© Sattler & Schanda
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Was heißt Versorgungssicherheit in der Energieversorgung?

Kürzlich fand in Wien die IIR-Konferenz „Gas 2010“ statt. Die Vorträge auf dieser Konferenz geben Anlass zu nachstehenden Überlegungen über „Versorgungssicherheit“.

Der EU-Vertrag enthält (seit Lissabon) eine ausdrückliche Regelung zur Energiepolitik der Union. Art 194 Abs 1 AEUV lautet: Die Energiepolitik der Union verfolgt im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt folgende Ziele: a) Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts; b) Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union; c) Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie Entwicklung neuer und erneuerbare Energiequellen und d) Förderung der Interkonnektion der Energienetze.

Unter anderem ist also die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union ein Ziel der Europäischen Gemeinschaft.

Was heißt nun aber Energieversorgungssicherheit?

In Bezug auf die Versorgung mit Erdgas zielt der vorherrschende Ansatz zur Erhöhung der Versorgungssicherheit darauf ab, die Sicherheit der Versorgung mit Erdgas zu erhöhen, nämlich dadurch, dass die Lieferantenländer und die Versorgungswege diversifiziert werden sollen. Neue Pipelines wie Nabucco, North Stream und South Stream werden als Verbesserung der Versorgungssicherheit angesehen, weil dadurch die Abhängigkeit von den bisherigen Lieferanten, insbesondere von Russland, und die Abhängigkeit von den Transitleitungen auf den bisherigen Versorgungsrouten (insbesondere über die Ukraine und Weißrussland) sinke. Argumentiert wird auch, dass diese neuen Pipelines selbst bei bloß gleichbleibendem Gasverbrauch in Europa notwendig seien, weil die Erdgasfördermengen innerhalb Europas laufend sinken; durch neue Gaskraftwerke würde der Gasverbrauch aber sogar ansteigen.

Es stellt sich freilich die Frage, ob wir bei einer solchen Diversifizierung der Liefer- und Transitländer nicht den Teufel mit dem Belzebub austreiben.

Gerade aufgrund der zurückgehenden Produktion in Europa bedeutet schon ein gleichbleibendes Niveau der Erdgasverwendung eine zunehmende Abhängigkeit von Lieferanten- und Transitländern. Sicherheit der Versorgung wird für gewöhnlich aber nicht dadurch erreicht, dass man seine Abhängigkeit von der Versorgung erhöht.

Das in Kauf nehmen von zusätzlichen neuen Abhängigkeiten würde das Ziel der Erhöhung der Sicherheit der Versorgung mit Energie nur dann erreichen, wenn in diesen Abhängigkeiten keinerlei Risiko, insbesondere kein Lieferausfallrisiko läge

Sowohl die Erfahrung mit den bisherigen Lieferausfällen im Zusammenhang mit Konflikten zwischen Russland und der Ukraine, als auch eine realistische Einschätzung der Lieferverlässlichkeit von potentiellen Lieferanten in die neu geplanten Pipelines (Aserbaidschan, Turkmenistan, Iran, etc) zeigen jedoch, dass sowohl politische Lieferantenrisiken, als auch Transitrisiken durchaus Lieferausfallrisiken bestehen. Insbesondere stehen die potentiellen neuen Lieferantenländer Aserbaidschan und Turkmenistan schon jetzt unter dem Druck Russlands, Russland als Gaslieferant nicht zu konkurrenzieren. Überdies wird Europa mit China als Käufer von Erdgas konkurrieren müssen.

Dazu kommt noch auch noch das Preisänderungsrisiko. Angesichts der absehbaren Verknappung der Angebotsmengen von Rohöl und der derzeit überwiegend bestehenden Preisbindung von Erdgas an Rohöl wird der Erdgaspreis mittel- bis langfristig signifikant steigen. Sicherheit der Versorgung mit Erdgas zu einem unleistbaren Preis bildet aber wenig reale Sicherheit der Versorgung mit Energie. Letztlich wollen wir die Versorgung mit nutzbarer Energie sicherstellen, und nicht die Versorgung mit Erdgas um jeden Preis. Die Erdgaswirtschaft setzt aber unzulässigerweise Energieversorgungssicherheit mit der Sicherheit der Versorgung mit Erdgas gleich.

Angesichts der drohenden Risiken Lieferausfällen und Preissteigerungen bei Öl und Gas wäre es durchaus möglich, dass wir 2020 (oder 2030) unsere Energie nahezu zur Gänze aus erneuerbaren Energieträgern bereitstellen müssen, und die spannende Frage nur sein wird, welchen Anteil des derzeitigen Energieverbrauchs wir damit decken werden können. Diesfalls würden wir es in der Zukunft wohl bitter bereuen, nicht alle verfügbaren Mittel in den Ausbau der innereuropäischen (erneuerbaren) Energieträger gesteckt zu haben.

Ein solcher Ausbau der Erneuerbaren innerhalb Europas hätte freilich auch die angenehme Begleiterscheinung, dass wir den volkswirtschaftlichen Mittelab-fluss für Erdgasimporte reduzieren könnten. Allein Österreich gab 2009 für 407.906 TJ Erdgasimport EUR 2.213.295.000.- aus. Im Vergleich dazu: Die Förderung für alle neuen Ökostromanlagen beträgt in Österreich (nach § 21a Ökostromgesetz) pro Jahr EUR 21 Mio, also weniger als 1 % der Erdgasim-portkosten. Würden wir nur 10 % der Erdgasimportkosten in den Ausbau der Erneuerbaren investieren, könnten wir in Österreich ziemlich viel bewegen – und gleichzeitig die gefährliche Abhängigkeit von Erdgas reduzieren.

Von Seiten der produzierenden Industrie wird zT argumentiert, dass Erdgas bei einigen industriellen Produktionsverfahren nicht oder nur sehr schwer sub-stituiert werden kann. Das ist richtig, rechtfertigt aber dennoch keinen Ausbau der Ergasinfrastruktur zur Erhöhung der Gasverbrauchsmenge. Erdgas wird nämlich im wesentlichen für folgende Anwendungen eingesetzt: a) Hochtem-peraturanwendungen und chemische Anwendungen in der Industrie; b) Nie-dertemperaturanwendungen im Haushaltsbereich (Heizung und Warmwasser-bereitung); c) Stromerzeugung.

Wegen der angesprochen Nachteile von Erdgas liegt es im öffentlichen Inter-esse, den Einsatz des fossilen Energieträgers Erdgas in den Anwendungsbe-reichen b) und c) zu reduzieren. In diesen Bereichen kann Erdgas nämlich vollständig durch andere Energieträger und Energieumwandlungsformen sub-stituiert werden. Zumindest zum Teil ist es ja auch ein erklärtes Ziel der Bun-desregierung Österreich möglichst energieautark zu machen. So kann insbe-sondere der Wärmebedarf der Haushalte durch bessere Isolation, Solarthermie und Biomasseverbrennung gedeckt werden. Die Stromerzeugung aus Erdgas kann durch Bedarfsreduktion, durch höhere Effizienz und erneuerbare Ener-gieträger (Wasserkraft, Windkraft, Biomasse, Biogas, etc) ersetzt werden. Die derzeit in den Anwendungsbereichen b) und c) noch eingesetzten Erdgasmen-gen könnten daher zukünftig zusätzlich dem Anwendungsbereich a) der Industrie zur Verfügung stehen.

Bei Versorgungssicherheit geht es richtigerweise um die Sicherheit der Versorgung mit Energie, nicht um die Sicherheit der Versorgung mit Erdgas

Die Konzentration auf die Versorgung mit Erdgas könnte der Sicherheit der Versorgung mit Energie einen Bärendienst erweisen.

Links zum Thema

NÖ Landesenergieversorger führt Enteignungen durch
http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1054292

Österreichs stalinistisches Gaswirtschaftsgesetz
http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1055008

Erdgasverbrauch sinkt um 13% bis 2030
http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1054795

Tauerngasleitung/ Südschiene/ GDKW Klagenfurt:
http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1054643

Enteignung für eine Erdgas-Pipelines - mitten in Österreich
http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1054609

Grüne, FPÖ und BZÖ gegen neue Erdgasleitungen
http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1054950



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Dr. Reinhard Schanda ist Rechtsanwalt in Wien und Landwirt in der Steiermark und bietet Dienstleistungen im Energiesektor an:
Rechtsanwaltskanzlei mit Spezialgebiet Energierecht: www.energierecht.at
Beratungsunternehmen SEKEM-Energy: www.sekemenergy.com
GastautorIn: Dr. Reinhard Schanda für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /