© pixabay. Openclips
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Der französische Atomriese Areva "erleidet Kernschmelze"

Areva, der chronisch und stark verschuldete ehemals weltweit führende Nuklearkonzern existiert nicht mehr.

Er wurde im Jahr 2001 durch den Zusammenschluss zweier Unternehmen gegründet: Cogema (Uran-Abbau, atomare Brennstoffe und –Endlagerung) sowie Framatome (Reaktorbau).

Die Krise hatte schon längere Zeit angedauert. Sie zeigte sich aber deutlich im Februar 2015, als Areva seinen Finanzbericht für 2014 mit Netto-Verlusten von 4.8 Milliarden € alleine für jenes Jahr veröffentlichte, wobei der Gesamtumsatz in etwa bei 8.3 Milliarden € lag. Presseberichten zufolge kam ein großer Anteil des finanziellen Verlustes durch Arevas Beteiligung an Finnlands fünftem Atomreaktor (EPR, in Olkiluoto) zustande. Zu diesem Zeitpunkt hatte Areva im Zusammenhang damit insgesamt 5.8 Milliarden € an Kreditschulden.

Das Jahr 2014 war das schlimmste, aber heuer hat das Unternehmen von Verlusten berichtet, die sich bereits seit fünf Jahre akkumulieren. Wäre Areva ein Privatunternehmen, hätte man schon vor Jahren eine Bankrotterklärung in Betracht ziehen müssen. Aber Areva ist, sowie auch Electricite de France (EDV), zu über 80 % im Eigentum des Staates.

Die (Auf-) Lösung

Anfang 2015 entschieden der Premierminister und Mitglieder seines Kabinetts, die Abteilung Atomreaktor-Technologie Abteilung von Areva (Areva NP) an EDF abzugeben. Jean-Bernard Lévy, der Generaldirektor (CEO), erklärte sich zur Übernahme bereit, aber nur unter der Bedingung, dass EDF vor eventuellen Zusatzkosten geschützt würde, die sich aus dem Olkiluoto-Projekt ergeben könnten.

Die Minister betonten, dass eine Neustrukturierung des nationalen Atomsektors strategisch vorteilhaft wäre. Es gebe zu viele Beteiligte, die gegeneinander an- oder sich bestenfalls auf die Füße treten würden, anstatt an einem Strang zu ziehen. Wirtschaftsminister Macron sagte in der französischen Zeitung Le Figaro im März 2015 folgendes:

‘Areva bezahlt … den Preis eines jahrelangen Mangels an Transparenz und auch für die schlechten Beziehungen zu EDF. Wir hoffen auf eine Veränderung und brauchen ganz eindeutig eine tiefgreifende Neuorganisation, eine Neugründung der historischen Partnerschaft dieser beiden Gruppen, von der beide profitieren werden’.

Am 27. Januar 2016 veröffentlichte die französische Regierung Einzelheiten ihres Planes, die Überreste ihres ehemaligen industriellen Flaggschiffes wieder zusammenzusetzen. Areva soll nun die Verantwortlichkeitsbereiche des ursprünglich fusionierten Unternehmens Cogéma übernehmen und seinen Fokus auf den Brennstoffzyklus an sich richten und sich darauf beschränken. EDF wird seinerseits die AWW-Abteilung übernehmen und dafür 2.5 Milliarden € an Areva bezahlen. Langfristig gesehen wird diese Summe nicht alleine von EDF bezahlt werden. Laut der Zeitung Le Monde verteilen sich 40% von Arevas Aktivitäten (Verträge, usw.) auf Mitsubishi Heavy Industries und chinesische und britische Intgeressen. Diese Transaktionen werden voraussichtlich etwa die Hälfte der ursprünglichen Ausgaben einbringen.

Die geringfügigen Überreste von Areva werden von der Nationalen Chinesischen Handelsgesellschaft für Nuklearenergie (China National Nuclear Corporation) gekauft werden, welche bereits kleinere Anteile an der Firma hält und von KIA aus Kuweit, momentan eine Partnerfirma.

Die Gewerkschaften (GT, FO und CFE-CGC) waren alle skeptisch gegenüber dem Entschluss von EDF, Areva zu ‘retten’. ‘Das Unternehmen ist schon jetzt mit an die 30 Milliarden exzessiv verschuldet’, sagen sie. Sie weisen auch auf die ausstehende Erneuerung des veralteten Verteilungsnetzwerkes und auf die zahlreichen alternden Kraftwerke hin. Berichte von Problemen beim EDF-Projekt des EPR in Flamanville sind ein weiterer Grund für Besorgnis. (Aus denselben Gründen sind die Gewerkschaften gegen die 16-Milliarden € -Kostenbeteiligung im englischen Hinkley-Point Projekt aufgetreten und natürlich auch gegen jegliche Mitverantwortung beim EPR in Olkiluoto).

Nach der Anweisung, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausgaben bis 2017 um eine Milliarde € zu reduzieren, hat Areva angekündigt, von 2015-2017 beim höheren Management in Frankreich selbst um 15%, im Ausland um 18% einsparen zu wollen. Dies ist die zweite Runde von Sparmaßnahmen, die das Unternehmen seit 2011 vornehmen musste. Dennoch können diese erzwungenen Maßnahmen in keiner Weise den finanziellen Bedarf der nächsten drei Jahre abdecken. Arevas Management schätzt diesen auf 7 Milliarden.

Präsident Hollande und Finanzminister Macron wurden 2015 gefragt, wieviel an öffentlichen Geldern nötig wäre, um einen erneuerten Areva-Konzern lebensfähig zu machen. Beide drückten sich um eine klare Antwort. Sie sagten lediglich, die Frage sei ‘verfrüht’, und der Einsatz öffentlicher Gelder in ‘keiner Weise vorrangig’. Berichten des letzten Monats zufolge (Januar 2016) werden aber öffentliche Gelder ‘einen sehr großen Anteil’ der geschätzten 5 Milliarden €, welche vermutlich zum Erhalt von Areva nötig sein werden, ausmachen. In seiner Stellungnahme sagte Präsident Hollande zu diesem Thema, dass die Regierung in Übereinstimmung mit EU-Beschränkungen handeln würde, das heißt, Einschränkungen bei Subventionen von Seiten der Regierungen an Unternehmen.

Höhepunkte auf der Straße des Unterganges

Die vertikale Integration von Unternehmen war noch im Jahr 2001 modern. Damals wollte Anne Lauvergeon, die damalige Chefin (CEO) des Konzerns, dass ihr Betrieb in der Lage sein würde, das gesamte Spektrum nuklearer Produkte und Dienstleistungen zu liefern. Zu diesem Zweck – und gleichlaufend mit den häufigen Sorgen bezüglich des derzeit abnehmenden Vorrates an Uran – zahlte Areva einen beachtlichen Betrag für den Erwerb einer Uranmine. Areva investierte auch massiv im Bereich der erneuerbaren Energien (Wind, Sonne und Biomasse) und sogar beim Schiefergas. Darum auch die enormen Schulden des Unternehmens.

Rückblickend kann man sagen, dass Arevas ‘Einkaufsbummel’ im Energiesektor nun allgemein als erster Schritt zum Abgrund gesehen wird. (Einige Wirtschaftsexperten sagen jetzt, dass Anne Lauvergeon nicht die einzige war, die an Größenwahn litt. Etwa zur selben Zeit ging Schwedens Lars Josefsson (CEO des staatlichen Energiekonzerns Vattenfall) sogar so weit, das ganze Unternehmen zu verpfänden, um im weltweiten Spiel um die wirtschaftliche Vormacht mithalten zu können.).

Vielleicht war jedoch Areva’s voreiligstes Projekt der Vertrag im Jahr 2003, als einzig beteiligtes Unternehmen Finnlands 5. Atomreaktor (einen EPR) zu liefern, der eine geplante Kapazität von 1600 MW haben sollte. Es war der erste EPR, der je gebaut werden sollte; zudem hatte Areva bis zu diesem Zeitpunkt keine entsprechenden Erfahrungen mit Projekten solcher Dimensionen. Von Anfang an gab es Kontroversen. Viele waren der Ansicht, das geplante Budget von 3.2 Milliarden € wäre eine grobe Unterschätzung, und der 4-Jahres-Plan blauäugig. Der Vertrag legte keine Obergrenze an Strafzahlungen für Areva fest, falls es Verzögerungen geben sollte. (Im Falle einer bis dato unerprobten Technologie könne das zu einer ‘tickenden Zeitbombe’ werden, hatte der ehemalige Chef-Manager von Cogéma damals gemeint. All diese Negativpunkte werden jetzt den ‘brennenden Ambitionen’ der Generaldirektorin als CEO in die Schuhe geschoben, welche mit Übereifer beide Konkurrenten – die EDF und ’les Americains’ aus dem Feld schlagen wollte.)

Die Zeitbombe explodierte 2008, als Areva (damals Partner von Siemens) und ihr finnischer Klient TVO, unter der Schirmherrschaft der internationalen Handelskammer gegeneinander Schadens- bzw. Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe einreichten. Dieser Streitfall ist bis heute noch nicht entschieden. Aber mit der betrieblichen Auflösung von Areva und der Übertragung der entsprechenden Anteile am EDF-Projekt gibt es seither zumindest Bemühungen, zu einer Vereinbarung zu gelangen.

Olkiluoto 3 liegt derzeit 9 Jahre hinter dem einstigen Zeitplan; die Kosten des ursprünglichen Budgets haben sich verdreifacht. Anfang 2016 hatte Areva bereits 4.6 Milliarden € in das Olkiluoto-Projekt gesteckt, berichtete die Zeitung Le Monde.

Ein Blick zurück und nach vorne

Die nüchternste Einschätzung von Arevas Kollaps kommt wohl vom derzeitigen CEO des Unternehmens, Philippe Knoche: ‘Das Ausmaß der Netto-Verluste im Jahr 2014 zeigt auf, dass Areva vor einer zweifachen Herausforderung steht: eine längerfristige Stagnation im Atomsektor, Mangel an Konkurrenzfähigkeit und ein schwieriges Risikomanagement bei großen Projekten’.

Ansonsten hat es seither eine starke Tendenz innerhalb der französischen Presse gegeben, Arevas Niedergang auf das Versagen einzelner Personen zu schieben, ja es sogar psychologisch zu deuten – und auch, die Schuld Fukushima zuzuschreiben.

Die Weisheit, dass man ‘hinterher immer klüger’ ist – eine überholte Phrase – übergeht oft jegliche Vernunftgründe, die vergangene Entscheidungen hätten beeinflussen können; vor allem dann, wenn große Pläne versagt haben. Niemand war sich im Jahr 2003 der Finanzkrise bewusst, und niemand sah die ‘große Rezession’ voraus, die fünf Jahre später eintrat. Man konnte auch nicht den Tsunami vorhersehen, der im Jahr 2011 in Fukushima zu multiplen Kernschmelzen, zahlreichen Bränden und Explosionen führte. Arevas Management kann daher kaum für die dann folgende Flaute in Bezug auf die Nachfrage nach nuklearen Dienstleistungen verantwortlich gemacht werden. Areva hatte gegen amerikanische Konkurrenten und Russlands Rosatom hin- und wieder verloren. Aber ernsthafte Konkurrenz von Seiten Chinas oder Südkoreas gab es damals noch nicht. Kurzum, die Aussichten auf die kalkulierten finanziellen Rückflüsse, welche der Konzern zu seiner Gesundung gebraucht hätte, verringerten sich stark erst, nachdem das Unternehmen bereits massive Investitionsschritte unternommen hatte.

Auch bei einem Blick nach vorne gibt es Wolken am Horizont. Die neue französische Gesetzgebung zielt darauf ab, die Abhängigkeit der landesweiten Elektrizitätsversorgung von der Atomenergie zu drosseln: von 75% herunter auf 50% bis zum Jahr 2025. Dieses Gesetz ist letzten Sommer in Kraft getreten (siehe auch Nuclear Monitor #817). Außerdem war es für EDF schwierig, die nötigen 16 Milliarden € für ihren Anteil am EPR-Hinkley-Point-Projekt zu berappen. Im Aufsichtsrat herrscht starke Uneinigkeit darüber, ob das Projekt weiterlaufen soll. Einige Wirtschaftsexperten sagen voraus, dass der finnische EPR zu einem ‘weißen Elefanten’ (in Englisch ein Begriff, welcher einen Besitz bezeichnet, der eigentlich unverkäuflich und daher nur belastend ist, Anm.d.Ü.) werden könnte, falls er jemals ans Netz gehen sollte.

Zusammenfassend lässt sich folgendes sagen: die Probleme, mit denen wir heutzutage auf dem atomaren Sektor konfrontiert sind, könnten sich als allgemeingültiger und hartnäckiger erweisen, als viele Beobachter mit einem Naheverhältnis zur ‘nuklearen Szene Frankreichs’ bereit sind, anzuerkennen.



Quellen:

Jean-Michel Bezat: ‘Areva, un échec francais’, Le Monde, 28 Jan 2016
Jean-Michel Bezat: ‘5 milliards pour sauver Areva’. Le Monde, 26 Jan 2016
Jean-Michel Bezat: ‘EDF-Areva: jour J pour la réorganisation du nucléaire francais’. Le Monde, 26 Jan 2016
Jean-Michel Bezat: ‘Emmanuel Macron veut en finir avec le bourbier de l´EPR finlandais’. Le Monde, 21 Jan 2016
‘France´s nuclear industry: Arevaderci’. The Economist, 23 May 2015
Jean-Christophe Féraud: ’Plan social: les salaries dÁreva encaissent le choc”. Liberation, 7 May 2015
http://bfmbusiness.bfmtv.com/entreprise/areva-confirme-de-lourdes-pertes-et-annonce-un-plan-d-economiesbr-867056.html
’EDF a la rescousse d´Areva?” BFM Business, 4 Mar 2015
http://bfmbusiness.bfmtv.com/entreprise/edf-a-la-rescousse-d-areva-876066.html
Bertille Bayart: ’Emmanuel Macron: Il faut une convergence entre Areva et EDF” Le Figaro, 4 Mar 2015
Bertille Bayart: ’Perte record en vue chez Areva”. Le Figaro, 20 Feb 2015


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Übersetzung aus dem Nuclear Monitor 818
Übersetzt von Ina Conneally, Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu

GastautorIn: Charly Hulten – WISE, Schweden für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /