©  Parlamentsdirektion / Thomas Topf
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Nationalrat: Liste JETZT wirft Regierung Untätigkeit in Sachen Klimakrise und Artensterben vor

Nachhaltigskeitsministerin Köstinger kontert mit Verweis auf Zukunftsstrategie #mission2030

Wien – Unter dem Titel " Regierung ignoriert Artensterben und Klimakrise – mit Symbolpolitik zu Milliardenstrafen" stand gestern die vom Klub JETZT beantragte Aktuelle Stunde im Nationalrat. Wenn auf eine der größten Herausforderungen der Menschheit nicht sehr rasch, einschneidend und kompromisslos reagiert werde, hinterlasse man den Kindern eine "Kloake", warnte Klubobmann Wolfgang Zinggl mit drastischen Worten. Radikale strukturelle Maßnahmen seien notwendig, unterstrich auch Bruno Rossmann, der erneut eine ökosoziale und aufkommensneutrale Steuerreform einforderte. Auch die VertreterInnen von SPÖ und NEOS beklagten die Untätigkeit der politisch Verantwortlichen.

Die Regierung habe vom ersten Tag an Klimaschutzmaßnahmen eingeleitet und etwa bei den CO2-Emissionen, die im Jahr 2018 erstmals wieder gesunken sind, eine Trendwende geschafft, unterstrich Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger. Mit der #mission2030 liege eine umfassende Strategie vor, die in den nächsten Jahren konsequent umgesetzt werde.

Während der Rede von Bruno Rossmann kam es zu einer Protestaktion von StudentenvertreterInnen auf der Galerie, die Transparente enthüllten und "Klimanotstand jetzt" skandierten; die Sitzung musste kurz unterbrochen werden.

JETZT: Österreich klopft nur Sprüche und riskiert Milliardenstrafen auf Kosten der SteuerzahlerInnen

Noch nie waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Sachen Klimakrise dermaßen abgesichert wie dies derzeit der Fall ist, unterstrich Klubobmann Wolfgang Zinggl (JETZT). Dennoch habe es Vizekanzler Strache in einem Zeitungsinterview als offene Frage bezeichnet, inwieweit der Mensch das Klima beeinflussen könne, kritisierte Zinggl. Überdies stimmten die FPÖ-Abgeordneten im Europäischen Parlament regelmäßig gegen Anträge zum Klimaschutz. Ausrutscher finde man auch in den Reihen der ÖVP, wo etwa Abgeordneter Rudolf Taschner den Einfluss von CO2-Emissionen auf den Treibhauseffekt, den Schwund von Gletschern oder die Erhöhung des Meeresspiegels in Zweifel gezogen habe. Die nächsten Generationen müssten aber mit der Tatsache leben, dass dem Jahr 2050 wahrscheinlich kein Süßwasser aus den Gletschern mehr zur Verfügung stehen wird.

Im Gegensatz zu Österreich gebe es Länder in Europa, wo die Regierungen die Ausmaße der Krise verstünden und entsprechende Maßnahmen eingeleitet hätten, zeigte Zinggl auf. So wurden etwa in Schweden präzise Ausstiegsszenarien für die Industrie festgelegt und in der Schweiz bekommen all jene BürgerInnen einen Bonus, die sich klimafreundlich verhalten. Österreich "klopfe" jedoch nur Sprüche und sage, alles werde gut. Dies werde dazu führen, dass aufgrund des verpflichtenden Ankaufs von Emissionszertifikaten bald Strafzahlungen in Milliardenhöhe fällig werden, warnte er. Dazu kämen noch die verheerenden Schäden aufgrund von Überschwemmungen, Hagel, Trockenheit etc., die laut Schätzungen des Klima- und Energiefonds im Jahr 2050 bereits 9 Milliarden Euro an Kosten verursachen werden. Österreich sei zudem überdurchschnittlich stark vom Artensterben betroffen; so konnte etwa seit dem Jahr 1990 ein Rückgang bei den Wirbeltieren um 70 % festgestellt werden. Ähnliche katastrophale Entwicklungen gebe es bei den Insekten und Pflanzen, zeigte sich Zinggl besorgt. Der Natur sei es noch nie so schlecht gegangen wie heute, schloss sich Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT) den Ausführungen ihres Fraktionskollegen an. "Umweltschädliche Subventionen", durch die z.B. die Massenproduktion und Einfuhr von Hühnerfleisch aus der Ukraine gefördert werden, müssen daher sofort gestoppt werden.

Die Maßnahmen der Regierung seien völlig unzureichend, urteilte auch JETZT-Abgeordneter Bruno Rossmann. Er wies darauf hin, dass noch immer 67 % der gesamten in Österreich verbrachten Energie aus Öl, Kohle oder Gas stammt. Auch dem E-Mobilitätspaket konnte er wenig Positives abgewinnen, zumal der Anteil der neuzugelassenen E-Autos in Österreich bei bloß 0,4 % liege. Rossmann kündigte zudem an, dass seine Fraktion heute noch einen Entschließungsantrag einbringen wird, in dem es um das "brandgefährliche" ukrainische Atomkraftwerk Chmelnyzkyj geht.

Köstinger: Klimaschutz zentrales Anliegen der Regierung

Bundesministerin Elisabeth Köstinger räumte gegenüber Zinggl ein, dass in den Jahren 2015 bis 2017 die Treibhausgas-Emissionen wieder gestiegen sind, was vor allem auf den Verkehrsbereich zurückzuführen sei. Die Regierung habe daher seit ihrem Amtsantritt diesem Thema höchste Priorität eingeräumt und mit der Klima- Energiestrategie #mission2030 ein umfassendes Konzept vorgelegt. Ein Ergebnis davon sei, dass laut Eurostat die CO2-Emissionen im Jahr 2018 trotz eines anhaltenden Wirtschaftswachstums um etwa 1,1 % wieder gesunken sind. Dass diese Anstrengungen auch auf internationaler Ebene positiv bewertet werden, zeige die Einstufung im Globalen Energiewende-Index, wo Österreich mittlerweile am sechsten Platz von 115 untersuchten Ländern rangiert. Man versuche nun auch, im Rahmen der Steuerreform Lenkungseffekte einzuführen.

In den nächsten Jahren werden die Eckpunkte der Klimastrategie konsequent umgesetzt, kündigte Köstinger an. Als Beispiel führte sie an, dass bis 2030 der Strom zu 100 % aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen werden soll; das entsprechende Gesetz dazu sei in Vorbereitung. Mit vollem Engagement widme man sich auch dem Thema Atomenergie, das bedauerlicherweise in Europa wieder eine Renaissance erlebe. Deshalb trete man auch gegen die Inbetriebnahme der Reaktorblöcke 3 und 4 in Mochovce ein, wo es gravierende Sicherheitsmängel geben soll. Die Verwendung von Nuklearenergie darf zudem nicht auf Klimaschutzmaßnahmen und Treibhausgasbilanzen anrechenbar sein, stellte Köstinger deutlich klar. Österreich bekenne sich daher voll und ganz zum Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Was das besorgniserregende Artensterben anbelangt, so wurden diverse Maßnahmen eingeleitet, wie z.B. die Reduktion von Plastik oder die Ausarbeitung einer Biodiversitätsstrategie. Seit Jahren nehmen über 80 % der landwirtschaftlichen Betriebe am ÖPUL-Programm teil, wodurch Österreich ein Vorreiter in Europa sei. Insgesamt werden pro Jahr 266 Mio. ¤ in Agrarumweltschutzmaßnahmen investiert, teilte die Ressortchefin mit.

ÖVP und FPÖ: Österreich stellt wichtige Weichen mit der Klima- und Energiestrategie #mission2030

ÖVP-Abgeordneter Johannes Schmuckenschlager war überzeugt davon, dass die angesprochenen Probleme nur gemeinsam gelöst werden können, wobei jeder Staat seinen Beitrag leisten müsse. Die Ergebnisse des Biodiversitätsberichts der UNO seien in der Tat besorgniserregend, da sie einen dramatischen Rückgang der Arten- und Pflanzenvielfalt aufzeigen. Als Hauptursachen werde der Klimawandel, die Verbreitung gebietsfremder und invasiver Arten, die immer intensivere Landnutzung sowie die Abholzung von Wäldern genannt. Das Prinzip der Biodiversität müsse daher in allen Bereichen verankert und fester Bestandteil von Bebauungsplänen, Geschäftsmodellen, Wohnbauprogrammen, Fördermaßnahmen oder auch dem Finanzausgleich sein. Die Regierung sei aber sehr aktiv in diesen Bereichen und werde etwa mit dem Erneuerbaren Ausbau-Gesetz ein innovatives Instrument vorlegen, das starke Impulse setzen wird, meinte Abgeordnete Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP). Österreich sei aber ein kleines Land und könne alleine nicht die Welt verändern. Es könne auch nicht in unserem Sinn sein, die Wirtschaft so sehr zu belasten, dass sie in Staaten abwandert, wo die Standards viel geringer sind.

Die Themenauswahl für die Aktuelle Stunde sei wohl eher den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament geschuldet, zumal die Liste JETZT mit ihrem Kandidaten nicht richtig Fuß fassen konnte, urteilte FPÖ-Mandatar Walter Rauch. Sie biete aber auch die Gelegenheit, um klar zu sagen, dass die Freiheitlichen für die Einführung einer CO2-Steuer oder einer Citymaut, die Erhöhung der Benzinpreise oder die Abschaffung der Pendlerpauschale sicher nicht zu haben sind. Statt einer Belastungswelle für die BürgerInnen stehe die Regierung für eine Politik mit Hausverstand. Ebenso wie sein Fraktionskollege Maximilian Linder verwies er auf die #mission2030, die sinnvolle Maßnahmen wie z.B. die Begünstigung von Fahrzeugen mit geringerem CO2-Ausstoß, die Steuerfreistellung von Wasserstoff, Biogas und E-Bikes und E-Motorrädern, die in Firmen zum Einsatz kommen, enthalte. Insgesamt handle es sich dabei um ein Investitionsvolumen von 55 Mio. ¤. Linder befasste sich noch mit den Auswirkungen des Artensterbens, das auf viele Ursachen zurückzuführen sei. Leider werde in der Debatte aber oft nur der Landwirtschaft die Schuld gegeben. Das Thema Glyphosat zeige zudem, dass die Position der FPÖ in Bezug auf Europa, nämlich der Stärkung des Nationalstaats den Vorrang zu geben, die richtige sei.

SPÖ ortet türkis-blaues Versagen in der Klimakrise und fordert Ökologisierung des Steuersystems

Die drastischen Auswirkungen der Klimaerhitzung seien bereits jetzt weltweit zu beobachten, erklärte SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried, sie reichten von Wirbelstürmen, Dürren bis hin zum möglichen Verschwinden von ganzen Inselstaaten. Welche Effekte eine Erhöhung der Temperaturen um gar 2 Grad oder 3 Grad haben wird, sei kaum vorstellbar. Wenn die globalen Emissionen in den nächsten elf Jahren aber nicht um die Hälfte reduziert werden, werde man den maximalen Wert von 1,5 Grad-Erhitzung nicht einhalten können, wies er auf die Warnung des Weltklimarates hin. Trotz der europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Reduktion von Treihausgasen, steigen die Emissionen in Österreich aber noch immer. Dieses Versagen werde Österreich ca. 6 Mrd. ¤ kosten, zeigte Leichtfried auf, der meinte, dass der türkis-blauen Regierung die Klimakrise in Wahrheit egal sei. Verantwortlich für das Artensterben seien jene, die große Agrar- und Chemiekonzerne unterstützen, beklagte Leichtfried und forderte ein Verbot für den Einsatz von giftigen Spritzmitteln wie Glyphosat. Auch der Umweltsprecher der SPÖ, Klaus Uwe Feichtinger, machte auf das erneute Verfehlen der Klimaschutzziele aufmerksam und forderte nicht nur mehr nationales, sondern auch internationales Engagement wie z.B. hinsichtlich des Beitrags zum "Green Climate Fund". Für besonders bedauerlich hält er es, dass sich Österreich nicht an der beim EU-Gipfel in Sibiu beschlossenen Klimainitiative von acht Mitgliedstaaten beteiligen wird. "Frau Bundesministerin, Sie machen nachhaltig nichts und nichts Nachhaltiges", schloss Feichtinger.

NEOS beklagen Ahnungs- und Mutlosigkeit der Regierung

NEOS-Vertreter Michael Bernhard schloss sich der oppositionellen Kritik an der Regierung an und warf ihr Untätigkeit in den Bereich Arten- und Klimaschutz vor. Das massive Verschwinden von Arten spiele sich nicht nur irgendwo am Äquator ab, sondern betreffe alle österreichischen Bundesländer. Auch die Klimaerhitzung passiere vor "unserer eigenen Haustür", die Auswirkungen reichten von Dürreperioden bis hin zu Überschwemmungen. Besonders ärgerlich sei, dass der Finanzminister noch immer nicht bereit ist, eine echte Ökologisierung des Steuersystems einzuleiten, obwohl sich alle namhaften Ökonomen für eine CO2-Steuer aussprechen. Enttäuscht zeigte sich Bernhard auch von der Umweltministerin, die seit knapp zwei Jahren "herumschwurbelt" und "von Nichts redet". Es sei einfach unrichtig, dass Österreich in Sachen Artenschutz nichts machen könne. "Alles was Sie machen, ist nur ein Verdecken der Untätigkeit", resümierte der NEOS-Mandatar. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund, dass Österreich die größte Bioproduktion weltweit aufweise und bei der Energiegewinnung topographisch begünstigt sei, besonders schade, urteilte Karin Doppelbauer (NEOS). Außerdem hätte man die KonsumentInnen auf seiner Seite, dass sie im internationalen Vergleich besonders umweltbewusst seien.

Die fraktionslose Abgeordnete Martha Bißmann bezeichnete die Klimakrise als eine Überlebensfrage für die Menschheit. An der Spitze der Bundesregierung stehe aber leider "kein Unternehmer, sondern ein Unterlasser", der sich standhaft weigere, das damit verbundene Potential zu erkennen. Die Transformation in eine grüne Zukunft könne nämlich auch als riesige Chance gesehen werden, die von der Politik genutzt werden müsse. Das hätten schon längst viele hochrangige WirtschaftsvertreterInnen erkannt, die sich nicht nur mehr Mut von den Verantwortlichen wünschen, sondern längst schon selbst aktiv werden. So habe sich etwa das globale Industrieunternehmen Bosch dazu entschlossen, schon nächstes Jahr komplett CO2-neutral zu werden. Großes Engagement komme auch von Seiten der Jugend, der Kirche und der Wissenschaft, zeigte Bißmann auf, die Politik müsse endlich folgen.

Abgeordneter Efgani Dönmez, der ebenfalls keiner Fraktion angehört, plädierte für eine radikale Änderung des Wirtschaftssystems. Der Klimawandel sei ein Problem der Zivilisation und einer globalen Produktionsweise, die auf einem steten Wachstum und der Verbrennung von fossilen Energieträgern basiere. Chancen bieten sich dabei vor allem für jene österreichischen Firmen, die im Bereich der erneuerbaren Energie bereits viel Know-how besitzen, ist Dönmez überzeugt. Dieses Wissen sollte – auch im Sinne einer intelligenten Entwicklungshilfepolitik - auch in andere Länder exportiert werden.

Quelle: Parlamentskorrespondenz


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /