Offener Brief zum Thema EU-Reformvertrag

Mangelnde Fairness in ORF-Berichterstattung - ein offener Brief anläßlich der Debatten über den EU-Reformvertrag

Sehr geehrte Damen und Herren des ORF-Publikumsrates,
sehr geehrter ORF-Kundendienst,
zur Zeit wird auf Österreichs Straßen die überhandnehmende Einmischung der EU in innerösterreichische Angelegenheiten, insbesondere der zur Unterzeichnung vorbereitete "EU-Reformvertrag" (Vertrag von Lissabon) heiß diskutiert, der defacto zum Souveränitätsverlust Österreichs in maßgeblichen staatsrechtlichen Bereichen führen würde. Die Empörung in weiten Teilen der Bevölkerung ist stark zu spüren. Besonders die Empörung darüber, dass das Thema von den Medien überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu werden scheint, obwohl es kaum ein Thema gibt, das für die Zukunft unseres Landes von größerer und aktuellerer Bedeutung wäre.

Seit allgemein bekannt ist (ohne dass der ORF jemals ausführlich darüber berichtet hätte), dass durch die Unterzeichnung des "Vertrages von Lissabon" "massivste Änderungen der Österreichischen Bundesverfassung" angestrebt werden (s. Expertise von RA. Dr. Adrian Hollaender, Aussagen von Univ.-Prof. Dr. Hans R. Klecatsky Bundesminister a. D., Univ.Prof. i.R. DI Dr. Alfred Haiger, Univ.Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Univ. Prof. Dr. Hans Peter Aubauer, Univ. Prof. Dr. Hermann Knoflacher, Univ. Doz. Dr. Peter Weish, Kommerzialrat Hon.-Prof. Dr. Heinrich Wohlmeyer, Univ. Prof. Dr. Erwin Bader, e.a.), macht sich immer größerer Unmut in der Bevölkerung breit angesichts der "undemokratischen Funktionärsarroganz" (Prof. Klecatsky) der österreichischen Bundesregierung, die den Willen des österreichischen Staatsvolkes in unerhört selbstverständlicher Weise zu übergehen beabsichtigt.

RA. Dr. Hollaender hat in seiner Expertise einige Eingriffe in die Österreichische Bundesverfassung deutlich beschrieben:

- Eingriffe in das demokratische Baugesetz der Bundesverfassung (durch das "vereinfachte Änderungsverfahren"),
- Eingriffe in das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip der Bundesverfassung (durch die vorgesehene "Flexibilitätsklausel),
- der Eingriff in die Eigenstaatlichkeit Österreichs (durch Eingliederung in eine andere bundesstaatsähnliche Struktur, die sich aus der vorgesehenen Arbeitsweise der Union ergibt),
- die Einschränkung der Durchsetzung Österreichischer Interessen (durch die weitgehende Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips innerhalb der EU)
- der Eingriff in das rechtsstaatliche Grundprinzip (durch den in der 27. Erklärung der EU-Regierungskonferenz festgelegten absoluten Vorrang des Gemeinschaftsrechts)
- der Eingriff in die "immerwährende Neutralität Österreichs" (durch die "Solidaritätsklausel", die uns zu militärischer Aufrüstung und Beteiligung an Kriegseinsätzen - wie z.B. bei sog. "Terroristischen Aktivitäten" verpflichtet - deren fehlende Definition alleine schon zu bemängeln ist).

Die rundwege Ablehnung eines Referendums über die geplanten Eingriffe in die Österreichische Bundesverfassung ist ein nachweislicher Gesetzesverstoß und als solcher in Anbetracht der Tragweite der Konsequenzen für das Österreichische Staatsvolk ein veritabler Skandal. Die Begriffe "Verfassungsputsch" und "Landeshochverrat" werden in diesem Zusammenhang immer öfter laut. Klagen gegen den Bundeskanzler und die Bundesregierung werden eingebracht.

Man würde erwarten, dass dieses Thema (je nach Seriosität des Mediums - je seriöser desto mehr) mind. 10-25% der Sendezeit bzw. des Presseinhalts aller Medien ausmachen sollte. Stoff gibt es genug zu berichten, schreiend relevant für jeden Bürger ist er allemal. Immerhin geht es unter anderem darum,
- ob wir mitmachen bei der Militarisierung der EU und unsere Söhne (und Töchter?) in Kriege schicken wollen, die nichts mit den primären Interessen Österreichs zu tun haben, sondern nur die Gefahr gewalttätiger Anschläge in Österreich selbst erhöhen,
- ob wir der beschleunigten Bevorrechtung von multinationalen Wirtschaftslobbies (durch Sanktionierung des gesetzlich übergeordneten Waren- und Geldverkehrs) zustimmen gegenüber Sozialabsicherung, Bildung, Gesundheits- und Pensionssicherung, regionaler Wirtschaft und Steuerhoheit,
- ob wir die Einstellung der EU gegenüber diversen einzelnen Themen (wie betreffend genetisch veränderter Produkte) pauschal und ohne Vetorecht übernehmen wollen,
- ob wir die Umwelt- und Energie-Politik der EU in vollem Umfang mitmachen wollen, oder lieber doch Regulative in der Hand behalten wollen, die einen größeren Schwerpunkt auf erneuerbare Energien legen, versuchen, einen Bogen um Kernenergie zu machen und die Umweltbelastung in Eigenregie zu verringern,
- ob wir uns einem verfassungsähnlichen Vertrag unterwerfen wollen, der ab dann von einer sehr kleinen Gruppe von Menschen beunruhigend einfach abänderbar ist, oder auf unserer (doch noch demokratienahen) Eigenstaatlichkeit bestehen sollen.

Trotzdem schweigen die Medien wie verabredet vor dieser Aufsehen erregenden, kriminellen Vorgangsweise und berichten weiter fröhlich von den Vorteilen der EU und über Sekundär- und Boulevard-Themen. Einzig die Kronenzeitung erlaubt sich EU-kritische Berichte und hat auch die Demonstration am 14. März am Ballhausplatz angekündigt.

Die erdrückende Machtlosigkeit gegenüber egomanischer (vielleicht verrückter) Vorgangsweise einst gewählter Volksvertreter einerseits und das beinahe lückenlose Fehlen medialer Berichterstattung andererseits lässt den Österreichischen Bürger in einer Fassungslosigkeit, die ihn an die Vorgangsweise totalitärer Regime gemahnt: erinnerbare Erzählungen (vielleicht von Verwandten aus Ungarn, CSSR, Rumänien, DDR, od. anderen Ex-UdSSR-Satellitenstaaten) aus der Zeit des kalten Krieges drängen sich auf, in der es in einigen osteuropäischen Ländern ganz einfach keine freie Presse gab.

Immerhin gibt es (vielleicht gerade wegen der erdrückenden medialen Ignoranz) Bürgerinitiativen, Kleinparteien und andere Strukturen (bisher sind mir 63 bekannt), die sich zu gemeinsamen Plattformen organisieren ("Neutralität retten: NEIN zum EU-Vertrag!" http://www.nein-eu-vertrag.at/; www.volxabstimmung.at) um die Regierung, den Bundespräsidenten und den Nationalrat auf das Recht des Österreichischen Wahlvolkes auf eine Volksabstimmung aufmerksam zu machen. Demonstrationen sind im Gange (mir sind mindestens 3 in Wien bekannt: 14. März am Ballhausplatz; 29. März ein Marsch von der Oper zum Stephansplatz; 5. April vor dem Westbahnhof). Am Ballhausplatz war der ORF offensichtlich gar nicht anwesend, geschweige dass er von der Demonstration berichtet hätte.

Diese äußerst beunruhigende Diskrepanz zwischen totalitärer Praxis der Regierung und totalem Stillschweigen der Medien lässt leider nur einen Schluss zu, den ich beinahe nicht auzusprechen wage: Die österreichischen Medien, allen voran der ORF, dürfen nicht, können nicht, oder wollen nicht über das aktuell bedeutendste Thema des Österreichischen Staates berichten.

Ich gehe davon aus, dass den Redaktionen des ORF bekannt ist, dass sie zu objektiver, die Meinungsvielfalt berücksichtigender, parteiloser und ausgewogener Berichterstattung verpflichtet sind. (ORF-Gesetz)

Bitte klären Sie mich auf, wann der ORF dieser Verpflichtung nachkommen wird (ich will auf gar keinen Fall eine diesbezügliche TV- od. Radiosendung verpassen) - oder warum der ORF dieser Verpflichtung nicht nachkommen will, nicht nachkommen kann, od. nicht nachkommen darf!

Mit freundlichen Grüßen,
Gerald Grüner
Schimekgasse 30
1230 Wien

ANMERKUNG DER oekonews-REDAKTION:
Dies ist zwar eigentlich nicht in unserem Themenspektrum, aber im EU-Reform-Vertrag sollen auch Bereiche geregelt werden, die unsere Themen betreffen


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /