© IG Windkraft
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Der scheinbare Strommarkt

Außer der Sonne kann keine Energiequelle ununterbrochen arbeiten. Wie können wir ausreichende Reservekapazitäten sicherstellen, ohne für die diese Bereitschaft Geld für fossile Energieträger ausgeben zu müssen?

In letzter Zeit wurde in Tschechien viel über die Erhöhung des feststehenden Anteils des zu zahlenden Strompreises diskutiert. In ersten Kalkulationen zeigte sich, dass aufgrund der geplanten Umstellung der Stromabrechnungen in Tschechien die Kleinabnehmer am meisten draufzahlen würden, also zum Beispiel die Besitzer von E-Herden oder die Eigentümer von Wochenendhäusern mit größeren Elektrogeräten, wie zum Beispiel Kreissägen. Jene aber, die einen höheren Stromverbrauch haben, würden durch die geplante Umstellung umgekehrt sogar profitieren.

In einem gewissen Sinne wäre das auch ein drastischer Schlag gegen jegliche Energiesparbemühung. Angesichts dessen, dass wir in Europa laut einer Studie den unkontrollierten Verbrauch und die Verschwendung um 80 % reduzieren sollten, geht es um eine energiepolitisch sehr schlechte Entscheidung.

Dem oben erwähnten Vorschlag einer neuen Preispolitik entspricht auch das Preispublikum auf Seite der Erzeugung von elektrischer Energie. Man spricht dabei von einem Kapazitätsmarkt. Das ist jener Markt, der bei einem hohen Anteil an erneuerbarer Energie im Stromnetz bei windarmen Phasen und wolkenverhangenen Tagen ein ausreichendes Ausmaß an Ersatzenergie sicherstellen soll. Bei Anwendung dieser Regelmechanismen würde der Stromproduzent nicht nur für die erzeugte Einheit an Strom, sondern auch dafür bezahlt bekommen, was er hätte erzeugen können. In einem gewissen Umfang sind Kapazitätsreserven sicher vernünftig, sie sind aber nicht die einzige Möglichkeit, um Probleme bei der Überbrückung von Engpässen zu lösen. Der Strommarkt, oder das, was als solcher scheint, ist bereit…

Beide Strategien haben eines gemeinsam – sie wollen den bestehenden Zustand konservieren: Einnahmen aus der Produktion sicherzustellen, auch wenn nicht produziert wird, und Erträge aus dem Verkauf sicherzustellen, auch wenn nicht gekauft wird. In welchem Ausmaß das ein ständiges Anbeten des ‘Freien Marktes’ ist und in welchem Maße dabei die Notwendigkeit der Emissionsreduktion respektiert wird, ist jedem klar. Es geht dabei weder um den Markt, noch um die Priorität der erneuerbaren Energiequellen mit sehr niedrigen messbaren Emissionen. All diese Aspekte signalisieren aber eines: wir nähern uns wirklich einer grundsätzlichen Wende am Energiemarkt, so wie wir ihn bisher kannten.

Ohne Kapazitätsmarkt würden die eingeführten Lieferanten um ihren Gewinn kommen

Der Kapazitätsmarkt wird manchmal als ‘Sozialisation der Risiken’ definiert. Diverse deutsche Studien und Gutachten, widersprechen einander aber; eine Position hält den Kapazitätsmarkt für einen ‘wichtigen und sinnvollen’ Beitrag im Prozess einer größeren Umstellung im Energiesystem, während andererseits das Deutsche Wirtschaftsinstitut (DWI) im Jahre 2013 die Einführung eines Kapazitätsmarkts als ‘weder notwendig, noch sinnvoll’ bezeichnete. Ebenso unterschiedliche Standpunkte nahmen aber auch die großen Energiekonzerne ein, je nachdem, was ihrem Portfolio am ehesten entsprach.

Der Kapazitätsmarkt funktioniert in manchen Ländern bereits, während er in anderen abgelehnt wird. Die deutschen Vertreter der erneuerbaren Energien sind dagegen und behaupten, dass es dabei um eine Subvention von fossilen Energiequellen geht und um eine Erhöhung von Emissionen. Am Ende wurde der Kapazitätsmarkt in Deutschland nicht eingeführt. Eine andere Möglichkeit, als es die In-Bereitschaft-Haltung von fossil betriebenen Kraftwerken ist, stellt die Installation von Akkumulationseinheiten dar. Diese würden ermöglichen, die Unterschiede zwischen Produktion und Verbrauch auszugleichen.

Neben diesen kann es aber auch andere, ökonomisch lukrativere Lösungen geben. Fehlender Strom kann importiert werden, oder in einem gewissen Umfang ist es mithilfe von ‘smart grids’ auch möglich, Verbrauch und Produktion auszugleichen, was zum Beispiel auch über einen variablen Strompreis geschehen kann, auf den die Abnehmer aus dem Netz reagieren würden. Es erfordert gewiss kein Übermaß an Phantasie, sich vorzustellen, dass bestimmte Formen des Verbrauchs von Elektrizität automatisch zu Zeiten stattfinden würden, in denen der Strompreis niedrig ist, oder dass der Verbraucher bewusst auf einen niedrigen Strompreis z.B. zur Mittagszeit bei Überschuss in der Produktion der Photovoltaikkraftwerke, wie das das erfolgreiche deutsche Experiment ‘Wir waschen mit der Sonne’, das vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie organisiert wurde, zeigte. Durch eine genau durchdachte Organisation des Energieverbrauchs gelang es im Rahmen des Experiments den Verbrauch von Spitzenstrom um 30 Prozent zu reduzieren.

Die Frage ist, ob es nicht richtiger wäre, nur den Marktmechanismus wirken zu lassen, beispielsweise mithilfe der Strommarktbörse, wobei der Lieferant den Spitzenstrom zu einem Preis verkauft, bei dem sich ihm auch die Produktion noch rentiert. Es ist evident, dass, egal welcher Preisregulationsmechanismus zur Anwendung gelangt, die Erzeugung von elektrischer Energie dem Produzenten einen Gewinn einbringen muss. Wenn es aber keinen Kapazitätsmarkt geben würde, könnten aufgrund von Einkäufen am Strommarkt auch alternative Lieferanten zum Zuge kommen, während die eingeführten Player um ihren Gewinn kämen. Eine Regulation mittels ‘smart grids’ ließe sich mit einem wesentlich niedrigeren Anteil bei den fossilen Energieträgern sowie im Rahmen einer verstärkten Energiewende in Richtung erneuerbarer Energien bewerkstelligen.

Zu dieser Situation kam es vor allem deswegen, weil die Dynamik der Entwicklung bei den erneuerbaren Energiequellen, welche von einem Gesetz über Mindest-Einspeisetarife unterstützt werden, unerwartet gut gegriffen hat. Die Preise für aus erneuerbaren Energiequellen hergestellten Strom bewegten sich bereits 2014 auf einem ähnlichen Niveau wie bei Strom aus neuen fossilen oder nuklearen Quellen, und das ohne Einrechnung der externen Kosten.

Die Ökonomen führen auf der Kostenseite ungern auch die externen Kosten an, weil diese laut Meinung vieler von ihnen nur schlecht quantifizierbar seien. Sicher kann man über die Methode der Bewertung externalisierter Kosten unterschiedlicher Meinung sein, an sich stellt ihre Kalkulation und Einbeziehung aber kein unüberwindliches Problem dar. Wenn wir streng sind, müssen wir eingestehen, dass die Externalitäten unserer zivilisatorischen Entwicklung unsere gesamte weitere Existenz bedrohen. Schwerer würden wir ein größeres Paradoxon finden können.

Energie über lange Zeiträume hinweg ohne Wind und Sonne

Angela Merkel behauptete in den 90-er Jahren als damals deutsche Bundesumweltministerin, dass es nicht möglich sei, mehr als 4 Prozent Strom aus erneuerbaren Energiequellen im Stromnetz zu haben. Das haben ihr damals offensichtlich die ‘Stromexperten’ aus den großen Energiekonzernen eingeredet. Schon jetzt liegt der Anteil an erneuerbar generiertem Strom in einigen Ländern deutlich höher. Neben unserem Nachbarland Deutschland, wo der Anteil der erneuerbaren Energiequellen bei etwa einem Drittel des Gesamtaufkommens liegt, gibt es aber auch noch andere Länder, welche den kompletten Jahresverbrauch gerade aus erneuerbar hergestelltem Strom abdecken, oder sich diesem Wert zumindest immer mehr annähern. Unter den exotischen Ländern können wir zum Beispiel Costa Rica mit seinen hervorragend geeigneten natürlichen Voraussetzungen nennen, mit Sonne und Wind an den Berghängen und Flüssen, welche aus den Bergen die atlantischen und pazifischen Niederschläge ableiten.

Es müssen aber auch Länder erwähnt werden, die an unseren Staat angrenzen und in Gegenden liegen, bei denen gern behauptet wird, sie hätten keine guten Bedingungen für die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen. Vor allem können wir dabei auf das ostösterreichische Bundesland Burgenland verweisen, welches schon seit 2013 mehr lokal generierten erneuerbaren Strom erzeugt, als es selbst verbraucht.

Die technologische und investitionstechnische Weiterentwicklung der erneuerbaren Energiequellen und ihrer Nutzung sowie das anschließende Interesse einer breiten Öffentlichkeit (in Deutschland befürworten rund 95% der Menschen den weiteren Ausbau bei der Infrastruktur für erneuerbare Energiequellen) übertrafen alle Erwartungen. Die Energiemonopolisten ließen sich letztendlich von ihren eigenen Märchen einschläfern und interessierten sich lange Jahre für die erneuerbaren Energiequellen so gut wie gar nicht. So verpassten sie die Chance, welche ihnen eine privilegierte Position am Markt sowie ihre zweifellos gegebenen finanziellen und organisatorischen Fähigkeiten sowie ihre Kontakte zu den politischen Spitzen an sich verschafft hatten. Es hätte gereicht, die Energiekonzeption und ‘Fachleute’ aus dem Energiebereich auszuwechseln.

Statt der Photovoltaik und dem Wind widmeten sich die Energiegiganten aber weiterhin der Entwicklung der traditionellen Energiequellen, gerieten damit aber insgesamt ins Hintertreffen. Dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf ein spezifisches Land, weil das Konzernverhalten überall vergleichbar abläuft. Gegenwärtig befinden sich nur etwa 5 Prozent der Anteile der Assets bei den erneuerbaren Energien in den Händen der großen Energiekonzerne. Einzelne Beteiligungsinhaber und private Landwirte verfügen über einen zehnmal hoheren Anteil in dieser Branche. So versuchen nun die Energiemonopolisten alles Mögliche und Unmögliche zu tun, um ihre bisher führende Position in der Energiewirtschaft zu erhalten.

Außer unserer Sonne kann keine Energiequelle ununterbrochen arbeiten. Das gilt sowohl für die anderen erneuerbaren Energiequellen, als auch für fossile und nukleare Quellen. Die letztgenannten können zwar mehr Stunden pro Jahr in Betrieb sein, aber neben den geplanten Abstellungen sind auch ungeplante Abstellungen keine Ausnahmen und für etwa die Hälfte der gesamten Stehzeiten verantwortlich. In diesem Fall handelt es sich um größere unerwartete Ausfälle und häufig für vorab nicht abschätzbare und längere Zeiträume.

Die erneuerbaren Energiequellen sind ‘intermittent’, also Schwankungen in ihrem Leistungspotential ausgesetzt. Die derzeit möglichen Prognosen der Aktivitäten der Sonne und der Stärke des Windes sind aber außerordentlich erfolgreich, weil sie ausgeklügelte Methoden sogenannter ‘Neutronennetze’ einsetzen, wobei das System laufend seine eigenen Voraussagen mit der Realität vergleicht (aufgrund Tausender und Abertausender von Messpunkten). Auf dieser Basis werden die künftigen Prognosen ständig verbessert. Das System lernt somit selbständig dazu und kann die Leistungen von PV-Anlagen oder Windkraftwerken mit viel größerer Präzision vorhersagen, als das die aktuellen meteorologischen Dienste in der Lage sind zu tun.

Emissionen versus Erneuerbare Energien

Die Tendenz der Preisreduktion bei erneuerbar generierter Elektrizität ist unübersehbar. Vor allem beim Wind und bei der Photovoltaik sind dabei zwei Faktoren wirksam: einerseits der Umfang der Produktion einer Anlage (sogenannter ‘scale efekt’) und andererseits die technologischen Innovationen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Als primiäre Enegiequelle handelt es sich dabei im Prinzip sogar um eine kostenlos verfügbare Kommodität.

Es vergeht keine Woche, in der wir nicht von leistungsfähigeren Windturbinen und neuen Photovoltaikzellen hören. Innerhalb von zwei bis drei Jahren können wir einen Preisrückgang bei den Stromspeicheranlagen für Kleinabnehmer erwarten. In Deutschland rechnet man mit der ‘grid parity’ beim eigenen in Akkus gespeicherten PV-Strom auch nach Sonnenuntergang in den nächsten zwei bis drei Jahren.

Im Gegensatz dazu werden die Atomkraftwerke ständig teurer und das nicht nur deshalb, weil sich die Bauzeiten der neuen europäischen EPR-Reaktoren (Druckwasserreaktoren der dritten Generation) in Olkiluote und Flammanville immer wieder verlängern, sondern auch aufgrund der zunehmenden Komplexität des gesamten Konstruktionsprozesses. Und langfristig gesehen verteuern sich auch die für den Betrieb eines AKWs notwendigen Brennelemente. Es ist klar, dass die derzeitigen Entwicklungen im Bereich der erneuerbaren Energien den großen Energiemonopolisten nicht entgegen kommen. Lieber versuchen diese mit dem jeweiligen Staat zu einer Vereinbarung über diverse Vergünstigungen zu gelangen. Der Staat und die mit ihm verbundenen großen politischen Parteien werden davon zweifellos nicht leer ausgehen.

Falls aber die schon existierenden Speichertechnologien, die eine erneuerbare Energieversorgung längerfristig auch in Zeiten ohne Wind und Sonne in größerem Umfang sicherstellen, einsetzbar sein werden, dann ist der Kapazitätsmarkt tatsächlich nur eine kurzfristig sinnvolle Lösung und sollte durch eine Akkumulationsprämie ersetzt werden. Diese sollte Investitionen in die Entwicklung und den Einsatz von Speichertechnologien ähnlich unterstützen, wie das im Falle des außergewöhnlich erfolgreichen Erneuerbaren-Energie-Gesetzes zur Förderung der Produktion von Strom aus erneuerbaren Energiequellen der Fall war.

Es steht außer Zweifel, dass genau dieses Gesetz bei entsprechend verantwortungsvoller Aplikation zum erfolgreichsten Instrument der Einführung und Nutzung erneuerbarer Energiequellen in die Praxis wurde. Eine Bestätigung dafür ist die Tatsache, dass dieses Gesetz mit diversen Adaptationen in mehr als 60 Ländern dieser Welt Eingang in deren Rechtssysteme gefunden hat.

Warum sollten wir für Zwecke von Reservekapazitäten zugunsten von fossilen Energiequellen Geld ausgeben, wenn es möglich ist, im großen Umfang Speicherkapazitäten zu entwickeln und einzusetzen, welche dann zur Verfügung stehen, wenn es nötig ist, einen Ausgleich bei intermitenten Stromquellen und einem schwankenden Energieverbrauch herbeizuführen, ohne dabei gleichzeitig die Treibhausgasemissionen zu erhöhen - wenn wir die Dynamik nutzen können, die sich eben im Falle eines Gesetzes zur Förderung erneuerbarer Energiequellen wirklich bewährt hat?

Autor: Milan Smrž, Vorsitzender der tschechischen Sektion von Eurosolar
erschienen auf Tschechisch im Medium www.denikreferendum.cz

Übersetzung ins Deutsche: Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /