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Skandalöse Entscheidung für Atomkraftförderung: "Ein Rückschritt in energiepolitische Steinzeit"

200 Mrd. Euro für Atomkraft sind inakzeptabel - Österreich muss Beschwerde einlegen -Umweltminister spricht von "eklatanter Fehlentscheidung" und drängt auf Initiative des EU-Parlaments

Brüssel und Wien - Es gab unüblich viele Gegenstimmen, dennoch ist die Entscheidung durch: Die Europäische Kommission hat heute, nur wenige Tage vor Ende ihrer Amtszeit, staatliche Beihilfen für den Betrieb des AKW Hinkley Point C genehmigt. Ein Skandal, das sind sich Politik und Zivilgesellschaft in Österreich einig.

"Die Entscheidung der EU-Kommission wirft uns in die energie- und wettbewerbspolitische Steinzeit zurück", sagt Umweltminister Andrä Rupprechter. Jede Förderung der Kernenergie sei entschieden abzulehnen, die Zukunft liege bei erneuerbaren Energieformen. "Die Beihilfe für Atomstrom könnte nicht nur als Muster für weitere AKW-Neubau-Projekte in der Union verwendet werden, sondern würde auch zu einem Subventionswettlauf im gesamten europäischen Stromsektor führen", so Rupprechter. Er nimmt auch das EU-Parlament in die Pflicht: "Ich erwarte mir auch Initiativen des Europäischen Parlaments gegen diese eklatante Fehlentscheidung der Kommission."

Bundesregierung bereitet Klage gegen vor

"Wir werden die Entscheidung, Subventionen für Atomstrom zu genehmigen, nicht akzeptieren. Wie angekündigt, werden wir eine Klage beim Europäischen Gerichtshof vorbereiten und einbringen", so Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner.

Für Österreich sei klar, dass erneuerbare Energie förderungswürdig sei, aber nicht Atomenergie. "Kernkraft ist keine nachhaltige Energieform, sie ist eine seit Jahrzehnten ausgereifte Technologie und sie ist keine Option zur Bekämpfung des Klimawandels", so Kanzler und Vizekanzler, sowohl ökologische als auch ökonomische Gründe sprechen gegen den positiven Bescheid für eine Subvention durch die EU-Kommission. "Hinkley Point ist ein negativer Präzedenzfall, weil garantierte Einspeisetarife bisher Erneuerbaren Energieformen vorbehalten waren. Gegen diesen werden wir auftreten und klagen."

Weitere Klagen sind von NGOs zu erwarten

"Leider haben sich einige der abtretenden EU-Mandatare durch den Druck der Briten erpressen lassen, andernfalls wichtige Entscheidungen der Kommission zu blockieren", ist Dr. Reinhard Uhrig, Anti-Atom-Sprecher der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 entrüstet. "Wie wir aus vielen Gesprächen mit hohen Beamten der Brüsseler Kommission wissen ist allen Beteiligten klar, dass die Entscheidung vor den Gerichten nicht Bestand haben kann und die kommende Amtsperiode unter keinem guten Stern starten lässt."

Einige Fakten:

- Es gab keine Ausschreibung für das Bauprojekt Atomkraftwerk Hinkley Point: Der Vertrag über ein 19 Milliarden-Euro-Projekt wurde von der britischen Regierung freihändig an den französischen Energiekonzern EdF vergeben, ohne dass andere Firmen mitbieten konnten, was nach dem Wettbewerbsrecht des EU-Binnenmarkts Vorschrift wäre.

- Es gibt kein "Marktversagen", keinen Grund, dass der britische Staat in den freien Wettbewerb des Energiemarkts eingreifen muss, um die Insel vor drohenden Blackouts zu retten - das Potenzial für Energieeffizienz im Reich der Einfachverglasung ist vielfach bewiesen

- Viele offene Fragen des sehr gründlichen, 68-seitigen Briefs der Wettbewerbsbehörde, der das Beihilfen-Verfahren eröffnete, sind weiterhin unbeantwortet, ebenso wie die mehr als 20.000 Stellungnahmen von kritischen BürgerInnen, die GLOBAL 2000 im Frühjahr 2014 an die Kommission richtete.

"Allein das ungewöhnliche Vorgehen, in der vorletzten Sitzung einer bereits abtretenden Kommission eine so gewichtige Milliarden-Entscheidung zu treffen, riecht nach einem schmutzigen Deal", warnt Uhrig. "Der Chef des tschechischen Energiekonzerns CEZ hat bereits angekündigt, dass diese Entscheidung einen Präzedenzfall für den Ausbau von Temelín darstellt."

GLOBAL 2000 wird gegen die Entscheidung eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission gemäß Artikel 10 der Aarhus-Verordnung der Vereinten Nationen einbringen und Klage beim Europäischen Gerichtshof erheben.

Hoffnungen europäischer Atomkraftgegner ruhen auf Österreich

"Es gibt absolut keine rechtliche, moralische und umweltspezifische Rechtfertigung, Steuergelder dafür zu verwenden, die gefährlichste und teuerste Energiequelle zu subventionieren. Alle Hoffnungen der europäischen Atomkraftgegner ruhen nun auf Österreich. Die Bundesregierung muss die Verhinderung von Atomsubventionen nun zur Priorität erklären", fordert Julia Kerschbaumsteiner, Energiesprecherin von Greenpeace.

Die Europäische Kommission hat den Plan für staatliche Beihilfen praktisch an keine Bedingungen geknüpft und wie folgt durchgewunken:

- Eine indexgebundene staatliche Garantie für den französischen Betreiber EDF, den im Kraftwerk produzierten Strom um mehr als das Doppelte des aktuellen Großhandelspreises für eine Dauer von 35 Jahren abzunehmen. Sollten die Betriebskosten höher als erwartet sein, kann der Preis nach 15 und 25 Jahren nach oben korrigiert werden.

- Staatliche Garantien für EDF und seinen chinesischen Partner, sollten die Unternehmen ihren Kreditverpflichtungen nicht nachkommen können.

- Eine "Versicherung" gegen zukünftige Änderungen der britischen Energie- und Umweltgesetzgebung, die die Kosten für EDF erhöhen könnten.

- Keine Angaben darüber, inwiefern sich EDF an der Entsorgung des radioaktiven Mülls und der Stilllegung beteiligen muss.

- Keine Abänderung der Konditionen, falls sich der Bau um bis zu vier Jahre verzögern sollte (derzeit ist eine Bauzeit von acht bis zehn Jahren vorgesehen).

- Das Recht für EDF, einen Großteil nicht verwendeter Mittel für die Konstruktion zu behalten, anstatt es an die SteuerzahlerInnen zurückzuzahlen.

Die beiden Reaktoren in Hinkley Point sind die ersten von 12 geplanten Reaktoren in Großbritannien.

Greenpeace startet eine Petition zur Verhinderung von Subventionen für neue AKW in Europa:www.greenpeace.at/hinkleypoint

Worst Case bei AKW-Förderung

"Wir werden gegen diese Entscheidung ankämpfen, weil sie umwelt- und energiepolitisch in die komplett falsche Richtung geht. Ich möchte dieses Thema auch beim noch ausstehenden Hearing für die nächste EU-Kommission thematisieren", sagt SPÖ-Europaabgeordnete Karin Kadenbach.
SPÖ-Europaabgeordneter Eugen Freund, Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, erklärt: "Großbritannien stellt sich quer, wenn es um Investitionen für Wachstum und Beschäftigung geht, für das britische AKW Hinkley Point C sollen aber Staatssubventionen locker gemacht werden? Wir brauchen hier ein Umdenken, Gelder müssen für 'green jobs' ausgegeben werden, damit junge Menschen endlich wieder Arbeit finden. Nuklearsubventionen sind schlicht der falsche Weg."

Die Bewilligung der Staatsbeihilfen kreiert inakzeptable Marktverzerrungen. Wir wollen mehr Kostenwahrheit am Energiemarkt", betont Paul Rübig, Energiesprecher der ÖVP im EU-Parlament.

"Die 35-Jahre-Garantie ist im Vergleich zu erneuerbaren Energien absolut überzogen. Der Strompreis wird daher doppelt so hoch wie der aktuelle Marktpreis liegen", so die ÖVP-EU-Abgeordnete Elisabeth Köstinger.

"Hinkley Point ist der erste Atomkraftwerksbau nach der Katastrophe in Fukushima - es ist völlig unverständlich, dass die Mehrheit in der EU-Kommission dieser Renaissance der gefährlichen und unrentablen Nuklearenergie zustimmt", sagt der SPÖ-Umweltsprecher im österreichischen Parlament, Hannes Weninger.

"Offensichtlich gibt es einen Polit-Deal mit der britischen und der französischen Regierung - zum Schaden von Energiewende, britischen StromkundInnen, Wettbewerbsrecht und Binnenmarkt, anders ist die heutige skandalöse Entscheidung der EU-Kommission nicht zu erklären. Jetzt droht nicht nur mit Hinkley Point der erste Bau eines AKW in der EU seit Fukushima, die Entscheidung kann einen Dammbruch zur Wiederbelebung längst auf Eis gelegter Atomprojekte bewirken. Dazu zählt auch Temelin 3 und 4", übt Oberösterreichs Umweltlandesrat Rudi Anschober heftige Kritik.

Gestern Abend, erinnert der Grüne Anti-Atomsprecher Matthias Köchl, hat der Umweltausschuss des österreichischen Parlamentes einstimmig(!) den Antrag der Grünen auf Nichtigkeitsklage im Falle einer EU-Genehmigung angenommen. "Das Parlament hat der Bundesregierung den Rücken gestärkt und den österreichischen Anti-Atom-Konsens bestärkt", so Köchl. Er befürchtet Auswirkungen auf andere Projekte, wenn die Milliardensubventionen nicht gestoppt werden. So könnte der Ausbau von Temelin und anderen AKW mit der Entscheidung zu Hinkley Point C begründet werden.

200 Mrd. Euro für Atomkraft sind inakzeptabel

Nach Berechnungen des Dachverbands Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ) wird sich das gesamte Finanzierungsvolumen über eine Förderungslaufzeit von 35 Jahren, abhängig von der Inflationsrate, auf 150 bis 200 Mrd. Euro summieren.

Zum Vergleich: würde man die Summe der jährlich vorgesehenen Beträge sofort in Windkraft investieren, könnte man damit den österreichischen Strombedarf gleich zwei mal vollständig decken - sogar ohne Inflationskorrektur, und unter konservativen Annahmen.

Zur Verdeutlichung: Eine Kilowattstunde produzierter Windstrom erhält in Österreich 13 Jahre lang einen garantierten Tarif von 9,36 Cent. Eine Kilowattstunde Atomstrom in Hinkley Point beginnt mit einem geförderten Tarif von 11,2 Cent. Dieser Tarif wird indexiert und für 35 Jahre garantiert, und steigt damit auf bis zu 22,3 Cent pro kWh an.

Die EU-Kommissionsentscheidung ist vor allem deswegen inakzeptabel und skandalös, da die Kommisson erst im vergangenen April in einer neuen Energiebeihilfen-Richtlinie verkündet hat, dass die staatlichen Unterstützungen im Energiebereich runtergefahren werden müssen. Damit war vor allem die Unterstützung für den Ausbau zukunftsorientierter, erneuerbarer Energien gemeint, weil diese Erneuerbaren-Förderung einigen großen kohle- und atomkraftlastigen Energieunternehmen ein Dorn im Auge war. Das bleibt unbeachtet und eine Beihilfe für Atomkraft wird genehmigt!


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /