Wissenschaft stellt fest: Verstärkte Investitionen in öffentlichen Verkehr können Lobau–Tunnel ersetzen
Es ist paradox: Auf programmatischer Ebene setzt die Stadt Wien mit dem Stadtentwicklungsplan 2025 (STEP)1 und den Zielen des Leitkonzepts Klimamusterstadt2 zwar richtungweisende Maßstäbe für nachhaltigen Verkehr in der Stadt. Als zentrale Zielvorgaben werden hier die Reduzierung des Anteils des Autoverkehrs auf 20% bis 2025 und 15% bis 2030 genannt, außerdem die Halbierung der Autopendler:innen nach Wien bis 2030, sowie Klimaneutralität für Wien bis zum Jahr 2040. Des weiteren nahm die SPÖ–Wien den Beschluss in ihr Programm auf, den Radwegeanteil an der gesamten
Verkehrsfläche auf 10% zu erhöhen.
Forscherinnen und Forschern zufolge würde der geplante Bau der so genannten Stadtstraße und der Lobauautobahn diesen Plänen und Konzepten allerdings völlig zuwiderlaufen. Das aktuell viel diskutierte Bauprojekt würde nicht zur Erreichung der
Kernziele der Stadt Wien beitragen – vielmehr hätte es einen gegenteiligen Effekt: Laut Berechnungen der verkehrlichen Wirkung3 würde der Bau der Autobahn zu einer Erhöhung der Verkehrsbelastung und dadurch auch zu einer weiteren Zunahme von klimaschädlichen Verkehrsemissionen führen.
Dazu kommt, dass es durch den Bau der Lobauautobahn langfristig keineswegs „freie Fahrt“ für Autonutzer:innen gäbe. Mathias Krams, Politikwissenschaftler an der Uni Wien, sagt: „Sogar die ASFINAG stellt in Abrede, dass es durch den Neubau von Straßen in der Donaustadt langfristig zu einer Reduzierung von Staus kommen würde: Der Ausbau des Streckennetzes lindert das Stauproblem nicht nachhaltig. Die Erfahrung zeigt: Je breiter die Straßen, desto größer wird das Verkehrsaufkommen. Das bedeutet, dass neue Staus nur eine Frage der Zeit sind.“
Andrew Nash ist Forscher an der FH St. Pölten, Dozent an der ETH Zürich und ehemaliger Direktor der San Francisco County Transportation Authority. Laut seiner Expertise brauche es wirklich neue Konzepte, die Digitalisierung, ÖPNV–Strategien und
Flächennutzungsplanung zu einem umfassenden System verbinden, das auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen im 22. Bezirk ausgerichtet ist. Diese Ansätze könnten den Lobau–Tunnel ohne weiteres ersetzen. Allerdings müssten Konzepte zur Anwendung kommen, die auf Menschen zugeschnitten und auf Stadtentwicklungspläne abgestimmt sind .“ Außerdem werde „der öffentliche Verkehr der Zukunft nicht nur aus Bussen und Bahnen bestehen, sondern ein komplettes Ökosystem aus Taxis, gemeinsam genutzten Fahrrädern, Mikromobilität und mehr darstellen“, so Nash weiter.
Eine vieldiskutierte und mögliche Komponente in diesem „Ökosystem des öffentlichen Nahverkehrs der Zukunft“ ist die automatisierte Mobilität. Mit ihr setzt sich Emilia M. Bruck von der TU Wien am Forschungsbereich Örtliche Raumplanung und dem future.lab Research Center auseinander. Potential biete geteilte, automatisierte Mobilität in der erweiterten Stadtregion insbesondere in Form von „bedarfsbasiertem Zubringerverkehr, der die Anbindung an das höherrangige Schienennetz verbessert. Der Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr und eine intermodale Fahrt könnten dadurch an Attraktivität
gewinnen. Zudem könnten Stadtrandlagen mit geringen Siedlungsdichten besonders zu Randzeiten, z.B. nachts, an Wochenenden und an Feiertagen, wenn es für den klassischen Linienverkehr an Nachfrage mangelt, von automatisierten Ruf– und Sammeltaxis profitieren.“
Doch Bruck verweist auch darauf, dass erhoffte Effizienzvorteile und eine Reduzierung von Stau nicht per se durch die Automatisierung des Fahrvorgangs zu erreichen wären: „Die Automatisierung privater Pkws läuft Gefahr, durch Komfortgewinne und neue Nutzer:innengruppen bestehende Verkehrslasten zu verschärfen anstatt diese zu reduzieren.“ Und weiter: „Um eine umweltfreundliche Alternative zu Privatfahrzeugen – automatisiert oder konventionell – darzustellen, ist es wesentlich, dass geteilte und bedarfsorientierte Mobilitätsangebote in das bestehende ÖV–Netz integriert werden und
dieses ergänzen, anstatt damit durch Preis– und Komfortvorteile zu konkurrieren“. Bruck unterstreicht: „Der wesentliche Faktor für eine räumliche und ökologische Effizienz des Verkehrs ist ein hoher Besetzungsgrad von Fahrzeugen, d.h. die Bündelung von Fahrten“.
Anreize für geteilte Fahrzeugnutzung und damit Staureduktion lassen sich auch ohne weitere technologische Innovationen setzen. Mathias Krams verweist in diesem Zusammenhang etwa auf die insbesondere in den USA und Kanada weit verbreitete, aber auch in Linz (B127) vorhandene Erfahrung mit Sonderfahrstreifen für mehrfach besetzte Kraftfahrzeuge (mbk–Fahrstreifen). Bei wissenschaftlichen Untersuchungen hat sich herausgestellt, wie durch die Umwandlung von Fahrspuren in Sonderfahrstreifen in Verbindung mit weiteren Maßnahmen nicht nur Stau, sondern auch Umweltbelastungen
reduziert werden können.
Jenseits konkreter Einzelmaßnahmen kommt Andrew Nash in seinen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Donaustadt der ideale Ort sei, „um ein integriertes, benutzerorientiertes öffentliches Verkehrssystem zu entwickeln und zu testen. Die Wiener Linien sind nicht nur eine der innovativsten Agenturen der Welt, sondern das Rote Wien hat auch den Mut bewiesen, physische Infrastruktur für eine sozial gerechte Stadt zu bauen – genau das, was wir jetzt brauchen, um den Lobau–Tunnel zu ersetzen“.
Laut Expertinnen und Experten ist es dafür allerdings notwendig, dass in aktuellen verkehrspolitischen Debatten Maßnahmen diskutiert werden, die der Erreichung der strategischen Umwelt– und Klimaziele der Stadt Wien tatsächlich zuträglich sind, anstatt diese zu konterkarieren. „Das gebietet sowohl ein verantwortungsvoller Umgang mit öffentlichen Geldern, als auch die sich immer weiter zuspitzende Klimakatastrophe“ so Mathias Krams. „Dafür ist es ratsam – wie aktuell auf Bundesebene – auch auf Landesebene projektierte Verkehrsvorhaben mit den Mobilitäts– und Klimazielen der Stadt Wien abzugleichen und nur solche Neubauprojekte umzusetzen, die einen entscheidenden Beitrag zu deren Realisierung leisten“, so Krams. „Um die Nachvollziehbarkeit der Begutachtung zu gewährleisten, bedarf es transparenter und wissenschaftlich begründeter Maßstäbe und Entscheidungskriterien“.
„Das Wissen darüber, wie Verkehrsbelastung reduziert und Klimaziele auch im Verkehrssektor eingehalten werden können, ist vorhanden. Hier kann auf umfangreiche Forschung zu nachhaltiger Verkehrsplanung zurückgegriffen werden. Einige Projekte in Wien, wie der Ausbau von Straßenbahnen und Radwegen, warten nur auf ihre Umsetzung. Nun muss die Stadtpolitik die entsprechenden Prioritäten setzen und ihr Handeln an den eigenen Zielen ausrichten“ so Krams.
Verkehrsfläche auf 10% zu erhöhen.
Forscherinnen und Forschern zufolge würde der geplante Bau der so genannten Stadtstraße und der Lobauautobahn diesen Plänen und Konzepten allerdings völlig zuwiderlaufen. Das aktuell viel diskutierte Bauprojekt würde nicht zur Erreichung der
Kernziele der Stadt Wien beitragen – vielmehr hätte es einen gegenteiligen Effekt: Laut Berechnungen der verkehrlichen Wirkung3 würde der Bau der Autobahn zu einer Erhöhung der Verkehrsbelastung und dadurch auch zu einer weiteren Zunahme von klimaschädlichen Verkehrsemissionen führen.
Dazu kommt, dass es durch den Bau der Lobauautobahn langfristig keineswegs „freie Fahrt“ für Autonutzer:innen gäbe. Mathias Krams, Politikwissenschaftler an der Uni Wien, sagt: „Sogar die ASFINAG stellt in Abrede, dass es durch den Neubau von Straßen in der Donaustadt langfristig zu einer Reduzierung von Staus kommen würde: Der Ausbau des Streckennetzes lindert das Stauproblem nicht nachhaltig. Die Erfahrung zeigt: Je breiter die Straßen, desto größer wird das Verkehrsaufkommen. Das bedeutet, dass neue Staus nur eine Frage der Zeit sind.“
Andrew Nash ist Forscher an der FH St. Pölten, Dozent an der ETH Zürich und ehemaliger Direktor der San Francisco County Transportation Authority. Laut seiner Expertise brauche es wirklich neue Konzepte, die Digitalisierung, ÖPNV–Strategien und
Flächennutzungsplanung zu einem umfassenden System verbinden, das auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen im 22. Bezirk ausgerichtet ist. Diese Ansätze könnten den Lobau–Tunnel ohne weiteres ersetzen. Allerdings müssten Konzepte zur Anwendung kommen, die auf Menschen zugeschnitten und auf Stadtentwicklungspläne abgestimmt sind .“ Außerdem werde „der öffentliche Verkehr der Zukunft nicht nur aus Bussen und Bahnen bestehen, sondern ein komplettes Ökosystem aus Taxis, gemeinsam genutzten Fahrrädern, Mikromobilität und mehr darstellen“, so Nash weiter.
Eine vieldiskutierte und mögliche Komponente in diesem „Ökosystem des öffentlichen Nahverkehrs der Zukunft“ ist die automatisierte Mobilität. Mit ihr setzt sich Emilia M. Bruck von der TU Wien am Forschungsbereich Örtliche Raumplanung und dem future.lab Research Center auseinander. Potential biete geteilte, automatisierte Mobilität in der erweiterten Stadtregion insbesondere in Form von „bedarfsbasiertem Zubringerverkehr, der die Anbindung an das höherrangige Schienennetz verbessert. Der Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr und eine intermodale Fahrt könnten dadurch an Attraktivität
gewinnen. Zudem könnten Stadtrandlagen mit geringen Siedlungsdichten besonders zu Randzeiten, z.B. nachts, an Wochenenden und an Feiertagen, wenn es für den klassischen Linienverkehr an Nachfrage mangelt, von automatisierten Ruf– und Sammeltaxis profitieren.“
Doch Bruck verweist auch darauf, dass erhoffte Effizienzvorteile und eine Reduzierung von Stau nicht per se durch die Automatisierung des Fahrvorgangs zu erreichen wären: „Die Automatisierung privater Pkws läuft Gefahr, durch Komfortgewinne und neue Nutzer:innengruppen bestehende Verkehrslasten zu verschärfen anstatt diese zu reduzieren.“ Und weiter: „Um eine umweltfreundliche Alternative zu Privatfahrzeugen – automatisiert oder konventionell – darzustellen, ist es wesentlich, dass geteilte und bedarfsorientierte Mobilitätsangebote in das bestehende ÖV–Netz integriert werden und
dieses ergänzen, anstatt damit durch Preis– und Komfortvorteile zu konkurrieren“. Bruck unterstreicht: „Der wesentliche Faktor für eine räumliche und ökologische Effizienz des Verkehrs ist ein hoher Besetzungsgrad von Fahrzeugen, d.h. die Bündelung von Fahrten“.
Anreize für geteilte Fahrzeugnutzung und damit Staureduktion lassen sich auch ohne weitere technologische Innovationen setzen. Mathias Krams verweist in diesem Zusammenhang etwa auf die insbesondere in den USA und Kanada weit verbreitete, aber auch in Linz (B127) vorhandene Erfahrung mit Sonderfahrstreifen für mehrfach besetzte Kraftfahrzeuge (mbk–Fahrstreifen). Bei wissenschaftlichen Untersuchungen hat sich herausgestellt, wie durch die Umwandlung von Fahrspuren in Sonderfahrstreifen in Verbindung mit weiteren Maßnahmen nicht nur Stau, sondern auch Umweltbelastungen
reduziert werden können.
Jenseits konkreter Einzelmaßnahmen kommt Andrew Nash in seinen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Donaustadt der ideale Ort sei, „um ein integriertes, benutzerorientiertes öffentliches Verkehrssystem zu entwickeln und zu testen. Die Wiener Linien sind nicht nur eine der innovativsten Agenturen der Welt, sondern das Rote Wien hat auch den Mut bewiesen, physische Infrastruktur für eine sozial gerechte Stadt zu bauen – genau das, was wir jetzt brauchen, um den Lobau–Tunnel zu ersetzen“.
Laut Expertinnen und Experten ist es dafür allerdings notwendig, dass in aktuellen verkehrspolitischen Debatten Maßnahmen diskutiert werden, die der Erreichung der strategischen Umwelt– und Klimaziele der Stadt Wien tatsächlich zuträglich sind, anstatt diese zu konterkarieren. „Das gebietet sowohl ein verantwortungsvoller Umgang mit öffentlichen Geldern, als auch die sich immer weiter zuspitzende Klimakatastrophe“ so Mathias Krams. „Dafür ist es ratsam – wie aktuell auf Bundesebene – auch auf Landesebene projektierte Verkehrsvorhaben mit den Mobilitäts– und Klimazielen der Stadt Wien abzugleichen und nur solche Neubauprojekte umzusetzen, die einen entscheidenden Beitrag zu deren Realisierung leisten“, so Krams. „Um die Nachvollziehbarkeit der Begutachtung zu gewährleisten, bedarf es transparenter und wissenschaftlich begründeter Maßstäbe und Entscheidungskriterien“.
„Das Wissen darüber, wie Verkehrsbelastung reduziert und Klimaziele auch im Verkehrssektor eingehalten werden können, ist vorhanden. Hier kann auf umfangreiche Forschung zu nachhaltiger Verkehrsplanung zurückgegriffen werden. Einige Projekte in Wien, wie der Ausbau von Straßenbahnen und Radwegen, warten nur auf ihre Umsetzung. Nun muss die Stadtpolitik die entsprechenden Prioritäten setzen und ihr Handeln an den eigenen Zielen ausrichten“ so Krams.
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