© Gerd Altmann / geralt- pixabay.com
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Jim Green: James Hansens nukleare Phantasien

Der Klimawissenschaftler James Hansen setzt sich für die Atomenergie ein – und greift damit Umwelt- und Antiatomkraft-Gruppen an, was er dann wohl auch in der Pariser UNCOP 21 Klimakonferenz im Dezember tun wird.

Eine Pressemitteilung, die Hansens Besuch in Paris verkündet, wirft Umweltschützern vor, einer ‘sicheren und umweltfreundlichen’ Atomenergie ihre Unterstützung versagt zu haben. Diese Mitteilung besagt also, dass das ‘Climate Action-Netzwerk’, das alle wichtigen Umweltgruppen repräsentiert, sich gegen die Atomkraft stelle – in anderen Worten: die Bemühungen gewisser Pro-Atomkraft-Lobbyisten, die Umweltbewegung zu spalten, sind gescheitert.

Hansen wird nicht an Diskussionen gegen Atomkraft-Kritiker teilnehmen. Seine Ablehnung stammt vermutlich von einer Debatte, an der er im australischen Melbourne teilgenommen hatte. Das 1200-Zuhörer-Publikum wurde vor und auch nach der Debatte befragt. Vor der Debatte lagen die Unterstützer von Atomkraft um 8 % vorne; danach war eine 24 prozentige Mehrheit dagegen. Dieser Meinungsumschwung war so radikal, dass Hansens Freund und Kollege Barry Brook fälschlicherweise behauptete, die Umfrage sei von Atomkraftgegnern und Umweltgruppen manipuliert worden. ‘Es gibt keine andere logische Erklärung dafür’, sagte Brooks, ‘statistisch gesehen ist so ein Ergebnis im Prinzip unmöglich’.

Nukleare Sicherheit

Ein Artikel mit den Co-Autoren Hansen und Pushker Kharecha, der im Magazin ‘Environment, Science and Technology Journal’ veröffentlicht wurde, behauptet, dass in den Jahren 1971 bis 2009 die weltweite eingesetzte Atomenergie durch die durch sie unterbundene Luftverschmutzung 1.84 Millionen menschlicher Todesfälle verhindert habe; ebenso sei durch die Nutzung der Atomkraft der Ausstoß von 64 Gigatonnen Co2 Treibhausgasen, die durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe entstehen, unterblieben. Ihre Berechnungen sehen wie folgt aus:

‘Die Atomkraft kann durchschnittlich 420.000 bis 7.04 Millionen Todesfälle verhindern, sowie 80 – 240 Gigatonnen Co2-Äquivalente (eine entsprechende Zahl an Gigatonnen Kohlendioxid) an fossilen Brennstoffen bis zur Mitte des Jahrhunderts, je nach Art des Brennstoffes (Gas oder Kohle)’. Kharecha und Hansen ignorieren das Potential der erneuerbaren Energien sowie deren Leistungsfähigkeit, und was sie zum Schutz der Natur beitragen. Stattdessen stellen sie einen vor eine falsche Entscheidung: entweder fossile Brennstoffe oder Atomenergie. Obwohl er die möglichen Risiken dieser beiden Energiequellen in die Beurteilung miteinbezieht, ist dieser Artikel einfach haltlos. Kharecha und Hansen behaupten, dass in den Jahren 1971 bis 2009 durch die Atomkraft 4.900 Todesfälle verursacht worden seien. Sie schreiben weiter:

‘Faktisch ist bewiesen, dass der Unfall 1986 in Tschernobyl die weltweit einzige Ursache von Todesfällen war, ausgelöst durch die radioaktiven Emissionen eines Atomkraftwerks’. Warum konzentriert man sich nur auf Atomkraftwerke? Warum schränkt man die Todesfälle auf radioaktiv belastete Niederschläge ein? Es hat ebenfalls zahllose tödliche Unfälle in Einrichtungen gegeben, in denen mit nuklearem Brennstoff gearbeitet wird. Kharecha und Hansen zitieren das UN Wissenschaftskomitee zur Untersuchung von radioaktiver Verstrahlung (UNSCEAR), um die Zahl von 43 direkt bei der Katastrophe von Tschernobyl verursachten Todesfällen zu rechtfertigen. Aber dieser vom Komitee vorgelegte Bericht hat keinen Versuch unternommen, die Langzeit-Fälle mit Todesfolgen miteinzuberechnen, die durch radioaktiven Niederschlag verursacht wurden. Sie taten dies ab mit der Behauptung, es handle sich um ‘inakzeptable Ungenauigkeiten in den Prognosen’.

Glaubhaften Schätzungen zufolge werden die Langzeit-Todesfälle aufgrund von Krebserkrankungen durch die Folgen von Tschernobyl eine Zahl von 9.000 (Osteuropa) bis zu 93.000 (Europa vom Osten bis zum Westen insgesamt) erreichen.

Hansen sagt: ‘Niemand starb in Fukushima wegen der nuklearen Technologie.’ Die realen Auswirkungen der Katastrophe werden jedoch vom Biologen und Spezialisten für radioaktive Verstrahlung, Dr. Ian Fairlie, wie folgt zusammengefasst: ‘Insgesamt betrachtet ist die Anzahl der gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund von Fukushima horrend. Minimal berechnet:

- wurden über 160.000 Menschen evakuiert, die meisten von ihnen permanent
- gab es viele Fälle von posttraumatischem Stress, Depression und Angstneurosen, ausgelöst durch die Evakuierungen
- wurden über 12.000 Arbeiter hohen Dosen radioaktiver Strahlung ausgesetzt, einige bis zu 250 mSV
- schätzt man, dass es auch in Zukunft Fälle von Krebserkrankungen geben wird, die durch radioaktive Strahlung verursacht werden
- gibt es außerdem eine unbestimmte Anzahl an ebenfalls durch Strahlung ausgelösten Schlaganfällen und erblich bedingten Erkrankungen
- gab es in den Jahren 2011 bis 2015 etwa 2000 Todesfälle nach Evakuierungen wegen Verstrahlungsgefahr; deren Ursachen: Krankheiten und Selbstmorde
- zeigt sich außerdem eine bisher nicht quantifizierbare Anzahl von Schilddrüsen-Krebs-Fällen
- sowie eine erhöhte Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen im Jahr 2012, und eine geringere Anzahl von Geburten im Dezember 2011.

In Bezug auf Fukushima behaupten Kharecha und Hansen: ‘Eine frühere Analyse besagt, dass die jährlichen Strahlungsdosen in der näheren Umgebung weit unter dem allgemein angenommenen 100 mSV Schwellenwert liegen, der für die Entwicklung tödlicher Krankheiten verantwortlich ist’. Um diesen Schwellenwert zu verteidigen, zitieren sie einen UNSCEAR Bericht, der allerdings in falschem Lichte dargestellt wird. Dieser Bericht behauptet, dass es keine Studien gebe, die beweisen würde, dass eine radioaktive Strahlung unterhalb von 100 mSV zu Krebs führt – eine Aussage, die stark umstritten ist. Auf jeden Fall behauptet die UNSCEAR nicht, dass Werte unterhalb dieses Schwellenwertes keinen Krebs verursachen würden, sondern nur, dass es keinen Beweis dafür gebe. Eigentlich steht die UNSCEAR auf folgendem Standpunkt:

‘Die derzeitige Bilanz an verfügbarem Beweismaterial bevorzugt es, keinen Schwellenwert festzulegen für die wechselseitige Bedingtheit zwischen durch radioaktive Strahlung ausgelöstem Krebs und niedrigen Werten’. Kharecha und Hansens Annahme eines 100 mSV Schwellenwertes repräsentiert also keineswegs die Position der UNSCEAR, schon gar nicht eine ‘allgemein akzeptierte Ansicht’. Das lineare Modell des nicht festlegbaren Schwellenwertes (LNT) ‘ist vermutlich nicht gültig für die relativ geringen Dosen an radioaktiver Strahlung, der die Öffentlichkeit während des Reaktorunfalles ausgesetzt war’, schreiben Kharecha und Hansen. Aber das LNT-Modell bekommt einschlägige Unterstützung von Seiten der Wissenschaft. Zum Beispiel sagt das Komitee für biologische Auswirkungen von radioaktiver Strahlung (BEIR), das zur amerikanischen Akademie der Wissenschaften gehört, folgendes:

‘Das Krebsrisiko steigt linear, beginnend bei niedrigen Dosen – ohne einen Schwellenwert … Die geringste Dosis hat das Potential, einen ebensolchen Anstieg des Krebsrisikos bei Menschen zu bewirken’. Es gibt – und wird vermutlich immer Unklarheiten bzgl. des LNT geben, die allerdings in beide Richtungen gehen. Denn das LNT schätzt die Krebsrisiken vermutlich entweder zu hoch oder zu niedrig ein. Der BEIR Bericht schreibt zum Beispiel: ‘Verschiedene Untersuchungen sind vereinbar mit einer Reihe von Möglichkeiten: die Reduzierung des Risikos bei geringen Dosen bis hin zur Verdoppelung von Risiken, auf der Grundlage dessen, was derzeitig zum Schutz gegen radioaktive Verstrahlung empfohlen wird’. Und weiter: ‘Abweichungen vom linearen Modell bei geringen Dosen könnten jedoch das Krebsrisiko entweder erhöhen oder verringern’.

Hansen stellt also relevante wissenschaftliche Institutionen (UNSCEAR und der 100 sMV Schwellenwert) in einem falschen Licht dar. Er sieht über das hinweg, was nicht in sein Pro-Atomkraft- Programm hineinpasst, zum Beispiel, dass das LNT-Modell Krebsrisiken zu hoch oder auch zu niedrig einschätzen könnte. Hansen lässt sich sogar zu einem Glauben an völlig Unglaubwürdiges hinreißen: dass radioaktive Strahlung in geringen Dosen gut für die Gesundheit des Menschen sei.

Es gibt viele Gründe, die darauf schließen lassen, dass Kharechas und Hansens Zahlenangabe von 4.900 Todesfällen bei Atomkraftwerksunfällen (1971-2009) eine grobe Untertreibung ist. Und trotzdem behaupten sie, diese Zahlen könnten eine ‘starke Überschätzung der empirischen Werte’ sein. Eine realistische Beurteilung von Todesfällen in Atomkraftwerken sähe aber so aus:

Routine-Emissionen: die von UNSCEAR geschätzte, auf die gesamte Menschheit umgelegte Dosierung von Emissionen aus Atomkraftwerken und den dazu gehörigen nuklearen Einrichtungen – über einen Zeitraum von 50 Jahren des Betriebes berechnet – beträgt 2 Millionen Personen-Sievert. Auf das LNT-Modell übertragen heißt das: insgesamt 200.000 durch Krebs ausgelöste Todesfälle.

Aussetzung radioaktiver Strahlung: Durch Unfälle, einschließlich Tschernobyl (geschätzte 9.000 bis 93.000 Todesfälle durch Krebs) und Fukushima (geschätzte 5.000 Langzeit-Todesfälle).

Indirekte Todesfälle: Zu Fukushima sagen japanische Wissenschaftler folgendes: ‘ In der japanischen Region um Fukushima konnte niemand, nicht einmal die militärischen Einsatzkräfte, diese Gegend betreten, aus Angst vor radioaktiver Strahlung. Die Opfer waren deshalb sehr lange sich selbst überlassen. Dadurch gab es die sogenannten indirekten Todesfälle: Menschen, die wegen der schwierigen und lange sich hinziehenden Evakuierung starben; Menschen, die Selbstmord begingen, weil die Strahlung ihre Farmen und Tiere verschmutzt hatte und die deshalb keine Hoffnung mehr auf ein normales Leben hatten. Diese werden als Todesfälle hinzugerechnet. Ihre Anzahl ist bis zum September 2013 nach den Angaben der Aufsichtsbehörde von Fukushima auf 1459 gestiegen. Obwohl sie als indirekte Todesfälle gelten, wären diese Menschen ohne Atomunfall nicht gestorben’.

Kharecha und Hansen ignorieren auch die nicht-tödlichen Auswirkungen dieser Unfälle. Zum Beispiel wurde die permanente Umsiedelung von 350.000 Menschen nach der Katastrophe von Tschernobyl mit einem hohen Ausmaß an Trauma Erlebnissen in Verbindung gebracht. Viereinhalb Jahre nach Fukushima sind noch immer 110.000 von den ursprünglich evakuierten Einwohnern heimatlos, wie die japanische Regierung bestätigt. Diese Zahlen (350.000 und 110.000) sowie die Berechnung von zukünftig 16.000 Jahren weltweit in Betrieb genommener Atomkraftwerke ergibt eine Summe von 29 nuklearen Flüchtlingen pro Reaktorjahr. Wenn man Unfälle und routinemäßige Emissionen innerhalb der Energiekette miteinbezieht, dann sind erneuerbare Energien eindeutig sicherer als Atomenergie und fossile Brennstoff. Dennoch behauptet Hansen zu Unrecht, ‘Atomenergie bietet höchste energietechnologische Sicherheit’.

Zwar ist die Atomkraft sicherer als fossiler Brennstoff – aber wir müssen auch die rapide Zunahme an Risiken der Verbreitung von Atomwaffen (WMD-Weapons of mass destruction) mithinzurechnen: Risiken in Verbindung mit der Atomindustrie und damit zusammenhängende Sicherheitsrisiken wie zum Beispiel mögliche Angriffe auf Atomkraftwerke.

WMD – Rapide Zunahme des Proliferationsrisikos bei Massenvernichtungswaffen

Kharecha und Hansen anerkennen zwar die potentielle Gefährdung durch die rapide Zunahme von atomarem Material, das zur Herstellung von Waffen verwendet werden kann. Sie tun diese Tatsache jedoch ab mit der Behauptung, es seien diesbezüglich, weil nicht quantifizierbar, keine sinnvollen Erhebungen möglich. Kharecha und Hansen sagen: ‘Es bestehen weiterhin ernsthafte Fragen bezüglich der nuklearen Sicherheit, der Zunahme des Proliferationsrisikos bei Atomwaffen und im Zusammenhang mit der Problematik der Beseitigung des radioaktiven Abfalls; dies haben wir bereits detailliert andernorts analysiert’. Aber was sie zitieren, berührt das Problem der Zunahme des Proliferationsrisikos nur am Rande. Und die wenigen enthaltenen Aussagen zu diesem Thema sind blanker Unsinn. Sie behaupten fälschlicherweise, Thorium-basierte Abgaszyklen seien ‘von Natur aus proliferations-resistent’. Und weiter: ‘integrale Schnelle Brüter (IFR’s) sind naturgemäß frei vom Risiko einer rapiden Weiterverbreitung’. Bestenfalls können IFR’s ein solches Risiko verringern, niemals aber ‘von Natur aus frei’ davon sein.

Kharecha und Hansen sagen außerdem, dass Schnelle Brüter – falls ‘richtig geplant’ – ‘nicht geeignet zur Herstellung atomarer Waffen’ seien. Indiens Prototyp eines Schnellen Brüters wird jedoch vermutlich der nächste in Betrieb genommene Reaktor sein. Dieser Brüter ist ideal zur Herstellung von zu militärischen Zwecken verwendbarem Plutonium. Es ist gut möglich, dass er zu eben diesen Zwecken eingesetzt wird, da Indien sich weigert, den Reaktor unter Aufsicht der Sicherheitsstandards des IAEA stellen zu lassen.

Hansen und seine Kollegen argumentieren, dass die ‘moderne nukleare Technologie das Risiko einer Weiterverbreitung von Atomwaffen verringern’ könne. Aber werden neue Reaktoren gebaut, die keine Zunahme des Proliferationsrisikos bewirken? Nein. Schnelle Brüter wurden in der Vergangenheit für die Waffenproduktionen verwendet (z.B. in Frankreich). Das wird vermutlich auch in Zukunft geschehen (z.B. in Indien). Thorium – eine weitere ‘moderne Nukleartechnologie’ –wurde auch zur Herstellung von Waffen (Uran 233) verwendet, zukünftig vermutlich unter anderem auch in Indien.

Es ist dumm – und auch gefährlich – wenn Hansen diese Tatsachen einfach vom Tisch wischt mit Behauptungen wie: ‘moderne Nukleartechnologie kann die Risiken einer rapiden Wachstumszunahme verringern’.



Nukleartechnologie in der vierten Generation

Hier schenkt uns Hansen kräftig nach: ‘Atomarer Abfall: kein Abfall, sondern Brennstoff für die vierte Generation von Atomreaktoren. Die derzeitigen (‚langsamen‘) Reaktoren sind Leichtwasser-Reaktoren, die weniger als 1 % der Energie des ursprünglichen Uranerzes verbrennen. Das lässt einen Berg an radioaktivem Abfall zurück; für über 10.000 Jahre. Die Reaktoren der vierten Generation können diesen Abfall ‘verbrennen’, ebenso überschüssiges atomares Material zur Herstellung von Waffen. Dadurch wird der Berg radioaktiven Abfalles mit Halbwertszeiten gemessen in Jahrzehnten und nicht mehr in Jahrtausenden wesentlich verkleinert, was das Problem der Entsorgung minimiert. Der wirtschaftliche Wert des derzeitigen atomaren Abfalls – als Brennstoff genützt für die vierte Generation von Reaktoren – geht in die Milliarden.’

Hansens Ansicht zieht wenig bis gar nicht die realen Erfahrungen in Betracht, die mit Schnellen-Neutronen-Brütern (und der vierten Generationen-Technologie im Allgemeinen) gemacht werden. In der realen Welt gibt es endlos viele unfallgefährdete und extrem teure Atomreaktoren (und nukleare Forschungs-und Entwicklungsprogramme). Die meisten Länder haben sich dafür entschieden, ihr Geld nicht zum Fenster hinauszuwerfen, und haben deshalb diese Programme aufgegeben. Hansens Sicht der Dinge stimmt auch nicht mit Berichten überein, die dieses Jahr von der französischen und amerikanischen Regierung veröffentlicht wurden. Ein Bericht des französischen ‘Institutes für Radiologischen Schutz und Atomare Sicherheit’ (IRSN) – eine Regierungsbehörde, die den Ministerien für Verteidigung, Umwelt, Industrie, Forschung und Gesundheit untersteht, sagt folgendes: ‘Weitere zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprogramme müssen noch unternommen werden, um die vierte Generation von Atomreaktoren zu entwickeln. Das betrifft auch die Zyklen von Brennstoff und die damit verbundene Handhabung atomaren Abfalles, entsprechend des jeweiligen Systems’.

Die IRNS zeigt sich auch skeptisch gegenüber den Behauptungen von verbesserten Sicherheitsstandards: ‘Auf dem gegenwärtigen Entwicklungsstand stellt die IRNS keine schlüssigen Beweise fest, die belegen würden, dass die Systeme, die untersucht werden, ein wesentlich höheres Maß an Sicherheit bieten, verglichen mit den Atomreaktoren aus der dritten Generation – außer vielleicht die VHTR-Modelle (Reaktoren mit extrem hoher Temperatur) ‘Außerdem könnten diese Modelle ihre Sicherheitsvorkehrungen bedeutend verbessern, aber nur bei gleichzeitiger Reduktion der Stromproduktion’.

Das US-Government Accountability Office brachte im Juli einen Bericht heraus, der untersucht, auf welchem Stand sich kleinere modulare Reaktoren (SMR’s) und andere ‚fortschrittliche‘ Entwicklungsmodelle in den Vereinigten Staaten befinden. Der Bericht fasst dies so zusammen:

‘Leichtwasser-SMR’s und fortschrittliche Atomreaktoren mögen einige Vorzüge haben. Dennoch stellt uns ihre Entwicklung und der Vertrieb vor große Herausforderungen. Die SMR’s und die fortschrittlichen Atomreaktoren benötigen beide zusätzliche Verbesserungen in Technik und Maschinenbau, um ihre Sicherheit und Wirtschaftlichkeit unter Beweis stellen zu können …. Je nachdem, wie hier Lösungen erfolgen, könnten diese technischen Herausforderungen zu höheren Kosten als erwartet führen. Dadurch wären sie weniger wettbewerbsfähig, verglichen mit großen Leichtwasserreaktoren oder Kraftwerken, die andere Brennstoffe verwenden … Leichtwasser- und sogenannte ‘advanced’, also forgeschrittenen Atomreaktoren stehen vor zusätzlichen Herausforderungen: Zeit und Kosten, ebenso die Ungewissheit bezüglich ihrer Entwicklung, Zertifizierung und Genehmigung, aber auch bezüglich des Vertriebs der neuer atomarer Technologie. Im Allgemeinen stehen diese neuen Reaktormodelle vor größeren Herausforderungen als die Leichtwasser-SMR-Varianten. Das ist ein Prozess, der sich über Jahrzehnte hinziehen kann …’

Diese deprimierende Beurteilung der amerikanischen und französischen Regierung bezieht sich auf Erfahrungen in der realen Welt. Aber Hansen bevorzugt Verschwörungstheorien und behauptet, dass das die IFR (integrierte schnelle ‘Brüter’) und das Forschungs- und Entwicklungsprogramm in den Vereinigten Staaten unter dem Druck von Umweltschützern und deren dunklen Absichten erstellt wurden:

‘Ich glaube, dass die Anti-Atomkraft-Leute ihren Einfluss geltend gemacht haben. Sie haben erkannt, dass, falls diese neuere Technologie entwickelt wird, wir eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle besitzen … für Milliarden von Jahren. Und diese Leute schafften es, die Regierung unter Clinton dazu zu bringen, das Forschungs- und Entwicklungsprogramm für die vierte Generation von Atomkraftwerken zu beenden’. Hansen bläst also in dasselbe Horn wie Vertreter der Ultra- Rechten, die behaupten, dass Umweltschützer uns alle in die Höhlen grauer Vorzeit zurückschicken wollen: eine falsche, dumme und beleidigende Behauptung. Wen wundert es, dass er wenig Erfolg damit hat, Umweltschützer für sich zu gewinnen? Der Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (WMD war eine der Befürchtungen, die zur Beendigung des IFR-Forschungs- und Entwicklungsp-Programmes führten. Die Lobbyisten des Integrierten Schnellen Brüters (IFR) wollten einen glauben machen, dass die IFR’s keine Risiken im Zusammenhang mit der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bewirken; im Gegenteil: dass sie mögliche Probleme durch die Nutzung von Atommaterial zur Herstellung von Waffen (vor allem Plutonium) als Brennstoff für Atomreaktoren lösen. Um einen Bericht des nationalen Labors in der französischen Argonne zu zitieren (Hervorhebungen hinzugefügt):

‘Den Atomreaktor … könnte man für die Verwertung von überschüssigem Plutonium verwenden, oder als Schnellen Brüter, falls nötig …’ Dr. George Stanford, der in den USA an einem IFR-Forschungs- und Entwicklungsprogramm arbeitete, schreibt, dass ‘die Betreiber der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (mit diesen Programmen) dasselbe tun könnten, wie mit jedem anderen Reaktor auch – sie in einen eigenen angepassten Betriebszyklus integrieren, um hochwertiges Material zur Waffenherstellung zu erzeugen’.



Erneuerbare Energien und Effizienz

Hansen sagt: ‘Können erneuerbare Energien all das abdecken, was eine Gesellschaft in absehbarer Zukunft braucht? Vielleicht an einigen entfernten Orten wie Neuseeland und Norwegen. Aber die Behauptung, dass erneuerbare Energien einen raschen Verzicht auf fossile Brennstoffe in den Vereinigten Staaten, China und Indien bewirken – das ist fast das Gleiche wie an den Osterhasen oder die Märchenfee glauben’. Es gibt jedoch glaubwürdige Studien über die Länder, die Hansen erwähnt.

USA: Die Beratungsstelle für Nukleare Information und Ressourcen NIRS verfügt über eine laufend aktualisierte Liste von Berichten, die das Potential für Amerika und Europa bestätigen, die gesamte benötigte Elektrizität aus erneuerbaren Energien zu decken.

China: Einem Bericht des chinesischen Nationalen Zentrums für Erneuerbare Energien aus dem Jahre 2015 zufolge könnte China 85 % seiner Elektrizität und 60 % seines gesamten Energieverbrauches mit erneuerbaren Energien abdecken.

Indien: Ein detaillierter Bericht aus dem Jahr 2013 – vom indischen WWF und dem Zentrum für Energie und Ressourcen legt dar, wie Indien bis zum Jahre 2015 bis zu 90 % seiner gesamten Primärenergieversorgung aus erneuerbaren Energien gewinnen könnte.

Es gibt also eine wachsende Anzahl von Forschungen über das Potential erneuerbarer Energien, die größtenteils oder komplett fossile Treibstoffe ersetzen – und damit die Energieversorgung weltweit sichern könnten. Die weltweite Verdoppelung der Kapazitäten der erneuerbarer Energien im letzten Jahrzehnt war atemberaubend: 783 GW an neuem Produktionspotential aus erneuerbaren Energiequellen wurden zwischen 2005 und 2014 installiert. Ende 2014 lieferten erneuerbare Energien (einschließlich der Wasserkraftwerke) geschätzte 22.8 % der weltweit verfügbaren Elektrizität (Wasserkraft 16.6 % und andere erneuerbare Energien 6.2 %). Der Anteil der Atomenergie liegt dabei bei etwa 10.8 %, d.h. bei weniger als bei der Hälfte der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. Und die Kluft zwischen diesen beiden Sektoren vergrößert sich immer mehr. Die Internationale Energieagentur (IEA) erwartet weitere 700 GW an erneuerbaren Elektrizitäts-Erzeugnis-Kapazitäten für die Jahre 2015-2020. Dieser Bericht der IEA betont die enormen Einsparungen, die dies zur Folge hätte: der weltweite Kostendurchschnitt für die Binnenland-Windstromerzeugung sank um 30 % (zwischen 2010-2015). Man erwartet, dass er um weitere 10 % bis 2020 sinken wird. Die Kosten für den Strom aus Photovoltaikanlagen sanken um zwei Drittel und sinken vermutlich um weitere 25 % bis zum Jahr 2020. Auch die im Sinn der Nachhaltigkeit wirksamen Energieeffizienzmaßnahmen sind außerordentlich bedeutend. Hansen geht entweder darüber hinweg oder liefert bloße Lippenbekenntnisse. Eine Studie aus dem Jahr 2011 der Universität von Cambridge kommt zum Schluss, dass sogar 73 % des weltweiten Energieverbrauchs durch Effizienz- und Spar-Maßnahmen vermieden werden könnte. Julian Allwood, einer der Autoren der Studie, sagt: ‘Wir sind der Ansicht, dass es eher unwahrscheinlich ist, eine gute Antwort auf den Klimawandel zu finden, wenn man nur von der Energieversorgung ausgeht. Aber wenn wir den Energiebedarf ernsthaft reduzieren können, dann stehen alle Optionen plötzlich viel realistischer da’.

Aber wollen wir uns noch einmal Hansens Argument vornehmen, dass erneuerbare Energien und ihre Effizienzmaßnahmen fossile Brennstoffe nicht vollständig ersetzen können. Das ist durchaus möglich, denn die damit verbundenen Aufgaben sind enorm. Aber was würde die Atomkraft annehmbar machen? Ihre hundertprozentig sichere, proliferationsresistente Technologie der vierten Generation? Wohl eher nicht. Verbesserte Sicherheitsstandards und strengere Auflagen könnten das Risiko schwerer Unfälle verringern. Auch ein stärkeres – und gut finanziertes – Sicherheitssystem könnte die Risiken einer Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (WMD) reduzieren. Hier liegt die größte Ironie von Hansens Pro-Atomkraft-Argumenten. Denn viele der Umwelt- und Antiatomkraft-Organisationen, die er angreift, setzen sich schon seit langem für verbesserte Sicherheitsstandards- und Systeme ein. Dazu hat Hansen wenig gesagt und getan. Michael Mariotte vom Nuklearen Forschungs- und Informationszentrum NIRS fasst das Ganze so zusammen:

‘Dr. Hansen hat der ganzen Welt einen großen Dienst erwiesen, indem er seine Aufmerksamkeit und Kompetenz auf das Klima richtet. Er fordert uns eindringlich dazu auf, als Weltgemeinschaft zu handeln, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Aber Dr. Hansens Kompetenz liegt in Klima- und nicht in Energiefragen. Wenn er letztere behandelt, wird klar, dass das nicht seine starke Seite ist’.

Übernommen und übersetzt aus dem Nuclear Monitor Nr. 814 vom 18.11.2015

Übersetzung ins Deutsche und Bearbeitung:

Ina Conneally, Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu

Quellen:
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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /