Sima präsentiert Studie zu Sicherheitsmängeln im AKW Mochovce

Stadt Wien wird sich an grenzüberschreitender Umweltverträglichkeitsprüfung aktiv beteiligen

Nicht einmal 200 Kilimeter von Wien entfernt, soll das slowakische Atomkraftwerk Mochovce um zwei Blöcke erweitert werden. Selbst für die EU-Kommission erfüllt das AKW, dessen zwei Blöcke bereits 1981 errichtet wurden, die EU-Sicherheitsstandards nicht. Derzeit läuft das UVP-Verfahren zur Fertigstellung der neuen Blöcke in der Slowakei; vermutlich frühestens Ende August startet die grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung, an der sich die Stadt Wien aktiv beteiligen wird. "Das Sicherheitsniveau im grenznahen AKW ist alarmierend. Der Ausbau des Kraftwerks verdoppelt die atomare Bedrohung für Wien", warnt Umweltstadträtin Ulli Sima, die heute dazu eine Studie des Österreichischen Ökologie-Instituts im Auftrag der Wiener Umweltanwaltschaft präsentiert hat.

Sima hat sich Anfang des Jahres selbst bei einem Besuch im AKW Mochovce ein Bild vom Zustand von Block 3 und 4 gemacht: "Das Bild, das sich der Wiener Delegation geboten hat, war mehr als besorgniserregend." Die subjektiven Eindrücke werden nun von der aktuellen Studie belegt. Die AutorInnen kommen zum Schluss, dass die "geplante Fertigstellung keinesfalls das Sicherheitsniveau neuer Reaktoren erreichen kann". Auf Grundlage der Sicherheits-Studie beteiligt sich die Stadt Wien an der grenzüberschreitenden UVP, bei der alle Wienerinnen und Wiener ihren Einwand gegen den Weiterbau des grenznahen AKWs deponieren können.

Weiterbau nach über 20 Jahren unverantwortlich

Bereits im Jahr 1981 wurde der Bau des AKW Mochovce mit 4 Blöcken des Typs WWER440/V213 in Angriff genommen; die beiden ersten Blöcke gingen 1998 bzw. 1999 in Betrieb. Für Block 3 und 4 reichten die finanziellen Mittel nicht. 1992 kam es endgültig zum Baustopp. Mit einer Baubewilligung von 1986 sollen die beiden Blöcke nun fertig gestellt werden. Eigentümer ist zu 66 Prozent mittlerweile der italienische Energieversorger ENEL, der mit der Privatisierung des slowakischen Energieversorgers SE die Verpflichtung zum Fertigbau von Block 3 und 4 übernommen hat. Die Gesamtinvestitionssumme liegt derzeit offiziell bei 2,8 Mrd. Euro.

Im Auftrag der Wiener Umweltanwaltschaft als Atomschutzbeauftragte Wiens hat das Österreichische Ökologie-Institut in Zusammenarbeit mit Prof. Oda Becker (Scientific Consulting for Energy and the Environment) in Hannover eine Bewertung für den geplanten Weiterbau erstellt. Ausgangspunkt dieser Expertise sind die bekannten Sicherheitsdefizite der Reaktoren vom Typ WWER 440/V213, wie sie in mehreren IAEA-Dokumenten dargestellt sind. Die Sicherheitsverbesserungen durch die Modernisierung werden den gegenläufigen Auswirkungen der geplanten Effizienzsteigerung und Lebensdauerverlängerung gegenübergestellt.

"Die Grundkonstruktion erlaubt keine vollständige Anpassung an den heutigen Stand von Wissenschaft und Technik. Die Möglichkeiten für Verbesserungen sind beschränkt, da die Bauwerke zu 70 Prozent und das Equipment zu 30 Prozent bereits fertig gestellt sind", so das Fazit der Studie, die die zentralen Schwachstellen dokumentiert:

o die Alterung der eingemotteten vor Ort befindlichen Anlagenteile sowie die problematische Dokumentation des Baus in Folge der langen Verzögerungen
o das fehlende Containment, das bei einem Unfall die Radioaktivität zurückhalten sollte

o die Qualifikation des Bubbler Condenser (Ersatzsystem für das Containment) im Zusammenspiel mit externen Ereignissen oder bei maximaler Belastung im Notfall
o der unzureichende Schutz gegen Flugzeugabstürze
o Der Standort und der Reaktor selbst sind in Bezug auf die Erdbebensicherheit weiterer Untersuchungen bzw. Ertüchtigungen zu unterziehen.
o die im Design des WWER 440/213 problematische Auslegung und Führung der elektrischen Leitungen
o mangelhafter Brandschutz
o abschnittsweise Parallelführung von hochenergetischen Kühlmittelleitungen
o Eine Lösung zur sicheren Entsorgung des anfallenden radioaktiven Mülls fehlt nach wie vor; es gibt keinen Standort für das geplante Tiefenlager.

Sicherheitsdefizit 1: Brandgefahr

"Die unzureichende bauliche Trennung von redundanten Systemen lässt sich nachträglich nicht wesentlich verbessern. Wegen der nicht ausreichenden Trennung können wichtige Notfallsysteme von Bränden gleichzeitig zerstört werden. Dadurch besteht die Gefahr, dass ein Ereignis nicht mehr beherrscht werden kann und zu einem Kernschmelzunfall mit hohen radioaktiven Freisetzungen führt", so Antonia Wenisch vom Österreichischen Ökologie-Institut. Gleichzeitig erhöht die angekündigte Leistungserhöhung in sämtlichen Teilen der elektrischen Anlage die Brandgefahr gegenüber dem Originalzustand.

Sicherheitsdefizit 2: Erdbebengefahr

In der ursprünglichen Auslegung des WWER 440/V213 wurde die Erdbebengefahr nicht berücksichtigt. Eine Neubewertung ergab, dass der Auslegung ein Beben der Stärke VII zugrunde zu legen ist. Für die Blöcke 3 und 4 wurden etwas höhere Auslegungswerte als für die ersten beiden Blöcke angenommen, die aber ebenfalls unzureichend sind. In der Slowakei wurde angenommen, dass der Standort Mochovce in einer nicht-seismischen Zone liegt und dass ein Erdbeben nur in einer Entfernung von 50 km oder mehr auftreten kann. "Experten sehen die Annahme dieser Erdbeben-Ausschlusszone kritisch; ein am Standort nicht auszuschließendes Erdbeben könnte sehr wohl relevante Schäden verursachen", warnt Wenisch.

Sicherheitsdefizit 3: fehlende Schutzhülle

Zum Schutz eines Reaktors vor einer Einwirkung von außen und zum Schutz der Umgebung vor radioaktiven Emissionen verfügen moderne Kraftwerke über einen Sicherheitseinschluss.

Das sogenannte Confinement-System des Reaktortyps WWER 440/V213 hat diese Schutzwirkungen nicht in ausreichendem Maße. Der Schutz ist lediglich für den Absturz kleiner Sportflugzeuge ausgerichtet. Bei AKW-Neubauten wird derzeit von allen relevanten Behörden - wie etwa der US-Aufsichtsbehörde oder auch der Deutschen Aufsichtsbehörde - ein Schutz vor dem Absturz großer Maschinen sowie Schutz gegen Terror und Sabotage verlangt.

Sicherheitsdefizit 4: der Bubbler Condenser

Der WWER 440/V213 hat kein Volldruckcontainment, wie es bei den westlichen Druckwasserreaktoren Standard ist.

Stattdessen hat dieser Reaktor ein Hilfssystem zum Druckabbau bei großen Leckstörfällen, den sogenannten Bubbler Condenser. Die Sicherheitsreserven dieses Systems sind gering. Bei Versagen des Druckabbaus wird radioaktiver Dampf in die Umwelt abgegeben. "Für die Blöcke 3 und 4 werden zwar Konstruktionsverbesserungen geplant, durch eine Leistungserhöhung könnte der durch die Nachrüstungen gewonnene Sicherheitszuwachs aber wieder verloren gehen", warnt Wenisch.

Sicherheitsdefizit 5: hohe Komplexität durch Nachrüstung

Die vielen Maßnahmen zur Nachrüstung erhöhen die ohnehin schon immense Komplexität eines Kernkraftwerks erheblich. Das kann im Ernstfall etwa dazu führen, dass durch fehlerhafte Ansteuerung erforderliche Sicherheitssysteme nicht oder nur teilweise zur Verfügung stehen. Für das Personal ist es zudem extrem schwierig, in eine derart komplexe Anlage einzugreifen.

Sicherheitsdefizit 6: völlig veraltete Teile

Viele Komponenten in Block 3 und 4 sind mehr als 20 Jahre alt. Der Zustand der bereits installierten Komponenten ist erheblich schlechter, als der jener, die über die Jahre in der Lagerhalle aufbewahrt wurden. Die Prüfung der Bauten und Reaktor-Komponenten ergab, dass einige Maßnahmen zur Wiederherstellung erforderlich sind. "Die bisherige nur stichprobenartig durchgeführte Bauteilprüfung in Kombination mit der geplanten Verringerung der Prüffrequenz ist ein gefährliches Spiel, dass die Wahrscheinlichkeit vergrößert, Fehler nicht rechtzeitig zur erkennen", so die Studienautorinnen.

"Die geplante Fertigstellung wirft eine Vielzahl von Problemen auf. Faktum ist, dass ein als Rohbau seit den 1980er Jahren vorhandenes AKW, dessen Planung auf dem Standard der 1970er Jahre beruht, nicht den Sicherheitsstandards des 21. Jahrhunderts entsprechen kann", warnt Umweltstadträtin Sima.

Stadt Wien aktiv bei UVP

Für die Stadt Wien ist der Ausbau der Reaktoren von Mochovce aus den genannten Sicherheitsgründen inakzeptabel. "Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um diese Pläne zu verhindern, wenngleich die Ausgangslage nicht gerade einfach ist", betont Sima. Es bedarf im Kampf gegen dieses veraltete Atomkraftwerk mehrer Ansätze und eines breiten Netzwerkes.

Voraussichtlich Ende August startet die eigentliche UVP, nach Espoo-Konvention, für die Nachbarländer Österreich, Ungarn, Tschechien und Polen; die Ukraine hat noch kein Interesse signalisiert.

Die Stadt Wien wird eine breite Informations- und Einwendungskampagne starten, sobald von slowakischer Seite alle Dokumente übermittelt werden.

"Die Fertigstellung eines völlig veralteten Reaktortyps in unmittelbarer Nähe Wiens kann nicht widerspruchslos hingenommen werden. In der UVP müssen alle Punkte geklärt werden, die für die Sicherheit Wiens wichtig sind", fordert Wiens Umweltanwältin Andrea Schnattinger als Atomschutzbeauftragte der Stadt Wien.

Auf der Seite der Wiener Umweltanwaltschaft (http://www.wua-wien.at) finden sich weitere Informationen zum Thema. Auch die Zusammenfassung der Studie zum geplanten Ausbau bzw. der gesamte Text ist von dieser Seite oder der Seite des ÖsterreichischenÖkologie-Instituts ( http://www.ecology.at ) abrufbar.


Neue Broschüre zur Atomkraft

Über die dramatische Wahrheit und den Ausweg aus der Atomkraft gibt es eine aktuelle Broschüre von Umweltstadträtin Ulli Sima. Der Bogen der Publikation spannt sich von der problematischen Gewinnung des Rohstoffs Uran bis zum ungelösten Problem des radioaktiven Mülls. Thematisiert wird der Mythos von der Atomkraft im Kampf gegen den Klimawandel, der EURATOM-Vertrag, der die Steinzeittechnologie am Leben hält und natürlich alles rund ums AKW Mochovce.

Die Broschüre ist unter 01/4000-81349 oder ko @ ggu.wien.gv.at kostenlos erhältlich.



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /