© Gerd Altmann - pixabay.com
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Hinkley Point: Das Geheimnis eines Kraftwerks

Was sind die wahren Gründe, warum sich Großbritannien auf so ein zweifelhaftes Unternehmen eingelassen hat?

Die emotionalen Debatten rund um die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, haben die Nachricht, dass die neue britische Regierung dem Bau des Atomkraftwerksprojektes Hinkley Point C nun definitiv zugestimmt hat, etwas in den Schatten gestellt. Investoren werden der halbstaatliche französische Konzern EDF und die chinesische Staatsfirma CGN sein, und zwar in einem Verhältnis von 2:1. Der entsprechende halbstaatliche Vertrag wurde Ende September unterschrieben.

Das ganze Projekt ist höchst umstritten. Es gibt Aussagen wie ‘ökonomischer Wahnsinn’, ‘teuerstes Kraftwerk auf der Welt’ oder ‘Attacke auf die britischen Steuerzahler’. Laut BBC soll es sogar um den teuersten Bau auf der Erde überhaupt gehen. Das entsprechende Budget in der Höhe von 24,5 Milliarden Pfund übersteigt den Preis des weltweit höchsten Wolkenkratzers Burj Khalifa in Dubai angeblich um das 18-fache, oder den des großen Hadron- Teilchenbeschleunigers, welcher die Geheimnisse des Weltalls erklärt, um das Fünffache.

Damit der Bau rentabel sein kann, haftet die britische Regierung mit einem Betrag von 2 Milliarden Pfund und einem vertraglich zugesicherten fixen Einspeisetarif von 92,5 Pfund pro erzeugter Megawattstunde Strom, was in etwa dem Doppelten des derzeitigen Marktpreises für Elektrizität ausmacht – und zwar für die Dauer von 35 Jahren. Dieser Einspeisetarif wird darüber hinaus jährlich um den Inflationsverlust angehoben. Laut Energieministerium soll die Förderung des laufenden Betriebes so insgesamt 37 Milliarden Pfund ausmachen. Dafür soll das Kraftwerk nach seiner Fertigstellung etwa 7 Prozent der Stromproduktion Großbritanniens erzeugen.

Gegen das Projekt stellte sich eine lange Reihe von respektierten Autoritäten. Zum Beispiel behauptet das nationale britische Kontrollamt NAO (‘National Audit Office’), dass die Investitionen in den Bau von Wind- und Solarkraftwerken für die Steuerzahler günstiger wären als der Bau dieses Kraftwerks. Dabei wird auch darauf verwiesen, dass sich die bereits jetzt astronomisch hohen geplanten Konstruktionskosten aus vielerlei Gründen noch weiter erhöhen könnten. Zum Beispiel ist bei den Baukosten nötig, mit einer möglichen Überschreitung des Budgets um bis zu 30 Milliarden Pfund zu rechnen. Diese Angabe stammt aus einem Vergleich mit den AKW-Projekten im finnischen Olkiluoto und im französischen Flamanville, deren Baufortschritte sich wiederholt verspäten und wo das ursprüngliche Budget bereits um mehr als das Dreifache angewachsen ist. In Hinkley Point soll dabei derselbe Reaktortyp stehen, wie an den beiden oben angeführten AKW-Standorten. In die Risiken müssen, laut Angaben des Kontrollamtes NAO, gleichfalls Schäden eingerechnet werden, welche durch mögliche Havarien entstehen können und gegen die es de facto unmöglich ist, eine Versicherung abzuschließen.

Der gleichen Ansicht ist auch der britische Betreiber des ‘National Grid’, also des landesweiten Stromnetzes. In einem Bericht vom April dieses Jahres wird konstatiert, dass Großbritannien Solartechnologien, Elektromobile und Batterien viel rascher einführen könnte, als man bisher gemeint hatte. ‘Wir befinden uns mitten in einer Energierevolution’, sagte Marcus Steward, der Leiter der Abteilung für die Gesamtaufsicht über das Stromnetz, wörtlich. Politische Maßnahmen zur Unterstützung dieser Revolution könnten Großbritannien bis zum Jahre 2035 jährlich 8 Milliarden Pfund ersparen. Für die Stabilität des Stromnetzes würde es zum Beispiel kein Problem darstellen, die installierte Leistung der PV-Kraftwerke bis zum Jahr 2035 von 12 auf 39 GW zu steigern. Der Anteil der Elektroautos könnte auf den britischen Straßen bis zum angegebenen Jahr auf ein Viertel zunehmen.

Das ‘National Grid’ bewertete erstmals auch die Perspektive des Potentials der Speicherung von Energie: die Kosten für Lithium-Ionen-Batterien könnten bis 2019 um ein Fünftel zurückgehen und um ein weiteres Fünftel bis Anfang der 20-er Jahre des 21. Jahrhunderts. Bei diesem Trend könnte sich die Speicherkapazität bei Strom in Großbritannien von den heutigen 3 auf 11 GW im Jahre 2030 und auf 18 GW bis 2040 erhöhen. Laut einer Studie der ‘Intergenerational Foundation’ hätte das zur Folge: Solar- und Windkraftwerke würden über die gesamte Lebensdauer des AKWs Hinkley Point C in etwa die selbe Strommenge erzeugen, allerdings um 40 Milliarden Pfund billiger. Dasselbe meint zum Beispiel der Verband ‘Energy UK’, welcher mehr als 90 Firmen aus dem Bereich des Energiewesens, die ‘nationale Kommission für Infrastruktur beim Finanzministerium’ und viele weitere Akteure vertritt. Was die Öffentlichkeit betrifft, so unterstützt laut der letzten Umfragen nur jeder dritte Brite das Projekt Hinkley Point.

Gründe zur Hinterfragung des Projektes

Die offizielle Begründung für das Projekt, wie sie nun bereits von der dritten Regierung in Folge verkündet wird (Tony Blair, James Cameron und Theresa May) ist immer dieselbe. Sie lässt sich in zwei Punkten zusammenfassen – und beide sind relativ leicht in Frage zu stellen:

1) Hinkley Point (und in absehbarer Zeit weitere Atomkraftwerke) sollen Kohlekraftwerke ersetzen und so die Treibhausgasemissionen reduzieren helfen. Der Verbrauch an Kohle sank allerdings im Jahre 2014 auf das niedrigste Niveau seit dem Jahre 1850, als die Erde gerade die industrielle Revolution erlebte. Ökonomen gehen davon aus, dass die Kohlekraftwerke in Großbritannien bis zum Jahre 2025 – keineswegs jedoch wegen Hinkley Point, sondern schlicht wegen der Tatsache, dass sie nicht gebraucht werden, verschwinden. Seit dem Jahre 2008 sank in Großbritannien der Primärenergieverbrauch um 18%, während das BIP um 0,7% anstieg. Der Anteil der erneuerbaren Energiequellen an der Gesamtstromproduktion erreichte dabei insbesondere aufgrund des Baus von großen Windparks am Meer 25%.

2) Hinkley Point schuf angeblich ‘viele’ Arbeitsplätze (Schätzungen bewegen sich von 5.000 bis 15.000). Der französische Konzern EdF gibt freilich nur 4.500 Arbeitsplätze während der Bauphase an und 900 während des Betriebs – wobei die Mehrzahl der Arbeitskräfte aus dem Ausland käme, insbesondere aus Frankreich. Und wieder ein interessanter Vergleich mit den erneuerbaren Energiequellen: laut einer kürzlich veröffentlichten Nachricht des britischen Statistikamtes (Office of National Statistics) beschäftigt der Atomenergiebereich 15.500 Menschen, während das im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energiequellen 43.500 sind, also beinahe das Dreifache. Darüberhinaus geht es bei 9.000 von den 15.500 im Nuklearbereich Beschäftigten um Arbeitsprätze auch im Zusammenhang mit der Wiederaufarbeitungsanlage von Kernbrennstoffen in Sellafield, wo kein Strom erzeugt, sondern im Gegenteil eine ganze Menge davon verbraucht wird.

Was sind aber die wahren Gründe, warum sich Großbritannien auf so ein zweifelhaftes Unternehmen eingelassen hat? Die britische und die europäische Presse brachten in der vergangenen Zeit mehrere Spekulationen in die Debatte ein, die alle ihren Sinn haben können. Am interessantesten ist der Hinweis auf eine Studie der Universität von Sussex, deren Autoren auf den Plan der britischen Marine hinweisen, eine neue Generation bewaffneter Atom-U-Boote einzuführen, die fähig wären, die ballistischen Trident-Atomraketen zu transportieren. Vier neue Maschinen ersetzen die gleiche Anzahl an veralteten U-Booten aus den 90-er Jahren, die außer Betrieb genommen werden sollen, was Großbritannien sein atomares Abschreckungspotential mindestens bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts sicherstellen soll.

Das Programm mit dem Namen ‘Successor’ soll laut der verfügbaren Informationen das teuerste militärische Projekt in der Geschichte Großbritanniens werden und bis zum Jahre 2024 etwa 40 Milliarden Pfund kosten. Die erwähnte Studie führt einen engen Zusammenhang zwischen diesem Programm und dem Bau von Hinkley Point C an. Über beide Projekte begann man in der Mitte des letzten Jahrzehnts zu diskutieren, als die sogenannte ‘atomare Renainssance’ ausgerufen wurde. Folgt man der Studie, so soll Hinkley Point dem militärischen Atomprogramm vor allem ausreichend geschultes Fachpersonal und technisches Know-how zur Verfügung stellen, was mit dem Bau von Atomkraftwerken zusammenhängt.

Ohne Hinkley Point wäre das militärische Programm angeblich viel teurer. Und das Interessanteste schließlich: einige Tage nach Unterzeichnung des zwischenstaatlichen Vertrages über Hinkley Point gab das Verteidigungsministerium grünes Licht für den Bau der erwähnten Atom-U-Boote. Ein Zufall?

Sicherheitsrisiko

Ein weiterer interessanter Aspekt betrifft die Frage, warum die neue britische Regierung, welche nach dem Brexit die Leitung des Landes übernahm, sich entschloss, das Projekt Hinkley Point noch einmal zu überprüfen. Wie Anfang August die deutsche Zeitung ‘Die Welt’ aufmerksam machte, rief die Verschiebung der Entscheidung von Seiten Chinas, das mit einer Einstellung sämtlicher chinesischer Investitionen in Großbritannien und mit der Verschlechterung bilateraler Beziehungen drohte, eine scharfe Reaktion hervor. Das chinesische Außenministerium forderte Großbritannien zur raschen Unterschrift des schon früher beschlossenen Projektes auf. Laut ‘Die Welt’ störte Premierministerin Theresa May gerade die chinesische Teilnahme am Projekt, weil sie es, im Unterschied zu seinem Vorgänger David Cameron für ein Sicherheitsrisiko hält. Mit dieser Ansicht hielt sie auch in ihrer früheren Position als Innenministerin nicht hinter dem Berg. Ihr engster Mitarbeiter, Nick Timothy, derzeit in der Funktion des Leiters des Büros der Premierministerin, wies schon letztes Jahr auf die Warnungen von Sicherheitsexperten hin, dass die Chinesen über Hinkley Point Zugang zu sensiblen Computersystemen erhalten, mittels derer sie fähig sein würden, das gesamte britische Energiewesen lahm zu legen. ‘Die Welt’ schreibt, dass westliche Geheimdienste schon mehrere Jahre vor der chinesischen Bemühung warnen, in Computernetzwerke strategisch relevanter westlicher Firmen einzudringen. Jetzt freilich sieht alles wieder anders aus. Die britische Zeitung ‘The Guardian’ schrieb nach der Unterzeichnung des Vertrages, dass China plane, eine zentrale Rolle im Bereich der britischen Atomkraft zu spielen – und zwar mittels seiner Beteiligung in weiteren geplanten Kraftwerken in Sizewell und Bradwell. Quizfrage für Neugierige: sind die erwähnten Befürchtungen bezüglich der Sicherheitsfragen bereits hinfällig – oder ist die britische Regierung vor den Drohungen der asiatischen Großmacht in die Knie gegangen?

Letzte Chance für die Franzosen

Ein eminentes Interesse an Hinkley Point hat freilich auch Frankreich, für das es um die letzte Gelegenheit geht, etwas von seiner früheren ‘nuklearen Glanzrolle’ zu zeigen. EdF (Electricité de France, Betreiber von AKWs und des Übertragungsnetzes), befindet sich aufgrund einer Regierungsentscheidung in einem komplizierten Fusionierungsprozess mit einem anderen ‘staatlichen Giganten’, mit Areva, dem weltweit größten Hersteller von Atomreaktoren. Areva wies im Jahre 2014 in seinen Bilanzen einen Verlust von fünf Milliarden € aus und die Fusion mit EdF ist angeblich die einzige Chance, wie der Konzern vor dem Bankrott gerettet werden könne. Dabei ist die Situation von EdF nicht viel besser. Die Verschuldung dieses Konzerns erreicht 20 Milliarden € und in den letzten Jahren halten sie nur die wiederholten Strompreiserhöhungen und Kapitalinjektionen in der Höhe von vier Milliarden € über Wasser, wovon drei Milliarden die französische Regierung, also der Steuerzahler berappte. Es deutet also viel darauf hin, dass Hinkley Point für die Franzosen eher ein russisches Roulette, denn das Geschäft des Jahrhunderts darstellt. Aus der EdF-Leitung trat heuer übrigens aus Protest gegen die Teilnahme der Firma an diesem Projekt deren Finanzdirektor zurück. Und als heuer im Sommer der EdF-Vorstand dem Projekt Hinkley Point definitiv grünes Licht gab, klagten fünf der dabei überstimmten Mitglieder vor Gericht dagegen. Der Beschluss des Vorstandes sei aus ökonomischer Sicht nicht zu rechtfertigen und könne die Firma definitiv in den Bankrott treiben. Auch hier kann nur spekuliert werden, was hinter der Entscheidung, sich auf so ein kontroverses Projekt einzulassen, tatsächlich steht. Die Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten gewiss ebenso wenig, wie umweltpolitische Überlegungen.

Autor & Copyright Jakub Šiška, verfasst für die Zeitung Lidové noviny
Übersetzung: Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /