzer:in". Dorfmann schlägt aber auch vor, Einschränkungen bei herbizid-toleranten Sorten zu streichen und die Definition von "ökologisch heterogenem Material" erheblich einzuschränken. Dieser Begriff wurde erst im vergangenen Jahr eingeführt, um den Verkauf verschiedener vielfältiger Sorten zum ersten Mal rechtlich zu ermöglichen. Der Bericht widmet sich weder dem massiven neuen bürokratischen Aufwand für kleine Betriebe noch die Nichtumsetzung des bäuerlichen Rechts auf Saatgut, wie es 2018 in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der Bäuer:innen und anderer in ländlichen Gebieten tätiger Personen (UNDROP) verankert wurde, kritisiert ARCHE NOAH.

Die anderen 95 EU-Abgeordneten im Landwirtschaftsausschuss haben nun bis zum 4. Dezember 2023 Zeit, eigene Änderungsanträge einzureichen. "ARCHE NOAH fordert, dass die Weitergabe von Pflanzenvermehrungsmaterial zum Zweck der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen und der Agro-Biodiversität vom Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen wird. Es braucht verhältnismäßige Regelungen für Kleinstbetriebe und die vollständige Umsetzung des bäuerlichen Rechts auf Saatgut", so Magdalena Prieler. Eine Diskussion im Ausschuss ist für den 27. November 2023 geplant, gefolgt von einer Anhörung mit Expert:innen am 28. November 2023.

Erst vorgestern haben Organisationen der Saatgutbewegung die EU-weite Petition "Hoch die Gabeln für die Vielfalt!" gestartet. "Die Reform des EU-Saatgutrechts ist eine wichtige Entscheidung für die Zukunft. Erheben wir unsere Gabeln für die Vielfalt auf unseren Feldern und Tellern und gegen Gesetze, die nur der Agroindustrie dienen", fordern die Organisationen. Die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der lokal angepassten Kulturpflanzenvielfalt muss in den europäischen Saatgut-Gesetzen oberste Priorität haben!

Unterzeichnen Sie die Petition hier: www.hochdiegabeln.at


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /