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Ist Backpulver wirklich gefährlicher als synthetische Pestizide?

Irreführender Indikator als Bedrohung für Pestizidreduktion und Biolandwirtschaft in der EU

Brüssel, Paris, Berlin, Wien – Während der Rat die Verhandlungen über "Ziele und Indikatoren" für die Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (SUR) eröffnet, warnen die Europäische Bürgerinitiative "Bienen und Bauern retten" und die europäische Bio-Bewegung vor einer drohenden Desinformation und Täuschung der Menschen in Europa. Denn der von der EU-Kommission zur Messung des Fortschritts bei der Pestizidreduktion vorgeschlagene Indikator ist grob fehlerhaft und irreführend.

"Der Mogel-Indikator der EU-Kommission schafft die Illusion einer Pestizidreduktion auf dem Papier, während Einsatz und Risiko von Pestiziden auf dem Feld sogar zunehmen können", sagt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei GLOBAL 2000 und Sprecher von “Bienen und Bauern retten”: "Zudem belohnt dieses schlecht konzipierte Messinstrument die Verwendung von besonders giftigen chemisch-synthetischen Pestiziden. Sollte er angenommen werden, könnten Bienensterben und die Kontamination von Wasser und Böden sogar weiter zunehmen, während sich EU-Politiker:innen im Ruhm einer erfundenen Pestizidreduktion sonnen."

Entscheidungen stehen bevor

Die SUR wird derzeit in den europäischen Institutionen verhandelt. Heute diskutieren die Mitgliedstaaten in einer Ratsarbeitsgruppe darüber, welcher Indikator zur Messung des Pestizideinsatzes verwendet werden soll. Am 24. Oktober findet im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments eine vorentscheidende Abstimmung statt.

Wer fürchtet sich vor Backpulver?

Die irreführende Natur des Indikators ergibt sich aus zwei konzeptionellen Fehlern, die in einem heute veröffentlichten 5-minütigen Video erläutert werden. Unter Verwendung von Verkaufszahlen aus den Niederlanden zeigt das Video, wie ein kürzliches EU-weites Verbot des bisher meistverkauften Pestizids zu einer illusorischen Pestizidreduktion von rund 60 % in nur einem Jahr führte - eine Reduktion, die nur auf dem Papier existiert, da der verbotene Wirkstoff umgehend durch Vergleichbare ersetzt wurde. Das Video zeigt auch, wie das fehlerhafte Messinstrument ein 8-fach höheres Risiko für ein bio-konformes "Niedrig-Risiko-Pestizid” (Backpulver) im Vergleich zu einem nachweislich gefährlichen Pestizid (Difenoconazol), das als Substitutionskandidat eingestuft ist, errechnet.

Irreführender Indikator gefährdet Biolandwirtschaft

Die Korrektur der konzeptionellen Fehler ist dringend notwendig, da der vorgeschlagene Indikator Anreize schafft, die den beiden Hauptzielen der Farm to Fork-Strategie zuwiderlaufen: der Reduktion von Pestiziden und der Ausweitung der Biolandwirtschaft.

"Die Biolandwirtschaft hat großes Potenzial, den dringend notwendigen Übergang zu einer biodiversitäts- und klimafreundlichen Landwirtschaft zu unterstützen. Der derzeit vorgeschlagene Indikator zur Messung der Pestizidreduktion erweckt jedoch fälschlicherweise den Eindruck, dass die Biolandwirtschaft das Problem sei und nicht die giftigen synthetischen Pestizide. Dieser Indikator wird keine Anreize für eine Ausweitung der Biolandwirtschaft schaffen", sagt Eric Gall, stellvertretender Direktor von IFOAM Organics Europe. "Als Dachverband für die europäischen Biolandwirschaft haben wir alle Mitgliedstaaten über dieses Problem informiert und eine Lösung vorgeschlagen. Nun liegt es an den Agrarminister:innen im Rat, die Mängel des Indikators entsprechend zu korrigieren."

Lösungsvorschlag des deutschen Umweltbundesamtes

"Es ist schwer nachvollziehbar, wie ein solch mangelhafter Indikator in den Gesetzesvorschlag zur EU-Pestizidreduktion Eingang finden konnte. Es gibt jedoch bereits einen Vorschlag, der diese gravierenden Mängel durch die Einbeziehung bereits vorhandener Daten aus dem EU-Zulassungsverfahren für Wirkstoffe beheben könnte. Dieser wurde von Expert:innen des deutschen Umweltbundesamtes in Anlehnung an etablierte Pestizid-Indikatoren wie dem dänischen Treatment Frequency Index (TFI) und dem französischen 'NODU' (Number of Unit Doses) entwickelt und von der Berichterstatterin für die SUR, der Europaabgeordneten Sarah Wiener, unterstützt", so Helmut Burtscher-Schaden.

"Bienen und Bauern retten" und die europäische Bio-Bewegung appellieren an alle Entscheidungsträger:innen im Parlament und im Rat, kein Messinstrument zu verabschieden, das die Pestizidreduktionspläne der EU ad absurdum führen würde: "Die Farm to Fork-Strategie und die Menschen in Europa verdienen einen transparenten und vernünftigen Indikator, der zuverlässige Informationen liefert."




Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /