© skitterphoto / Windkraft
© skitterphoto / Windkraft

Menasse kann schreiben, Windkraft kann er nicht

Eine mitreissende Replik auf Robert Menasse von Johannes Schmidt, BOKU-Professor für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung mit freundlicher Genehmigung von DiePresse, deckt schonungslos die Unwahrheiten und manipulative Polemik der Windkraftgegner auf

Das Surren der Windräder, lieber Robert Menasse, das erzeugt keine Gesundheitsfolgen, das können Sie nachlesen, in vielen Studien.

Robert Menasse hat ein Haus im Waldviertel und kann schreiben. Ich habe kein Haus im Waldviertel, komme aber von dort und kann nicht schreiben. Wenn Menasse sich aber in meinem Metier versucht, habe ich mir gedacht, versuche ich mich in seinem. Denn Robert Menasse kann schreiben, er kann aber nicht Windkraft.

Menasse hat also ein Haus im Waldviertel, und wie für viele ist für ihn das Waldviertel eine Alternative zum – na ja, wozu eigentlich, zum System? Im Waldviertel, da eifert man nicht dem Wachstum nach, außer in den Fachmarktzentren und Gewerbegebieten rund um die größeren Städte Horn, Waidhofen oder Zwettl, wo die dem Wachstum abgeneigten Waldviertler Wirtinnen ihre Zutaten einkaufen, um den gestressten Städtern in ihren Zweitwohnsitzen das Gefühl zu vermitteln, sie haben hier das wahre Leben gefunden und können sich sicher wiegen, der Salat zum Sonntagsschnitzel stammt nicht aus den Fachmarktzentren rund um die größeren Siedlungen im Waldviertel, und damit aus Spanien oder Übersee, sondern aus dem Garten der dem Wachstum abgeneigten Waldviertler Wirte. Das ist alles sehr schön, und auch sanft, nur der Zug, mit dem man in diese schöne, sanfte Landschaft wechseln kann, der ist zu langsam, weil man will doch schneller aus der gestressten Stadt im schönen, sanften Waldviertel ankommen; man darf keine Minute verlieren, um schnell genug draußen aus der Stadt zu sein und die Urbevölkerung am Land gegen den Zugriff der Windkraft zu verteidigen.

Für die Einleitung hat sich Robert Menasse viel Zeit gelassen, und auch für die Polemik, und so nehme auch ich mir heraus, mir für die Einleitung und Polemik Zeit zu lassen, denn die Substanz, auf die man antworten kann, ist dünn: Er stellt in den Raum, es würden Vögel im Stabmixer in blutigen Matsch verwandelt, lässt aber außer Acht, dass die Alternative zu den Windrädern die weitere Verwendung von Kohle, Öl und Erdgas ist. Und um diese zu fördern, reißen wir die Erde auf, bauen Pipelines und Straßen und verwandeln dabei nicht nur Vögel, sondern auch anderes Getier in Matsch und machen unser Klima noch heißer. Und daran sterben die Tiere auch, oft sogar aus. Rechnet man Tiermatsch gegen Tiermatsch auf, bildet also eine Tiermatschbilanz, dann geht diese positiv für die Windkraft aus.

Millionen Tonnen? Wenige Tausend Tonnen!

Und das Surren der Windräder, lieber Robert Menasse, das erzeugt keine Gesundheitsfolgen, das können Sie nachlesen, in vielen Studien, von unabhängigen Universitäten verfasst. Nicht nachlesen können Sie es aber vielleicht in den Unterlagen von Bürgerinitiativen, die angeblich von allen Interessen befreit, aber vielleicht trotzdem nicht immer vollumfänglich informiert argumentieren.

Die Millionen Tonnen Beton, mit der hier laut Menasse die Erde geimpft wird, um die Windräder zu errichten, verwandeln sich in wenige Tausend Tonnen Beton, rechnet man einmal nach. Aber Rechnen scheint nicht Menasses Sache zu sein. Selbst die SPÖ hat sich für ihre Wahlkommission jetzt jemanden geleistet, der rechnen kann. Vielleicht sollte Menasse sich bei ihm melden, denn er wirft der Windkraft auch vor, dass diese auf dem Markt nicht bestehen könne. Ich nehme es als Beweis, dass er den Medienkonsum in den vergangenen zwei Jahren eingestellt hat, was ihm nicht vorzuwerfen ist, viel Positives gibt es da nicht zu lesen, da doch lieber Waldviertel.

Jedenfalls sind die Preise an unseren Strommärkten so stark gestiegen, dass sich Windkraftanlagen auch auf dem Markt finanzieren lassen. Wir fördern sie trotzdem, um das Risiko für Betreiber zu senken und damit die Kosten für die Allgemeinheit. Dass Menasse aber auch auf ein Argument zurückgreift, das sonst nur blaue oder schwarze Politiker vorbringen, enttäuscht dann doch: Nur 1,8 % ­würde die Waldviertler Windkraft beisteuern zur österreichischen Stromerzeugung. Nun ja, bei knapp 5 % Anteil des Waldviertels an der Landesfläche bedeutet das hochgerechnet fast 40 % Anteil des Windstroms am Gesamtverbrauch, grob gerechnet, ich mache mir aber zumindest die Mühe, grob zu rechnen, anstatt gar nicht.

Dass Experten so einstimmig gegen diese Windkraft wären, dass ihr Ausbau Irrsinn wäre, überrascht mich, ich zähle mich zu diesen Experten und ich muss Sie enttäuschen, Robert Menasse. Die Experten sind oft klar für Windkraft, sie ist jene Form der Stromerzeugung, die am besten zu uns Waldviertlern passt, verzeihen Sie die Vereinnahmung, weil wir im Winter unsere sanften Bauernhöfe im Waldviertel heizen müssen, weil draußen der kalte Wind bläst, während im Sommer ein warmes, mittlerweile leider öfter schon sehr heißes Lüfterl uns erlaubt, uns im Freien aufzuhalten, nicht zu heizen, uns von der harten, ehrlichen Arbeit des Winters zu erholen und damit weniger Strom zu verbrauchen. Die Expertinnen sitzen nicht nur an den Unis, sondern auch in der Verwaltung des Landes, und die haben sich sehr genau überlegt, wo so wenige Vögel wie möglich zu Matsch werden, und wo es viele andere Gründe gibt, warum man keine Windräder bauen soll. An der Ausgestaltung darf und soll man Kritik üben, wir leben in einer Demokratie, aber auch im Auge behalten: Übrig geblieben sind nicht einmal 2 % der niederösterreichischen Landesfläche, auf der man Windkraft bauen darf in Niederösterreich.

Im Sommer ein gutes Gefühl und im Winter Gas aus Russland

Auch Interessen werden angesprochen, die ja hier nur einige wenige zu haben scheinen. Zweitwohnbesitzer im Waldviertel haben auf jeden Fall keine Interessen, Interessen hat nur die Windkraftindustrie oder die Landesregierung, vielleicht auch Bürgermeister (und wenige *innen) im Waldviertel. Politik ist der Ausgleich von Interessen, der gelingt uns aber immer weniger, weil wir die großen, gemeinschaftlichen Interessen gegen die kleinen, individuellen eintauschen: den Übergang zur Klimaneutralität, da kann man dagegen polemisch anschreiben, wie man will, den schaffen wir dann vielleicht noch irgendwie, wenn es uns gelingt, neue Infrastruktur zu bauen, damit wir die alte Infrastruktur, die das sanfte Waldviertel in Richtung Steppe heizt, verabschieden können. Stromleitungen und Windräder, zum Beispiel. Aber die große, gemeinschaftliche Erzählung zieht nicht mehr, wir wollen lieber in unseren individuellen Einfamilienhäusern am Land Fotovoltaik aufs Dach knallen und Paradeiser im Garten ziehen, um im Sommer ein gutes Gefühl und im Winter Gas aus Russland zu haben.

Das bedeutet nicht, dass wir den Ausbau der Windkraft nicht transparenter machen, mehr Beteiligung ermöglichen und genau hinschauen können, wenn Bürgermeister (und wenige *innen) oder andere Entscheidungsträger sich individuell ungerechtfertigt bereichern. Beteiligung bedeutet aber auch, willens zu sein, sich zu informieren und den richtigen Kompromiss zu suchen. Robert Menasse, ich schlage Ihnen also vor, wir treffen uns in einem Café in einem Fachmarktzentrum am Rande einer größeren Waldviertler Siedlung, vielleicht Horn, da komm ich her, da kenn ich mich aus, und wir diskutieren das alles noch einmal in Ruhe. Gerne auch im Sommer, im Freien, da versüßt uns das Rauschen der Bundesstraße, die noch keine Autobahn ist, das Gespräch.

Über den Autor

Johannes Schmidt (*1981) ist assoziierter Prof. in Energie- und Ressourcenökonomie am Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er leitet u. a. das Projekt „Netzero2040.at“, in dem Szenarien für die Klimaneutralität entwickelt werden.

Die Original-Replik erschien hier auf den Seiten von DiePresse, nachdem DiePresse zuvor den zurecht kritisierten Artikel von Menasse abgedruckt hat.


Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /