© Sonnenwelt Großschönau
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Die Sonnenwelt im österreichischen Großschönau

Die maximale Nutzung lokaler erneuerbarerEnergiequellen ist in einer Reihe von Gemeinden und Städten in Westeuropa immer häufiger im Trend.

© SONNENWELT / Die Sonderausstellung ist nur noch kurze Zeit zu sehen
© SONNENWELT / Die Sonderausstellung ist nur noch kurze Zeit zu sehen
© HOLLER
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Viele Regionen haben das Ziel, eine hundertprozentige Energieautarkie auf Basis erneuerbarer Energiequellen zu erreichen und manche sind dabei bereits erfolgreich zum Ziel gelangt. Die Geschichte der österreichischen Gemeinde Großschönau unweit der tschechischen Grenze ist aber auch im europäischen Kontext als außergewöhnlich zu sehen.

Vom gepflegten Dorfplatz gehe ich nach oben - am Gebäude des Gemeindeamtes und an mehreren Einfamilienhäusern vorbei - bis zum sogenannten Sonnenplatz. Ich möchte die Gebäude sehen, die schon eine Reihe von Jahren die Aufmerksamkeit auch aus dem weiteren Ausland auf sich gezogen haben - nicht so sehr aufgrund ihres Aussehens, als eher dadurch, was sie in ihrem Inneren verbergen. Wie uns der Name Sonnenplatz schon signalisiert, spielt die Hauptrolle hier die Sonne: Die Sonne als Symbol für Licht, Energie und die Zukunft. ‘Diese fünf Passivhäuser haben wir im Jahre 2007 fertiggestellt und Interessenten auf ähnliche Weise zum Testwohnen angeboten, wie Ferienwohnungen vermietet werden’, sagt der Bürgermeister der Gemeinde Martin Bruckner, während wir zur örtlichen Promenade weitergehen.

Passive Häuser – Aktive Menschen

Das alles begann in einer Zeit, als man erst über Häuser sprach, die keine Energie zum Heizen brauchen und sich im idealen Fall auch die andere notwendige Energie selbst erzeugen können. Damals beauftragte die Gemeinde die besten Architekten, um Vorschläge auszuarbeiten, die im Ort realisiert werden könnten. Als Ergebnis entstanden fünf Passivhäuser unterschiedlicher Größe und einem durchaus nicht einheitlichen Aussehen. Alle Häuser nutzen natürliche Baumaterialien in maximalem Umfang, manche sind mit Photovoltaik ausgestattet und mit einer Anlage zur Regenwassernutzung. Das Ziel war zu zeigen, dass derartige Häuser einfach viele Vorteile haben. Auch sollten verbreitete Befürchtungen zerstreut werden, dass zum Beispiel in ihnen die Wände schimmeln oder dass der Wärmetauscher Lärm machen würde.

Das Interesse an diesem Projekt war bereits vor dessen Fertigstellung enorm. ‘Es kamen Menschen, die daran dachten, sich selber so ein Heim mit Passivhauseigenschaften zu bauen, aber auch Architekten und Vertreter von Baufirmen - bis heute fast 5000 Leute. Sie sammelten hier eine Reihe von Erfahrungen, welche sie dann auch weitergaben. Ich denke, wir haben viel dazu beigetragen, dass sich Passivhäuser in Österreich so durchgesetzt haben’, sagt der Bürgermeister mit ruhiger aber fester Stimme. Heute dient nur mehr eines der ursprünglich fünf Häuser zum Testwohnen; die anderen vier Gebäude hat die Gemeinde verkauft und dadurch auch neue Einwohner (in eine ansonsten strukturschwachen Region, Anm.d.Ü.) bekommen.

Im Anschluss gehen wir zum nächsten Objekt am Sonnenplatz - zum Forschungs- und Kompetenzzentrum für Bauen und Energie. Es entstand im Jahre 2011 als Plusenergiegebäude, bei dessen Errichtung auch Erkenntnisse der Gäste, die als Probewohner Erfahrungen in den Passivhäusern sammeln konnten, eingeflossen sind. Ich erfahre, dass im Zentrum bereits mehrere Forschungsprojekte durchgeführt wurden. Zum Beispiel wurde mittels eines Fragebogensystems der Energieverbrauch in öffentlichen Gebäuden in diversen europäischen Landern eruiert, dessen Ergebnisse an die EU-Komission in Brüssel weitergeleitet worden sind. Die Ergebnisse davon dienten zur Erstellung von Schulungsprogrammen für die Nutzer öffentlicher Gebäude, mit speziellem Augenmerk auf den Bereich der Energiesparpotentiale. Von den laufenden Projekten sind das zum Beispiel die Untersuchung effizienter Möglichkeiten der Integration lokaler Wärmequellen. Das Zentrum veranstaltet weiters Kurse für Energieberater sowie Seminare für Experten und die breitere Öffentlichkeit. Als Partner kooperieren mit dem Zentrum in Großschönau rennomierte Universitäten bzw. deren Fachabteilungen, Behörden und Ministerien.

Die Sonne hundertmal anders

‘Und jetzt zeige ich Ihnen unsere größte Attraktion’, sagt der Bürgermeister und führt mich zu einem langgezogenen Gebäude mit weißer Fassade, auf der in großen Lettern die Aufschrift ‘SONNENWELT’ neugierig werden lässt. Diese ‘Sonnenwelt’ ist eine europaweit einzigartige multimediale Ausstellung, die im Jahre 2013 von der Gemeinde eröffnet worden ist und dafür im Jahr darauf mit dem prestigeträchtigen österreichischen Klimaschutzpreis ausgezeichnet wurde. ‘Das Objekt entspricht den Standards eines Plusenergiehauses und ist mit modernster Photovoltaik sowie einem Stromspeicher ausgestattet. Aber auch mit dieser Lösung können die PV-Zellen noch Überschussenergie produzieren und ins Netz einspeisen’, erfahre ich an der Rezeption.

Der etwa zehnminütige Eingangsfilm darüber, wie der Mensch den Planeten vernichtet, wirkt etwas moralisch. Darüberhinaus irritieren mich die beiden nebeneinander stehenden Monitore, auf denen jeweils gerade etwas anderes läuft. Nach dem Betreten der eigentlichen Ausstellungsräumlichkeiten löst sich diese Irritation aber rasch wieder auf. Auf einer Fläche von 2000 Quadratmetern erwartet mich eine Reise durch die Geschichte der Menschheit von der Eiszeit bis zur Gegenwart - mit anschaulichen Belegen dafür, dass auf unserem Planeten (menschliches) Leben ohne die Sonne schlicht nicht möglich wäre.

Ich überspringe einige Jahrhunderte und befinde mich in der Periode rund um das Jahr 1700. Gerade in jener Zeit erfinden die Menschen eine sensationelle Neuheit welche ihnen ein deutliches Mehr an Lebensqualität bringt: den Kachelofen. Die Ansicht eines Hauses aus dem 17. und 18. Jahrhundert im Querschnitt zeigt anschaulich, wie die Wärme in dessen Räumen zirkulierte – aber auch, wie leicht sich so ein Haus überhitzen und entzünden konnte. Während sich die Kinder am interaktiven Tisch in die Rolle eines Feuerwehrmannes begeben und versuchen können, das entstandene Feuer zu löschen, faszinieren die Erwachsenen eher die Details über die Dachkonstruktionen, so wie diese damals gebaut wurden.

Die Ausstellungsmacher nutzten die Gelegenheit auch, darauf hinzuweisen, in welchem Überfluss wir heute im Gegensatz zu den früheren Generationen leben. Während viele von uns den modernsten Modellen diverser ‘smarter’ Sachen nachjagen, kannte am Anfang des 19. Jahrhunderts die Mehrheit der Menschen weder fließendes Wasser noch das Phänomen der Elektrizität. Ein witziges interaktives Spiel lässt erahnen, was die Menschen vermutlich so machten, wenn sie am Abend nur kurz die Petroliumlampe als Ersatzlichtquelle benutzen konnten - und wie sich ihr Leben veränderte, als es möglich wurde, die Nacht zum Tag zu machen.

Die industrielle Revolution, die massive Zunahme im Verbrauch, die Jagd nach dem ökonomischen Wachstum und die Auswirkungen all dessen auf unseren Planeten – das sind weitere Abteilungen dieser Ausstellung. Es handelt sich um eine Geschichte, die sich immer wieder mit der Gegenwart trifft. Vom berüchtigten Londoner Smog habe ich selbstverständlich schon gehört. Aber hier habe ich die Möglichkeit, einen alten Fernseher einzuschalten und die Nachrichten vom Dezember 1952 zu verfolgen, als in der Stadt an der Themse kein Schritt weit mehr zu sehen war und die Menschen an den Folgen des Smogs starben. Es ist keine lustige Sache, sowas zu sehen, vor allem, wenn ein Stück weiter weg ähnliche Aufnahmen von asiatischen Städten zu sehen sind. Bloß stammen die erst aus der jüngeren Vergangenheit von vor ein paar Jahren. Der Abschluss der Ausstellung kann aber nicht anders als optimistisch sein: Der Mensch kann mithilfe der gegenwärtig verfügbaren Erkenntnisse und Technologien alle ökologischen Probleme lösen, wenn er nur will.


Die Ausstellung ist aber so umfangreich, dass man in ihr viele Stunden verbringen kann, bzw. sie besser mehrmals besucht. Es handelt sich um einen idealen Raum für den Unterricht praktisch aller Schulgegenstände (für den Sport gibt es im Freien einen Erlebnisspielplatz). Und wie man mir in der Rezeption sagt, bilden die Mehrheit der BesucherInnen tatsächlich Schulklassen - und nicht nur aus Österreich, sondern auch aus der Tschechischen Republik. Alle Aufschriften sind nämlich neben deutsch auch englisch und tschechisch. Am Projekt beteiligte sich auch die ‘Technische und ökonomische Hochschule’ in Budweis.

Keine Angst vor neuen Visionen haben

Beim Gesang der Vögel und angesichts eines Blickes in die umliegenden Wälder, Wiesen und Felder wird mir bewusst, wo ich mich eigentlich gerade befinde: im Waldviertel, einem typischen landwirtschaftlich geprägten Gebiet mit wenigen Touristen und fast keiner Industrie. Großschönau selbst hat inklusive der dazugehörenden Ortschaften knapp 1500 EinwohnerInnen. Die Region, so scheint es, entvölkert sich langsam aber sicher, Arbeitsmöglichkeiten sind dünn gesät. Wenn es so weitergeht, dann wird - laut einer Studie der niederösterreichischen Wirtschaftskammer - die Zahl der Kinder und Jugendlichen bis zum Jahr 2050 um fast 23 % zurückgehen. In dieser Gemeinde hat man dagegen aber ein Rezept: ‘Mit den Möglichkeiten, Energie zu sparen, beschäftigen wir uns bereits seit den 70-er Jahren, als wir nach einem neuen Impuls für die Entwicklung unserer Gemeinde suchten. Das war nach dem sogenannten Ölschock, als sich die Menschen erstmals bewusstmachten, dass das billige Erdöl und andere Rohstoffe nicht für immer zur Verfügung stehen werden. Daher sagten wir uns, dass wir Visionäre werden und Zukunftsprojekte entwickeln wollen’, erzählt der Bürgermeister.

Mit diesem ‘wir’ meint er auch seinen Bruder Josef Bruckner, der sich an den meisten der realisierten Einfälle aktiv beteiligt hat. Das begann mit dem ersten automatisierten Biomasseheizwerk Österreichs in der örtlichen Schule. Heute eine normale Sache, damals aber schlicht eine Sensation, die bei weitem nicht von allen mit Begeisterung aufgenommen wurde. Aber vielleicht bewirkte gerade diese Atmospähre eines ‘Hinterwäldlerdorfes’ unweit des sogenannten Eisernen Vorhangs, dass immer mehr Menschen mit den Bruckner-Brüdern zu sympatisieren begonnen haben. Ebenso half, dass die örtliche Säge mit einer dauerhaften Abnahme der Sägespäne rechnen kann und auch deswegen gefährdete Arbeitsplätze gehalten werden konnten. Vor allem beim Heizen wurde die Frage des Energiesparens zunehmend zu einem Thema - die Gemeinde half den Menschen beim Austausch ihrer Heizkessel und mit Ratschlägen, wie die Heizperiode finanziell möglichst gut überbrückt werden könne. Dann kam das Jahr 1985 - der erste Jahrgang der BIOEM, also der ‘Bioenergie Messe’. Anlässlich eines sozusagen eintägigen ‘Pilgeraufenthaltes’ wollten wir erreichen, dass sich die Besucher ein wenig länger bei uns aufhalten. So organisierten wir eine Energiesparausstellung. Der Erfolg war überwältigend, daher wiederholten wir die Ausstellung im darauf folgenden Jahre noch einmal. So entstand eine Tradition, welche nunmehr bereits 31 Jahre lang anhält’, erfahre ich. "Die BIOEM-Messe war der Durchbruch, welcher unsere Gemeinde weit über die Grenzen unserer Region hinaus bekannt machte. Heuer trafen dabei wieder um die 250 Aussteller aus ganz Österreich hier bei uns zusammen, die ihre Produkte und Dienstleistungen aus dem Bereich des sparsamen Bauwesens, der Elektromobilität, intelligenter Stromnetze, aber auch z.B. was die Akkupunktur oder allgemein einen gesunden Lebensstil betrifft. Die Gemeinde lebt dabei wortwörtlich auf - es beteiligen sich um die 400 freiwillige HelferInnen und tragen so zum Gelingen bei. " Die BIOM findet traditionell immer am letzen Maiwochenende statt, das in Österreich um den Feiertag Fronleichnam verlängert ist.

Es muss hinzugefügt werden, dass der Erfolg von Großschönau auch anderen Gemeinden in der Umgebung geholfen hat. Es entstand die sogenannten Modellregion Lainsitztal, welche sich zum Ziel gesetzt hat, bis zum Jahre 2030 auf der Basis der erneuerbaren Energien energieautark zu werden. Dem Projekt haben sich praktisch alle Schulen in der Region angeschlossen. Ihre Schülerinnen und Schüler arbeiten zusammen mit Experten eigene Energiesparprojekte aus. Eines der Ziele ist der Ausbau der Elektromobilität – dieses Jahr zum Beispiel entschloss man sich, in der Region die Bevölkerung beim Ankauf eines Elektromobils mit je 500 € finanzell zu unterstützen.

Und schlussendlich hat die aus Großschönau ausgegangene Initiative noch einen Effekt: die Menschen finden dort einen sinnvollen Arbeitsplatz, wo sie leben, was umgekehrt wiederum auch dem Gemeindebudget zustatten kommt. Aus dem ehemaligen Dorf am Ende der Welt wird langsam aber sicher eine gefragte Adresse.

Autor: Jakub Šiška, im tschechischen Original in Ausgabe 4/2016 des Magazins Energie21/alternativní energie (Kurzversion hier: http://energie21.cz/slunecni-svet-v-rakouskem-grosschonau/ ) erschienen

Übersetzung: Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /