© RLB international / Future Talks in Wien
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Was kann die Finanzindustrie zur Erreichung der Pariser Klimaziele wirklich leisten?

Die Zeit drängt: Finanzinstitute müssen Produkte und Dienstleistungen regulatorisch auf Nachhaltigkeit ausrichten.

Wien- Das Pariser Klimaabkommen definiert als Ziel, die Erderwärmung unter 2° C zu halten und Finanzmittel mit einer emissionsarmen Entwicklung in Einklang zu bringen. Dieses Abkommen wurde auch von Österreich ratifiziert. Der zusätzliche Finanzierungsbedarf für die Erreichung dieses Vorhabens ist enorm. Allein für Österreich wird für die Energiewende von einem Finanzierungsbedarf von 29 Mrd. Euro für die Stromerzeugung und 20 Mrd. Euro für den Ausbau der Netze ausgegangen. Auf europäischer Ebene wird der jährliche Investitionsbedarf von der Europäischen Kommission auf etwa 180 Mrd. Euro geschätzt (bis 2030). Für die Sektoren Energie, Transport, Wasser und Abfall insgesamt auf rund 270 Mrd. Euro p.a.

„Die Finanzindustrie kann und muss einen substanziellen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten, sonst wird man diesen Bedarf nicht stemmen können“, so Dieter Aigner, Geschäftsführer der Raiffeisen KAG in der Vorwoche im Rahmen einer Future Talks-Veranstaltung der Raiffeisen KAG in Wien.

Die Zeit drängt: Finanzinstitute müssen Produkte und Dienstleistungen regulatorisch auf Nachhaltigkeit ausrichten.

Christine Würfel, Leitung Group Regulatory Transparency bei der Raiffeisen Bank International bestätigt, dass „Sustainable Finance“ immer größere Priorität erlange. „Zur Zielerreichung lege der Gesetzgeber und die Aufsicht eine enorme Geschwindigkeit vor und dies mit einem Nachdruck, der an die Zeiten nach der Finanzkrise 2009 zur Etablierung der ‚Banking Union‘ erinnere“, so Würfel. Ein „Green Deal“ sei ein Kernziel der Europäischen Kommission und solle Europas Markenzeichen werden. Das hieße, Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen. Auch die internationalen und europäischen Aufseher stellen die Klimarisiken ins Zentrum der Finanzstabilität. Und das Thema Nachhaltigkeit erhält bei vielen Unternehmen und Banken wie auch der RBI große Bedeutung. Bereits 2018 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und veröffentliche erste Legislativvorschläge. Heuer wurden Mandate der Europäischen Bankenaufsicht zur Evaluierung der Einbeziehung von ESG Risiken in aufsichtsrechtliche Überprüfungen und eines

„Green Supporting Factors“ erteilt. Im Juni wurden die neuen EBA-Richtlinien zur Kreditvergabe und -überwachung veröffentlicht und auch Leitlinien für die Berichterstattung über klimabezogene Unternehmensinformationen festgelegt. Eine schrittweise Anwendung all dieser Maßnahmen sei bereits bis 2022/23 vorgesehen.

Drei Kernziele – zehn Maßnahmen

„Der Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums hat drei Kernziele definiert, die mit zehn Maßnahmen erreicht werden sollen und zwar auf dem Weg über die Kapitalmarktfinanzierung wie auch über die Bankenfinanzierung“, so Würfel. Dabei gehe es um eine Neuausrichtung der Kapitalflüsse hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, die Einbettung der Nachhaltigkeit ins Risikomanagement und die Förderung von Transparenz und Langfristigkeit. Als Maßnahmen für die Kernziele nennt Würfel vor allem die Taxonomie-Verordnung als einheitliches Klassifikationssystem, die Verordnung zu Offenlegungspflichten und für Referenzwerte/Benchmark. „Diese Vorschriften sollen dazu dienen, Transparenz zu schaffen – beim Kunden, Finanzinstitut, Unternehmen und Investor. Es solle Klarheit geschafft werden, dass dort wo nachhaltig draufstehe, auch nachhaltig drin sei.“

Taxonomie – ein gemeinsames Verständnis für den Begriff „nachhaltig“

Bei der EU-Offenlegungsverordnung gehe es, so Heinz Macher, Leiter Regulation, Tax & Compliance bei der Raiffeisen KAG, um die Festlegung harmonisierter Vorschriften, die von Finanzmarktteilnehmern und Finanzberatern anzuwenden seien. Nachhaltigkeitsrisiken müssten transparent dargestellt werden und nachteilige Nachhaltigkeitswirkungen in den Prozessen berücksichtigt werden. Auch sei die Bereitstellung nachhaltigkeitsbezogener Informationen über Finanzprodukte zu gewährleisten. Bei der EU-Taxonomie-Verordnung gehe es darum, ein gemeinsames Verständnis für den Begriff „nachhaltig“ zu definieren. Ein einheitliches Klassifikationssystem (=einheitliche Taxonomie) soll festlegen, welche Tätigkeiten „nachhaltig“ sind. Heinz Macher: „Damit wird der Rahmen vorgegeben, den die Mitgliedstaaten und die Europäische Union bei der Einführung von Kennzeichnungen für nachhaltige Finanzprodukte berücksichtigen müssen. Gerade für nachhaltige Fondsmanager sei die Taxonomie von großer Bedeutung. So sollen beispielsweise für als ökologisch nachhaltig vermarktete Unternehmensanleihen („Green Bonds“) einheitliche Anforderungen gelten.“

Finanzwirtschaft kann Klimakrise nicht lösen, aber Lösungen finanzieren

Die Finanzwirtschaft könne die Klimakrise zwar nicht lösen, aber sie könne Lösungen finanzieren, so Aigner. Mittlerweile hätten 2.600 Asset Owner und Asset Manager die PRI der Vereinten Nationen2 unterzeichnet, eine 2006 gegründete Investoreninitiative. „Diese Unterzeichner verwalten fast 100.000 Mrd. Dollar Assets under Management. Nur 1 % davon wären ein Bruchteil der durchschnittlichen jährlichen nominellen Erträge dieses Volumens, etwa die Hälfte des aktuellen verfügbaren Volumens an Green Bonds und etwa das 2,5fache des österreichischen Sozialprodukts“, so Aigner. „Die Mittel sind vorhanden. Sie müssen nur genutzt werden.“ Nachhaltiges Veranlagen unterstützt erwiesenermaßen die Reduktion von CO2-Emissionen. Die Raiffeisen KAG bekenne sich voll und ganz zu diesen Zielen und werde mittelfristig ihre gesamte Fondspalette auf nachhaltige Investments umstellen, so Aigner.

Nachhaltigkeit spricht neue Anlegergruppen an

Schon jetzt ist die Raiffeisen KAG die Nummer 1 bei nachhaltigen Publikumsfonds in Österreich3. Der Raiffeisen-Nachhaltigkeit-Mix ist mit einem Volumen von 1,6 Mrd. (Stand 30. September 2019) nicht nur der größte nachhaltig gemanagte Fonds Österreichs, sondern auch der insgesamt größte österreichische Publikumsfonds. Mit dem nachhaltig gemanagten Produktangebot gelingt es der Raiffeisen KAG neue Anlegergruppen zu gewinnen. Raiffeisen hat mit seinem großen Vertriebsnetz, den regionalen Bankfilialen, einen extrem starken Hebel. Mit diesem können Investorinnen und Investoren in ganz Österreich, aber auch in Zentral- und Osteuropa über die Netzwerkbanken erreicht werden. Das Volumen nachhaltig gemanagter Assets beträgt mit EUR 5,9 Mrd. bereits 15 % des Gesamtvolumens (EUR 37,2 Mrd. per Ende September 2019).

Nachhaltige Investmentstrategien im Wandel: vermeiden, unterstützen, Einfluss nehmen

In den vergangenen Jahren hätten sich auch die Investmentansätze der Anbieter stark verändert. So würde ESG-Integration eine wesentlich wichtigere Rolle spielen als noch vor wenigen Jahren. Auch der mehrdimensionale Investmentansatz der Raiffeisen KAG geht weit über einfache Negativkriterien hinaus und basiert auf den drei Ebenen der ESG-Integration „Vermeiden“, „Unterstützen“ sowie „Einflussnahme“. Das Zusammenwirken möglichst aller drei Elemente ist Voraussetzung für ein verantwortungsvolles Management von nachhaltigen Fonds. Selbstverständlich fließen auch die finanzielle Bewertung und das Potential des Titels in die Investmententscheidung mit ein.

Änderungen bewirken

„Nachhaltig investieren heißt, einen sehr aktiven Investmentstil anzuwenden. Das bedeutet, über das Negativ- und Positivscreening hinauszugehen und aktiv mit Unternehmen in Kontakt zu treten oder die mit Aktien verbundenen Stimmrechte auszuüben“, erklärt Aigner. Die Einflussnahme in Form von Unternehmensdialog und Stimmrechtsausübung ist wichtig, denn als Großanleger steht die Raiffeisen KAG in der Verantwortung, wie sie Geld anlegt. Dazu muss man die Unternehmen, in die veranlagt wird, gut kennen und auch hinterfragen, welche Rolle soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit in der Strategie des jeweiligen Unternehmens spielt. Unternehmensdialoge und auch Stimmrechtsausübung als Mittel der Einflussnahme sind in der Regel umso erfolgreicher, je höher die Anteile am Unternehmen, sprich je mehr Aktien, damit verbunden sind. Sehr häufig werden Unternehmen im Rahmen des Unternehmensdialogs zu mehr Transparenz veranlasst, manchmal auch zu einer Strategieänderung. Deshalb ist bei Unternehmensdialogen und Stimmrechtsausübung die Bildung von Koalitionen unter verantwortungsbewussten Investoren auch sehr sinnvoll und notwendig. Die Raiffeisen KAG setzt große Anstrengungen in dieses Thema. Pro Jahr werden rund 200 Unternehmen kontaktiert. Natürlich sind diese sehr verschieden, was die Intensität betrifft. Die Dialoge finden auch auf unterschiedlicher Ebene statt: in Einzelgesprächen, im Rahmen von Themenresearch für unsere Publikationen und teilweise mittels spezifischer Plattformen gemeinsam mit anderen Investoren.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /