© Gerd Altmann / geralt- pixabay.com
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Atomunfall in Russland

Gefährliche Bombenspiele

Die IPPNW fordert eine vollständige Aufklärung über den offenbar atomaren Waffenunfall im Norden Russlands. Dafür solle sich Deutschland einsetzen. Zudem appelliert die ärztliche Friedensorganisation an die Bundesregierung, dem aktuellen atomaren Wettrüsten in Europa Einhalt zu gebieten. Atomgetriebene Raketen müssten verboten werden.

Gestern wurde bekannt, dass bei einer Explosion auf dem Atomwaffentestgelände in Njonoksa am Weißen Meer radioaktive Strahlung freigesetzt wurde, die offenbar auch die ca. 30 Kilometer entfernt liegende Großstadt Sewerodwinsk erreichte. Hier und im nahe gelegenen Archangelsk deckten sich Menschen mit Jodtabletten ein, um die Auswirkungen der freigesetzten Strahlung zu reduzieren. Der russische Wetterdienst bezifferte den Höchstwert der radioaktiven Verstrahlung auf 1,78 Mikrosievert pro Stunde – etwa dem 16-fachen der normalen Hintergrundstrahlung in der Region.

Noch ist völlig unklar, aus welchen radioaktiven Isotopen diese Strahlung zusammengesetzt war, wie weitreichend die radioaktive Kontamination war und über was für einen Zeitraum die Anwohner der erhöhten Strahlung ausgesetzt waren. Da zu der Zeit vor allem Südwinde herrschten, ist davon auszugehen, dass ein Großteil der radioaktiven Strahlung auf die nördlich gelegene Kola-Halbinsel und die Barentssee entfallen sein dürfte. Teile des Weißen Meers seien laut russischen Nachrichtenquellen für absehbare Zeit aus militärischen Gründen gesperrt worden. Laut Interfax empfahlen die russischen Behörden den 450 Bewohner*innen des Dorfes Njonoksa ihren Wohnort zu verlassen.

Die russische Atombehörde Rosatom, die sowohl für die militärische als auch die zivile Atomindustrie des Landes verantwortlich ist, sprach von bislang fünf Todesopfern und mindestens drei Verletzten, die aktuell in Moskau in Spezialkrankenhäusern behandelt werden. Rosatom bestätigte zudem, dass die Rüstungsexperten in der Basis an „neuen Waffen“ arbeiteten. In der Vergangenheit war in russischen Staatsmedien immer wieder von Marschflugkörpern mit atomarem Antrieb die Rede.

Der Verdacht, dass es sich bei dem Unfall um eine atomar betriebene Rakete handelte, bestärkt die Sorge der IPPNW vor einem neuen atomaren Wettrüsten zwischen der NATO und Russland. Die Ärzteorganisation erinnert daran, dass Artikel VI des Atomwaffensperrvertrages alle Atomwaffenstaaten verpflichtet, ein Wettrüsten einzustellen, die totale Abrüstung anzustreben und Verträge auszuarbeiten, die diesen Abrüstungsprozess regulieren.

"Russland hat eine traurige Tradition im Vertuschen von Atomunfällen - von den zahlreichen Katastrophen in der Atomanlage in Majak über die Explosion eines Atom U-Boots in der Chasma Bucht, dem Super-GAU von Tschernobyl bis hin zu der Explosion in Tomsk", so IPPNW-Vorsitzender Dr. Alex Rosen. "Gleichzeitig sind Atomunfälle eine unvermeidbare Folge des atomaren Wettrüstens und auch die USA haben immer wieder Unfälle mit Atomwaffen und Atomanlagen erlitten." Rosen empfiehlt: "Russland und die USA müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren und das aktuell wieder aufflammende Wettrüsten einstellen. Wir brauchen in Europa keine neuen Atomwaffen, sondern eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur, Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen. Die Bundesregierung und die EU sind hier in der Pflicht, solche Gespräche zu vermitteln. Wir brauchen ein neues Helsinki, denn die Situation in der wir uns befinden, seit die USA den ABM- und den INF-Vertrag aufgekündigt haben, erinnert immer mehr an die Hochzeiten des Kalten Krieges."

Die IPPNW unterstützt die völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen und drängt die Bundesregierung zur Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages, der 2017 von 122 UN-Mitgliedsstaaten verabschiedet wurde und sich derzeit im Ratifizierungsprozess befindet. Deutschland boykottiert die Bemühungen zur Ächtung von Atomwaffen und verweigert bislang einen Beitritt zu dem Abkommen.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /