©  Johanna Nocke (Geschäftsführerin Wandel.Handel), Akademiedirektor Prof. Dr. Jörg Hübner und der Vorstandsvorsitzende des Förderkreises Thomas Weise
© Johanna Nocke (Geschäftsführerin Wandel.Handel), Akademiedirektor Prof. Dr. Jörg Hübner und der Vorstandsvorsitzende des Förderkreises Thomas Weise

Und was teilen Sie?

Der Akademiepreis der Evangelischen Akademie Bad Boll wurde an die Verbraucherinitiative Wandel.Handel aus Stuttgart-Ost verliehen – als Beispielort für gelebtes Teilen und alternatives Wirtschaften.

Die Idee des Teilens erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance. In der „Sharing Economy“ geht es nicht um Eigentum, sondern um Zugang zu Dingen und Dienstleistungen. Es geht um Teilhabe – und damit um das, was auch an der Evangelischen Akademie Bad Boll täglich verhandelt wird. Die Akademie legt daher in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf das Thema Teilen. In Video-Clips, Podcast-Episoden und Veranstaltungen taucht immer wieder die Frage auf „Und was teilen Sie?“. Auch der Fokus des vom Förderkreis der Akademie ausgelobten Akademiepreises liegt in diesem Jahr auf Projekten, Initiativen und Unternehmen, die das Teilen in den Mittelpunkt ihres Handels stellen.

Im Eröffnungsimpuls der Preisverleihung hob der Direktor der Akademie, Prof. Dr. Jörg Hübner, hervor: „Teilen macht nicht arm, sondern reich, indem es neue Beziehungen schafft.“ Es gehe darum, andere Wege für die notwendige Transformation zu einer nachhaltigeren und gerechteren Gesellschaft und Wirtschaft zu finden. Und damit gehe es im Kern um die Frage des guten Lebens für alle. Die „Sharing Economy“ sei ein wichtiger Baustein in diesem Prozess. Hier werde schon heute ganz konkret und in diversen Ausformungen in diese Richtung gearbeitet. Besonders anschaulich wurde dies mit Blick auf die Preisträger*in des Akademiepreises 2022: Die Verbraucherinitiative Wandel.Handel erhält den mit 2.500 ¤ dotierten Preis für Planung und Umsetzung ihres Mitgliederladens im Stuttgarter Osten. Die Idee hinter dem Mitgliederladen, der auch ein Sospeso-Café sowie eine Bildungsplattform beheimatet, habe die Jury beeindruckt. Es sei gelungen, „auf eine clevere Art“ bestehende Initiativen zusammen zu führen und eine gerechte Art der Preisgestaltung zu etablieren, so der Vorsitzende des Förderkreises der Akademie Thomas Weise in seiner Laudatio. In dem Laden sei es möglich, dass Menschen mit wenig Einkommen unverpackt und regional einkaufen oder einen Kaffee in Gemeinschaft trinken können. Die Wandel.Handel-Geschäftsführerin Johanna Nocke nahm den Preis entgegen und bedankte sich für die Wertschätzung, die sie stellvertretend für das Projekt „der gelebten Gemeinschaft in der Nachbarschaft“ erfahren durfte. Es müsse noch viel passieren, Reden allein reiche nicht aus, sagte Nocke in ihrer motivierenden Dankesrede. Aber „wenn wir ins Handeln kommen, können wir unseren Handabdruck vergrößern und unseren Fußabdruck verkleinern“. Und: „Wenn wir heute anfangen zu handeln, sind unsere Ziele morgen schon ein kleines bisschen mehr Realität. Worauf warten wir also?“

Im Rahmenprogramm der Preisverleihung wurden anhand anschaulicher Beispiele aus der gelebten Praxis weitere Aspekte des Teilens deutlich. Dazu versammelten die beiden auf nachhaltiges Zusammenleben und Wirtschaftsethik spezialisierten Studienleitenden Dr. Kerstin Renz und Dr. Bernhard Preusche im Rahmen einer Podiumsdiskussion drei Repräsentant*innen der Sharing Economy: Jan Lutz vom Stuttgarter Carsharing-Unternehmen Stadtmobil betonte, Teilen brauche eine „Critical Mass“ als Basis, eine gewisse kritische Masse, damit es ansteckend wirke. Anhand mitgebrachter Spielzeugautos zeigte er, dass ein Sharing-Fahrzeug 100 Meter zugeparkten Straßenrand ersetze. Das Ziel von Stadtmobil sei, die Anzahl der Autos auf den Straßen zu reduzieren, ohne Komfortverlust für die Nutzenden.

Ricarda Ihmenkamp vom Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de wies auf die Stärken digitaler Tools im Zusammenhang von Sharing-Prozessen hin. So könnten sich Ideen und Angebote schnell und unkompliziert verbreiten und lokale Gemeinschaften gestärkt werden. Damit würde auch der zunehmenden Anonymisierung und Vereinsamung in der Gesellschaft Vorsorge geleistet. Ihmenkamp sagte: „Die Zukunft liegt im Lokalen.“ Insbesondere die Corona-Pandemie habe das gezeigt.

Hier schließt das Vorhaben Constantin Wizemanns vom Coworking Space Wizemman.Space IMPACT Hub, Stuttgart, an. Er bietet Räume für Menschen an, die zusammenkommen und ihre Ideen gemeinsam vorantreiben wollen, „um zusammen etwas zu bewirken“. Dabei setze er auf ein Konzept, das sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) orientiere. Wizemann spricht von Werten, die schon sein Großvater in der familieneigenen Gießerei etabliert habe und die heute im Wizemman.Space IMPACT Hub weitergelebt würden: vorhandene Infrastruktur nutzen bzw. teilen, Ideen entwickeln und Austauschen, einander helfen.

Dass Teilen auch „ans Herz“ geht, machte zudem die persönliche Geschichte von Hiltrud Elbert-Fano deutlich. Im Gespräch mit Dr. Bernhard Preusche berichtete sie lebhaft davon, wie sie und ihre Familie kurz nach Anbruch des Angriffskriegs gegen die Ukraine spontan entschieden haben, ihre 4-Zimmer-Wohnung mit einer Ukrainerin zu teilen. Die Wohnsituation gestaltete sich dadurch komplett neu, Kompromisse musste gefunden werden, aber das Leben der Familie wurde auch vielfältiger, Sichtweisen erweiterten sich. Für Frau Elbert-Fano äußert sich wahrhaft menschliches Teilen nicht dadurch, dass vom Überfluss abgegeben werde, bspw. wenn Millionäre eine großzügige Spende machen. Es seien vielmehr die Gesten, durch die Lebensnotwendiges aufrichtig mit anderen geteilt werden, die der Lebenshaltung des Teilens Tiefe geben.

Wie diese Haltung ganz direkt in die Körper und die Emotionen übergehen kann, demonstrierte der Stuttgarter Pianist und Komponist Sebastian Bartmann eindrücklich anhand einer experimentellen Klanginstallation, die das gesamte Auditorium der Preisverleihung einbezog. Er teilte einige wenige Klaviertöne, die von den Gästen per Smartphone aufgezeichnet wurden und dann jeweils „achtsam“ in Eigenregie abgespielt wurden. Es entstand ein intensiver Klangteppich, auf dem sich die Zuhörer*innen zwischen Momenten der Stille und gemeinsamen Töne hin-und-her bewegten – eine einmalige geteilte Erfahrung.

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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /