© Zukunft Altbau / Die Fachtagung zeigte neueste Entwicklungen auf
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Strategien für einen klimaneutralen Gebäudebestand

Herbstforum Altbau präsentierte erfolgreiche Sanierungskonzepte und Beispiele aus der Praxis

Wie bestehende Gebäude schnell, effizient und zukunftsorientiert energetisch saniert werden können, präsentierte am 23. November 2022 die Fachtagung Herbstforum Altbau in Stuttgart. Ein Themenschwerpunkt waren neue Erkenntnisse, wie Wärmepumpen in teilsanierten Bestandsgebäuden effizient funktionieren können. Expertinnen und Experten berichteten zudem über die energetische Stadtsanierung, Gründächer und Photovoltaikanlagen sowie Sanierungsbeispiele aus der Praxis. Wohnsoziologische Aspekte und Impulse, wie wir unsere Gesundheit durch klimagerechtes Verhalten verbessern können, vervollständigten das Bild. Die jährlich stattfindende Veranstaltung verzeichnete einen neuen Teilnahmerekord: Rund 750 Fachleute aus Energieberatung, Handwerk, Architektur und Planung, Politik und Verwaltung sowie Kammern und Verbänden verfolgten die hybride Veranstaltung vor Ort oder virtuell. Veranstalter der Fachtagung ist Zukunft Altbau, das vom Umweltministerium Baden-Württemberg geförderte Informationsprogramm. Der deutschlandweit bekannte Expertenaustausch fand zum 24. Mal statt. Der Termin für das nächste Herbstforum Altbau ist der 22. November 2023.

Drastisch gestiegene Energiepreise, schärfere Klimaschutzanforderungen und eine gute Sanierungsförderung treiben die Nachfrage nach energetischen Sanierungen derzeit stark an. Nadelöhr sind aktuell ausgelastete Fachleute und Materialengpässe. Um die Wärmewende im Gebäudebestand trotzdem zu beschleunigen, müssen sich alle beratenden und ausführenden Fachleute auf dem Laufenden halten und für eine gute Vernetzung untereinander sorgen.

Das ist das Ziel des Herbstforums Altbau: Impulse von renommierten Expertinnen und Experten, interaktive Aktivitäten zur Vernetzung und eine begleitende Fachausstellung zeigten Auswege aus der nur langsam in Schwung kommenden Wärmewende. Die Fachtagung wird von der dena sowie der Architekten- und Ingenieurkammer des Landes als Weiterbildung anerkannt.  

Gesetzliche Vorgaben von Bund und Land in Deutschland

Dr. Michael Münter, Ministerialdirektor und Amtschef des Umweltministeriums, stellte zu Beginn die neue Ausrichtung der Politik vor. Er gab eine kurze Übersicht über die Energie- und Klimapolitik des Landes und skizzierte, was der Bund in der aktuellen Legislaturperiode alles ändern will.

Die Latte liegt hoch: Allein im Südwesten müssen die Treibhausgase bis 2030, also in den nächsten acht Jahren, um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Um das zu erreichen, will das Land künftig mehr tun: Eine bessere Verzahnung der Förderprogramme von Bund und Land steht auf der Tagesordnung. Auch ein Schatten-CO2-Preis für die Errichtung von Landesliegenschaften ist vorgesehen. Die Novelle des bundesweiten Gebäudeenergiegesetzes ist ein weiterer Baustein für die Bemühungen von Bund und Land: Ab 2024 soll jede neu eingebaute Heizung mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden. Auch die Einführung der kommunalen Wärmeplanung im Bund wird die Wärmewende weiter anregen. Mit dem EWärmeG, der Photovoltaikpflicht und der landesweiten kommunalen Wärmeplanung ist der Südwesten hier unbestritten Vorreiter.

Einsatz von Wärmepumpen im Altbau ist möglich

Wärmepumpen sind gerade das bestimmende Thema, wenn es um den Heizungstausch geht. Auf bewährt unterhaltsame Art führte Energieberater Carsten Herbert, besser bekannt aus dem Internet als Energiesparkommissar, die Teilnehmenden in die Grenzbereiche der Wärmepumpennutzung in Bestandsgebäuden. Er zeigte, wie man schnell und sicher beurteilen kann, ob eine Wärmepumpe möglich und rentabel ist und was es zu beachten gilt. Zudem ging er darauf ein, welche Rolle Klimageräte bei der Beheizung von Wohnhäusern spielen können.

Wenn Deutschland weg kommen will von fossilen Brennstoffen, kommt es um Wärmepumpen und Biomasseheizungen nicht herum. Pelletheizungen und Biogasheizungen können allerdings nur einen kleinen Teil der Haushalte hierzulande mit Wärme versorgen. Wärmepumpen müssen daher neben Wärmenetzen den größten Beitrag liefern. Doch sind sie auch im mehr oder weniger gut sanierten Altbau effizient zu betreiben? Auf Basis von Forschungsergebnissen verdeutlichte der Referent, dass dies für ab 1977 errichtete Gebäude in der Regel der Fall ist. Für noch ältere, kaum sanierte Wohngebäude braucht es dagegen meist zumindest einzelne Dämmmaßnahmen, damit die Wärmepumpe stromsparend arbeiten kann. Als Übergangslösung können Wärmepumpen aber auch in Gebäuden mit einem hohen Wärmebedarf eingesetzt werden, jedoch nur, solange die erforderliche Vorlauftemperatur 55 Grad Celsius nicht übersteigt.

Energetische Stadtsanierung im Quartier

Wie Klimaschutz im Quartier vorangetrieben werden kann und welche Strategien der energetischen Stadtsanierung erfolgreich sind, erläuterte Kirsten Klehn vom Stadtplanungs- und Architekturbüro plan zwei aus Hannover. Spezialisiert auf Projekte, die Städte, Quartiere, Dörfer und Orte lebenswert und zukunftsfähig machen, zeigte sie einen Querschnitt aus zahlreichen geförderten Vorhaben.

Neben der Betrachtung von einzelnen Wohngebäuden braucht es für eine gelungene Wärmewende auch Ansätze für die Sanierung von gesamten Quartieren. Die Förderung für die Kommunen ist exzellent, Quartierskonzepte werden vom Bund mit 75 Prozent der förderfähigen Kosten unterstützt. Ein erfolgreiches Beispiel liegt im Potsdamer Stadtteil Drewitz. Das Quartier soll ganzheitlich umgestaltet werden. Das Motto: Von der Plattenbausiedlung zur Gartenstadt. Durch energetische Sanierungen soll der Heizwärmebedarf um 50 Prozent gesenkt werden. Bei der Fernwärmeversorgung ist der Umstieg auf erneuerbare Energien geplant. Ein anderer Ansatz findet sich im Chemnitzer Stadtteil Brühl. Eine solarthermische Anlage mit einer Kollektorfläche von 1.800 Quadratmetern ist dort der zentrale Baustein. Besonders innovativ ist die Kommune Meldorf. Am Rande wird derzeit der erste Erdbeckenwärmespeicher mit einem Fassungsvermögen von 45.000 Kubikmetern errichtet. Fazit: Der Umbau trister Bestandsquartiere zu grünen, lebenswerten Lebensräumen ist möglich.

Neue Ideen zum Wohnen braucht die Stadt

Die Keynote am Vormittag kam von Prof. Dr. Christine Hannemann. Ihr Beitrag wurde live in den Hörsaal der Uni Stuttgart an ihre Studierenden übertragen. Die Forscherin beschäftigt sich mit dem neuen Wohnen in der Stadt. Sie nahm die Teilnehmenden mit auf eine Reise in die nahe Zukunft des urbanen Lebens. Als einzige Professorin zum Thema Wohnsoziologie in Deutschland im Rahmen einer Architekturfakultät präsentierte sie eine fachliche Zeitdiagnose zum Wandel des Wohnens und wie Energieexpertinnen und -experten darauf reagieren müssen.

Demografischer Wandel, Singularisierung und Individualisierung der Gesellschaft sowie die Pluralisierung der Lebensstile hat auch Auswirkungen auf das Wohnen. Ein Beispiel: Derzeit lebt eine Person in Deutschland im Schnitt auf rund 47 Quadratmetern Wohnfläche. Im Jahr 1960 lag dieser Wert noch bei rund 20 Quadratmetern. Trotz des gesunkenen Heizenergiebedarfs pro Quadratmeter über die vergangenen Jahrzehnte ist daher der Energieverbrauch pro Person nicht gesunken. Für die Bekämpfung der Klimakrise, energieeffizientes Wohnen und die energetische Sanierung stellt das eine große Herausforderung dar.

Energetisch sanieren lohnt sich praktisch immer

Weiter ging es mit Ralf Pimiskern, Abteilungsleiter Zertifizierung bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Er sprach in seinem Vortrag darüber, warum Sanieren in Zukunft – gerade bei einer ganzheitlichen Betrachtung – noch lukrativer wird als bisher.

Welche Vorteile sanierte Altbauten bringen, zeigt der Vergleich mit neu errichteten Gebäuden. Beispiel CO2-Austoß: Die Erstellung eines Neubaus erfordert im Schnitt rund 2,3-mal mehr Treibhausgase als ein energetisch saniertes Bestandsgebäude. Anders ausgedrückt: Mit dem gleichen CO2-Aufwand kann man entweder zehn neue Gebäude bauen oder 23 bestehende sanieren. Diese Umweltkosten sollten künftig in die Baupreise aufgenommen werden, um das Sanieren finanziell attraktiver zu machen. Nichtsdestotrotz sollte der CO2-Ausstoß in beiden Fällen weiter sinken. Zu diesem Zweck ist auch ein verstärkter Einsatz nachwachsender Baustoffe wie Holz, Pilze, Hanf oder Zellulose sowie anderer CO2-negativer Materialien erforderlich.

Klimawandel belastet die Gesundheit

Den Klimawandel aus gesundheitlich-medizinischer Sicht und die Rolle von Akteuren aus Politik und Gesundheitssektor thematisierte PD Dr. med. Christian Schulz, Geschäftsführer von KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit. In der nachmittäglichen Keynote zeigte er auf, welche gesundheitlichen Auswirkungen die Veränderungen des Klimas mit sich bringen. Im Anschluss ging er darauf ein, wie Änderungen des Lebensstils, unter anderem beim Wohnen, einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten können.

Schulz machte deutlich, wie groß die Gefahr für die Gesundheit ist, die vom Klimawandel ausgeht. Die Art und Weise, wie wir mit fossilen Energien leben und wirtschaften, verglich er mit einer Sucht, die nachweislich zu weniger Biodiversität und zu mehr Krankheiten führt. Schon heute, bei einer Erwärmung von 1,2 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, gibt es Sommer, die hitzebedingt zu rund 100 000 vorzeitigen Todesfällen in Europa geführt haben. Hier braucht es eine radikale Umkehr, forderte der Arzt. Eine Energie-, Mobilitäts- und Ernährungswende sowie andere Investitionsstrategien führen zu weniger Treibhausgasausstoß, mehr sauberer Luft und weniger Hitzetagen. Eine solche Reduktion von Risiken würde unsere Gesellschaft resilienter machen und die Menschen gesünder halten.

Praxisbeispiel 1: Gründach und Solarstrom

Nach einer künstlerischen Zwischeneinlage durch Poetry Slammer Rainer Holl ging es in die Praxis: Welchen Mehrwert begrünte Dächer in Kombination mit Photovoltaikanlagen bieten können, zeigte Katrin Löning von der Firma pulswerk, einem Beratungsunternehmen des Österreichischen Ökologie-Instituts aus Bregenz. Viele Fachleute schätzen bislang die Vorteile für Artenvielfalt, Wasserhaushalt, Bautenschutz und Energieerzeugung noch nicht genug. Diese aber machen das Dach zu einem noch wichtigeren Bauteil der Gebäudehülle.

Begrünte Dächer sind als CO2-Speicher, Regenrückhalteflächen und Hitzeschutzelemente wichtig in der Anpassung an den Klimawandel und für den Erhalt der Biodiversität. Vor Hagel schützen sie zudem besser als herkömmliche Dachkonstruktionen. Ergänzt um eine Photovoltaikanlage liefern sie auch noch klimafreundlichen Solarstrom. Die Kombination lohnt sich: Das Gründach kühlt die Photovoltaikanlage, die Solaranlage schützt die Grünfläche vor Austrocknung. Katrin Löning erläuterte, was beim Zusammenspiel von Gründach und Photovoltaik wichtig ist und welche Fehler zu vermeiden sind. Planer sollten insbesondere die Höhe der Aufständerung der Solarstromanlage, die Modulneigung, den Modulreihenabstand und die Kabelführung beachten.

Praxisbeispiel 2: Wohnraum flächeneffizient und sozial gestalten

Die Tagung schloss mit einem Vortrag von Architekt Arne Steffen vom Büro werk.um aus Darmstadt, der zu flächeneffizienten und sozial gestalteten Wohnräumen sprach. Er zeigte, wie Wohnsuffizienz gelingen kann und erklärte, warum es in der allgemeinen Diskussion mehr um das suffiziente Wohnen anstatt das suffiziente Bauen gehen sollte. Eine Vierzimmerwohnung mit 100 Quadratmetern in einem gut gedämmten Gebäude mit einer Photovoltaikanlage, die von drei Personen bewohnt wird, sei beispielsweise suffizient. Nur eine Person in der Wohnung dagegen sei es nicht.

In einem Faktencheck verdeutlichte Steffen, dass immer mehr Wohnfläche pro Kopf und Neubauten keine günstige und klimafreundliche Lösung darstellen. Besser sei es, auf eine Kombination aus Effizienz, Konsistenz und Suffizienz zu setzen. Das rechte Maß an Wohnfläche pro Kopf müsse verbunden werden mit weniger Energieverbrauch und erneuerbaren Energien. Um dies zu unterstützen, solle der Staat die Rahmenbedingungen verbessern, um die Wohnflächeneffizienz zu erhöhen. Ein gelungenes Beispiel stellte Steffen am Schluss vor: In Rüsselsheim lässt eine Wohnungsgesellschaft ein Gebäude so sanieren, dass suffizient Wohnen möglich wird. Clusterwohnungen im WG-Stil und zubuchbare Räume sollen den Wohnflächenbedarf konkret senken und eine bedarfsgerechte Nutzung ermöglichen.

Die Vorträge der Referierenden sind ab sofort unter www.zukunftaltbau.de/herbstforum einsehbar.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /