© Peter Perstel/ OEKONEWS- Ein breites Spektrum an Infos beim Leichtbaukongress
© Peter Perstel/ OEKONEWS- Ein breites Spektrum an Infos beim Leichtbaukongress

VDI-Fachkongress 2013: Leichtbautechnologien – Die mobile Zukunft heute gestalten!

Es ist Sommer in Deutschland und eine hitzige Debatte über Leichtbaustrategien im Fahrzeugbau befeuert den architektonisch aufregenden und gut klimatisierten VW Mobile Life Campus in Wolfsburg.

© Peter Perstel/ OEKONEWS- Leichtbaustrategien im Gespräch
© Peter Perstel/ OEKONEWS- Leichtbaustrategien im Gespräch

Wolfsburg - Unter der wissenschaftlichen Leitung und Moderation von Dipl.-Ing. Heinrich Timm, Hauptverantwortlicher für den 1994 ersten großserienmäßig gefertigten Aluminium-Spaceframe in der Audi AG, beschäftigt sich ein hochkarätiges Fachpublikum bei dem zweitägigen Wissensforum, organisiert vom Verein Deutscher Ingenieure, eingehend mit der Thematik Leichtbautechnologien im Fahrzeugbau.

In den Sommermonaten rollt wiederkehrend eine Blechlawine an Individualverkehrsurlaubern südwärts und emittiert durchschnittlich 146,5 g CO2/km, ausgehend von neuzugelassenen Kraftfahrzeugen, (Umwelt Bundes Amt Deutschland, 2012) in die Atmosphäre. Diesbezüglich wurde im Frühjahr 2009 per EU Gesetzgebung die Minderung der CO2-Emissionswerte auf einen Flottendurchschnitt von 130 g CO2/km verabschiedet. Dieses hochbrisante Thema ist selbstverständlich auch in der Pressekonferenz thematisiert worden. Dr. Armin Plath, Leiter Werkstoffe und Fertigungsverfahren der Konzernforschung der Volkswagen AG hat ganz klar und dezidiert festgehalten, dass das Ziel, den Flottenverbrauch auf 95 g CO2/km bis 2020 zu senken, bottom-down persönlich und vollinhaltlich auch durch Dr. Martin Winterkorn unterstützt und vom Konzern umgesetzt werden wird. Nach Aussage von Dr. Plath ist die Unterstützung der Konzernleitung erforderlich, um Thematiken rund um den Leichtbau zentral in der Unternehmenskultur zu verankern und um die notwenigen Kapazitäten zu schaffen. Folglich ist das einer der entscheidenden Indikatoren, ob eine Technologie eine nachhaltige Chance in einem Konzern bekommt, eine Viralität entsteht und in gesellschaftliche und politisch Kreise vordringen kann. Leichtbau ist als holistischer, zukunftsweisender Prozess zu verstehen und muss schlussendlich auch ins Controlling integriert werden, da es im Kern nach wie vor unabdinglich um Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und positive Absatz- und Bilanzdaten geht, gemäß dem Zitat von Herrn Dr. Plath: ‘Stay hungry, stay foolish’.

Der VW Konzern setzt derzeit ganz massiv auf die Gewichtsreduktion von Stahlbauteilen und kann hier durch hochfeste UHS (ultra-high-strengths) und thermisch formgehärtete AHS (advanced-high-strengths) Stähle beachtliche Erfolge vorweisen. Das Gesamtgewicht des aktuellen VW Golf 7 konnte unter dem oben angeführte Ansatz durch eine ganze Reihe hoch-innovativer Maßnahmen auf das Gewichtsniveau eines Golf der 4. Generation gesenkt werden. Hier ist anzumerken, dass durch eine gesteigerte Sicherheitstechnik sowie durch Komfort- und Elektronikbauteile das durchschnittliche Fahrzeuggewicht in den vergangenen 30 Jahren in etwa um 40 % gestiegen ist. In diesem Zusammenhang sollte angeführt sein, dass in Punkto Fahrzeugsicherheit in der gesellschaftlichen Auffassung Leichtbau oftmals als gefährlich angesehen wird, jedoch gerade einmal 10% aller Unfälle mit einer Aufprallgeschwindigkeit ≥ 15 km stattfinden und hochfeste Strukturen in der Fahrgastzelle für exzellenten passiven Innenraumschutz sorgen. Bei extremen Leichtbaukonzepten sind Verkehrsszenarien und Modelle neu zu durchdenken, besonders auf Grund der Tatsache, dass ein drastischer Unterschied zwischen Verkehrskonzepten und Individualverkehr in Ballungsräumen und dem Umland existiert und auch unter anderem Themen wie ‘Cost of Ownership’, Antriebstechnologien, Angebot und Werthaltigkeit ganz entscheidende Faktoren für Fahrzeugkonzepte der Zukunft sein werden.

In einer weiteren Key-Note bezeichnete Univ.-Prof. Dr. Ing. Horst E. Friedrich vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Leichtbau als ‘die Königsdisziplin für den Automobilbau’ und rechnet vor, dass eine Massenreduktion von 25 % eine Reichweitenerhöhung von 28 % (ohne Heizung, Scheibenwischer und Licht) für ein Fahrzeug mit Ottomotor ergibt. Um diesen Differenzverbauchsfaktor nachhaltig zu steigern, gilt es strikt dem Gesetz weniger Bauteilmaße, sprich weniger Rohstoffmaße, zu folgen.

Dies leitet zur Thematik des Multi-material-Designs über und stellt sogleich die bekannte ‘Blechlawine’ in Frage. Auf Grund des Dichtevorteils gegenüber Stahl und der Gewichtsersparnis von etwa 30 bis 50 % stellt Aluminium im Vergleich zu anderen Lösungen ein exzellentes Kosten-/Gewichtsverhältnis dar. Jedoch auch Aluminium-Bleche stoßen an ihre technologisch durchaus bereits ausgereizten Grenzen. Lieferengpässe bei stetig wachsender Nachfrage, akzeptable Mehrkosten in Relation zur Gewichtsersparnis, Nachhaltigkeit und Austauschbarkeit mit derzeitigen Lösungen im Stahl-Bereich fordern die Industrie auf den Wachstumsprognosen von 200 % Zuwachs oder 30 kg Aluminium mehr pro Fahrzeug im Jahre 2020 heraus, diesem Trend durch hochinnovative Lösungen gerecht zu werden. Übliche Kosten bewegen sich teileabhängig zwischen zwei und acht Euro pro kg und werden als allgemeine Maximalwerte anerkannt. Magnesium als Alternative liegt derzeit noch bei Preisen zwischen 10 und 20 Euro pro kg und wird bei diesem Preisniveau wohl auch in Zukunft nur in sehr speziellen Sicherheitskomponenten seinen Einsatz finden.

Sollten die sonnenhungrigen Urlauber jedoch auf den Geschmack extravaganter Multi-material-Design Fahrzeuge kommen, wird der Terminus Blechlawine obsolet und wohl durch ‘Verbundfaser-Geschwader’ oder ähnliches ersetzt werden müssen. Dies ist jedoch nur mit erheblichen Mehrkosten, bei einem Gewichtsersparnispotential von 60 – 70 Prozent gegenüber Stahl, zu erreichen und macht derzeit laut Herrn Timm nur dann Sinn, wenn man ‘den richtigen Werkstoff in der kleinsten Menge funktionsabhängig am richtigen Platz einsetzt’. Nur durch einen möglichst objektiven Freimut für alle verfügbaren Prozesse und Technologien wird die Automobilindustrie die unterschiedlichen Anforderungen im globalen Wettbewerb erreichen. Material- und Prozesskosten werden in Zukunft ausschlaggebend dafür sein, ob sich die Hybridbauweise vor allem im Bereich der Faserverbundwerkstoffe und Superplastics global durchsetzen wird können. Gegenwärtig bedarf es innovativer Erfindungen, neuer Recyclingmethoden, wissenschaftlicher Verfahren und auf Massenproduktion zugeschnittener, kurztaktiger Prozesse um dauerhaft global konkurrenzfähig bleiben zu können. Leichtbau bietet nicht nur sehr viel Raum für Innovation, sondern auch ganz neue Ansätze im Bereich Design und Emotion.

Auf der international besetzten Tagung wurden Fahrzeugkonzepte unter andrem von der Volkswagen AG, BMW Group München und Mercedes Benz als Ausstellungsfahrzeuge vorgestellt. Herausragend, neben dem bereits bekannten ‘Einliterauto’ VW XL1, ist das Großserienkonzept der BMW Group München. Man kann gelob nur den Hut ziehen, mit welch unbeschönigtem Pioniergeist mit der i3 und i8 Serie die Zukunft mitgestaltet wird. Es ist zu hoffen, dass gerade dieses Projekt als Motor für umweltgerechte Materialentwicklung fungiert und mit dem angepeilten Umsatzvolumen eine gewisse Hebelwirkung für notwendige Förderungen und Investitionen in Technologieentwicklungen erfolgt und das wegweisende, positive Momentum initiiert wird.

GastautorIn: Dr. Peter Perstel MA für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /