© bcnecologia
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Menschengerechte Stadt – Gràcia, Barcelona. Ein Vorbild für Wien?

Pull und Push-Maßnahmen, keine Zwangsbeglückung, Partizipation und Alternativen zum privaten Auto - Beamte müssen interdisziplinär denken

In einer spannenden Veranstaltung sprach Cynthia Echave (BCNEcologia) aus Barcelona am 11.09.2014 über die verkehrspolitische Neuausrichtung von Barcelona, insbesondere am Beispiel der sogenannten Super Blocks in Gràcia, Sie war im Rahmen der Vortragsreihe der Agendagruppe ‘bewusst.nachhaltig’ dem 09. Bezirk in Wien. Die Veranstaltung wurde duch die Wiener Mobilitätsagentur unterstützt.

Harald Frey (TU Wien, Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik) stellte Konzepte vor, wie der öffentliche Raum in Wien attraktiver und lebenswerter sein und zugunsten der Menschen umgestaltet werden kann. Er machte auch auf aktuelle Fehlentwicklungen aufmerksam (einzelne MAs erledigen ihren Job, ohne auf gesamtheitliche Planung zu achten; Planungen von Verkehrsstrukturen und Gebäuden führen zu Strukturen, wie in den 1960er/1970er Jahren).

Am Podium diskutierten neben Cynthia Echave, Petra Jens (Beauftragte für Zu-Fuß-Gehende der Stadt Wien), Martin Malyar (SPÖ-Bezirksvorsteherin des 09. Wiener Bezirks) sowie Rüdiger Maresch (Verkehrssprecher der Wiener Grünen) Unter den Gästen waren weitere Vertreter aus der Politik: Siegi Lindenmayr (Verkehrssprecher der Wiener SPÖ sowie Gemeinderatsabgeordneter aus dem 09. Bezirk) war ebenfalls unter den Gästen und sorgte so für eine parteiliche Ausgeglichenheit. Er meldete sich ebenfalls zu Wort.

Was ist ein Super-Block?

Das Super-Block-Konzept umfasst 400 x 400 m. Durchfahrten mit Autos sind nicht möglich, wobei Anwohner und die lokale Wirtschaft mit maximal 10 km/h zufahren dürfen. Ziel des Konzeptes ist es auch, Kreuzungen zu Parks umzugestalten und Alternativen zum privaten Auto auszubauen. Dazu gehört auch die Förderung des Radfahrens. Am Rand des Super-Blocks fahren öffentliche Verkehrsmittel. Alternativen zu Autos werden zur Verfügung gestellt. Das Niveau der Straße im Super-Block wird auf eine Ebene abgesenkt, so macht der Spaziergang in diesem Bereich noch mehr Spass. Als Ergebnis schlagen ein höheres Lebensgefühl, gestärkte lokale Wirtschaft, mehr Raum für den Menschen, Reduktion des Autoanteils (Ziel: >75% Zu-Fuß-Gehende/<25% Autos), … und langfristig eine höhere Biodiversität und Schritte in Richtung Klimawandelanpassung zu Buche. Ferner trägt die Umsetzung zur Energieeinsparungen bei. Super-Blocks nehmen den Flächendruck von Grünflächen der Stadt, schließlich werden bestehende Stadtteile aufgewertet.

Autos sollen von der Oberfläche entfernt und in Garagen verlagert werden. Ein attraktives Umfeld, in dem viele Bedürfnisse vor Ort befriedigt werden können und Alternativen zum privaten Auto zur Verfügung stehen, trägt ebenfalls dazu bei, dass die Nutzung des eigenen Autos zurückgeht.

Die ganze Stadt besteht aus Stadtteilen, jeder Stadtteil ist eine City, die zu Super-Blöcken und damit verkehrsarm und attraktiv für Menschen werden kann (Es ist ein Konzept, wie von Leopold Kohr, Victor Gruen, u.a. bereits vorgeschlagen ...). Die Cities müssen mit öffentlichen Verkehrsmitteln vernetzt werden. Falsch ist, wenn alle Öffis unmittelbar in den ältesten Teil der gesamten Stadt führen.
Bei der Umsetzung des neuen Mobilitätskonzeptes von Barcelona auf lokaler Ebene spielt Partizipation ebenso eine Rolle, wie bei der Ausgestaltung der Details des Super-Block-Konzepts.

In Gracia zeigen sich bereits Erfolge. Cynthia Echave informierte außerdem über die Aufgaben von BCNEcologia.

Autos haben öffentlichen Raum erst in den letzten Jahrzehnten in Anspruch genommen

Darauf machte einleitend Harald Frey im seinen Referat aufmerksam. Kinder wurden in Regeln gepresst, Menschen wurden durch das Auto aus dem öffentlichen Raum auf Restflächen zurückgedrängt. Platz für parkende Autos auf der Fahrbahn wird als wichtiger eingestuft als Raum für spielende Kinder. 1 bis 2 t Blech sind vielen näher als der Mensch. Zum Thema "menschengerechte Stadt" hat sich weltweit und auch in Wien in den letzten Jahren einiges bewegt. Wichtig ist es nach seiner Meinung, Garagen zu befüllen. Dies hätte in Wien mit Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung einhergehen müssen (Parken an der Oberfläche ist billiger als in Garagen, die Autonutzer faher daher mit den Autos nicht in die Garagen).

Beamte sollten Probleme ganzheitlich und nicht isoliert betrachten, nur so lassen sich Fehlplanungen, wie z.B. am Nord- oder Hauptbahnhof vermeiden. Im Neubau sind Sammelgaragen am Rand der Siedlung sinnvoll. In seinem Referat machte er auch auf Visionen für den Alsergrund aufmerksam (z.B. Salzergasse als Ort für Zu-Fuß-Gehende). Gerade von den Bezirken müsste mit der Umgestaltung in Richtung menschengerechte Stadt fortgesetzt werden, so Frey. Sollten Maßnahmen auf dieser Ebene nicht den Zielsetzungen der Stadt Wien und Erfordernissen des Klimawandels entsprehcen und Energieabhängigkeiten schaffen, dann müsste Wien Sanktionen setzen.

Den Menschen muss verdeutlicht werden, dass Parkplätze für alle, breite Gehwege für alle in der Stadt nicht möglich sind, … Vorurteile gegenüber Maßnahmen (Gehsteigverbreitung in der Neubaugasse, …., Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung, Mariahilfer Straße) stehen positive Erfolge gegenüber. Auch sind Partizipation und ein langfristiges Einbeziehen der Bevölkerung vor und während der Planungsprozesse wichtig.

Einblicke in die Diskussion

Die Agentur von Petra Jens führt selbst keine Planungen durch, sondern unterstützt die Kommunikation zwischen den BürgerInnen und den Behörden. Sie möchte, dass die Straße als Lebensraum gesehen wird, als Ort der Begegnung, des Aufenthalts, des Konsums, der Information bzw. allgemein zahlreiche Funktionen hat.

Ein Zuhörer fragte zu den "Kuhgittern" bei den Straßenbahnen nach, dazu meinte sie, dass diese auf Grund einer Studie empfohlen worden seien. Nach Meinung der Mobilitätsagentur gebe es aber andere Möglichkeiten, Haltestellen sicherer zu machen.

Rüdiger Maresch, der selbst schon in Gràcia war und im November wieder in Barcelona sein wird, ist von diesem Stadtteil beeindruckt. Es geht darum Platz für den Menschen zu schaffen. Es braucht eine Stimme für Zu-Fuß-Gehende, damit in Wien Veränderungen so wie in Gracia geschaffen werden können. Die Wiener Stadtpolitik will 10 km/h. Parkgaragen sollen befüllt werden. Der Ausbau der Schnellbahn, von Bussen sowie der Straßenbahnen soll weiter erfolgen. Es sind Pull- und Pushmaßnahmen erforderlich. Er bestätigte, dass es im Sonnenwendviertel Fehlplanungen gibt, dort Reparaturen notwendig sind und Kuhgitter nicht die richtige Lösung sind, sondern langsam fahrendere Autos ein besserer Weg sind. Er machte darauf aufmerksam, dass der 09. Wiener mit dem ehemaligen Bezirksvorsteher Behnke Vorreiter in Sachen Agenda 21 und nachhaltiger Mobilität war. Aus seiner Sicht ist es erforderlich, dass BürgerInnen, die für nachhaltige Mobilitätsformen eintreten, entsprechend den PolitikerInnen den Rücken stärken. Öffentlicher Raum muss gemeinsam mit den BürgerInnen gestaltet werden. Beispielsweise auch in die Planung der Mariahilfer Straße (neue Fußgängerzone) haben sich viele Menschen eingebracht, so Maresch.

Die Bezirksvorsteherin des Alsergrunds, Martina Malyar, machte darauf aufmerksam, dass der Alsergrund bereits im Jahr 2003 eine Fußgehbeauftragte benannte. Mit temporären Spielstraßen – Wohnstraßen, die bespielt werden – soll den Menschen bewusst gemacht werden, dass es Kinder gibt. Der 09. Bezirk hat den Vorteil, dass er mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erschlossen ist. Behnke hat im 09. Bezirk damit begonnen, nachhaltige Mobilität zu forcieren. Zwar gibt es im Alsergrund rückläufige PKW-Zahlen, aber leider viele neue SUVs. Bereits in der Vergangenheit hat der 09. viel für das Radfahren getan, laut Malyar wurden Radständer auf der Straße montiert. Für den Bezirksvorsteherin steht das Zu-Fuß-Gehen an erster Stelle. Mit der von Frey dargestellten Idee zur Umgestaltung der Salzergasse kann sich Malyar anfreunden. Sie kündigte eine Ausweitung der Tempo 30 Zonen an, sowie eine Studie der TU Wien für großräumige Verkehrsmaßnahmen im Alsergrund. Gleichzeitig machte sie jedoch darauf aufmerksam, dass Geld nicht unendlich zur Verfügung stehe (Haushalt von Euro 3,5 Mio. Sanierung der Schule in der Währinger Straße mit Euro 10 Mio. steht an). Auch für sie ist es wichtig, dass Politiker positives Feedback bekommen, wenn etwas entsprechend umgesetzt wird.

Siegi Lindenmayr, der den Vortrag über Barcelona gut fand, meinte, dass das Konzept so in Wien nicht umsetzbar sei. Die Akzeptanz der Gesellschaft müsse erst gewonnen werden. Es dürfe nicht der Eindruck einer Zwangsbeglückung und Umerziehung entstehen. Wichtig sind Angebote und Alternativen. Auch er ist von der Vorbildwirkung des 09. Bezirks überzeugt. Die ersten Wohnstraße Wiens außerhalb des 01. Bezirks wurde im Alsergrund errichtet.

Fazit

Barcelona hat mit der Super-Block-Idee ein hervorangendes Konzept zur Rückgewinnung und Belebung des Raums umgesetzt. Weltweit gibt es zahlreiche gute Beispiele für die Reparatur der autogerechten Stadt. Menschen müssen für die menschengerechte Stadt eintreten, die Möglichkeit haben, sich in gesellschaftliche Prozesse einzubringen aber sie müssen auch ernst genommen werden. Partizipationsprozesse ohne Aussicht auf Umsetzung führen zum Rückzug der BürgerInnen. Oftmals sind diese weiter mit Visionen und konkreten Ideen als Planer und Beamte der Stadt Wien. MAs in Wien sollten interdisziplinär und vernetzt mit anderen Abteilungen arbeiten.


Artikel Online geschaltet von: / wabel /