Gänseblümchenrasen statt Pflanzenparadies

Am Nordbahnhofgelände werden derzeit im Auftrag der Stadt Wien Standorte mit äußerst seltenen Pflanzen weggebaggert

BEDNAR-PARK Teil 1: Frachtenbahnhof Wien Nord: Seltene Pflanzenarten werden derzeit weggebaggert!

Das Nordbahnhofgelände in Wien Leopoldstadt, ein ehemaliger Frachtenbahnhof nordöstlich vom Praterstern, ist eine riesige Brachfläche, auf der einige extrem seltene pflanzliche Raritäten wachsen. Nun soll das Areal schrittweise mit Bürogebäuden und Wohnblöcken verbaut werden, wobei in der Mitte ein kleiner Park geplant ist. Eine Einbeziehung der wertvollen Trockenstandorte mit den vom Aussterben bedrohten Pflanzen in die Parkgestaltung ist nicht vorgesehen. Seit ein paar Wochen zerstören Bagger im Auftrag der Stadt Wien die wertvollen Biotope.

Vor einem halben Jahrhundert gab es an vielen Stellen Wiens große Frachtenbahnhöfe, wo diverse Güter möglichst nahe bei den Verbrauchern von der Schiene auf Lastkraftwagen umgeladen wurden. Nun sind viele dieser Areale verwaist und werden seit Jahren von einer faszinierenden Vielfalt seltener Pflanzen überwuchert. Die Biologin Ingeborg Schinninger hat im Auftrag der Universität Wien vor etlichen Jahren die Vegetation des ausgedehnten Nordbahnhofgeländes untersucht und wissenschaftlich publiziert, auch der Autor dieser Zeilen war in diese Arbeiten am Rande involviert. Bereits damals wies Schinninger auf die pflanzlichen Raritäten hin.

Auf der Suche nach Geld verkauft die ÖBB nun viele der einstigen Frachtenbahnhöfe an Investoren, damit diese dort Bürobauten, Wohnblöcke oder Hochhäuser errichten. Schon bei der Bewilligung der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Nordbahnhofgelände wurde von Seiten der ÖBB angedeutet, ‘wenn Ihr was Seltenes findet, macht´s kein öffentliches Drama draus, sonst können wir das Areal nicht zu Geld machen’.

Pflanzenwunder. Experten kommen jedoch bei näherer Untersuchung aus dem Staunen nicht heraus. Da wächst zum Beispiel der seltene, wenn auch etwas unscheinbare Graue Schöterich (Erysimum diffusum/canescens), der in Oberösterreich laut Roter Liste bereits ausgestorben ist. Hier, mitten in Wien, streckt aber auch das Stein-Fingerkraut, Drymocallis rupestris, seine malerischen Blüten in den Himmel (siehe Fotos). Laut Roter Liste Gefährdungsstufe 3, daher streng geschützt. Der Gewöhnliche Igelsame, Lappula squarrosa, hat lustig aussehende stachelige Minifrüchte, die Rote Liste führt ihn ebenfalls auf Stufe 3, und in Oberösterreich ist er auch ausgestorben. Ja, und dann gibt es auch merkwürdige Gäste, die eigentlich nicht heimisch sind, deren Samen aber vielleicht mit Güterwaggons eingeschleppt wurden. Dazu zählt ein Eichengebüsch an einem der Bahndämme, bei dem es sich um Quercus frainetto, die Ungarische Eiche handeln dürfte. Für Österreich wäre dieses winzige Vorkommen einzigartig, sie kommt sonst in den warmen Regionen Ost- und Südeuropas vor und ähnelt der Zerreiche.

Neben den trockenen Schotterdämmen befinden sich in dem Gebiet aber auch temporäre Gewässer, in denen Laichschnüre und Kaulquappen von Wechselkröten (Bufo viridis) zu finden sind (Fotos im Teil 2 dieser Serie). Diese östliche Steppenart ist nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU ‘streng geschützt’, laut Österreichs Roter Liste gilt sie als Stufe 2 (‘stark gefährdet’), in der Schweiz ist sie bereits ausgestorben.

Das Areal des brachliegenden einstigen Frachtenbahnhofs soll nun schrittweise verbaut werden, im Zentrum ist eine Parkanlage geplant, der sogenannte Bednar-Park. Natürlich wäre es naheliegend gewesen, einen Teil der wertvollen Vegetation im Bereich des Parks zu erhalten und die Anlage zu gliedern: Einen Teil als Hundezone, einen weiteren Abschnitt zur Erholung und als Kinderspielplatz, und einen dritten Teil sozusagen als ‘Biotop’, als Refugium für seltene Pflanzen. Ob diese Pflanzen dann trotz Trittbelastung und urin-bedingtem Stickstoff-Überschuss erhalten bleiben, wäre nicht garantierbar, aber es wäre einen Versuch wert, im Sinn einer innovativen Parkgestaltung.

Stattdessen gibt es leider ein konventionelles planiertes Einheitsrasen-Parkkonzept. Seit ein paar Wochen werden die Standorte der geschützten Pflanzen im Auftrag der Stadt Wien mit Baggern zerstört (siehe Fotos).

Ein mit dem Projekt vertrauter Experte, selbst hochkompetent und um die Erhaltung wertvoller Pflanzenstandorte bemüht, gibt zu Bedenken, dass der Bednar-Park sehr, sehr klein sei. Die Stadt Wien habe einen zu kleinen Park und zu viele Häuserblocks geplant. Es würde deshalb einfach nicht funktionieren, wenn man neben Kinderspielplätzen, Hundezonen und dergleichen noch versuchen würde, naturbelassene Trockenbiotope zu erhalten. Sie wären vermutlich zu klein, um eine echte ökologische Funktion zu behalten.

So wird nun das riesige Areal der wertvollen Trockenbiotope des Frachtenbahnhofs Wien Nord unter Häuserschluchten und einem konventionellen Park verschwinden. Immerhin ist geplant, im Bereich der Gleisschleife, die einst den Handelskai-Schienenstrang mit dem Nordbahnhof verbunden hat, eine Art ‘Stadtwildnis’-Bereich frei zu lassen, wo ein paar Trockenrasenpflanzen überleben können, jedoch ist dieses Areal äußerst klein.

Im Teil 2: Die Schweizer Landschaftsarchitekten, die den Park planten, wissen überhaupt nichts von den seltenen Pflanzenarten!



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Weitere Infos: Linktipp: Gerd Maiers Homepage - www.gerdmaier.com
GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /