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Wunschdenken als Grundlage neuer Atomwirtschaft

Dass sich die Atomwirtschaft durch ihre ökonomisch miserablen Ergebnisse langsam selbst zerstört, ist eine Tatsache, die heutzutage von fast niemandem bezweifelt wird.

Nachdem der anfängliche Boom der Reaktorbauten ab den späten 60-er bis in die frühen 80-er Jahre unter dem Gewicht von Kostenüberschreitungen in Milliardenhöhe und anhaltenden Bauverzögerungen massiv nachließ, begann die Nuklearindustrie vor etwa 10 Jahren, damit zu argumentieren, sie habe aus ihren Fehlern gelernt und daher würde es zu einer Renaissance der Atomkraft kommen.

Aber noch bevor ein einziger Reaktor, der aus dieser Renaissance hervorgegangen sein soll, in Betrieb genommen wurde (was Bände spricht für eine Renaissance, die vor mehr als 10 Jahren begonnen hatte), gibt es immer wieder Probleme mit unhaltbaren Kostenüberschreitungen sowie Bauverzögerungen vom US-Bundesstaat Georgia bis hin nach Finnland, was einmal mehr die Pläne für einen bedeutsamen Ausbau der Atomkraft in der westlichen Welt zunichte machte. Sogar in China, wo Transparenz bezüglich Wirtschaftsdaten sprichwörtlich politisches Neuland ist, gibt es Hinweise, dass die Zeitpläne und Kostenschätzungen beim Reaktorbau nicht wirklich den realen Ergebnissen entsprechen.

Währenddessen behaupten die Atomkonzerne von Illinois bis Schweden, dass neue Subventionen – ob in Form von Gebührenerhöhungen oder Steuersenkungen oder Direktzahlungen von Steuergeldern auf ihre Konten - nötig seien, nur um längst abbezahlte, aber veraltete Reaktoren schlicht am Laufen zu halten. Vieles davon basiert selbstverständlich auf reiner Gier; die Betriebe wollen mehr Geld und sehen in der Sorge um den Klimawandel eine Gelegenheit, neue Quellen anzuzapfen. Es gibt aber auch reale Gründe für ihre Bestrebungen. Einige der älteren Reaktoren, die von den angeblichen Vorteilen der Atomenergie ja profitieren sollen (niedrige Treibstoffkosten, Betriebserfahrung usw.) können einfach nicht mit den neueren, billigeren und sauberen Technologien mithalten.

Es scheint, als ob viele Gesetzgeber diese Zusammenhänge nicht verstehen würden, die Atomindustrie selber aber sehr wohl. Denn das Hauptthema in den Publikationen dieses Industriezweiges ist heutzutage immer wieder die Frage, wie man dieses wirtschaftliche Problem in den Griff bekommen könne.

Ich habe vor einigen Wochen darüber berichtet, was die Industrie (zumindest in den USA) für ihre unökonomisch arbeitenden Reaktoren bekommen will, und über ihre immer wieder wahnwitzigen Versuche, diese Ziele zu erreichen. Aber selbst wenn sie das gewünschte Mehr an Subventionen von den Gebühren- und Steuerzahlern erhalten würde – was unwahrscheinlich ist – würde das der Industrie nicht reichen, einige ihrer alten ‘Dinosaurier’ vor dem unvermeidlichen Aussterben zu retten. Ohne neue Reaktoren und ohne Expansion wird die Atomindustrie bis zur Mitte des Jahrhunderts schlicht eingehen. Das wäre zwar für uns alle besser, auch für das Weltklima, ist es aber natürlich nicht vom Standpunkt der Industrie aus.

Ihr typisches Rezept für eine Wiederbelebung dreht sich rund um einige wenige Punkte: neue Reaktoren mit erhöhten Sicherheitsstandards bauen, vor allem solche mit einem Generation-4 Design - und/oder kleinere Reaktoren, die entweder entsprechend der Generation-4-Grundsätze entwickelt werden oder auch nicht; mehr Standardisierung beim Reaktordesign; moderne Modul-Konstruktionstechniken einsetzen, etc. Und viele Bosse der Industriewelt haben zuletzt Hoffnung aus einem kürzlich veröffentlichten Artikel des Breakthrough Institute geschöpft, der Folgendes behauptet: die Erfahrung der Industrie (in Südkorea, aber auch anderswo – einschließlich Großbritannien, Deutschland und Japan) zeigt, dass das Grundmuster der außer Kontrolle geratenen Kosten beim Bau von Atomreaktoren auch vermieden werden kann.

Dies alles ist reines Wunschdenken. So in etwa beschreibt es Steve Kidd, ein altgedienter Atomindustrie-Berater, in einem Artikel der Zeitschrift ‘Nuclear Engineering International’. Dieser Bericht sollte als Warnung für seine eigene Industrie gelten, Kidd’s Worte bzgl. des Breakthrough Institute Papiers: ‘Mit Ausnahme von Südkorea trefft das alles nur auf bestimmte Zeitabschnitte zu’. In anderen Worten: die Autoren griffen im Grunde nur einzelne Daten heraus, um ihre Behauptungen zu untermauern. Einer Gesamtbetrachtung halten diese Vorgehensweise jedoch nicht stand.

Kidd erklärt weiter: ‘Die gesamten Daten von Großbritannien waren praktischerweise nicht zugänglich. Die Bilanz der Kosteneskalation der 14 AGR’s war sogar noch schlimmer als die Erfahrungen der Vereinigten Staaten im Jahr 1980. Zudem werden die eskalierenden Kosten der zwei EPR’s , die in Europa gebaut werden und jene der vier AP 1000er Projekte in den USA ignoriert. Wären die Daten aus China zugänglich gewesen, dann würden diese sehr wahrscheinlich hinter jene in Südkoreas unterstützen, also mit wenigen oder keinen Kosteneskalationen. Das hat sich jedoch bei den zuletzt importierten ausländischen Designs in China umgekehrt. Es wird von Interesse sein, ob die neuen, größeren koreanischen 1,400 MW Blöcke kostenmäßig die Parameter der 1,000 MW Blöcke der vorherigen lokalen Generation einhalten können.

Bestenfalls zeigt die koreanische Erfahrung, dass Kosteneskalationen nicht immer und überall unvermeidbar ist. Ein ziemlich dünner Faden, an dem eine multi-milliardenschwere Industrie hängt…

Kidd argumentiert weiter, dass neue und sicherere Reaktordesigns essentiell seien, wenn man die Öffentlichkeit auch nur ansatzweise für sich gewinnen wolle. Denn diese, das gesteht er ein, habe durchaus Angst vor der Atomenergie. ‘Aber’, betont Kidd, ‘Innovation ist teuer’.

Abschließend spricht er seine Empfehlungen aus, eine britische Sichtweise zwar, aber allgemein anwendbar. Sie klingt nicht allzu optimistisch:

‘Wie ich bereits sagte, muss sich die Welt letztendlich auf einige wenige kleinere Reaktor-Designs beschränken, die preisgünstig und in großer Anzahl konstruiert werden können, und die in eine internationalisierte Lieferantenkette eingebunden sind. In normalen Industrien würde das durch den natürlichen Verlust erfolgloser Unternehmen von selbst geschehen, die von profitableren übernommen werden. Diese Möglichkeit scheint aber derzeit im Nuklearbereich aussichtslos zu sein. Die nationalen Regierungen sehen die Atomkraft als eine strategische Industrie und werden keine Arbeitsplätze an die Konkurrenten verlieren wollen. Der Verkauf von Atomreaktoren an andere Länder wird zu einem Instrument der Außenpolitik. Dies wird nur zu einer Fortsetzung der gegenwärtigen Situation führen, in der zu viele Atomreaktor-Designs von einer Reihe unterschiedlicher Firmen angeboten werden, wobei aber alle nur wenige Bestellungen verzeichnen und daher im Ergebnis auch allzu teuer produzieren. Es ist fraglich, ob die heutigen Designs auch nur irgendwo wirtschaftlich vertretbar gebaut werden können’.

In anderen Worten: die Vorstellung, dass die Atomenergie das Potential habe, wettbewerbsfähig zu sein, ist nicht völlig absurd – zumindest nicht in einer Fantasiewelt, in der alles sich nach den Bedürfnissen der Industrie entwickelt. Aber in der realen Welt ist die Vorstellung, dass die Atomenergie im Wettstreit gegen sicherere, sauberere und billigere Energiequellen des 21 Jahrhunderts gewinnen wird, ist schlicht nur ein Wunschdenken.



Autor: Michael Mariotte (+) schrieb regelmäßig für www.safeenergy.org

Übersetzung und Bearbeitung: Ina Conneally, Bernhard Riepl www.sonneundfreiheit.eu

Michael Mariotte, der heuer nach langer schwerer Krankheit verstarb, war Vorsitzender des Nuclear Information and Resource Service. Dieser Text erschien auf Englisch im Nuclear Monitor Nr. 821



Referenzen:

https://safeenergy.org/2016/03/17/the-nuclear-industrys-game-plan-2/

http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0301421516300106

http://www.neimagazine.com/opinion/opinionachieving-better-nuclear-economics-new-designs-and-industry-structure-4848005/


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /