© Wolfgang Borchers - pixabay.com / Landschaft - Äcker
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Die Lebensmittelversorgung gegen Coronakrise und Klimawandel wappnen

Die Coronakrise hat Stärken und Schwächen der Lebensmittelversorgung offenbart.

Für die Zukunft muss diese noch krisensicherer werden, fordert eine Expertengruppe von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften mit Blick auf den Klimawandel. Sie rät zu einer nachhaltig intensivierten Landwirtschaft, die Prinzipien aus ökologischer und konventioneller Landwirtschaft kombiniert und neue Technologien einsetzt. Richtungsweisende Entscheidungen dafür müssten in der anstehenden Neuordnung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union getroffen werden.

„Deutschland ist mit Blick auf die Lebensmittelversorgung bisher recht gut durch die Coronakrise gekommen“, sagt acatech Vizepräsident Reinhard F. Hüttl. „Dies liegt auch daran, dass Logistik und Versorgungsstrukturen sich schnell und gut an die abrupten Änderungen anpassen konnten, sodass die Versorgung mit Lebensmitteln und für die Landwirtschaft wichtigen Produktionsmitteln gewährleistet blieb. Zudem liegt der Selbstversorgungsgrad, das heißt das Verhältnis von Inlandserzeugung zu heimischem Verbrauch bei vielen Lebensmitteln, etwa Getreide, Kartoffeln, Milch oder Fleisch, über oder nahe bei 100 Prozent.“ Reinhard F. Hüttl weiter: „Etwas anders sieht dies bei Gemüse und Obst aus. Hier importiert Deutschland viele Produkte aus südlichen Ländern, die besonders zu Beginn stark von der Pandemie betroffen waren. Entsprechend kosteten Gemüse und Obst im April 2020 gegenüber dem Vorjahr um 26 beziehungsweise 14 Prozent mehr.“

Erste Lehren aus der Coronakrise

Trotz des überwiegend glimpflichen Verlaufs im Bereich der Lebensmittelversorgung, lassen sich laut der Expertengruppe um Reinhard F. Hüttl für Deutschland erste Lehren aus der Coronakrise ziehen: Regionale und internationale Versorgungsketten ergänzen sich zu einer stabilen Lebensmittelversorgung. Entsprechend müssten etwa Grenzen auch in Krisenzeiten offen bleiben für Produkte sowie wichtige Produktionsmittel und Arbeitskräfte. Wichtig für die Logistik seien zudem gut zugängliche und zuverlässige Informationen im Falle kurzfristiger Einschränkungen des Grenzverkehrs. Sichtbar wurde im Zuge der Pandemie besonders auch der Einfluss großer Verarbeitungsbetriebe auf ganze Wertschöpfungsketten, insbesondere in der Fleischwirtschaft. In diesem Zusammenhang traten auch unzulängliche Arbeitsbedingungen in Betrieben der Lebensmittelversorgung deutlich zu Tage.

Blick in die Welt: Hunger und „Hidden Hunger“ entgegenwirken

Global betrachtet trafen die Effekte, laut dem Team um Reinhard F. Hüttl, dabei im Vergleich zu zurückliegenden Krisen auf stabilisierende Faktoren wie hohe Lagerreserven und verstärkte internationale Zusammenarbeit beim Monitoring von Lebensmittelpreisen. Dies verhindere jedoch nicht den Kaufkraftverlust in einigen Ländern, der den Zugang der Menschen zu Lebensmitteln erschwere. Hunger oder „Hidden Hunger“, der Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen, sind die Folge. Deutschland hat besonders im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 diplomatische Möglichkeiten, eine breite internationale Koalition zur Bekämpfung von (Hidden) Hunger anzuregen.

Langfristige Herausforderungen für eine krisensichere Lebensmittelversorgung

Über die Coronakrise hinaus spricht die Arbeitsgruppe weitere Herausforderungen für eine widerstandsfähige Lebensmittelversorgung an: Besonders die landwirtschaftliche Produktion selbst muss sich gegen langfristige Veränderungen wie den Klimawandel wappnen. So könnte etwa die Zunahme von Extremwettererscheinungen wie Perioden extremer Trockenheit in Zukunft verstärkt zu Ernteausfällen führen. Reinhard F. Hüttl sagt: „Für eine produktive Lebensmittelerzeugung brauchen wir auch auf lange Sicht ausreichend Flächen mit qualitativ hochwertigen Böden. Demgegenüber stehen Zielkonflikte in der Landnutzung, der Rückgang der Biodiversität und der Klimawandel, der die Anbaubedingungen stark verändert. Hinzu kommt, dass die Zahl der landwirtschaftlichen und Verarbeitungsbetriebe in Deutschland kontinuierlich abnimmt. Im Verarbeitungsbereich konzentriert sich der Markt immer mehr auf einzelne Großbetriebe – fällt einer aus, sind Konsequenzen entsprechend schnell spürbar.“

Nachhaltig intensiviert statt Öko oder konventionell

Eine krisenfeste Lebensmittelversorgung müsse Zielkonflikte zwischen Erträgen und Nachhaltigkeit überwinden. Den Rahmen dafür schaffen könne, laut Expertengruppe, die nachhaltig intensivierte Landwirtschaft, in der Methoden aus ökologischer und konventioneller Landwirtschaft zum Tragen kommen, um Ökologie und Effizienz zu vereinen, gemeinsam mit Prinzipien der Circular Economy. Dies erfordere einen verstärkten Austausch zwischen Wissenschaft, industrieller Forschung und landwirtschaftlicher Praxis.

Die Expertengruppe plädiert für eine höhere Diversität in Anbaumethoden und Kulturen, neue Züchtungsmethoden, die veränderten klimatischen Bedingungen gerecht werden, digital vernetztes Smart Farming und smarte Logistik. Darüber hinaus könne auch das Design neuer Prozesse und Produkte zu einer sinnvollen Kreislaufführung beitragen: So verringere die effiziente Mehrfachnutzung von natürlich erzeugten Rohstoffen für die Bioökonomie – etwa von Biokunststoffen – die Belastung der Umwelt. Ersatzprodukte, beispielsweise für Fleisch, könnten die Umweltbelastung ebenfalls verringern.

Eine gemeinsame Vision für Verbraucher, Handel, Landwirtschaft, Politik und Wissenschaft

Landwirtschaft und Ernährung stehen im Mittelpunkt intensiver gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Damit der Brückenschlag zwischen ökologischer und konventioneller intensiver Landwirtschaft gelingen kann, müssen Landwirtschaft, Handel und Verbraucherinnen und Verbraucher in dieselbe Richtung steuern. Nur bei entsprechender Nachfrage und gesellschaftlicher Unterstützung werden sich neue Produkte und nachhaltigere Produktionsweisen auch etablieren.

Zudem hängt die Umsetzung von politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU bestimmt maßgeblich die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion. Landwirtschaftliche Betriebe erhalten über die GAP bedeutende Subventionen, die bisher vor allem auf Basis der bewirtschafteten Flächen vergeben werden. Um zu einer nachhaltigen und resilienten Landwirtschaft zu gelangen, kann der Weg in einer wesentlich besseren Honorierung von Ökosystemleistungen liegen. Es gilt, die Rahmenbedingungen mit Blick auf Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit sowie den Prinzipien einer Circular Economy umsichtig zu gestalten. Gleichzeitig muss die Politik sicherstellen, dass Landwirte und Landwirtinnen auch in Zukunft noch von der Landwirtschaft leben können, die Ernährungssicherheit der Gesellschaft weiterhin gewährleistet bleibt und die Umwelt sowie ländliche Räume intakt und lebenswert bleiben.
Originalpublikation:

ww.acatech.de/publikation/resiliente-und-nachhaltige-lebensmittelversorgung

Marieke Schmidt


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /