Uneinigkeit bei Glyphosat–Zulassung zum vierten Mal in Folge
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Brüssel/Berlin/Wien– Für Heike Moldenhauer, Pestizidexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), belegt die fehlende Einigkeit der EU–Mitgliedstaaten in Sachen Glyphosat das Misstrauen vieler Regierungen gegen Behauptungen, das Herbizid sei unbedenklich.
"Nicht einmal für eine Verlängerung des Glyphosat–Einsatzes bis zu 18 Monaten kam eine qualifizierte Mehrheit der EU–Mitgliedstaaten zustande. Die Kommission muss aus den Zweifeln der Mitgliedstaaten an der Unbedenklichkeit von Glyphosat den einzig richtigen Schluss ziehen und die Zulassung zum 30. Juni auslaufen lassen", sagte Moldenhauer.
"Entscheidet die EU–Kommission sich im Alleingang für eine Zulassungsverlängerung, so sind ihr die Gewinninteressen von Monsanto und Co. offensichtlich wichtiger als der Schutz von Mensch und Umwelt. Dies ist die Stunde des Vorsorgeprinzips, die Kommission muss zeigen, dass sie für eine EU der Bürgerinnen und Bürger und nicht der Konzerne steht", sagte Moldenhauer.
Das Urteil der Krebsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend ist, stehe weiter im Raum. "Für Krebs gibt es keinen unbedenklichen Schwellenwert. Außerdem ist noch nicht abschließend untersucht, ob das Herbizid das Hormonsystem des Menschen schädigt. Und unbestritten ist, dass Glyphosat einer der großen Verursacher des Artensterbens in der Agrarlandschaft ist", sagte Moldenhauer. Bei einem Glyphosat–Ausstieg seien die Übergangsfristen für Landwirte ausreichend gesetzlich geregelt. Wie eine Studie im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeige, seien Alternativen ebenfalls vorhanden.
"Die Glyphosat–Hersteller preisen den Einsatz ihres Pestizids als notwendig und alternativlos. Die Glyphosat–Befürworter in der Bundesregierung und die zuständigen deutschen Behörden, die in der EU federführend für die Bewertung waren, dürfen das Pestizid nicht länger verharmlosen. Der dauerhaft hohe Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft hat längst jede gesellschaftliche Akzeptanz verloren. Die Gesundheits– und Umweltkosten zahlt am Ende allein die Bevölkerung, während sich die Hersteller aus der Verantwortung stehlen. Der Ökolandbau beweist täglich, dass eine umweltgerechte Landwirtschaft möglich und zukunftsfähig ist",meint Moldenhauer.
Dass die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Zulassungsverlängerung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat erneut keine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten fand, bewertet auch GLOBAL 2000 als Misstrauensvotum gegenüber den europäischen Zulassungsbehörden. Diese gaben grünes Licht für die erneute Zulassung, obwohl die Internationale Krebsforschungsagentur der WHO Glyphosat zuvor als „wahrscheinlich beim Menschen krebserregend„ eingestuft hatte.
Nun ist die Europäische Kommission am Zug. „Respektiert die Kommission das in den EU–Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip, dann muss sie von einer Verlängerung der Zulassung Abstand nehmen„, erklärt Helmut Burtscher, Umweltchemiker von GLOBAL 2000: „Denn im europäischen Zulassungsverfahren wurden wichtige Studien aussortiert oder schlicht falsch ausgewertet.„
So entblößte die erstmalige Glyphosat–Bewertung durch die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO drei grundlegende Schwächen des Europäischen Pestizid–Zulassungsverfahrens: die Geheimhaltung der Industriestudien, ihre mangelnde Kontrolle durch die Zulassungsbehörden und die Missachtung des in der EU–Pestizidverordnung verankerten ‚gefahrenbasierten Ansatzes‚.
„Wenn die Kommission trotz der Krebs–Einstufung durch die WHO und trotz der offenkundig gewordenen Fehler im europäischen Zulassungsprozess Glyphosat weiter zulässt, riskiert sie einen Vertrauensverlust bei der europäischen Bevölkerung„, sagt Burtscher: „Dabei könnte und sollte die Europäische Union, gerade mit ihren Möglichkeiten den Schutz von Umwelt und der Gesundheit voranzutreiben, bei den EuropäerInnen punkten.„
Hintergrund – Offenkundige Schwächen im Zulassungsverfahren:
Industrie und Behörden halten Krebsstudien geheim
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hat Glyphosat in einem transparenten Bewertungsprozess als „wahrscheinlich für den Menschen krebserregend„ eingestuft. Die Grundlage bildeten „starke Beweise„ für einen krebserregenden Mechanismus, „ausreichende Beweise„ für die krebserregende Wirkung beim Tier und „begrenzte Beweise„ für die krebserregende Wirkung beim Menschen.
Dem widersprachen die europäischen Zulassungsbehörden. Als eine „Ursache für die unterschiedlichen Einschätzungen„ führt die Behörde an, dass die IARC „nur veröffentlichte Studien berücksichtigt„, wohingegen die Behörde „im Zuge des EU–Genehmigungsverfahrens eine Vielzahl von neueren (Anm.: nicht veröffentlichten) Studien einbeziehen konnte„.
„Aber warum verweigert die Industrie dann die Offenlegung dieser geheimen Studien, wenn sie die Sicherheit von Glyphosat belegen könnten?„ wundert sich Helmut Burtscher, Umweltchemiker von GLOBAL 2000
Zulassungbehörden vertrauten der Industrie statt sie zu kontrolllieren
Als die europäischen Zulassungsbehörden ihre eigenen negativen Befunde von Krebsstudien an Mäusen mit den positiven Befunden der WHO–ExpertInnen verglich, stellte sie fest, dass unterschiedliche statistische Auswertungen zu unterschiedlichen Ergebnisse führten. Die Behörde gab zu, dass sie „ursprünglich auf die mit den Studienberichten zur Verfügung gestellte statistische Auswertungen vertraut hat„. Die Behörde bestätigte zwar die Korrektheit der IARC–Auswertung, stellte aber deren Ergebnisse in Frage und begründete dies mit „historischen Daten„, deren Offenlegung sie allerdings bis heute verweigert. Das veranlasste GLOBAL 2000 gemeinsam mit sieben weiteren europäischen Organisationen gegen die beteiligten Zulassungsbehörden und Monsanto Anzeigen wegen Betrugsverdacht einzubringen.
Missachtung des gesetzlich verankerten "gefahrenbasierten Ansatzes"
In der EU–Pestizidverordnung gelten für krebserregende Stoffe seit 2011 „gefahrenbasierte„ Ausschlusskriterien, da für solche Stoffe kein ‚Schwellenwert‚ und daher auch keine Dosis ohne Risiko feststellbar ist. Seither dürfen Stoffe, deren krebserregende Wirkung beim Tier bewiesen ist, nicht mehr als Pestizide zugelassen werden.
Ungeachtet dessen argumentieren EFSA und BfR weiterhin auf Grundlage von Expositionsüberlegungen, also „risikobasiert„. So kommen sie auch zu der Schlussfolgerung, es wäre „bei bestimmungsgemäßer Anwendung ein krebserzeugendes Risiko für den Menschen nach derzeitiger Datenlage unwahrscheinlich„ und begründen damit ihre Empfehlung einer Zulassungserneuerung.
Brüssel/Berlin/Wien– Für Heike Moldenhauer, Pestizidexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), belegt die fehlende Einigkeit der EU–Mitgliedstaaten in Sachen Glyphosat das Misstrauen vieler Regierungen gegen Behauptungen, das Herbizid sei unbedenklich.
"Nicht einmal für eine Verlängerung des Glyphosat–Einsatzes bis zu 18 Monaten kam eine qualifizierte Mehrheit der EU–Mitgliedstaaten zustande. Die Kommission muss aus den Zweifeln der Mitgliedstaaten an der Unbedenklichkeit von Glyphosat den einzig richtigen Schluss ziehen und die Zulassung zum 30. Juni auslaufen lassen", sagte Moldenhauer.
"Entscheidet die EU–Kommission sich im Alleingang für eine Zulassungsverlängerung, so sind ihr die Gewinninteressen von Monsanto und Co. offensichtlich wichtiger als der Schutz von Mensch und Umwelt. Dies ist die Stunde des Vorsorgeprinzips, die Kommission muss zeigen, dass sie für eine EU der Bürgerinnen und Bürger und nicht der Konzerne steht", sagte Moldenhauer.
Das Urteil der Krebsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend ist, stehe weiter im Raum. "Für Krebs gibt es keinen unbedenklichen Schwellenwert. Außerdem ist noch nicht abschließend untersucht, ob das Herbizid das Hormonsystem des Menschen schädigt. Und unbestritten ist, dass Glyphosat einer der großen Verursacher des Artensterbens in der Agrarlandschaft ist", sagte Moldenhauer. Bei einem Glyphosat–Ausstieg seien die Übergangsfristen für Landwirte ausreichend gesetzlich geregelt. Wie eine Studie im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeige, seien Alternativen ebenfalls vorhanden.
"Die Glyphosat–Hersteller preisen den Einsatz ihres Pestizids als notwendig und alternativlos. Die Glyphosat–Befürworter in der Bundesregierung und die zuständigen deutschen Behörden, die in der EU federführend für die Bewertung waren, dürfen das Pestizid nicht länger verharmlosen. Der dauerhaft hohe Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft hat längst jede gesellschaftliche Akzeptanz verloren. Die Gesundheits– und Umweltkosten zahlt am Ende allein die Bevölkerung, während sich die Hersteller aus der Verantwortung stehlen. Der Ökolandbau beweist täglich, dass eine umweltgerechte Landwirtschaft möglich und zukunftsfähig ist",meint Moldenhauer.
Dass die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Zulassungsverlängerung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat erneut keine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten fand, bewertet auch GLOBAL 2000 als Misstrauensvotum gegenüber den europäischen Zulassungsbehörden. Diese gaben grünes Licht für die erneute Zulassung, obwohl die Internationale Krebsforschungsagentur der WHO Glyphosat zuvor als „wahrscheinlich beim Menschen krebserregend„ eingestuft hatte.
Nun ist die Europäische Kommission am Zug. „Respektiert die Kommission das in den EU–Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip, dann muss sie von einer Verlängerung der Zulassung Abstand nehmen„, erklärt Helmut Burtscher, Umweltchemiker von GLOBAL 2000: „Denn im europäischen Zulassungsverfahren wurden wichtige Studien aussortiert oder schlicht falsch ausgewertet.„
So entblößte die erstmalige Glyphosat–Bewertung durch die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO drei grundlegende Schwächen des Europäischen Pestizid–Zulassungsverfahrens: die Geheimhaltung der Industriestudien, ihre mangelnde Kontrolle durch die Zulassungsbehörden und die Missachtung des in der EU–Pestizidverordnung verankerten ‚gefahrenbasierten Ansatzes‚.
„Wenn die Kommission trotz der Krebs–Einstufung durch die WHO und trotz der offenkundig gewordenen Fehler im europäischen Zulassungsprozess Glyphosat weiter zulässt, riskiert sie einen Vertrauensverlust bei der europäischen Bevölkerung„, sagt Burtscher: „Dabei könnte und sollte die Europäische Union, gerade mit ihren Möglichkeiten den Schutz von Umwelt und der Gesundheit voranzutreiben, bei den EuropäerInnen punkten.„
Hintergrund – Offenkundige Schwächen im Zulassungsverfahren:
Industrie und Behörden halten Krebsstudien geheim
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hat Glyphosat in einem transparenten Bewertungsprozess als „wahrscheinlich für den Menschen krebserregend„ eingestuft. Die Grundlage bildeten „starke Beweise„ für einen krebserregenden Mechanismus, „ausreichende Beweise„ für die krebserregende Wirkung beim Tier und „begrenzte Beweise„ für die krebserregende Wirkung beim Menschen.
Dem widersprachen die europäischen Zulassungsbehörden. Als eine „Ursache für die unterschiedlichen Einschätzungen„ führt die Behörde an, dass die IARC „nur veröffentlichte Studien berücksichtigt„, wohingegen die Behörde „im Zuge des EU–Genehmigungsverfahrens eine Vielzahl von neueren (Anm.: nicht veröffentlichten) Studien einbeziehen konnte„.
„Aber warum verweigert die Industrie dann die Offenlegung dieser geheimen Studien, wenn sie die Sicherheit von Glyphosat belegen könnten?„ wundert sich Helmut Burtscher, Umweltchemiker von GLOBAL 2000
Zulassungbehörden vertrauten der Industrie statt sie zu kontrolllieren
Als die europäischen Zulassungsbehörden ihre eigenen negativen Befunde von Krebsstudien an Mäusen mit den positiven Befunden der WHO–ExpertInnen verglich, stellte sie fest, dass unterschiedliche statistische Auswertungen zu unterschiedlichen Ergebnisse führten. Die Behörde gab zu, dass sie „ursprünglich auf die mit den Studienberichten zur Verfügung gestellte statistische Auswertungen vertraut hat„. Die Behörde bestätigte zwar die Korrektheit der IARC–Auswertung, stellte aber deren Ergebnisse in Frage und begründete dies mit „historischen Daten„, deren Offenlegung sie allerdings bis heute verweigert. Das veranlasste GLOBAL 2000 gemeinsam mit sieben weiteren europäischen Organisationen gegen die beteiligten Zulassungsbehörden und Monsanto Anzeigen wegen Betrugsverdacht einzubringen.
Missachtung des gesetzlich verankerten "gefahrenbasierten Ansatzes"
In der EU–Pestizidverordnung gelten für krebserregende Stoffe seit 2011 „gefahrenbasierte„ Ausschlusskriterien, da für solche Stoffe kein ‚Schwellenwert‚ und daher auch keine Dosis ohne Risiko feststellbar ist. Seither dürfen Stoffe, deren krebserregende Wirkung beim Tier bewiesen ist, nicht mehr als Pestizide zugelassen werden.
Ungeachtet dessen argumentieren EFSA und BfR weiterhin auf Grundlage von Expositionsüberlegungen, also „risikobasiert„. So kommen sie auch zu der Schlussfolgerung, es wäre „bei bestimmungsgemäßer Anwendung ein krebserzeugendes Risiko für den Menschen nach derzeitiger Datenlage unwahrscheinlich„ und begründen damit ihre Empfehlung einer Zulassungserneuerung.