© Daria Sannikova  auf  Pexels
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Klimaneutralität 2040 in Österreich - (K)eine Zukunftvision?!

Warum die nächsten 10 Jahre dafür entscheidend sind…

Wien - Stillstand war gestern. Die Sanierungsoffensive in Österreich nimmt endlich mehr Fahrt auf. Dabei wird der Ausstieg aus Öl und Gas schon nahezu existenziell.

Doch für die Erreichung der Klimaschutzziele spielt vor allem der Gebäudesektor
eine entscheidende Rolle, denn rund 30 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs gehen auf den Gebäudebestand zurück. Um die Klimaneutralität 2040 zu erreichen, muss die jährliche Sanierungsrate 3% betragen – eine Rate, die in der Vergangenheit noch nie erreicht wurde. RENOWAVE.AT, das Innovationslabor für klimaneutrale Sanierungen, fordert mit Blick auf die Klimaschutzziele genau das, nämlich endlich die qualitative Gebäudesanierung mit Nachdruck voranzutreiben und großflächig umzusetzen: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt!
In Österreich gelten rund 60 Prozent der Gebäude aus energetischer Sicht als sanierungsbedürftig. 85% der heutigen Gebäude EU-weit werden im Jahr 2050 noch stehen. Es ist also dringender Handlungsbedarf am Sanierungssektor. Diverse Programme und Beratungsstellen gibt es bereits, das Innovationslabor erarbeitet österreichweit zusätzliche Unterstützungsstrukturen und beschleunigt Innovationen, um die Sanierungswelle zu beschleunigen.

Sanierungsrate allein genügt nicht

Die Sanierungsrate allein hat noch keine Aussagekraft, denn sie macht keine Angabe über die Qualität oder wie umfassend saniert wurde. Für eine Dekarbonisierung des Gebäudesektors brauchen wir Sanierungen, die auf einem höchstmöglichen Niveau umgesetzt werden. „Momentan ist der Slogan 'Raus aus Öl und Gas'. Das ist natürlich wichtig, aber für eine sinnvolle Umstellung des Heizsystems muss die Gebäudehülle mit Wänden, Fußböden, obersten Decken und Fenstern ebenfalls berücksichtigt werden. Eine gelungene Sanierung ist eine komplexe Betrachtung des gesamten Systems. Im Idealfall werden in die Überlegungen auch die Nachbargebäude oder sogar das Quartier einbezogen und Themen wie Mobilität, Freiraumqualität und Architektur integriert“, erklärt Armin Knotzer, Vorstand und technischer Leiter des Innovationslabors RENOWAVE.AT…


Es gibt bereits einige innovative Projekte, die zeigen, wie es gehen kann. Die Aufgabe des Innovationslabors ist es, den Wissenstransfer in der Branche anzuregen. Dazu gibt es eine Zusammenarbeit mit dem gbv – dem österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen. RENOWAVE.AT unterstützt den gbv-Verband bei der Aufbereitung von technischen und organisatorischen Lösungen, um Projekte für nachhaltige Gebäudesanierungen und Heizungstausch einfacher, rascher und kostengünstiger umsetzen zu können. Die Ergebnisse kann der Verband wiederum seinen Mitgliedern als Serviceleistung zur Verfügung stellen. Darüber hinaus soll der Bedarf für neue Lösungen identifiziert werden, um Innovationsprojekte auf den Weg zu bringen.

Gefahr Lock-In-Effekt

Eine Teilsanierung oder eine Sanierung auf mäßigem Niveau führt zu einem langfristig negativen „Lock-in“-Effekt, da diese Gebäude mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft nicht mehr auf den neuesten technologischen Stand geführt werden, und sich damit die Treibhausgas-Bilanz für das österreichische Ziel „Klimaneutralität bis 2040“ verschlechtert.
„Sanierungen auf bestmöglichem Niveau auszuführen ist nicht kostengünstig. Deshalb arbeiten wir an den finanziellen Rahmenbedingungen in einer eigenen Expert*innenrunde. Neue, innovative Finanzierungsformen zu erschließen ist eine zentrale Aufgabe des Innovationslabors“, betont Susanne Formanek, Vorständin und kaufmännische Leiterin von RENOWAVE.AT.

2023 widmet sich das österreichische Innovationslabor verstärkt der seriellen und modularen Sanierung. Hier gibt es unter dem Stichwort „Energiesprong“ interessante Ansätze in den Niederlanden und Deutschland. Auch in Österreich gab es dazu Pilotprojekte, doch eine breite Anwendung ist noch nicht in Sicht. „Bis jetzt war der Neubau ein wesentlicher Faktor, warum die Bauwirtschaft die Sanierung wie ein Stiefkind behandelt hat. Die Auftragsbücher
waren voll, aber das ändert sich spätestens nächstes Jahr. Serielle und modulare Sanierungen werden nicht für alle Gebäudetypologien einsetzbar sein, aber sie können Teil der Lösung sein, indem Fachkräfte für komplexere Anforderungen frei werden“, sagt Ulla Unzeitig, Vorständin und Leiterin der Kommunikation von RENOWAVE.AT.

Im Frühjahr 2023 ist eine ‚Energiesprong-Reise‘ in den Raum Köln/Düsseldorf geplant. „Dort gibt es deutschlandweit momentan die meisten Pilotprojekte. Einige sind schon fertig, doch die meisten sind gerade in Umsetzung. Da gibt es gerade ganz viele neue Erkenntnisse, von denen wir auch profitieren können“, ergänzt Ulla Unzeitig.

RENOWAVE.AT als Impulsgeber für Sanierungsturbo

Das Innovationslabor arbeitet mit bestehenden Netzwerken und Organisationen auf unterschiedlichen Ebenen zusammen, auch um das Rad nicht neu zu erfinden. Es gibt bereits viele lokale Innovationen. Eine wesentliche Aufgabe von RENOWAVE.AT ist es, solche Innovationen in konkrete Projekte und dann in die Breite zu bringen, sowie dort, wo es noch keine Lösungen gibt, neue anzustoßen.

Susanne Formanek: „Dabei kann Innovation viele Gesichter haben. Viele stellen sich unter einem Innovationslabor in erster Linie vor, dass wir sehr technisch arbeiten. Das ist durchaus der Fall, aber es ist oft das Zusammenspiel mit organisatorischen und sozialen Komponenten, das eine Idee zum Erfolg führt.“

Lehrgänge für Hausverwaltungen, neue Forschungsprojekte initiieren, Partizipationsprozesse einfordern, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen ändern, die das Sanieren schneller, leichter und kostengünstiger machen: All das wird in Summe die Sanierung ankurbeln. „Es wird nicht die EINE Lösung geben, aber unser Fokus liegt momentan klar auf den großen Hebeln, wie die Frage, wie man ganze Quartiere auf einmal sanieren kann“, ist sich Armin Knotzer sicher.

Gemeinsam eine klimaneutrale Zukunft gestalten

RENOWAVE.AT entwickelt zurzeit einen Mikroquartier-Ansatz, um ganzheitliche Sanierungen in einem großen Maßstab realisieren zu können. Die Vision: Ganze Quartiere sollen in Zukunft in kurzer Zeit auf einmal saniert werden. Es gibt bereits erste Kooperationen mit interessierten Gemeinden und Städten. „In Kärnten starten wir einen Prozess in einem Quartier mit einem begleitenden Dialog der Bewohner*innen und Beteiligten. Zuerst ermitteln wir das Potential des Quartiers mit Hilfe von Simulationen, um dann konkrete Umsetzungsschritte zu setzen. Dabei werden wir vermutlich immer wieder über Schwierigkeiten stolpern, die wir dann analysieren, um daraus zu lernen“, beschreibt Armin
Knotzer.

Diese „Lessons Learned“ wird das Innovationslabor als Allgemeinwissen zur Verfügung stellen, damit diese Fehler in Zukunft vermieden werden können. „In der Theorie lernt man aus den Fehlern und macht es besser. Die Praxis zeigt, dass die gleichen Fehler wiederholt werden, weil der Austausch fehlt. In einem großen RENOWAVE.AT JAHRESKONVENT, der erstmals im Herbst 2023 in Graz stattfinden wird, werden wir unsere Erfahrungen untereinander austauschen und so hoffentlich schneller ans Ziel kommen“, erklärt Ulla Unzeitig.

Wissens-Transfer und Vernetzung durch Datenbanken und eigene Plattform

Da der Gebäudebestand in der Regel bewohnt ist, wird es in Zukunft Standard sein, mit den Bewohner*innen in einen Dialog zu treten – dabei helfen standardisierte, partizipative Prozesse, die im Neubaubereich schon gut erprobt sind.

Bei der Anbahnung von innovativen Sanierungsumsetzungen soll künftig auch eine Plattform helfen, die es momentan nur in Wien gibt: Die Qualitätsplattform Sanierungspartner soll österreichweit ausgerollt werden. Damit wird es leichter sein, schneller an gute Umsetzer*innen zu kommen. Das Innovationslabor experimentiert aber auch mit – auf dem ersten Blick – verrückten Ideen. „Wir prüfen momentan, wie Weltraumdaten für die Sanierung sinnvoll einsetzbar sind. Solche Ansätze sind auf den ersten Blick etwas futuristisch, aber unser Ziel ist es den größtmöglichen Nutzen für einen klimaneutralen Gebäudebestand zu generieren“, so Ulla Unzeitig. Und Susanne Formanek sagt abschließend:
„Momentan sind wir für alle Ansätze offen. Wir wissen noch nicht, ob wir eine bestimme Spezialisierung in Zukunft haben werden – wichtig ist uns der Open-Access-Ansatz: Offen zu sein für alle, die an der Mammutaufgabe klimaneutraler Gebäudebestand mitarbeiten wollen und die Sanierung immer als großes, Ganzes zu sehen.“


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /