Stoppt das Klimaexperiment!
München/Hamburg – Wie hält es die Wirtschaft mit dem Weltklima? Dazu lud die Journalistenvereinigung TELI im Münchner PresseClub zu einer Wissenschaftsdebatte ein. Experten aus Wirtschaft, Politik, Forschung und Zivilgesellschaft waren sich weitgehend einig. „Wir brauchen eine große Transformation, dürfen die fossilen Brennstoffe nicht länger verfeuern, sondern andere Energiesysteme einsetzen und unser Wirtschaften ändern,„ so Professor Dr. Helmuth Trischler, Wissenschaftshistoriker im Deutschen Museum München.
Trischler war zusammen mit Professor Dr. Gerhard Berz Impulsgeber der Debatte. Der Meteorologe der LMU München hat bei Munich Re die Risikoforschung aufgebaut. Die Analyse von 1.000 Katastrophen ergab: Die vom Wetter ausgelösten haben sich in den letzten drei, vier Jahrzehnten um das Dreifache vermehrt. Der Hitzesommer 2003 forderte 70.000 Todesopfer in Europa und verursachte zehn Milliarden Euro an Schäden. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts könnte jeder dritte Sommer so ausfallen. „Darauf muss sich die Wirtschaft einstellen„, mahnte Berz.
Die wissenschaftlichen Befunde darüber, wie das Treibhausgas CO2 den Planeten belastet, wurden mit dem Publikum und einem Expertenpanel diskutiert. Als erster nahm Dr. Ulrich Mössner Stellung, Wirtschaftsingenieur, langjähriger Geschäftsführer von Energieunternehmen und Autor des Buches „Das Ende der Gier: Nachhaltige Marktwirtschaft statt Turbo–Kapitalismus„.
Er hält den Staat für viel zu passiv in der Klimapolitik. Nicht die Wirtschaft darf mit der Politik wackeln, sondern umgekehrt, die Politik mit der Wirtschaft, in Mössners Worten: „Sie muss die Bedingungen diktieren.„ Entweder Anreize schaffen, um mit Klimaschutz Geld zu verdienen, oder Bußgelder erheben. „Wer das Klima anheizt, muss dafür zahlen„, forderte der Wirtschaftsexperte.
„Jetzt muss es wehtun„
Der Physiker Dr. Helmut Selinger, Mitglied der NGO Attac, erweiterte die volkswirtschaftliche um die naturwissenschaftliche Perspektive. In Anlehnung an eine Aussage des Klimaforschers Roger Revelle von 1957, der als erster auf die Klimaerwärmung hinwies, warnte er, dass die Menschheit ein groß angelegtes geophysikalisches Experiment begonnen habe – mit ungewissem Ausgang. Opfer der ungebremsten Industrialisierung des Nordens seien die Länder der Dritten Welt, die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen.
Deutschlands Klimaschulden – durch den Klimawandel verursachte Schäden – beliefen sich auf 30 Milliarden Euro (375 Euro pro Einwohner), die der USA auf 250 Milliarden (830 Euro pro Einwohner), die Klimaschuldenlast der industrialisierten gegenüber der sich entwickelnden Welt betrage eine halbe Billiarde Euro, rechnete Selinger vor. Der Süden müsse sich fragen, ob er die fossile Phase mit klimaneutralen Technologien nicht überspringen könne, sagte der Physiker, ähnlich wie in der Kommunikationstechnik, die die Länder Afrikas direkt ins Mobilnetz geführt hat.
Zur CO2–Entlastung regte er ein Moratorium an: fossile Brennstoffe nicht weiter anrühren, sondern im Boden belassen. Nur so lasse sich der Treibhauseffekt einbremsen und ein Davoneilen der Fieberkurve des Planeten verhindern. „Die Naturgesetze lassen sich nicht verändern, sie sind stärker als wir„, warnte der Physiker.
Das unterstrich er mit einem Zitat der Umweltaktivistin Naomi Klein. In ihrem Buch „Die Entscheidung–Kapitalismus versus Klima„ schreibt sie, dass die Wirtschaft sich mit dem Planeten und dem Menschen im Krieg befinde. Das Auflösen dieses Konfliktes ist für Selinger „eine tiefe philosophische Frage„.
Der Physiker fand Unterstützung bei seinem Naturwissenschaftskollegen Berz. „Das Experiment ist außer Kontrolle geraten„, erklärte er und verlangte seinen Abbruch. In dieser Einschätzung fand sich auch Trischler wieder: „Wir müssen schneller umsteuern.„ Er, der Marathonläufer, sieht beim Klimalauf Kilometer 32 erreicht: „Jetzt muss es wehtun!„
Carsharing für ein besseres Klima Also, große Einigkeit bei der Wissenschaft in der Klimafrage. Und Politik und Wirtschaft? Diskutanten waren Klaus von Birgelen, stellvertretender ÖDP Vorsitzender des Stadtverbands München sowie Markus Blume, CSU–Wirtschaftsexperte und Abgeordneter im Bayerischen Landtag; für die Industrie sprach Andreas Klugescheid von der BMW Unternehmenskommunikation, dort zuständig für Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit.
Bei Wissenschaftsdebatten ist das Publikum, anders als bei vertikalen Podiumsdiskussionen, gleichberechtigter Partner der Fachexperten. Die erste Fragerunde ging an die Zuhörer: „Toyota will bis 2050 nur noch Wasserstoffhybride anbieten, ein Weg auch für BMW?„, wollte eine Teilnehmerin wissen.
„Ja, das können wir uns vorstellen„, versicherte Klugescheid. Im weltweit tätigen Konzern mit Verantwortung für 116 000 Arbeitsplätze werde viel über die Energie– und Klimafrage nachgedacht. Die BMW Group prüfe neben der Optimierung herkömmlicher Verbrennungsmotoren energietechnische Alternativen, sagte Klugescheid, und habe in diese bereits Milliarden investiert. Eine kritische Frage zu den Katalysatoren der Firma wollte der BMW–Sprecher ohne Rücksprache mit der Technikabteilung nicht beantworten.
Als automobiltechnische Innovation kündigte er an: Der vollelektrische i3, seit zwei Jahren am Markt, hat Nachfolger. Der Minivan und der 2er werden demnächst als an der Steckdose aufladbare Plug–in–Hybride erhältlich sein. Auf die Frage nach den für Viele unerschwinglichen Preisen antwortete Klugescheid: „Wir machen das Angebot, der Konsument entscheidet„, aber: Der müsse ja gar kein Auto mehr besitzen. Bei Bedarf könne er in vielen Großstädten der Welt bald BMW Plug–ins ausleihen.
Der Autokonzern bläst derzeit zu einer großen Carsharing–Offensive. Shared Economy als Mittel, den überbordenden Ressourcenverbrauch und das Wachstum einzudämmen, mit bereits einer halben Million BMW–Kunden, so Klugescheid. Das Unternehmen verabschiede sich vom klassischen Geschäftsmodell. Statt Autos verkaufe es künftig Mobilität.
Städte autofrei oder smarter Verkehr?
Das überzeugte die kleine Umweltpartei ÖDP, im Münchner Stadtrat sowie im Europaparlament vertreten, wenig. Deren Sprecher, Klaus von Birgelen, verspricht sich von Elektroautos nichts. Mit den Möglichkeiten moderner Stadtplanung könne man auf Automobile ganz verzichten. Von den Autoherstellern, auch BMW verlangte er eine Rücknahme– und Demontage–Verpflichtung. Mutige Schritte der Systemveränderung seien verlangt, besonders von den kleineren Parteien, denn „große werden eher von Lobbyisten massiert„ als von Bürgern getrieben, kritisierte der ÖDP–Vertreter.
„Es machen sich ein paar zu gemütlich hier im Raum„, indem sie die alten Feindbilder Kapitalismus und Lobbyismus bemühten, parierte die CSU. Im Übrigen stehe seine Partei, so Markus Blume, voll hinter der „Dekarbonisierung als zentrale Aufgabe der Wirtschaft„. „Diese Megarevolution ist eine Riesenchance für Bayern und Deutschland„, fand er. Smarter Verkehr und smarte Energie verschmölzen zur intelligenten Mobilität, etwa in Gestalt selbstfahrender Autos, was neue Wertschöpfungsketten anstoße.
Gegen Ende der Debatte holte die Moderatorin, Maren Schüpphaus von dialogimpulse, parteipolitische und weltanschauliche Gräben überbrückend, Kooperationszusagen der Panellisten ein. So können CSU und ÖDP sich vorstellen, zusammen eine Ökosteuerreform zu beraten; Selinger und Moessner wollen die internationale Klimagerechtigkeit vorantreiben; zur Fortsetzung der Debatte steht bei BMW ein gemeinsamer Runder Tisch zu Energie und Mobilität im 21. Jahrhundert in Aussicht.
In seinem Schlusswort resümierte TELI–Vorsitzender Arno Kral, die Debatte habe viele Wege zur Stabilisierung des Klimas aufgezeigt: „Deshalb missen wir Energiewende künftig als Plural denken.„
Die TELI Live Wissenschaftsdebatte „It‚s the economy, stupid„ war Teil des 9. Münchner Klimaherbstes mit 70 Veranstaltungen. Die Debatte erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Gemeinsinn. Ein Video auf YouTube wird demnächst den Verlauf und die Ergebnisse dokumentieren.
Mehr dazu: www.wissenschaftsdebatte.de
Trischler war zusammen mit Professor Dr. Gerhard Berz Impulsgeber der Debatte. Der Meteorologe der LMU München hat bei Munich Re die Risikoforschung aufgebaut. Die Analyse von 1.000 Katastrophen ergab: Die vom Wetter ausgelösten haben sich in den letzten drei, vier Jahrzehnten um das Dreifache vermehrt. Der Hitzesommer 2003 forderte 70.000 Todesopfer in Europa und verursachte zehn Milliarden Euro an Schäden. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts könnte jeder dritte Sommer so ausfallen. „Darauf muss sich die Wirtschaft einstellen„, mahnte Berz.
Die wissenschaftlichen Befunde darüber, wie das Treibhausgas CO2 den Planeten belastet, wurden mit dem Publikum und einem Expertenpanel diskutiert. Als erster nahm Dr. Ulrich Mössner Stellung, Wirtschaftsingenieur, langjähriger Geschäftsführer von Energieunternehmen und Autor des Buches „Das Ende der Gier: Nachhaltige Marktwirtschaft statt Turbo–Kapitalismus„.
Er hält den Staat für viel zu passiv in der Klimapolitik. Nicht die Wirtschaft darf mit der Politik wackeln, sondern umgekehrt, die Politik mit der Wirtschaft, in Mössners Worten: „Sie muss die Bedingungen diktieren.„ Entweder Anreize schaffen, um mit Klimaschutz Geld zu verdienen, oder Bußgelder erheben. „Wer das Klima anheizt, muss dafür zahlen„, forderte der Wirtschaftsexperte.
„Jetzt muss es wehtun„
Der Physiker Dr. Helmut Selinger, Mitglied der NGO Attac, erweiterte die volkswirtschaftliche um die naturwissenschaftliche Perspektive. In Anlehnung an eine Aussage des Klimaforschers Roger Revelle von 1957, der als erster auf die Klimaerwärmung hinwies, warnte er, dass die Menschheit ein groß angelegtes geophysikalisches Experiment begonnen habe – mit ungewissem Ausgang. Opfer der ungebremsten Industrialisierung des Nordens seien die Länder der Dritten Welt, die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen.
Deutschlands Klimaschulden – durch den Klimawandel verursachte Schäden – beliefen sich auf 30 Milliarden Euro (375 Euro pro Einwohner), die der USA auf 250 Milliarden (830 Euro pro Einwohner), die Klimaschuldenlast der industrialisierten gegenüber der sich entwickelnden Welt betrage eine halbe Billiarde Euro, rechnete Selinger vor. Der Süden müsse sich fragen, ob er die fossile Phase mit klimaneutralen Technologien nicht überspringen könne, sagte der Physiker, ähnlich wie in der Kommunikationstechnik, die die Länder Afrikas direkt ins Mobilnetz geführt hat.
Zur CO2–Entlastung regte er ein Moratorium an: fossile Brennstoffe nicht weiter anrühren, sondern im Boden belassen. Nur so lasse sich der Treibhauseffekt einbremsen und ein Davoneilen der Fieberkurve des Planeten verhindern. „Die Naturgesetze lassen sich nicht verändern, sie sind stärker als wir„, warnte der Physiker.
Das unterstrich er mit einem Zitat der Umweltaktivistin Naomi Klein. In ihrem Buch „Die Entscheidung–Kapitalismus versus Klima„ schreibt sie, dass die Wirtschaft sich mit dem Planeten und dem Menschen im Krieg befinde. Das Auflösen dieses Konfliktes ist für Selinger „eine tiefe philosophische Frage„.
Der Physiker fand Unterstützung bei seinem Naturwissenschaftskollegen Berz. „Das Experiment ist außer Kontrolle geraten„, erklärte er und verlangte seinen Abbruch. In dieser Einschätzung fand sich auch Trischler wieder: „Wir müssen schneller umsteuern.„ Er, der Marathonläufer, sieht beim Klimalauf Kilometer 32 erreicht: „Jetzt muss es wehtun!„
Carsharing für ein besseres Klima Also, große Einigkeit bei der Wissenschaft in der Klimafrage. Und Politik und Wirtschaft? Diskutanten waren Klaus von Birgelen, stellvertretender ÖDP Vorsitzender des Stadtverbands München sowie Markus Blume, CSU–Wirtschaftsexperte und Abgeordneter im Bayerischen Landtag; für die Industrie sprach Andreas Klugescheid von der BMW Unternehmenskommunikation, dort zuständig für Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit.
Bei Wissenschaftsdebatten ist das Publikum, anders als bei vertikalen Podiumsdiskussionen, gleichberechtigter Partner der Fachexperten. Die erste Fragerunde ging an die Zuhörer: „Toyota will bis 2050 nur noch Wasserstoffhybride anbieten, ein Weg auch für BMW?„, wollte eine Teilnehmerin wissen.
„Ja, das können wir uns vorstellen„, versicherte Klugescheid. Im weltweit tätigen Konzern mit Verantwortung für 116 000 Arbeitsplätze werde viel über die Energie– und Klimafrage nachgedacht. Die BMW Group prüfe neben der Optimierung herkömmlicher Verbrennungsmotoren energietechnische Alternativen, sagte Klugescheid, und habe in diese bereits Milliarden investiert. Eine kritische Frage zu den Katalysatoren der Firma wollte der BMW–Sprecher ohne Rücksprache mit der Technikabteilung nicht beantworten.
Als automobiltechnische Innovation kündigte er an: Der vollelektrische i3, seit zwei Jahren am Markt, hat Nachfolger. Der Minivan und der 2er werden demnächst als an der Steckdose aufladbare Plug–in–Hybride erhältlich sein. Auf die Frage nach den für Viele unerschwinglichen Preisen antwortete Klugescheid: „Wir machen das Angebot, der Konsument entscheidet„, aber: Der müsse ja gar kein Auto mehr besitzen. Bei Bedarf könne er in vielen Großstädten der Welt bald BMW Plug–ins ausleihen.
Der Autokonzern bläst derzeit zu einer großen Carsharing–Offensive. Shared Economy als Mittel, den überbordenden Ressourcenverbrauch und das Wachstum einzudämmen, mit bereits einer halben Million BMW–Kunden, so Klugescheid. Das Unternehmen verabschiede sich vom klassischen Geschäftsmodell. Statt Autos verkaufe es künftig Mobilität.
Städte autofrei oder smarter Verkehr?
Das überzeugte die kleine Umweltpartei ÖDP, im Münchner Stadtrat sowie im Europaparlament vertreten, wenig. Deren Sprecher, Klaus von Birgelen, verspricht sich von Elektroautos nichts. Mit den Möglichkeiten moderner Stadtplanung könne man auf Automobile ganz verzichten. Von den Autoherstellern, auch BMW verlangte er eine Rücknahme– und Demontage–Verpflichtung. Mutige Schritte der Systemveränderung seien verlangt, besonders von den kleineren Parteien, denn „große werden eher von Lobbyisten massiert„ als von Bürgern getrieben, kritisierte der ÖDP–Vertreter.
„Es machen sich ein paar zu gemütlich hier im Raum„, indem sie die alten Feindbilder Kapitalismus und Lobbyismus bemühten, parierte die CSU. Im Übrigen stehe seine Partei, so Markus Blume, voll hinter der „Dekarbonisierung als zentrale Aufgabe der Wirtschaft„. „Diese Megarevolution ist eine Riesenchance für Bayern und Deutschland„, fand er. Smarter Verkehr und smarte Energie verschmölzen zur intelligenten Mobilität, etwa in Gestalt selbstfahrender Autos, was neue Wertschöpfungsketten anstoße.
Gegen Ende der Debatte holte die Moderatorin, Maren Schüpphaus von dialogimpulse, parteipolitische und weltanschauliche Gräben überbrückend, Kooperationszusagen der Panellisten ein. So können CSU und ÖDP sich vorstellen, zusammen eine Ökosteuerreform zu beraten; Selinger und Moessner wollen die internationale Klimagerechtigkeit vorantreiben; zur Fortsetzung der Debatte steht bei BMW ein gemeinsamer Runder Tisch zu Energie und Mobilität im 21. Jahrhundert in Aussicht.
In seinem Schlusswort resümierte TELI–Vorsitzender Arno Kral, die Debatte habe viele Wege zur Stabilisierung des Klimas aufgezeigt: „Deshalb missen wir Energiewende künftig als Plural denken.„
Die TELI Live Wissenschaftsdebatte „It‚s the economy, stupid„ war Teil des 9. Münchner Klimaherbstes mit 70 Veranstaltungen. Die Debatte erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Gemeinsinn. Ein Video auf YouTube wird demnächst den Verlauf und die Ergebnisse dokumentieren.
Mehr dazu: www.wissenschaftsdebatte.de