© Oekonews TA / Bohrtum der RAG (Anteilseigner EVN) in Stripfing
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Erdgas? Diese Brücke braucht es nicht mehr!

Artikel mit freundlicher Genehmigung von Elmar Grosse Ruse WWF-Verantwortlicher Klima und Energie, Schweiz sowie Schweizerische Energie-Stiftung

Zeitalter nach Paris

Vom Öl werden wir uns so oder so verabschieden müssen. Unser Klima verträgt es nicht, wenn wir es weiter zum Heizen, Autofahren und Fliegen verbrennen. Aber Erdgas? – Das ist doch «die freundliche Energie», behauptet zumindest die Branche. Doch was daran ist bloss freundlich? – Ein fiktives Streitgespräch.


Seit ein paar Jahren befinden wir uns im klimapolitischen Zeitalter «Nach Paris»: In der französischen Hauptstadt haben Ende 2015 alle UN-Staaten einstimmig beschlossen, die Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Die Staatengemeinschaft hat sich sogar auf die Erkenntnis geeinigt, dass wir global schon bald nicht mehr Treibhausgase verursachen dürfen, als menschliche Aktivitäten wie Aufforstungen wieder absorbieren.

Das Ziel ist «Netto-Null-Emissionen»

Dieses Ziel der «Netto-Null-Emissionen» erlaubt brutto allenfalls noch jene Emissionen – beispielsweise aus der Landwirtschaft –, die sich nach heutigem Wissen nicht komplett eliminieren lassen. Diese sind selbstverständlich durch negative Emissionen zu kompensieren. Was netto Null sicher nicht mehr erlaubt , sind relevante Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Rohstoffen – ganz egal ob Kohle, Erdöl oder Erdgas. Denn die lassen sich sehr weitgehend ersetzen.

Es geht seit Paris also bei langlebigen Infrastrukturen nicht mehr um «minus 20 %» oder «minus 30 %» – das, was man so erreicht, wenn man eine ölheizung durch eine Gasheizung ersetzt – sondern um (netto) null, zero, nada, niente CO2! Und damit gibts beim Erdgas ein Problem. Denn seine Emissionen sind nicht Null – noch nicht mal nahe Null.

Ist Gas mit dem Klimaziel vereinbar?

Sind wir in der Diskussion bis hierher gelangt, beeilt ihr aus der Gasbranche euch, zu betonen, dass der gasförmige Energieträger in den Pipelines, Heizungs- anlagen, Kraftwerken und Motoren ja nicht fossilen Ursprungs sein muss. Gas lasse sich ja eben doch mit Netto-Null-Emissionen vereinbaren!

Und ja – es ist richtig, dass in unserem Gasnetz prinzipiell auch ausschliesslich Biogas und synthetisches Gas (aus Wasser, nicht-fossilem CO2 und erneuerbaren Strom – das sogenannte «Power-to-Gas») fliessen kann. Und bei perfektionierten Prozessen in einer komplett erneuerbaren Welt wären die spezifischen Emissionen von Biogas und Power-to-Gas in der Tat nahe Null.

Der springende Punkt ist nun, bis wann die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen auf netto Null reduziert haben muss. Um das zu berechnen, halten wir uns an die Klimawissenschaft: Diese schätzt das global verbleibende Emissionsbudget zur Vermeidung katastrophaler Klimaveränderungen. Wir rechnen dieses auf die Schweiz herunter. Dabei gestehen wir der Fairness halber ausgehend vom Jahr 1990 jedem Menschen weltweit die gleichen Emissionsrechte zu. Zur Vereinfachung lassen wir die im Ausland für den Schweizer Konsum verursachten Emissionen ausser Acht – was der Schweiz sehr zugute kommt. Das Ergebnis: Spätestens 2040 müssen wir bei netto Null sein!

Knapp 20 Jahre für Netto-Null-Emissionen

Zwischenfazit: Es bleiben uns gut zwei Jahrzehnte für die fast vollständige Dekarbonisierung der Schweiz. Für öl ist daher definitiv kein Platz mehr. Gas aber liesse sich ja fast völlig CO2-frei erzeugen. Bloss wie schnell? – Heute stammen gerade mal 2% der Energie im Schweizer Gasnetz aus Biogas und 0 % aus Power-to-Gas! Selbst die ambitionierten Ziele von euch in der Gasbranche versprechen nicht mehr als rund 15% Biogas im Jahr 2030. Und selbst dabei hat noch kein einziger Gasversorger bislang einen realistischen Plan, das zu erreichen. Das heisst, wenn es gut läuft, haben wir 2030 – also bloss zehn Jahre, bevor wir schweizweit bei Netto-Null-Emissionen sein müssen – noch 85 % fossiles Erdgas in unserem Netz. Das entspräche bei gleichbleibendem Gasverbrauch rund 6 Millionen Tonnen CO2. Eine Gasversorgung auf dem Weg zu netto Null sieht anders aus...

Leere Versprechen und grosse Hoffnungen

Keine Frage – nichts spricht dagegen, diese 15 % Biogas zu nutzen, solange sie klima- und naturverträglich er- zeugt sind und vor allem aus dem Inland stammen. Schliesslich ist Biogas im Ausland genauso knapp – die Leitungen dort leerzukaufen, würde das Problem bloss verlagern. Wichtiger aber: Bis heute existiert kein System, womit der Klimanutzen von importiertem Biogas verlässlich über die Grenze transferiert würde. Also 15% Biogas gern – aber wie dekarbonisieren wir die restlichen 85% im Gasnetz? – In unserem Gespräch kommt nun entweder langes Schweigen – oder es schlägt die Stunde der Luftbuchungen und grossen Versprechen: Power-to-Gas wird es schon richten! Dass diese Technologie heute meilenweit von der Wirtschaftlichkeit entfernt ist, scheint Euch nicht zu beunruhigen. Dass wir beim heutigen Wirkungsgrad von Power-to-Gas die Stromerzeugung in der Schweiz nahezu verdoppeln müssten (zusätzlich zum Ersatz der AKW!), um sämtliches verbleibendes Erdgas mit einheimisch erzeugtem synthetischem Gas zu substituieren – scheint für euch kein Problem.

Blindes Vertrauen in Power-to-Gas

Nun bitte keine Missverständnisse! Die Power-to-X-Technologie, also die Umwandlung von nicht direkt benötigtem Strom in speicherbaren Brennstoff, Kraftstoff oder Wärme, ist eine sinnvolle, segensreiche Innovation. Es wird Sinn machen, sie gezielt einzusetzen. Aber wir wissen noch nicht, woher dieser Strom kommen soll, und in welchen Mengen, zu welchen Preisen und für welche Verwendungszwecke wir zwingend gasförmige oder flüssige Brenn- und Treibstoffe brauchen. Im blinden Vertrauen auf Power-to-Gas die heutige Gasinfrastruktur unangetastet zu lassen oder gar weiter auszubauen, zeugt jedenfalls nicht von Weitblick.

Denn mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werdet Ihr die Gasleitungen nicht im heutigen Umfang klima- neutral betreiben können. Wenn Ihr aber in den Aus- bau oder Erhalt der Gasinfrastruktur investiert, dann müssen diese auch lang genug betrieben werden, damit sie rentieren: neue Gasanschlüsse und Gasheizungen mindestens 20 Jahre, neue Gasleitungen sogar 50 Jahre.

Sobald Ihr in der Gasbranche dann erkennt, dass die Dekarbonisierung im Ausmass des heutigen Gasverbrauchs nicht annähernd klappt – ja, dann haben wir als Gesellschaft die Wahl zwischen teuren Investitionsruinen der öffentlichen Hand und dem weiteren Anfeuern des Klimawandels durch einen klimaschädlichen Gasmix.

Es braucht keine Gas-Brücke mehr!

Versteht dies bitte nicht falsch: Wir plädieren nicht für den vollständigen Rückbau des Schweizer Gasnetzes. Einen begrenzten Teil davon werden wir vermutlich auch langfristig brauchen – für jene 15% Biogas plus x % Power-to-Gas. Und für Power-to-Gas-Anlagen wird es auch neue Investitionen brauchen. Aber im Sinne des Klimaschutzes und der kommunalen Finanzen möge sich jeder von euch Gasversorgern gut überlegen, durch welche Teile seiner Gasinfrastruktur realistisch in rund 20 Jahren ausschliesslich praktisch CO2-freies Gas fliessen wird. Beim Rest ist in Alternativen zu investieren.
Erdgas ist schon lange keine Brücke mehr. Man baut keine Brücken, die man nach spätestens 20 Jahren komplett einreissen müsste. Und vor allem: Auf dem Weg zu Effizienz und Erneuerbaren gibt es heute gar keinen Abgrund mehr, für den es noch eine Brücke bräuchte.

Nachtrag Österreich/EU

Im offiziellen Auftrag der österreichischen Bundesregierung sucht die OMV derzeit wieder nach fossilen Energieträgern. In Österreich sind große Gasspeicher, doch sind diese im Besitz von Österreich? Welche große deutsche Versicherung ist an Gasleitungen in Österreich beteiligt? Biomasse-Verband und Fachverband Gas Wärme beschlossen eine Zusammenarbeit, um die vorhandene Gas-Infrastruktur künftig verstärkt auch für erneuerbares Gas zu verwenden, das zukünftig auch aus Holz gewonnen werden könnte.

Die RAG forderte Mobilität auf Gasbasis und die Gleichstellung der Technologie mit E-Fahrzeugstechnologie.

Eurogas, der Verband der europäischen Gasindustrie, beschäftigt sich mit dem Thema bei der Konfernez „Renewable gas: balancing our energy“ am 27. Oktober in Brüssel. Bei einer gleichhohen Nachfrage wie heute könnte in der EU im Jahr 2050 76% der Nachfrage regenerativ gedeckt werden. Eine andere aktuelle Untersuchung sieht nur 12%.


Artikel Online geschaltet von: / wabel /