© Wolfgang Stemme auf Pixabay / Atomkraftwerk
© Wolfgang Stemme auf Pixabay / Atomkraftwerk

Frankreichs Atomindustrie in der Krise

Die Unzuverlässigkeit von Atomstrom gefährdet die Stromversorgung, die Kurse der EDF sinken weiter, Wiederaufbereitung bereitet große Probleme.. und wirtschaftlich ist Atomkraft auch nicht.

Noch diese Woche, am 2.Februar, wird eine Entscheidung der EU-Kommission erwartet, ob Atomenergie in die Taxonomie-Verordnung aufgenommen werden soll. Frankreich hat mit aller Macht versucht, Atomkraft als grün zu klassifizieren - Und das, obwohl Frankreichs Atomindustrie selbst seit Monaten, wenn nicht sogar seit Jahren in einer großen Krise steckt. Martin Litschauer, Anti-Atomsprecher der österreichischen Grünen, ist überzeugt, dass die Atomindustrie Frankreichs in einer Krise steckt, wie er in einem Pressegespräch gemeinsam mit dem Atomenergie-Experten Mycle Schneider in vielen Facetten aufzeigt.

Die Stromprobleme Frankreichs spitzen sich weiter zu:

• Die Unzuverlässigkeit von Atomstrom gefährdet die Stromversorgung Frankreichs
• Durch Korrosionsprobleme müssen französische AKWs vermehrt abgeschaltet werden
• Der Kurs des staatlichen Energiekonzern Électricité de France (EDF) stürzt immer weiter ab, mit negativer Prognose auch für die nächste Zeit
• Der erste European Pressurized Water Reactor (EPR) in Frankreich verursacht Kosten weit über Plan und auch die Inbetriebnahme verzögert sich immer mehr
• Die geplanten Small Modular Reactors (SMR) weisen erhöhtes Unfallrisiko auf und werden immer teurer
• Veraltete AKWs in Frankreich müssen abgeschaltet und deren Laufzeit verkürzt werden, Neubaupläne von AKWs können die Stromausfälle bei weitem nicht kompensieren
• Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) von AKWs werden von Frankreich vernachlässigt
• Die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague weist massive technische Probleme und Platzmangel auf
• In Frankreich häuft sich unbestrahltes Plutonium
• Auch die MELOX Brennelementfabrik in Frankreich bilanziert katastrophal

Martin Litschauer ist schockiert, dass im Rahmen der Taxonomie vollkommenes Greenwashing erfolgen soll: „Frankreichs Präsident Macron will uns Atomenergie als sicher und grün verkaufen und opfert dafür die Glaubwürdigkeit des europäischen Green Deals. Langsam wird die Luft aber dünn für Macrons Atomkurs. Fast wöchentlich erreichen uns Meldungen aus Frankreich, die ich nicht einfach ignorieren kann. Dass nun ein Whistleblower grobe Fahrlässigkeit an ebendem Uralt-AKW aufdeckt, dessen Laufzeit über 40 Jahre hinaus verlängert werden soll, ist nur die Spitze des Eisberges.“

Sichtbar wird das auch am Kurs des Energiekonzerns EDF. „Der Aktienkurs des staatlichen Energiekonzerns Électricité de France (EDF) ist ein Abbild der aktuellen Situation der Atomindustrie in Frankreich. Gegenüber 2005 verzeichnete dieser am 17. Jänner bereits ein Minus von 62 Prozent. Frankreich hält über 80 Prozent der EDF, womit auch Milliarden an französischem Staatsvermögen verloren gehen. Darüber hinaus wurde die EDF am 17. Jänner 2022 von der Ratingagentur Fitch von A- auf BBB+ ‚downgerated‘. Gründe dafür waren unter anderem die AKW-Ausfälle, der alternde Kraftwerkparks und Frankreichs Strompolitik. Damit wird klar, dass auch Ratingagenturen die Zukunft der Atomindustrie in Frankreich problematisch sehen,“ erklärt Litschauer. Frankreich muss sogar wieder auf Kohle setzen, um den Strombedarf zu decken.

Mycle Schneider, der auch Herausgeber des World Nuclear Industry Status Report ist, meint dass die Diskrepanz der öffentlichen Wahrnehmung der Atomenergie und der Realität noch nie so groß gewesen sei wie jetzt. "Es stimmt einfach nicht, dass e mit Atomenergie wieder losgeht. Das zeigen die Zahlen von jetzt im Vergleich mit jenen der letzten Jahrzehnte." sagt er. Weltweit sei ein Rückgang von neuen Projekten sichtbar, einzige Ausnahme sei China.

Litschauer ist sich sicher: „Wenn sich Frankreich jetzt nicht an die Espoo-Konvention und das EU-UVP Recht hält, gleiten die 32 uralten Reaktoren in den rechtsfreien Raum. Das Risiko tragen wir dann aber alle, denn ein möglicher Super-GAU betrifft nicht nur die Gemeinden in unmittelbarere Nähe, sondern große Teile Europas. Ich fordere Frankreich daher nachdrücklich auf, eine grenzüberschreitenden UVP für jeden der 32 Reaktoren schnellstmöglich einzuleiten.“

„Atomenergie hat 2020 ein Viertel des EU-weiten Stroms erzeugt. Eine beträchtliche Menge, die wir aber ersetzen können. Die Trends der letzten Jahre stimmen mich sehr optimistisch. Erneuerbare Energieträger haben einen wahren Senkrechtstart hingelegt und haben in der EU Atomenergie schon überholt. Dieser Trend wird sich fortsetzen, denn EU-weit werden aktuell lediglich zwei AKWs gebaut, die mit ihren explodierenden Bauzeiten und -Kosten Investor*innen abschrecken. Mit Wirtschaftlichkeit und Sicherheit haben Erneuerbare das Rennen um die Energiezukunft der EU schon in der Tasche.“



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /