© photoshopper24 Bela Geletneky - pixabay.com
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Klimaschutzlähmung in Österreich

Ein aktuelles Nowcasting für 2019 zeigt, dass die österreichischen Treibhausgas-Emissionen gegenüber 2018 wieder ansteigen. Klimaforschung, Umweltschutzorganisationen und KlimaaktivistInnen fordern rasches politisches Handeln.

Wien - Wie kann Bewegung in die bisherige politische Lähmung kommen? Der am 4. November in Begutachtung gebrachte Nationale Energie- und Klimaplan (NEKP) ist nicht dazu geeignet, den Übergang zu einer nahezu treibhausgas-emissionsfreien und klimarobusten Wirtschaft und Gesellschaft im Einklang mit den Pariser Klimazielen zu ermöglichen. Es braucht grundlegende Verbesserungen, darüber sind sich die Klimawissenschaft, GLOBAL 2000, WWF Österreich, Klimavolksbegehren und Fridays For Future einig.

Über siebzig ExpertInnen der Klima-und Transformationsforschung haben im vergangenen Halbjahr einen Referenzplan als Grundlage für einen wissenschaftlich fundierten und mit den Pariser Klimazielen in Einklang stehenden Nationalen Energie- und Klimaplan für Österreich (Ref-NEKP) erarbeitet. Dieser wurde im September 2019 öffentlich vorgestellt und in das Nationale Klimaschutzkomitee (NKK) eingebracht (Details ccca.ac.at/refnekp).

Das zentrale Ziel war, die bis Ende 2019 für den Erfolg des Klimaschutzes 2021 bis 2030 entscheidend notwendigen Verbesserungen im offiziellen NEKP für Österreich zu unterstützen. Während der Ref-NEKP und NKK Stellungnahmen der Wissenschaft als sachliche Grundlage breit und positiv zur Information und Meinungsbildung in Österreich beigetragen haben—und den Weg mit bereitet haben, dass nun Koalitions-verhandlungen starten, in denen auch die Lösung der Klimaschutzlähmung Thema ist—wurde das genannte zentrale Ziel nahezu vollständig verfehlt: der Fingerabdruck im vorliegenden NEKP ist marginal.

Aus diesem Anlass haben heute bei einer Pressekonferenz in Wien der Vertreter der Wissenschaft im NKK und Initiator des Ref-NEKP (Gottfried Kirchengast, Universität Graz) und führende VertreterInnen von Umweltschutzorganisationen (Johannes Wahlmüller, GLOBAL 2000, und Hanna Simons, WWF Österreich) und Klimaaktionsbewegungen(Katharina Rogenhofer, Klimavolksbegehren, und Johannes Stangl, Fridays For Future) zur akuten Klimaschutzlähmung in Österreich Stellung bezogen. Sie taten dies aus Sicht der Wissenschaft und aus Sicht der Klimaaktion entlang der folgenden fünf Fragen.

Was sind die lähmenden Defizite des aktuellen NEKP, sodass er in Richtung der Pariser Klimaziele versagt?

Dazu Klimaforscher Gottfried Kirchengast, dessen neue Stellungnahme des Vertreters der Wissenschaft im NKK zum aktuellen NEKP samt Beilagen unter www.wegcenter.at/downloads online steht: „Das strukturelle Grundproblem ist, dass im Vergleich zu den 1990er Jahren die österreichischen Treibhausgas-Emissionen weiterhin stagnieren statt sinken, plakativ als Klimaschutzlähmung bezeichnet: unsere ganz aktuell vorliegende erste Schätzung für die Emissionen 2019 zeigt, dass sie voraussichtlich gegenüber 2018 wieder auf über 80 Millionen Tonnen ansteigen. Das lähmendste Defizit am vorliegenden NEKP aus diesem Blickwinkel ist, dass weder das Politikziel von 36 Prozent statt mindestens 50 Prozent Emissionsabbau bis 2030 für den Pariser Klimazielweg ausreicht, noch die vorgesehenen Maßnahmen ernsthaft genug sind, um eine Chance zu haben, auch nur Richtung 30 Prozent zu kommen.“

Was sind aus Sicht der Umweltschutzorganisationen (NGOs) zentrale Aktionsbereiche für ein Einschwenken auf den Pariser Klimazielweg?

„Für die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 ist der aktuelle NEKP Konsultationsentwurf keine geeignete Basis für ambitionierten Klimaschutz in Österreich. Es fehlt an konkreten Maßnahmen und der Finanzierung. Vor allem im Verkehrs- und im Gebäudebereich klafft eine große Lücke zwischen den gesteckten Zielen und den dargestellten Maßnahmen. Bis zu 8,7 Mrd. Euro an Strafzahlungen drohen, wenn nicht nachgebessert wird. Die Bundesregierung um Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein darf einer zukünftigen Regierung keinen Scherbenhaufen hinterlassen. Ohne wirksamen Klimaplan werden milliardenschwere Strafzahlungen riskiert und damit die öffentlichen Finanzen gefährdet. Stattdessen muss der Klimaplan nachgebessert und mindestens eine Klimaschutzmilliarde im nächsten Bundesbudget vorgesehen werden. Investitionen in den öffentlichen Verkehr, thermische Sanierung und Heizkesseltausch, oder auch der Ausbau sicherer Radinfrastruktur, bringen unser Land voran und entlasten die Klimabilanz. Die aktuelle Bundesregierung kann jetzt zeigen, dass sie wirklich aus unabhängigen ExpertInnen besteht“, sagt Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher von GLOBAL 2000.

„Die Zeit drängt, jede weitere Verzögerung wird teuer und schadet Mensch und Natur. Daher muss die künftige Bundesregierung den Klimaschutz zur absoluten Priorität machen. Österreich muss klimafit und naturverträglich regiert werden. Alle Maßnahmen müssen kompatibel mit dem Pariser Abkommen sein“, fordert Hanna Simons, Leiterin Natur- und Umweltschutz beim WWF Österreich. „Wir brauchen eine echte ökologische Steuerreform, die sowohl die Menschen als auch die Umwelt entlastet. Entscheidend dafür ist eine Klimaprämie, die aus einer sozial und wirtschaftlich gerechten CO2-Bepreisung finanziert wird. Parallel dazu gehören umweltschädliche Subventionen in Milliardenhöhe abgebaut und reformiert“, sagt Simons. Der CO2-Ausstoß ist viel zu hoch, der Natur- und Ressourcenverbrauch immens. Diese wissenschaftlichen Fakten dürfen nicht länger ignoriert werden. Daher müsse auch der lückenhafte Energie- und Klimaplan vollständig repariert werden. „Wenn die Beamtenregierung dazu nicht in der Lage ist, muss der Nationalrat aktiv werden“, fordert die Vertreterin des WWF abschließend.

Was will und kann das Klimavolksbegehren zur Überwindung des bisherigen Politikversagens beitragen?

Die Koordinatorin und Sprecherin des Klimavolksbegehrens Katharina Rogenhofer betont: „Ein unzureichender Nationaler Energie- und Klimaplan ist nach einem Jahr Klimabewegung wie ein Schlag ins Gesicht. Jetzt treffen sich ÖVP und Grüne bald am Verhandlungstisch. Für die Klimapolitik kann das eine Chance sein. Wir brauchen aber nicht nur ein mutiges Regierungsprogramm, sondern auch einen parlamentarischen Schulterschluss zum Thema Klima. Mutige Klimapolitik lebt allerdings nicht von leeren Versprechen, hier muss ein klarer Plan vorgelegt werden. Dieser hat bisher immer gefehlt. Deshalb ist es jetzt auch an uns allen, diesen einzufordern. Das Klimavolksbegehren gibt uns die Möglichkeit, uns öffentlich für mutigen Klimaschutz auszusprechen. Und das gilt nicht nur für die Zivilgesellschaft. Es müssen sich nun endlich alle PolitikerInnen, egal auf welcher Ebene und alle ParlamentarierInnen öffentlich dazu bekennen – sind sie gegen Klimaschutz oder für ein faires und nachhaltiges Österreich? Alle, die mit uns den Weg der mutigen Klimapolitik gehen wollen, müssen das auch öffentlich einfordern und das Klimavolksbegehren unterschreiben, um den nötigen Druck aufzubauen.“

Wie will die Klimaaktionsbewegung Fridays For Future noch wirksamer bahnbrechend Wegbereiter sein?

Der Mitgründer und Sprecher von Fridays For Future Wien, Klimaaktivist Johannes Stangl stellt dazu sehr deutlich fest: „Die Unfähigkeit der österreichischen Politik, einen 1.5 °C konformen Klimaplan vorzulegen, ist ein Skandal und eine Missachtung der Zukunft junger Menschen. Hier zeigt sich, dass trotz zehn Monaten des lautstarken Protests die Dringlichkeit der Lage noch immer nicht in die oberen Ränge der österreichischen Politik vorgedrungen ist. Die Zivilbevölkerung wird sich eine weitere Abspeisung mit billigen Ausreden und den Aufschub zielführender Maßnahmen nicht gefallen lassen.“ Und er informiert: „Die Fridays For Future Bewegung in Österreich bekommt gewaltigen Zulauf. Beinahe wöchentlich kommen neue Allianzen hinzu, so zuletzt die Doctors For Future auf Initiative des Mediziners Hans Peter Hutter und die Workers For Future, die dazu beitragen werden, den Klimastreik zum Arbeitsstreik zu machen. Bereits für den nächsten Weltweiten Klimastreik am 29.11. rufen die Workers For Future die arbeitende Bevölkerung zu einer Solidaritätsaktion auf. Derzeit werden Fridays For Future SchülerInnen-Komitees an den Wiener Schulen gebildet und die Students For Future formen neue Untergruppen an allen Universitätsstandorten.“ Abschließend blickt Stangl nach vorn und appelliert: „Da Österreich offensichtlich dazu gezwungen werden muss, das Notwendige zu tun, wird sich die Fridays For Future Bewegung in Zukunft verstärkt auf die europäische Ebene konzentrieren, um die gesetzliche Verankerung von angemessenen Klimazielen auf EU-Ebene zu erreichen. Wir werden nicht müde werden, das Politikversagen in Sachen Klimaschutz zu verurteilen. Wir haben eine Zukunft zu gewinnen. Schließt euch uns an und tretet für eure Zukunft und die eurer Kinder ein: #NotMyKlimaplan“

Und auch bei etwas Grunderfolg: Welche Konsequenzen zieht man, wenn das zentrale Ziel verfehlt wird?

Hier sieht der Initiator des Ref-NEKP Gottfried Kirchengast den Grunderfolg, dass nicht zuletzt auch die Informationen der Wissenschaft zu mehr Bewusstsein für eine ernsthafte sozial-, wirtschafts- und umwelt-gerechte Klimapolitik auch in Österreich beigetragen haben (Stichwort Koalitionsverhandlungen). Er sieht aber konkret beim NEKP am derzeitigen Stand eine „rote Linie“ überschritten und erklärt: „Österreichs Politik hat es trotz all unserer Bemühungen verabsäumt, den NEKP noch vor der Übermittlung bis 31. Dezember an Brüssel erfolgsfähig zu machen. Die Chancen in den letzten Wochen noch etwas zum Besseren zu wenden sind minimal. Ich habe ja seitens der Wissenschaft diese Bemühungen angeführt, wir haben alles Wesentliche gesagt und trotzdem wurde das zentrale Ziel der NEKP-Verbesserung verfehlt. Aus meiner Sicht ist damit wirklich eine rote Linie der politischen Verantwortungslosigkeit überschritten. Meine persönliche Konsequenz: weil eigentlich alles gesagt ist, und nun die Politik dran ist zum Handeln, werde ich ab sofort meine persönliche Öffentlichkeitsarbeit für das Thema fast vollständig einstellen und nur mehr Freitags-Fünf-nach-Zwölf Beiträge einbringen. Bis entweder Österreich im NEKP oder die Von der Leyen-Kommission EU-weit die Verbesserung des 2030 Klimaziels auf mindestens 50 Prozent erreicht.“

Weitere Informationen finden Sie hier.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /