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Es geht um 2050, die Gegenwart ist der steinige Weg dorthin

Kommentar von Robert Lechner, Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen

Wenn heute über das Paris Agreement diskutiert wird, werden in erster Linie unklare Begriffe wie ‘weitgehende CO2-Neutralität’ oder das ‘2-Grad-Ziel’ eingebracht. Was im Diskurs über die richtige Deutung dieser Begriffe gerne vergessen wird, ist die Tatsache, dass die in der UN versammelte Staatengemeinschaft in Paris einen für die Zukunft der gesamten Menschheit entscheidenden Beschluss gefasst hat: Die negativen Folgen des durch den Menschen verursachten Klimawandels müssen auf ein jetzt noch mögliches, vertretbares Ausmaß eingedämmt werden.

2 Grad – na und?

Erst jetzt kommt das 2-Grad-Ziel ins Spiel, welches im Übrigen von den allermeisten ExpertInnen als zu wenig ambitioniert betrachtet wird. Im Übrigen teilt dieses Bedenken auch die Staatengemeinschaft und deshalb enthält das Paris Agreement die seltsame Formulierung ‘2 Grad, besser 1,5 Grad’, was die Sache nicht verständlicher macht. Schon eine Erwärmung um ‘nur’ 2 Grad wird weltweit umfassende Veränderungen mit sich bringen: Das Verschwinden ‘kleiner’ Inselstaaten in der Größe österreichischer Bundesländer von der Landkarte, die Flutung küstennaher Gebiete, die Ausweitung der Wüstenzonen oder extrem trockener, heißer Gebiete oder große Verluste an Biodiversität weltweit sind nur eine kleine Auswahl bereits feststehender Konsequenzen, welche für die direkt Betroffenen fatale Konsequenzen mit sich bringen. Diesen Menschen wird schlichtweg die Lebensgrundlage entzogen, sie müssen ‘woanders’ hin. Aber auch bei uns wird sich vieles einschneidend verändern: Die Häufigkeit von wetterbedingten Extremereignissen wird sich wie jetzt schon bemerkbar deutlich erhöhen, die winterliche Null-Grad-Zone in den Alpen wird deutlich nach oben wandern und den Wintertourismus in vielen Regionen ad absurdum führen.

Galt bis jetzt die Konzentration auf die Reduktion des Heizwärmebedarfs, so ist davon auszugehen, dass künftig die sommerliche Übererwärmung von Gebäuden ein großes Problem darstellen wird. Davon betroffen sind vor allem ‘versiegelte Hitzeinseln’, wie sie in ganz Österreich in städtischen Gebieten anzutreffen sind. Damit kein Missverständnis aufkommt: Heizen werden wir trotzdem müssen. Auch diese Liste negativer Folgen von ‘nur 2 Grad Erwärmung’ ließe sich noch lange fortsetzen. Da verblassen die als positiv dargestellten Folgen, wie sie gerne von Klimawandelskeptikern ins Treffen geführt werden. Was bringt uns die Tatsache, dass sich aufgrund der klimatischen Veränderungen grundsätzlich die landwirtschaftlichen Nutzzonen ausweiten können, wenn sich noch häufiger als bisher Starkregenereignisse, Überschwemmungen oder Murenabgänge auf der anderen Seite der sprichwörtlichen Medaille finden? Diese Entwicklung kann niemand wollen, diese Entwicklung ist soweit es noch möglich ist, auf ein Minimalausmaß zu reduzieren. In Anbetracht der gegenwärtigen Ausrichtung von Weltwirtschaft, Konsumverhalten und einer explodierenden Weltbevölkerung stellen die damit zusammenhängenden Maßnahmen die wahrscheinlich größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte dar.

Weitgehend CO2-neutral – das sind wir doch, dafür haben wir doch schon so viel getan?

Womit wir beim schmerzhaften Kern der Sache angelangt sind. Eine durchschnittliche weltweite Erderwärmung im Ausmaß von 2 Grad Celsius ist nur dann möglich, wenn bis allerspätestens zur Mitte des Jahrhunderts die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf ‘weitgehend Null’ reduziert werden.

Über den Terminus ‘weitgehend’ kann leidenschaftlich gestritten werden, wobei eines klar ist: Fokussiert man auf ‘1,5 Grad’, dann sprechen wir tatsächlich von einer ‘CO2-neutralen’ Welt. Bei ‘2 Grad’ wird – je nach Interessenslage – angenommen, dass die Treibhausgasemissionen auf ein Ausmaß von fünf bis maximal 15 Prozent der Emissionen aus dem Jahr 1990 reduziert werden müssen. Ab diesem Zeitpunkt der Erkenntnis müsste es bei der Zielbeschreibung sehr einfach werden: Österreich war im Jahr 1990 für Treibhausgasemissionen im Ausmaß von rund 78,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent verantwortlich. Fünf Prozent davon sind 4 Millionen Tonnen, 15 Prozent ergeben 12 Millionen Tonnen. Null ergibt auch in dieser Rechenübung schlichtweg ‘Null’.

Die österreichische CO2-Bilanz ergibt laut aktuellster Prognose des Umweltbundesamtes für das Jahr 2015 knapp 78,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, Österreich ist am selben Stand wie vor 25 Jahren. Und das ist schlichtweg: Schlecht, beschämend, nicht akzeptabel. Die sektorale Aufteilung der Emissionen benennt klar die Verursacher dafür. Während der Gebäudesektor seine Emissionen um rund 40 Prozent (oder 5,1 Mio t) reduzieren konnte, sind die Emissionen im Verkehrssektor um rund 60 Prozent (oder 8,3 Mio t) gestiegen. Dass überhaupt die ‘Netto-Null’ erreicht werden konnte, ist Einsparungen im Bereich Landwirtschaft (1,5 Mio t), in der Abfallwirtschaft (1,2 Mio t) und dem Energie- und Industriesektor (1 Mio t) zu verdanken; bei den fluorierten Gasen ist ein leichter Anstieg in der Höhe von rund 0,5 Mio t zu bilanzieren. Alle Zahlen beziehen sich auf die aktuelle Schätzung des Umweltbundesamts für das Jahr 2015 (‘Now-Cast 2015’).

Aus der Sicht der Gebäudewirtschaft (besser: des Raumwärmebereichs) wäre also alles in Butter, gesamthaft ganz und gar nicht. Spätestens hier beginnt der ‘Kampf der Sektoren’, die sich unterstützt von ‘ihren’ Lobbyisten gerne die Schuld für das miserable Zwischenergebnis gegenseitig in die Schuhe schieben. Die einen verweisen dabei euphorisch auf ihre unglaublichen Erfolge, die anderen argumentieren damit, dass sie nur bedingt zur Verantwortung zu ziehen sind. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird jede noch so überzeugende Analyse zum Klimawandel und ihren Ursachen gezielt in Zweifel gezogen; jeder Versuch, ambitionierte und den Notwendigkeiten angemessene Maßnahmenprogramme zu entwickeln, wird durch eine ungewohnte Allianz aus extrem wirtschaftsliberaler Grundhaltung (Wachstum! Wachstum! Wachstum!) samt Nebengeräuschen (Weg mit den Reglementierungen!) und sozialpolitisch argumentierter Klientelpolitik ‘für den sogenannten kleinen Mann’ (Wir nicht – die anderen sind schuld!) samt gezielter Angstmache (Ausländer! Sozialschmarotzer!) torpediert und auf gut österreichisch: abgeschossen, bevor es noch ernsthaft diskutiert wurde. Und überhaupt: Noch im Jahr 2005 waren die Emissionen mit mehr als 90 Mio t deutlich höher, unser Anteil an der Welt ist verschwindend gering (siehe: Nebengeräusche, Angstmache, in weiterer Folge Verharmlosung) und vor allem: Bevor die anderen nichts tun … All das führt zu nichts, ist in Österreich (auch anderswo) eine altbekannte Strategie, die vor allem eines bewirkt: Stillstand, die aktuelle CO2-Bilanz Österreichs ist der beste Beleg dafür.

Gegen den Stillstand: CO2-Neutralität als gesellschaftspolitische Leitlinie

Zwischen Null und zwölf Millionen CO2-Äquivalent liegt – oberflächlich betrachtet – nicht viel, zwischen knapp 80 und 12 Millionen eine ganze Weltanschauung, mitsamt Wirtschaftssystem und allen dafür notwendigen Systemen des Stillstands. Als Erklärungsansatz dafür muss dann schon ganz tief in die Trickkiste gegriffen werden, die Lösung ist einfach: Der (durch den Menschen verursachte) Klimawandel findet gar nicht statt, ist von der Umwelttechnologie-Lobby erfunden oder gar von China. Wem stört es, wenn es ein bisschen wärmer wird? Auch hier gilt in Anbetracht von über 97 Prozent wissenschaftlicher Übereinstimmung schlichtweg: Schlecht, beschämend, nicht akzeptabel, ergänzt durch ‘Schwachsinn’.

Gehen wir davon aus, dass der Klimawandel stattfindet, dass wir aus einer reinen Vernunftüberlegung allerhöchstens zehn Prozent oder 8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zur Verfügung haben. Und dass wir alles unternehmen müssen, dass wir unsere heutigen Emissionen zumindest auf dieses Maß reduzieren müssen. Die wichtigste Frage lautet nicht – aus heutiger Perspektive – wie schaffen wir das? Die wichtigste Frage lautet: Was machen wir mit unseren 8 Millionen Tonnen im Jahr 2050? Erst die Beantwortung dieser Frage kann uns den Weg weisen, wird die Grundlage für sämtliche Strategien und darauffolgende Maßnahmenprogramme und Investitionsentscheidungen sein. Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage sollten natürlich die vorhandenen Erkenntnisse und Analysen sein. Und da wird schnell klar, wofür wir auch im Jahr 2050 noch Treibhausgase exmittieren werden. Ernährung und Arbeit. Besser gesagt: Land- und Viehwirtschaft (Methan) und Industrie und Produktion mit prozessbedingter Notwendigkeit im Hochtemperaturbereich (Gas, Strom). Hoffentlich nicht für den Verkehr (berufsbedingt, freizeitbedingt), die Abfallwirtschaft. Mit Sicherheit nicht für den Gebäudebereich.

Ein paar Zahlenspiele mit ernstem Hintergrund dazu: Österreichs Landwirtschaftssektor ist derzeit für genauso viele Treibhausgasemissionen verantwortlich wie der Gebäudebereich; beide emittieren jeweils etwa 8 Millionen Tonnen. Das wäre also schon ein schneller Lösungsansatz: Wir lassen bei der Landwirtschaft alles wie es ist und alle anderen Sektoren müssen ihre Emissionen auf Null stellen. Oder eben beim Gebäudesektor. Bei der Landwirtschaft macht mehr als die Hälfte davon der Vergärungsprozess (Methan) bei den Wiederkäuern (Milch, Fleisch) aus. Knapp 3,5 Millionen Tonnen an Emissionen des Gebäudesektors verursachen die immer noch vorhandenen Ölheizungen. Würden wir alles so lassen, wie es jetzt ist, dann macht das in Summe genau die acht Millionen Tonnen aus, die wir vielleicht Mitte des Jahrhunderts verbrauchen dürfen. Also: Landwirtschaft und Gebäudesektor halbieren ihre Emissionen, alle anderen Sektoren müssen zur Gänze auf ihre Emissionen ‘verzichten’, und deshalb entweder aus dem Wirtschaftssystem genommen werden oder zu 100 Prozent auf erneuerbare Energieträger umstellen. Mit Verlaub: Das ist nicht realistisch.

Was ist ihnen lieber? 620.000 ölbeheizte Wohnungen oder Milch/Käse/Fleisch aus der österreichischen Landwirtschaft?

Die einfache Antwort auf diese schnelle Analyse lautet also: Raus aus der Ölheizung, und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. Im Neubau von Wohnungen / Einfamilienhäusern müsste dafür sofort ein Verbot ausgesprochen werden und spätestens bei der Notwendigkeit zum Tausch vorhandener Ölkessel dürfte auch kein neuer mehr eingebaut werden. Alternativen gibt es genug und die CO2-Bilanz des Gebäudesektors wäre nahezu halbiert. Umsetzungsdauer: Ca. 30 Jahre, wenn sofort begonnen wird. So lange hält in etwa ein Ölkessel, bevor er ausgetauscht werden muss. Und bis heute werden sie eingebaut.

Weitaus schwieriger ist der nächste Schritt: Knapp 900.000 Wohneinheiten werden mit Erdgas beheizt, welches im Gebäudesektor für rund 3,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent verantwortlich ist. Erdgas ist jener fossiler Energieträger, der im Vergleich zu Öl oder Kohle geringere CO2-Emissionen emittiert und gleichzeitig einen hohen Energieinhalt (Brennwert) besitzt. Und genau diese Eigenschaft macht Energieträger für alle Prozesse im Hochtemperaturbereich extrem interessant, wie sie etwa in Industrieprozessen oder in der zentralen Energiebereitstellung notwendig sind. Im Gebäudebereich ist generell von Niedertemperaturnutzung auszugehen, für deren Bereitstellung es zahlreiche Alternativen zu fossilen Brennstoffen gibt. Aktuell braucht die österreichische Industrie 6,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent aus dem Gasbereich. Wenn es also bis zum Jahr 2050 gelingt, im Industriesektor die gasbezogenen Emissionen um 40 Prozent effizienter zu machen und gleichzeitig im Raumwärmebereich aus der Gasnutzung auszusteigen, dann würden knapp 7 Mio t Treibhausgasemissionen eingespart werden.

Auch dazu gibt es eine klare Fragestellung für die Zukunft: Was ist ihnen lieber – 900.000 erdgasbeheizte Wohnungen oder die auf den Hochtemperaturbereich angewiesene Industrie mit ihren Arbeitsplätzen? Vorschlag: Der Gebäudesektor sollte auf Erdgas verzichten und diese für die Hochtemperaturnutzung geeignete Ressource dem Industriesektor ‘schenken’. Wenn dieser Überlegung Folge geleistet wird, heißt das nichts anderes, als dass in einem ersten Schritt im Neubau keine direkte (gebäudebezogene) Gasfeuerung für Raumwärmenutzung und fürs Kochen mehr zugelassen wird. In einem zweiten Schritt muss es darum gehen, die bestehenden Gebäude sukzessive aus der Gasversorgungen heraus zu nehmen und die benötigte Raumwärme mit Alternativen zu versehen.

Diese Alternativen werden nur erschließbar sein, wenn der Gebäudebestand deutlich effizienter wird, als er derzeit ist. Der thermisch-energetischen Sanierung kommt damit größte Bedeutung zu: Je weniger Energie grundsätzlich gebraucht wird, desto weniger muss durch Alternativen bereitgestellt werden. Umsetzungshorizont mit heutigem Stand: 70 bis 100 Jahre, da die Sanierungsquote von Bestandsgebäuden irgendwo um rund 1 Prozent dahin schleicht. Will man dieses Ziel aber bis 2050 erreichen, dann wäre eine Sanierungsquote von rund 3 Prozent jährlich notwendig. Wird diese erreicht und werden gleichzeitig die fossilen Energieträger aus dem Gebäudebereich zurückgedrängt, dann ist die Raumwärmeversorgung im Gebäudesektor ‘CO2-neutral’. Dass dafür auch die Stromproduktion in Österreich zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern umgesetzt werden muss, versteht sich von selbst. Die Republik geht in aktuellen Prognosen davon aus, dass dieses Ziel in den nächsten 15 Jahren umsetzbar ist (Wind, PV, (kleine) Wasserkraft, Biomasse). Damit einhergehend wird es möglich sein, der Elektromobilität und damit dem Verkehrssektor einen entscheidenden Entwicklungsschub zu geben.

Dass unabhängig davon sämtliche Sektoren umfassende und ambitionierte Programme realisieren müssen, liegt auf der Hand. Maximal 8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2050 bedeuten eine vollkommene Neuausrichtung der österreichischen Wirtschaft, des Energiesystems und letztlich auch des Ressourcenverbrauchs bei der Bevölkerung. Die aufgezeigten Verlagerungspotenziale vom Gebäudesektor in Landwirtschaft und Industrie sind exemplarischer Natur; auch bei vollständiger Umsetzung dieser Vorschläge geht die Rechnung nicht auf. Aber ohne einen CO2-neutralen Gebäudesektor fehlt jegliche Basis für die notwendige Transformation, da schon aus diesem Sektor bereits heute der Zielwert für das Jahr 2050 emittiert wird.

GastautorIn: Robert Lechner für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /