© Thomas Einberger / Greenpeace | ninell (Fotolia)
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Eine böse Neujahrsüberraschung: EU-Kommission will Greenwashing von Erdgas und Atomstrom

Neuer Taxonomie-Entwurf opfert Klimaschutz für Interessen der Atom- und Gas-Lobby - 1,5 Grad Ziel in weiter Ferne - Veto notwendig

Das neue Jahr startet in der EU energiepolitisch mit einem Dilemma: In der Silvesternacht schickte die EU-Kommission einen 60 Seiten starken Vorschlag für einen delegierten Rechtsakt zur EU Taxonomie an die Mitgliedstaaten. Atomenergie und fossiles Gas sollen demnach als "nachhaltige Investition" eingestuft werden.

"Der vorliegende Vorschlag der EU-Kommission wäre ein Tiefschlag für die europäische Energiewende. Investitionen in Atomenergie und Erdgas auf dieselbe Stufe zu heben wie Investitionen in saubere Erneuerbare wäre ein ungeheuerlicher Etikettenschwindel, den wir uns nicht bieten lassen werden", sagt Lukas Hammer, Sprecher für Klimaschutz und Energiepolitik der Grünen im Parlament.

Die im Juni 2020 auf europäischer Ebene beschlossene Taxonomie-Verordnung legt die Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten fest. Die genaue Ausgestaltung soll nun in einem "delegierten Rechtsakt" der EU-Kommission festgelegt werden. Der Vorschlag wurde an die Mitgliedsstaaten zur Konsultation geschickt. Danach wird die Kommission einen offiziellen Vorschlag vorlegen, der noch von Mitgliedsländern und EU-Parlament beeinsprucht werden kann.

"Der Finanzmarkt braucht glaubwürdige und transparente Information darüber, was nachhaltig ist und was nicht. Die Gewinnung von Strom aus Atomkraft und fossilem Gas ist dies sicherlich nicht und darf daher von der EU-Kommission auch nicht als nachhaltige Investition eingestuft werden", bringt es Hammer auf den Punkt.

Und betont: "Österreichs Position ist klar: Atomenergie kann keinen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Wir brauchen leistbare, sichere, verlässliche und schnell verfügbare Technologien all das wird die Atomenergie im Gegensatz zu Erneuerbaren niemals sein", so Hammer. "Auch Investitionen in fossile Erdgas dürfen im Jahr 2022 nicht als ,nachhaltig" eingestuft werden. Anstatt Investitionen in Erdgas grün anzumalen müssen wir so schnell wie möglich aus diesem Klimakiller aussteigen - genauso wie aus Kohle und Erdöl."

"Überfallsartig hat die EU-Kommission den Etikettenschwindel für die Atomenergie und für Erdgas mit dem Entwurf in der Silvesternacht verschickt. Dabei ist ganz klar, dass beide Technologien nicht nachhaltig sind, denn sie sie müssen ganzheitlich bewertet werden. Die Reduktion auf einen CO2-Ausstoß reicht dafür nicht. Dieser Vorschlag von der EU-Kommission ist ein Anschlag auf die Energiewende zu 100 Prozent Erneuerbarer Energie, denn er bringt das Finanzierungswerkzeug, die Taxonomie, in Misskredit und Investor*innen können sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie tatsächlich in nachhaltige Projekte investieren", erklärt Martin Litschauer, Anti-Atomenergie-Sprecher der Grünen.

"Die große Mehrheit der EU-Staaten hat nicht vor, neue Atomkraftwerke zu errichten. Der neue Taxonomie-Vorschlag ist einer Allianz aus Atom- und Erdgasinteressen geschuldet ohne die es diesen Deal nicht gegeben hätte. Dabei werden bis 2025 nicht nur Deutschland, sondern auch Spanien und Belgien aus der Atomkraft ausgestiegen sein und selbst Frankreich wird zahlreiche Atomreaktoren in den nächsten Jahren schließen. Es wird immer deutlicher, dass immer weniger Staaten noch auf Atomenergie setzen wollen", hält Litschauer fest.

Auch aus Spanien kam als Reaktion auf den Entwurf der Europäischen Kommission von Teresa Ribera, Vizepräsidentin und Ministerin für den ökologischen Übergang und die demografische Herausforderung, die Erklärung, dass Spanien die Einbeziehung von Kernenergie und Erdgas in die europäische grüne Taxonomie ablehnt.

"Die Renaissance der Atomenergie wurde vor 20 Jahren mit dem European Pressurized Water Reactor (EPR) ausgerufen und diese ist an den enormen Kosten gescheitert. Nun wird wieder eine Renaissance ausgerufen und diese baut wieder nur auf Power-Point-Präsentationen für Small Modular Reactors (SMR) auf, die noch teurer werden, als die bisherigen Kraftwerke. Auf Basis dieser Pläne lässt sich das Klima nicht retten, denn diese Technik ist nicht nur zu teuer, zu gefährlich, sondern kommt gegen den Klimawandel viel zu spät und die nächsten Generationen dürfen nicht mit noch mehr Atommüll belastet werden. Wer das Klima schützen möchte, hält die Energiewende mit Erneuerbarer Energie nicht mit neuen Atomkraftwerken auf", betont Litschauer.
Der WWF Österreich kritisiert den veröffentlichten Entwurf als legalisiertes Greenwashing: "Nur wenige Wochen nach der Klimakonferenz COP26 opfert die EU-Kommission ihre Führungsrolle in der Klimapolitik für die Interessen der Atom- und Gas-Lobby. Damit könnten Milliarden Euro in schädliche Industrien fließen und einen fatalen Lock-in Effekt produzieren, der Europa noch weiter vom 1,5 Grad Ziel entfernt", sagt Jakob Mayr, WWF-Experte für nachhaltige Finanzen. Die Europäische Kommission habe dem Druck Frankreichs, Ungarns, Polens und anderer leichtfertig nachgegeben und schade damit dem Green Deal erheblich.

Der WWF fordert das EU-Parlament und den europäischen Rat daher auf, diesen desaströsen Greenwashing-Vorschlag entschieden abzulehnen. "Das EU-Parlament und der europäische Rat könnten die Taxonomie und den Green Deal noch retten, wenn sie jetzt mit ihrem Veto ein starkes Signal für echten Klimaschutz an die weltweiten Finanzmärkte aussenden. Ansonsten muss Österreich seine Ankündigung wahr machen und den Rechtsweg beschreiten", sagt Jakob Mayr. Umweltministerin Leonore Gewessler hat bereits angekündigt, zumindest gegen die Aufnahme der Atomenergie in die Taxonomie rechtlich vorzugehen. Auch zahlreiche Investoren, Banken und Unternehmen haben signalisiert, dass sie eine grün gewaschene Taxonomie nichtunterstützen werden.

Erdgas gehört weltweit zu den größten Klimakillern und ist allein in Österreich für 20 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Auch Atomkraft ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig und daher die völlig falsche Antwort auf die Klima- und Biodiversitätskrise. Hingegen hätte eine sinnvoll und wissenschaftsbasiert gestaltete EU-Taxonomie ein gewaltiges Potenzial für den notwendigen Übergang zu einer klima- und naturverträglichen Wirtschaft.

Einspruch gegen "grüne" Atomkraft

"Eine "grüne" Atomkraft gibt es nicht und daher können auch Investitionen in die Atomkraft kein grünes Mascherl bekommen." Darin sind sich die beiden zuständigen ÖVP-Europaabgeordneten Othmar Karas und Alexander Bernhuber einig. Im Falle eines formellen Vorschlages zur Einstufung von Atomkraft als "grüne" Technologie werden Karas und Bernhuber Einspruch dagegen einlegen.

Karas ist Vizepräsident des Europaparlaments und vertritt die ÖVP in dessen Wirtschaftsausschuss. Er hat bereits am Wochenende eine Initiative angestoßen, damit alle österreichischen Abgeordneten in den zuständigen Ausschüssen für Wirtschaft und Umwelt den Einspruch parteiübergreifend unterstützen. "Die Ablehnung von Kernkraft ist keine parteipolitische Frage, sondern ein gemeinsames Anliegen. Kernenergie ist keine und kann keine nachhaltige Zukunftstechnologie sein", sagt Karas. Ein Rechtsgutachten des österreichischen Klimaschutzministeriums belege die Unvereinbarkeit von Atomkraft und der Taxonomie, weil die langfristige Abfallbeseitigung erhebliche Umweltrisiken berge. "Es braucht jetzt keine "Greenwashing"-Versuche, sondern gemeinsame Anstrengungen, um die EU zum Innovationstreiber beim grünen Wandel zu machen", sagt Karas.

Bernhuber, Umweltsprecher der ÖVP im Europaparlament, sagt: "Jeder Cent, den wir in Atomkraft investieren, schwächt eine nachhaltige und moderne Klimapolitik. Der Green Deal darf nicht die Hintertür für eine Renaissance der Atomkraft in Europa werden. Daher werden wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass ein Einspruch eine möglichst breite Unterstützung in den zuständigen Ausschüssen für Wirtschaft und Umwelt erhält. Die Überzeugungsarbeit muss unmittelbar beginnen, damit wir rasch reagieren können, wenn die Vorlage der EU-Kommission dann tatsächlich in dieser untauglichen Form präsentiert werden sollte. Mit diesem Inhalt und mit der mehr als fragwürdigen Form der Erstvorlage des Entwurfs mitten in der Silvesternacht beschädigt die Kommission unsere Bemühungen für den Klimaschutz und ihr eigenes Ansehen."

SPÖ-Forderung: EU-Atom-Ausstieg-Vertrag statt EURATOM

Der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende und Europasprecher Jörg Leichtfried ist überzeugt: "Atomkraft hat sich nicht als nachhaltig herausgestellt, sondern sie hat sich nachhaltig disqualifiziert. Wir können die Probleme der Zukunft doch nicht mit falschen Antworten aus dem vorigen Jahrtausend lösen! Wir wissen seit fast drei Jahren, dass keiner der 125 Reaktoren in Europa heute bei Neustart noch die Sicherheitsstandards erfüllen würde. Atomenergie nun reinzuwaschen ist also ein enormes Sicherheitsrisiko. Das muss verhindert werden."

Neben der Taxonomie sei EURATOM das Grundübel. Schon im Regierungsprogramm von Kurz und Strache versprach man im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes EURATOM neu verhandeln zu wollen. Er erinnert daran, dass die SPÖ seit Jahren vehement darauf pocht, den EURATOM-Vertrag zu einem EU-Atom-Ausstieg-Vertrag zu machen.

GLOBAL 2000 fordert Mitgliedstaaten auf, versuchtes Greenwashing der gescheiterten Technologie durch internationale Allianzen zu verhindern

"Dieses atomare Neujahrsbaby war zu befürchten - in der Hoffnung, dass der Entwurf in den Feiern zum Neuen Jahr untergehen möge, veröffentlichte die EU-Kommission kurz vor Mitternacht den Entwurf zur Nachhaltigkeits-Taxonomie", kritisiert Patricia Lorenz, Atom-Sprecherin von GLOBAL 2000. "Die Öffentlichkeit wurde vorsorglich vollständig von den ihr zustehenden Konsultationen ausgeschlossen, nur noch das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten können jetzt noch mitreden. Daher fordern wir die Mitgliedsländer auf, das versuchte Greenwashing von Atomenergie zu verhindern."

In der früheren Konsultation zum Rechtsakt war Atomenergie noch ausgeschlossen und wurde somit keiner Konsultation unterzogen. Insbesondere die jetzt für Atomenergie vorgestellten "Kriterien" ("screening criteria") wurden nicht öffentlich diskutiert: es handelt sich hier jedoch nur um die Aufzählung der bestehenden Gesetze und Verordnungen, deren Einhaltung durch die EU-Mitgliedsstaaten wohl vorausgesetzt werden darf. Jedoch sind diese Minimalvorgaben keine "Kriterien" für die Aufnahme von Atomenergienutzung in die EU-Taxonomieverordnung. Im Gegenteil, es ist bereits jetzt bekannt, dass die als "Kriterium" angeführte Atommüll-Richtlinie von den Mitgliedsstaaten nicht einmal auf dem Papier eingehalten wird. Die EU-Kommission selbst veröffentlichte in ihrem Evaluierungsbericht zur Umsetzung der Richtlinie im Jahre 2019 nicht nur ein lange Liste von Mängeln bei praktisch allen Mitgliedsstaaten, sondern auch die einfache Botschaft: "Da muss mehr gemacht werden."

"Die EU-Kommission versucht den aktuellen Zustand der Atomenergienutzung als Kriterienkatalog umformuliert zu verkaufen, um die politisch gewünschte Aufnahme in die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen zu ermöglichen. Damit wird der untragbare Zustand der Atomenergienutzung einzementiert und die Betriebsdauerverlängerung alter AKWs finanziell noch attraktiver gemacht. Die ungelöste Endlagerproblematik wird wortreich verschleiert", so Lorenz.

Atom-Greenwashing - unzuverlässige Atomkraft wird als "stabile Grundlast" verkauft

Atomkraft wird im geleakten Papier als "stabile Grundlastversorgung" bezeichnet, die die intermittierenden erneuerbaren Energien ermöglichen würde. Dies ist fragwürdig, wenn man die aktuelle angespannte Lage auf dem französischen Strommarkt betrachtet. Dort musste ein Drittel der französischen Atomkraftwerksflotte mitten im Winter aus technischen Gründen vom Netz genommen werden und Blackouts drohen.

"Wie befürchtet wird statt eines ursprünglich versprochenen strikt wissenschaftlichen Kriterienkatalogs auf politischen Druck einiger pro-atomarer Länder wie Frankreich versucht, der wirtschaftlich toten Hochrisikotechnologie Atomkraft ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Wir begrüßen, dass Umwelt- und Energieministerin Gewessler bereits im Vorfeld eine Klage der Republik gegen dieses Greenwashing angekündigt hat und fordern die Bundesregierung auf, politische Allianzen mit der Vielzahl von europäischen Staaten zu bilden, die so wie Deutschland, Belgien und Spanien aus der gescheiterten Atomkraft aussteigen", meint Lorenz.

Aufforderung an Österreichs EU-Kommissar, sich zu Kommissionsplänen zu erklären

Pünktlich mit der Übernahme des Ratsvorsitzes durch Frankreich wird "nachhaltige Atomenergie" ein Kernthema der Europäischen Union. "Es verwundert nicht, dass die EU-Kommission gerade jetzt versucht, Atomenergie als nachhaltig einzustufen,", ist der Dritte Nationalratspräsident Ing. Norbert Hofer wenig überrascht, "gerade Frankreichs Präsident Macron setzt bei der Stromversorgung auch künftig verstärkt auf nukleare Energieträger." Schon im Herbst letzten Jahres kündigte der französische Präsident an, den Bau neuer Kernreaktoren aufzunehmen, um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen.

Angesichts dieser Kommissions-Pläne fordert er eine Erklärung von Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn. "Österreich ist strikt gegen Atomkraftwerke. Schon 2014 hat sich das Österreichische Parlament in einem Allparteienantrag dafür ausgesprochen, den EU-weiten Ausstieg aus der Atomkraft voranzubringen.", erinnert Norbert Hofer an den Entschließungsantrag, der einstimmig angenommen wurde. Nach der Katastrophe von Fukushima 2011 wurde der "Gemeinsame Aktionsplan für ein internationales Umdenken von der Kernenergie hinzu erneuerbarer Energie und Energieeffizienz" von der Bundesregierung beschlossen. Mit dem Antrag 2014 wurde die Umsetzung des Aktionsplanes verlangt. Unter Anderem sah das Verlangen vor: eine sofortige Abschaltung besonders gefährlich eingestufter Reaktoren und Einsatz aller Rechtsmittel, um Druck auf Länder auszuüben, die Kernkraftwerke bauen, ausbauen oder erneuern wollen. Des Weiteren ist auch eine Informationspflicht AKW-betreibender Länder über Bau-, Ausbau- oder Erneuerungspläne, sowie eine Kooperation mit nuklearkritischen Staaten vorgesehen gewesen.

"Die EU-Kommission soll Kostenwahrheit über der Erzeugung von Atomstrom herstellen.", verlangt Hofer Details über den wahren Aufwand für nukleare Energieerzeugung. Neben Bau und Betrieb fallen zum Beispiel enorme Kosten für die Atommüll-Endlagerung an. Außerdem stellt sich die Frage nach der Haftung: "Jeder kleine Unternehmer muss seinen Betrieb so versichern, dass keine Unterversicherung besteht. Hier ist das derzeit nicht der Fall. Bei einem Unfall bezahlt die Öffentlichkeit."

"Eine Gleichstellung der Atomenergie mit erneuerbaren Energieträgern ist ein Irrweg. Atomstrom ist keine nachhaltige Energiegewinnung und brandgefährlich - die Erinnerungen an Tschernobyl und Fukushima sind allgegenwärtig. Der Weg aus der Atomenergie ist der einzige nachhaltige Weg.", so Norbert Hofer.

Eines scheint fix: In Österreich herrscht Einigkeit, dass Atomkraft keine nachhaltige Energieform ist.



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /