© Alliance For Nature / Semmeringbahn
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Causa “Semmering-Basistunnel”: Landeskriminalamt Niederösterreich und Staatsanwaltschaft ermitteln

„Alliance For Nature“ übermittelt Ingenieurgeologische Stellungnahme an Staatsanwaltschaft, Landeskriminalamt NÖ und BVwGH, fordert Baustopp und Wiederaufnahme der Verfahren

Aufgrund des massiven Wasser- und Erdmasseneinbruches mit darauffolgender Verunreinigung des Göstritz- und des Auebaches sowie der Schwarza im NÖ Bezirk Neukirchen ermitteln nun auch das Landeskriminalamt Niederösterreich und die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt.

Die anerkannte Umweltorganisation „Alliance For Nature“, die beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) bereits den Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren zum umstrittenen Vorhaben „Semmering-Basistunnel“ (SBTn) gestellt hat, wurde nun in die Ermittlungen eingebunden, wozu sie auch eine fachliche Stellungnahme des gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Ingenieurgeologie, Herrn Prof. Josef Lueger, eingeholt hat.

Falsche Prognosen und widersprüchliche Angaben

Zusammengefasst kommt Professor Lueger zum Schluss, dass

· im Bereich des Zwischenangriffs Göstritz, wo im Juli der massive Wassereinbruch stattgefunden hat, die Gesteinsarten Schiefer, Gips/Anhydrit, Quarzit und Kalk durchörtert werden,

· die Projektanten im UVP-Verfahren für diesen Bereich eine Bergwasser-Zuflussmenge von gerade einmal 3 bis 5 Liter pro Sekunde prognostiziert haben, jetzt aber behaupten, „für diesen Abschnitt bis zu 300 Liter pro Sekunde prognostiziert zu haben“,

· diese Angabe im Widerspruch zu den Projektunterlagen steht,

· der eingetretene Wassereinbruch von kolportierten 60 Litern pro Sekunde die Vorhersage der ÖBB um das 12- bis 20-fache überschreitet,

· nach unverifizierten Mitteilungen die Bergwasserzutritte im Bereich Göstritz bis zu 140 Liter pro Sekunde betragen,

· für die gesamte Länge der ursprüngliche Trasse des Semmering-Basistunnels „nur“ 75 Liter pro Sekunde an Bergwasserzutritten prognostiziert wurde (Anm.: aufgrund des massiven Wassereinbruchs von 280 bis 350 l/s im Jahr 1996 wurde das alte Basistunnel-Projekt politisch abgesagt und eingestellt),

· noch größere Wassereinbrüche zu befürchten sind, sollte der Tunnelbau Richtung Grassberg und Otter-Massiv fortgesetzt werden (weil in diesem Bereich die Gebirgswasserdurchlässigkeit weitaus größer ist als im Bereich des Zwischenangriffs Göstritz),

· das milchige Aussehen der verunreinigten Bäche und der Schwarza (bis unterhalb von Neunkirchen) auch Gipspartikel mit sehr kleinen Korngrößen vermuten lässt (Sand sinkt aufgrund größerer Korngröße bereits nach kurzer Strecke auf die Bach- bzw. Flusssohle).


Auch für Christian Schuhböck, Landschaftsökologe und Generalsekretär der „Alliance For Nature“, ist klar, dass die Gewässer im Bezirk Neunkirchen nicht allein durch aus- und mitgeschwemmte Sande verunreinigt wurden, wie dies der Öffentlichkeit weisgemacht wurde.

Schließlich befand sich vor Jahren in dem nun betroffenen Bereich Göstritz ein Gipsbergwerk.

Beeinträchtigung von Fauna und Flora

Weiters kommt Prof. Lueger in seiner fachlichen Stellungnahme zum Schluss, dass bei einer Kolmation

· die (von ausgeschwemmten Schwebstoffe verursachte) Verstopfung der Gewässersohlen den Austausch von Wasser und Sauerstoff im Substrat unterbindet,

· Lebewesen in den Gewässersohlen über kilometerlange Strecken von der Nahrungszufuhr abgeschnitten werden oder gar ersticken,

· mit einem Absterben von Tieren und Pflanzen zu rechnen ist, wovon auch Fische betroffen sind (Verlegung der Kiemen, Verlust von Nahrung in Form von Pflanzen und Kleinlebewesen).


Völlig unzureichende Gewässerschutzanlagen und keine effiziente Tunnelabdichtung

„Aufgrund der unrichtigen Bergwasser-Prognosen der ÖBB wurden die Gewässerschutzanlagen viel zu gering dimensioniert“, hält Lueger in seiner fachlichen Stellungnahme fest, „sodass sie offenbar bei Weitem nicht in der Lage sind, die zutretenden Wassermengen samt ihren Inhaltsstoffen zu bewältigen.“

Ähnliches sei laut Lueger „auch bei den noch aufzufahrenden Tunnelabschnitten zu erwarten“ und fordert, dass effiziente Tunnelabdichtungen einzubauen sind, um weiteren Schadereignissen entgegenzuwirken. „Denn gemäß derzeitiger Planung ist über die gesamte Tunnelstrecke nur mit einer Reduktion der Bergwasserzutritte zwischen ca. 15 und 24 Prozent zu rechnen“, konstatiert Lueger. Andernfalls müssten die Gewässerschutzanlagen um ein Vielfaches leistungsfähiger gemacht werden, um für die (von ihm prognostizierten) bzw. dann tatsächlich auftretenden Bergwasserzutritte gerüstet zu sein.

Absenkung des Grundwasserspiegels auf Tunnelniveau?

Damit die Bauarbeiten überhaupt fortgesetzt werden können, wären gemäß Lueger druckdichte Tunnelabdichtungen einzubauen, wofür der Grundwasserspiegel bis auf Tunnelniveau abgesenkt werden muss. Sollte eine leistungsfähige Tunnelabdichtung nicht vorgenommen werden, „bleibt diese Grundwasserspiegelabsenkung für immer bestehen“, so Lueger. Die Grundwasserspiegelabsenkung würde sich auf einige Kilometer beidseitig der SBT-Trasse erstrecken.

Für Prof. Christian Schuhböck, gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Landschaftsökologie, würde dies einen irreversiblen Schaden am natürlichen Wasserhaushalt der mehrfach geschützten Semmering-Region bedeuten. Denn wie Lueger befürchtet auch Schuhböck, dass eine derartige Grundwasserspiegelabsenkung zur Zerstörung von Feuchtbiotopen, Austrocknung von Waldflächen sowie zum Trockenfallen von Quellen, Brunnen und Fließgewässer führen würde.

Falsche Prognosen und Unterdimensionierung der Gewässerschutzanlagen

Für Professor Lueger sind „eklatante Planungsmängel wie falsche Prognosen der Bergwasserzutritte, fehlende bzw. ineffiziente Tunnelabdichtung und eine immense Unterdimensionierung der Gewässerschutzanlage“ wesentliche Mitursache des Wassereinbruchs und der dadurch entstandenen Umweltschäden; verantwortlich dafür sind die ÖBB und ihre Projektanten. Den Bewilligungsbehörden und dem BVwG wirft er vor, dass „sie befangene oder ungeeignete Sachverständige bestellt haben und deren unrichtigen Aussagen blindlings gefolgt sind, wohingegen sie Einwände kritischer Fachleute konsequent ignoriert haben.“

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – Forderung nach unabhängige Gutachter

Da in der Causa „Semmering-Basistunnel“ mittlerweile auch schon das Landeskriminalamt Niederösterreich und die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermitteln, warnt Gerichtssachverständiger Josef Lueger davor, nicht jene Personen zu Sachverständige zu bestellen, die zuvor schon in den Bewilligungsverfahren von den Behörden bzw. dem Bundesverwaltungsgericht herangezogen wurden. Andernfalls würde sie „Böcke zu Gärtnern“ machen, so Lueger wörtlich. „Gleiches gilt selbstverständlich auch für jene Behörden, die ihrerseits Untersuchungen durch Sachverständige vornehmen lassen“, ergänzt Alliance-Generalsekretär Christian Schuhböck.

„Alliance For Nature“ fordert Baustopp und Wiederaufnahme der Verfahren

Da schon jetzt Millionen Liter Wasser dem natürlichen Wasserhaushalt der mehrfach geschützten Semmering-Region aufgrund der Bauarbeiten am Semmering-Basistunnel entzogen worden sind, Gewässer verunreinigt wurden und das Szenarium einer Grundwasserspiegelabsenkung bis auf Tunnelniveau im Raum steht, fordert „Alliance For Nature“ einen Baustopp und die Wiederaufnahme der Verfahren. Alliance-Generalsekretär Christian Schuhböck: „Um weiteren Schaden an Natur und Umwelt abzuwenden, fordern wir einen sofortigen Baustopp der Tunnelvortriebe sowohl auf niederösterreichischer als auch auf steiermärkischer Seite“. Zugleich teilt er mit, dass „Alliance For Nature“ die Ingenieurgeologische Stellungnahme von Professor Lueger der Staatsanwaltschaft, dem NÖ Landeskriminalamt und dem BVwG übermitteln wird.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /