Bahnhofsoasen und Betonmonster

Die merkwürdigen Erlebnisse eines Bahnreisenden, Teil 2

Der zweite Teil dieser Eisenbahnreportage behandelt die architektonische Gestaltung von Bahnhöfen: Eine durchaus subjektive Analyse schildert einen Bahnhof in Niederösterreich, dessen Betonarchitektur in bedrückender Weise an eine Autobahnunterführung erinnert, sowie einen benachbarten Bahnhof, der von der Gemeinde wunderschön revitalisiert und geradezu in eine Oase verwandelt wurde.

Die Kurstadt Baden ist seit langem für ihre eng verwobene Symbiose aus Villenarchitektur und umgebender Naturlandschaft berühmt. Ihr Bahnhof stammte erstaunlicherweise im Kern aus der Anfangszeit der Eisenbahn, hatte also historischen Wert, wenngleich das Originalgebäude schon mehrmals umgebaut wurde (Bild 01). Erbaut im Jahr 1841, renoviert 1955, war er natürlich nicht unbedingt auf dem neuesten Stand: Die Stiegen und der Personendurchgang waren ein wenig finster, es gab keine Aufzüge, aber es gab immerhin zu beiden Bahnsteigen einen stufenfreien (barrierefreien) Zugang, es gab an einem Bahnsteig ein Bahnhofswirtshaus, und es gab einen gemütlichen beheizten Wartesaal. Dessen Wände zeigten überdies Bilder von mehr als einem Dutzend Sehenswürdigkeiten aus der Region (Bild 02).

Ursprünglich sollte der alte historische Bahnhof in einen Neubau integriert werden, dann entschloss man sich jedoch, das Bauwerk abzureißen. In den Jahren 2002 bis 2005 wurde nach einem Konzept der Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck ein Neubau errichtet. Der gläserne Gesamtanblick mag durchaus ansprechend wirken (Bild 03), und auch die Bahnsteigbereiche (Bild 04) sind recht gut gestaltet, allerdings verhindern die neuen Lärmschutzwände den bisherigen Ausblick auf die Kurstadt. Gaststätte gibt es oben beim Bahnsteig keine mehr, und der gläserne Warteraum ist weitaus kleiner ausgefallen als früher.

Unterführung- oder Tunnel??

Einen abstoßenden Eindruck hinterlässt jedoch das Erdgeschoss des Bahnhofs. Die Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck haben hier eine graue Betonlandschaft inszeniert, die unverputzt und schmucklos an eine Autobahnunterführung erinnert (Bilder 05 und 06). Verloren sitzen Menschen in der Leere eines grauen Lochs (Bild 07), Treppen und Info-Elemente zeigen nicht den geringsten Ansatz einer Gestaltung (Bilder 08 und 09). Architekten finden dieses Bauwerk allerdings großartig. Der 1948 geborene Schweizer Architekt und Autor Walter Zschokke schrieb im April 2005 in der Presse über die unverputzten Betonkubus-Elemente, es herrsche ‘Klarheit und kluge Angemessenheit’. Es sei Henke und Schreieck gelungen, ‘ein Zeichen zu setzen’: ‘Einerseits mit einer nichts zu wünschen übrig lassenden Klarheit, andererseits mit kluger Angemessenheit im Umgang mit dem Vorhandenem’. Aha!? Mit Klarheit sind offenbar die einfallslos glatten Betonoberflächen gemeint?

Marta Schreieck berichtet auf telefonische Anfrage, das alte Bahnhofsgebäude hätte ursprünglich als Drogeriemarkt neben dem neuen Bahnhof stehen bleiben sollen, sie sei aber sehr froh, dass es nun doch weg sei. Zur Frage, warum das Erdgeschoss aus unverputztem, rohbauartigem Beton besteht, meint sie, es gehe um das Raumerlebnis: Es handle sich nicht mehr um einen Tunnel, sondern um eine Halle und ein Atrium mit Aufgang. ‘Wir empfinden den Sichtbeton als sehr angenehm’, sagt Schreieck, ‘weil er angenehme Kühle symbolisiert. Er ist widerstandsfähig, noch immer absolut unbeschädigt, hält sich ausgezeichnet, ist puristisch und verdreckt nicht.’ Der Beton sei außerdem sehr schön gemacht worden, man müsse ihn im Gegensatz zu verputzten Wänden nie wieder neu streichen. Eine Seite des Tunnels (also doch ein Tunnel??) werde demnächst als Leuchtwand mit Monitoren und Fahrplänen bespielt.

Von den Architekten Henke und Schreieck stammt übrigens auch das nach Demolierung des Kaipalasts errichtete, höchst umstrittene Bürohaus K47 am Franz Josefs Kai, demnächst sollen sie außerdem den neuen Bahnhof Landstrasse/Wien Mitte samt den darüber befindlichen Hochhäusern bauen: Bild 10 zeigt Stadtrat Rudolf Schicker mit den beiden Architekten und deren Wien-Mitte-Modell. Hoffen wir, dass die dortigen Bahnhofsbereiche weniger ungastlich und ideenlos wirken als der unverputzte Rohbau in Baden.

Bahnhofsarchitektur hat bei den ÖBB diverse seltsame Stadien durchgemacht. Während frühe Bauten oft trotz Standardisierung viel Liebe zum Detail zeigten und trotzdem äußerst funktionell geplant waren (Bild 11 Großweikersdorf, Bild 12 Gaweinstal), kam es ab den 80er Jahren zu recht merkwürdigen Bauten (Bild 13 Siebenhirten bei Mistelbach, Bild 14 Pfaffstätten).

Oase - in jeder Hinsicht

Ein ausgezeichnetes Beispiel für einen genial revitalisierten Bahnhof bietet Brunn-Maria Enzersdorf, eine Bahnstation nördlich von Baden an der Südbahn. Mitte der 90er Jahre sollte auch dort der desolate Bahnhof abgerissen werden (Bild 15). Die Gemeinde schaffte es nach langwierigen Verhandlungen schließlich, den ÖBB das Gebäude abzukaufen und zu retten. 2004 war es dann soweit: Der Bahnhof samt umgebendem Gartenareal wurde zu einem Schmuckstück, das auch in funktioneller Hinsicht bestens gestaltet ist: Stiegenfreier Zugang, Warteraum, kostenfreie Toiletten und ein großartiges neues Bahnhofswirtshaus (‘Parkcafé’) nahe dem Bahnsteig. Neben blühenden Oleanderbüschen können die Momente vor oder nach einer Bahnreise kulinarisch genossen werden (Bild 17), viele Einwohner der Gemeinde besuchen sogar extra fürs Essen oder Trinken den Bahnhof.

Angesichts etlicher geplanter Bahnhofsneubauten in Österreich bleibt zu hoffen, dass sich all diese neuen Gebäude an den Bedürfnissen der Bahnreisenden orientieren und nicht zu einer provokanten Selbstverwirklichung von Architekten verkommen.

Im dritten Teil der Reportage wird geschildert werden, warum alte Menschen und Frauen mit Kinderwägen an Bahnhöfen oft unnötig durch Stiegenunterführungen geschleust werden, und wie die ÖBB eine Nebenbahnstrecke durch unnötiges Umsteigen unattraktiv machen.

P.S. Ein Nachtrag zum ersten Teil: Auch im Bahnhof Heiligenstadt hat die ÖBB kürzlich beim BahnhofsWC eine mechanische Schleuse eingebaut, die Geld fordert.

Zum Nachlesen: Erlebnisklo bei den ÖBB Die merkwürdigen Erlebnisse eines Bahnreisenden, Teil 1



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Weitere Infos: Linktipp: Gerd Maiers Homepage - www.gerdmaier.com
GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /