© Hans Braxmeier - pixabay.com / Effiziente Gebäudesanierung macht Sinn
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Sanierung im Wohnbau: Ein Plus für Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Der Sanierungsbedarf ist hoch: Rund 1,9 Mio. Wohneinheiten thermisch unzureichend - Österreich braucht eine Sanierungsstrategie - Sanierungsrate sinkend!

Raumwärme und Warmwasserbereitstellung umfassen fast 30% des gesamten Energiebedarfs in Österreich. Alle Ansätze zur thermisch-energetischen Sanierung von Gebäuden haben bisher nicht ausreichend gegriffen. Die Sanierungsrate ist derzeit so niedrig wie seit 10 Jahren nicht mehr. Die Corona-Krise hat faktisch über Nacht einen wesentlichen und auf Touren laufenden Motor der heimischen Wirtschaft - den Bausektor - ins Stottern gebracht. Mit einer massiven Ankurbelung der Wohnhaussanierung trägt man nicht nur zur Erreichung der Klimaziele bei, sondern belebt die heimische Wirtschaft.

"Der Bereich Gebäudesanierung liegt seit Jahren auf der Intensivstation", so Mag. Georg Bursik, F.B.I. Forschungsverband der österreichischen Baustoffindustrie. "Gerade in der jetzigen Situation braucht die Wirtschaft starke Impulse. Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktbelebende Wirkung von Investitionen in den Bausektor wurden in der Vergangenheit ja schon vielfach bestätigt", unterstreicht Bursik.

Studie 1: "Zur aktuellen thermisch-energetischen Sanierungsrate in Österreich"

Umweltbundesamt und IIBW haben eine konsensfähige Definition für die Sanierungsrate, den aktuellen Trend bei geförderten und ungeförderten Sanierungen sowie ein zuverlässiges Monitoring-System für die Zukunft erarbeitet.

Definition "Sanierungsrate"

Bei der Sanierungsrate wurden bislang häufig nur geförderte umfassende Sanierungen berücksichtigt, nicht aber Einzelmaßnahmen. Seitens der Experten wird folgende Formel vorgeschlagen: Im Zähler steht die Summe umfassender thermisch-energetischer Sanierungen sowie kumulierter Einzelmaßnahmen (je 4 Einzelmaßnahmen ergeben ein umfassendes Sanierungsäquivalent).Im Nenner steht der Gesamtbestand an Wohnungen im jeweiligen Segment. Die Berücksichtigung von Einzelmaßnahmen ist insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil auch sie maßgeblich zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Die Bezugnahme auf den Gesamtbestand an Wohnungen resultiert aus dessen klarer statistischer Basis.

"Die vorgeschlagene Definition für die thermisch-energetische Sanierungsrate hilft ein vollständiges Bild der Sanierungsaktivitäten in Österreich zu liefern. Auf dieser Grundlage kann die Wirkung von Maßnahmen vergleichbar und nachvollziehbar bewertet werden", so Mag. Wolfgang Schieder, Umweltbundesamt, Team Gebäude.

Sanierungsrate sank in 10 Jahren von 2,1% auf 1,4%

Nach der neuen Methode, unter Berücksichtigung ungeförderter sowie (kumulierter) Einzelbauteilsanierungen, lag die Sanierungsrate für Hauptwohnsitzwohnungen 2010 bei 2,2% und unter Berücksichtigung der Wohnungen ohne Hauptwohnsitz (Nebenwohnsitze, Ferienwohnungen, Leerstand) bei etwa 2,1%. 2018 wurde demgegenüber nur noch eine Sanierungsrate von 1,4% erreicht. Vor zehn Jahren dominierten umfassende Sanierungen, heute überwiegen eindeutig die Einzelmaßnahmen.

Hoher Sanierungsbedarf: 1,9 Mio. Wohneinheiten thermisch unzureichend

Die Studie gibt neben einer erstmals umfassend ermittelten Sanierungsrate auch einen Einblick zum Sanierungsbedarf in den einzelnen Wohnungsbeständen:

Seit 1991 ist der Wohnungsbestand um etwa 40% auf fast 4,8 Millionen Einheiten angewachsen. Besonders stark zugelegt haben Eigenheime ohne Hauptwohnsitz, gemeinnützige Mietwohnungen und Eigentumswohnungen. Etwa 1,9 Millionen Einheiten haben einen thermisch unzureichenden Standard. Besonders hoch ist der Sanierungsbedarf bei Eigenheimen, nicht nur wegen der sehr hohen Zahl, sondern auch wegen dem sehr viel höheren Energiebedarf im Vergleich zu baugleichen Geschoßwohnungen.



Damit eine vollständigen thermisch-energetischen Ertüchtigung des Wohnungsbestands bis 2040 erreicht wird, muss die Sanierungsrate (umfassende Sanierungen und kumulierte Einzelmaßnahmen) kurzfristig auf 2,6% und ab 2025 auf 3,2% erhöht werden. Dies sind kurzfristig etwa 120.000 umfassende Sanierungsäquivalente. Überdurchschnittlich hoch ist der Sanierungsbedarf bei privaten und kommunalen Mietwohnungen sowie bei Wohnungen und Eigenheimen ohne Hauptwohnsitz. "Mit einer Sanierungsrate von 2,5 bis 3% können wir den österreichischen Wohnungsbestand bis 2040 Klima-fit machen. Das ist bei entschlossenem Handeln von Politik, Wirtschaft und Bevölkerung zu schaffen", sagt Amann.

Eine Sanierungsstrategie für Österreich ist ein Muss

Die Erkenntnisse aus der Studie zur Sanierungsrate haben offen gelegt, dass eine deutliche Anhebung der Sanierungsrate nur mit einem Maßnahmenbündel für die einzelnen Bestandssegmente zu erreichen sein wird. "Einzelaktionen, wie in der Vergangenheit, werden uns nicht weiterbrigen. Wir brauchen daher in Österreich dringend eine Sanierungsstrategie", so Mag. Roland Hebbel, GDI 2050, ZIB - Zentralverband Industrieller Bauproduktehersteller.

Eine Reform des Wohnrechts für Miet- und Eigentumswohnungen, die seit Jahren gefordert wird, steht dabei an vorderster Stelle, genauso wie eine starke Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung. Eine Ausweitung der Fördermaßnahmen bzw. -Instrumente ist für alle Segmente wichtig, steuerliche Maßnahmen für Eigenheime und private Mietwohnungen sind dabei besonders effektiv.

"Für eine Erholung der Bauwirtschaft und die Erreichung der Klimaziele brauchen wir eine massive Ankurbelung der thermisch-energetischen Sanierung. Das ist eine riesige Herausforderung für alle Beteiligten, vor allem für die bauausführende Wirtschaft und die öffentliche Hand - es ist aber auch d i e Chance. Also packen wir es an", so Hebbel.

Studie 2: "Steuerliche Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Wohnungssektors"

Neue Ansätze zur Erreichung der Sanierungsziele<7b>

Nachdem die bisherigen Ansätze zur Erhöhung der Sanierungsrate nicht ausreichend fruchten, spricht sich die Bauprodukteindustrie für einen neuen Schwerpunkt bei steuerlichen Förderungen aus. Das erste in der vorliegenden Studie vorgestellte Modell zielt auf Eigenheime und Eigentumswohnungen ab, das zweite auf private Mietwohnungen, also auf Bestandssegmente, bei denen die bisherigen Förderungsmodelle besonders auslassen. Die Sanierung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen soll durch die großzügige Absetzung von Sanierungskosten von der Lohn- und Einkommensteuer bzw. einer Negativsteuer im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung angekurbelt werden, die Sanierung von privaten Mietwohnungen durch eine verkürzte Absetzung von Sanierungskosten oder alternativ mit Investitionsprämien.

"Bei der Sanierung von Eigenheimen können wir den mit Abstand größten Hebel ansetzen. Die einkommensteuerliche Absetzung der Sanierungskosten ist ein international erfolgreich angewandtes Modell", so Prof. Mag. Ing. Walter Stingl, Gründer der Stingl Top Audit Steuer- beratung GmbH.

Ankurbelung der Sanierung privater Mietwohnhäuser

Ein ähnlich einfaches steuerliches Förderungsmodell wurde für die thermisch-energetische Sanierung privater Mietwohnhäuser entwickelt. Ähnlich einem in Deutschland neu eingeführten Instrument soll durch eine stark verkürzte Absetzung der Sanierungskosten innerhalb von nur fünf Jahren die Bereitschaft für Sanierungen angekurbelt werden. Für Eigentümer, die mit erhöhten Absetzbeträgen wenig anfangen können, soll alternativ eine Investitionsprämie in Höhe von 15% der Investitionskosten eingeführt werden. Denkmalgeschützte Gebäude werden zusätzlich begünstigt, indem die Liebhabereiberechnung entschärft wird. Bei gewerblich genutzten Mietflächen ist schon heute eine Sofortabsetzung möglich. Dies soll bei Mischobjekten auch auf Wohnungen ausgeweitet werden. Begleitend soll zur erleichterten Finanzierung die steuerfreie Ansparung der Mietzinsreserve ermöglicht werden.

"Bei privaten Vermietern wird man mit steuerlichen Förderungen in Verbindung mit wohnrechtlichen Anpassungen die besten Effekte erzielen", Mag.a Karin Fuhrmann, Steuerberaterin und Partnerin bei TPA Steuerberatung GmbH.

Ergänzende wohnrechtliche Maßnahmen als Turbo

Die entwickelten Modelle werden zweifellos von der Branche gut aufgenommen werden. Ihre Wirksamkeit würde aber wesentlich steigen, wenn begleitende wohnrechtliche Reformen durchgeführt werden. Beim Wohnungseigentum sind die großen Brocken eine Neuregelung der Rücklage und effizientere Regelungen der Willensbildung. Im Mietrecht wäre ein besonders starker Treiber, wenn Wohnungen im Vollanwendungsbereich (Gründerzeit-Bauten) bei entsprechend hoher Qualität der Sanierung angemessen vermietet werden könnten. Für viele Maßnahmen, etwa die Umstellung von fossilen wohnungsseitigen Heizungen (Gasthermen) auf regenerative Hauszentralheizungen (Fernwärme), müssen die Duldungspflichten der Mieter reformiert werden.

2 Millionen Tonnen CO2-Reduktion in zehn Jahren

Bei entsprechend konsequenter Umsetzung der dargestellten steuerlichen Förderungsmodelle ist in den jeweiligen Bestandssegmenten eine Erhöhung der Sanierungsrate um etwa einen Prozentpunkt machbar. Damit ist ein wesentlicher Beitrag zur Dekarbonisierung des Wohnungssektors darstellbar, der in 10 Jahren eine CO2-Reduktion von 2 Millionen Tonnen bewirken würde.

Turbo für die Wirtschaft und Arbeitsmarkt - Herausforderung für die Bauwirtschaft

Die Wohnhaussanierung ist ein mächtiger Motor für Wirtschaftsleistung und Beschäftigung. Die dargestellten Maßnahmen versprechen einen zusätzlichen Bruttoproduktionswert von fast € 2,6 Mrd. pro Jahr. Von der Eigenheimsanierung profitiert insbesondere der ländliche und semiurbane Raum, die Miethaussanierung wirkt hingegen eher in den Städten. Es werden nicht weniger als 18.000 Arbeitsplätze dauerhaft gesichert. Allerdings bedeutet die massive Forcierung der Wohnhaussanierung eine Herausforderung für die Bauwirtschaft. Bei Umsetzung des skizzierten Volumens werden jährlich 31.000 Häuser und Wohnungen umfassend thermisch saniert (inkl. Äquivalente für Einzelmaßnahmen). Im Vergleich dazu schaffte die gesamte Wohnbauförderung zuletzt nur 19.000 Sanierungen.

Win-Win-Win für Umwelt, Wirtschaft und Fiskus

Unter den getroffenen Annahmen bewirken die beiden Modelle zusätzliche Einnahmen aus der Lohn- und Umsatzsteuer bzw. Minderausgaben für eingesparte Arbeitslosenunterstützung und Kompensationszahlungen für nicht benötigte Emissionszertifikate von knapp € 790 Mio. Dem stehen steuerliche Mindereinnahmen im Ausmaß von etwa 630 Mio. ¤ gegenüber. Zu den fiskalisch positiven Effekten kommen noch Vermögens- und Wohlfahrtseffekte für Eigentümer und Bewohner, weiterführende Umwelteffekte etwa durch reduzierte Feinstaubbelastung sowie Einsparungen bei Infrastrukturinvestitionen der Gemeinden und Effekte aus dem Zurückdrängen der Schattenwirtschaft. Zusätzlich stark positiv wirkt sich die massive Verlängerung der Nutzungsdauer der Gebäude aus.

Beide Studien können unter www.iibw.at heruntergeladen werden.



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /