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Umweltausschuss: Österreich macht weiter gegen Atomkraft mobil

Klage gegen staatliche Beihilfen für das britische Akw Hinkley Point C demnächst

Wien - Die Republik Österreich wird wegen der Genehmigung staatlicher Beihilfen für das britische Atomkraftwerk Hinkley Point C demnächst die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof klagen. Das bestätigte Umweltminister Andrä Rupprechter gestern im Umweltausschuss des Nationalrats. Die Klage ist ihm zufolge "nahezu fertig", es wird aber noch am Feinschliff gearbeitet. Man müsse die Klage rechtlich auf ein gutes Fundament stellen, hoben sowohl er als auch die zuständige Expertin des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts Christine Pesendorfer hervor. Pesendorfer geht davon aus, dass die Klage spätestens Anfang Juli abgeschickt wird.

Wie groß die Erfolgschancen der Klage sind, wollte Pesendorfer nicht beurteilen. Das sei sehr schwierig einzuschätzen, sagte sie, die EU-Kommission habe eine gut begründete Entscheidung getroffen. Allerdings teile man die Argumentationslinie der Kommission nicht. Rückenwind für die Klage kommt jedenfalls von den Abgeordneten, sie stellten sich mit einer einstimmig angenommenen Entschließung klar hinter die Vorgehensweise der Bundesregierung. Unterschiedliche Expertenmeinungen gab es im Ausschuss darüber, ob Österreich aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen könnte, ohne die EU zu verlassen.

Basis für die Entschließung des Umweltausschusses war ein Antrag der Koalitionsparteien (1123/A(E)), der im Ausschuss auf Initiative aller sechs Fraktionen noch ergänzt wurde. Den Abgeordneten geht es nicht nur darum, über die Nichtigkeitsklage beim EuGH betreffend das Akw Hinkley am Laufenden gehalten zu werden, sie wollen auch verhindern, dass mit dem geplanten Europäischen Investitionspaket (EFSI) Nuklearprojekte finanziert werden, und drängen insgesamt darauf, jedwede Bevorzugung der Kernenergie in der Europäischen Union zu beseitigen und mehr Mittel in Forschung im Bereich erneuerbare Energie zu investieren.

Zudem fordert der Umweltausschuss die Regierung auf, alle rechtlich und politisch möglichen Schritte zu setzen, um einen Ausbau der tschechischen Atomkraftwerke Temelin und Dukovany zu unterbinden, und sich weiter für eine Neuausrichtung des EURATOM-Vertrags einzusetzen. Die Europäische Atomgemeinschaft soll sich ausschließlich auf Sicherheitsaspekte konzentrieren und die Mitgliedstaaten bei einem geordneten Ausstieg aus der Atomkraft unterstützen, so das Ziel der Abgeordneten. Mit der einstimmig angenommenen Entschließung ist auch ein FPÖ-Antrag zum Akw Temelin und zum EURATOM-Vertrag (256/A(E)) miterledigt.

Minister Rupprechter: Beihilfengenehmigung für Hinkley widerspricht EU-Recht

Umweltminister Rupprechter begründete die geplante Nichtigkeitsklage beim EuGH damit, dass die Entscheidung der EU-Kommission, staatliche Beihilfen für das Akw Hinkley Point C zu genehmigen, im klaren Widerspruch zum Beihilfenrecht der EU stehe. Er fürchtet, dass die positive Beihilfenentscheidung der "Nuklearlobby" in der Europäischen Union weiter Auftrieb geben wird. Österreich müsse alles tun, um zu verhindern, dass die Kernenergie in der künftigen EU-Energiepolitik eine Sonderstellung erhalte.

Wie Rupprechter und Pesendorfer berichteten, wurde die Beihilfenentscheidung der EU-Kommission erst vergangene Woche, am 28. April, offiziell im Amtsblatt veröffentlicht. Österreich hat nun grundsätzlich zwei Monate - plus diverser zusätzlicher Fristentage -Zeit, Klage beim Europäischen Gerichtshof einzubringen. Rupprechter zufolge hat die Luxemburgische Regierung bereits angekündigt, sich der Klage anzuschließen, andere Länder überlegen noch. Nach Meinung von Rupprechter ist die Klage in jedem Fall sinnvoll, schon allein die Einbringung stelle die Wirtschaftlichkeit von Hinkley Point C maßgeblich in Frage.

Erfolgsaussichten können nicht eingeschätzt werden

Detailliert gab Pesendorfer, Leiterin der Abteilung Angelegenheiten der europäischen Integration und Angelegenheiten des internationalen Wirtschaftsrechts im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, den Abgeordneten Auskunft über die Sachlage. Sie wies darauf hin, dass die EU-Kommission die positive Beihilfenentscheidung bereits im Oktober vergangenen Jahres gefällt habe. Konkret geht es um einen gesicherten Abnahmepreis für den vom Akw Hinkley Point C produzierten Strom, eine Finanzierungsgarantie und Beihilfen im Falle einer vorzeitigen Schließung des Kernkraftwerks.

Der EURATOM-Vertrag werde in der Entscheidung zwar zitiert, skizzierte die Expertin, die Entscheidung stütze sich aber nicht auf den Vertrag, sondern sei eine rein beihilfenrechtliche Entscheidung gewesen. Laut EU-Recht sind Förderungen gewisser Wirtschaftszweige wie der Elektrizitätswirtschaft gerechtfertigt. Großbritannien habe im Verfahren ausführlich begründet, dass das Land auf Atomkraft angewiesen sei und diese nicht durch andere Energieformen wie Windkraft substituiert werden könne.

Um eine Erfolgsaussicht zu haben, muss Österreich in seiner Klage ebenfalls beim Beihilfenrecht - und nicht etwa bei den Gefahren der Atomkraft - ansetzen, ist Pesendorfer überzeugt. Österreich werde etwa vorbringen, dass kein Marktversagen vorliege, weil es genug Strom am europäischen Markt gebe, berichtete sie. Überdies werde man geltend machen, dass es sich in Wahrheit um eine Betriebsbeihilfe handle und das Beihilfenelement nicht ausreichend determiniert sei. Auch das Vorliegen eines gemeinsschaftlichen Interesses werde von Österreich bestritten. Abstand nehmen will man ihr zufolge vom Rechtsmittel einer einstweiligen Verfügung, laut Pesendorfer ist das Risiko einer Abweisung zu groß, und eine einstweilige Verfügung hätte auch keinen besonderen Wert für das Verfahren.

Warum die Europäische Kommission so lange gebraucht hat, um ihre Entscheidung im Amtsblatt zu veröffentlichen, könnte Pesendorfer zufolge daran liegen, dass diese mit 76 Seiten sehr umfangreich ausgefallen ist und schwierige Fachterminologie enthält, was bei der Übersetzung in sämtliche Amtssprachen eine große Herausforderung gewesen sein dürfte. Dass die Entscheidung noch von der alten EU-Kommission gefällt wurde, daraus können ihrer Meinung nach keine Schlussfolgerungen gezogen werden.

An der Ausarbeitung der österreichischen Klage sind laut Pesendorfer ExpertInnen aus verschiedenen Ressorts unter der Federführung des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes sowie eine externe Rechtsanwaltskanzlei beteiligt. Nach der derzeit laufenden Endredaktionsrunde soll der Klagsentwurf ihrer Information nach auch noch externen Experten vorgelegt werden. Das Verfahren werde im Ausgang jedenfalls spannend bleiben, sagte Pesendorfer, die EU-Kommission habe bei Beihilfenentscheidungen einen relativ großen Ermessensspielraum.

Was den Verfahrensablauf beim EuGH betrifft, hat der Klagsgegner, im konkreten Fall die EU-Kommission, laut Pesendorfer grundsätzlich zwei Monate Zeit für eine Antwort auf die Klage, danach gebe es nochmals eine Runde mit Erwiderung und Gegenerwiderung. Der Klage können auf beiden Seiten auch Streithelfer beitreten, wobei Luxemburg bereits erklärt habe, sich Österreich anzuschließen. Pesendorfer rechnet damit, dass sich einige andere EU-Länder wie Großbritannien und Frankreich auf die Seite der EU-Kommission stellen werden. Großbritannien werde bei der Klagsbeantwortung wohl "schwere Geschütze auffahren", meinte Pesendorfer auf eine Frage von FPÖ-Abgeordnetem Werner Neubauer, ob noch weitere Schritte gesetzt würden, sei abzuwarten. Das Verfahren vor dem EuGH ist jedenfalls nicht öffentlich.

Völkerrechtsexperte Michael Geistlinger, außerordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Salzburg, äußerte im Ausschuss die Befürchtung, dass sich Großbritannien beim Verfahren vor dem EuGH auf den EURATOM-Vertrag stützen werde, auch wenn die EU-Kommission in ihrer Entscheidung nicht auf diesen Bezug genommen habe. Der Vertrag bietet seiner Einschätzung nach eine Fülle von Argumenten dafür, dass Beihilfen für das Akw Hinkley Point C zu genehmigen sind bzw. nicht verboten werden können. Umweltminister Rupprechter glaubt allerdings nicht, dass der EURATOM-Vertrag im Verfahren eine gewichtige Rolle spielen wird.

Seitens der Abgeordneten äußerte Werner Neubauer (F) die Befürchtung, dass die positive Beihilfenentscheidung der EU-Kommission zum Akw Hinkley Point C weitere "Trittbrettfahrer" auf den Plan rufen und die Atomkraft eine Renaissance in der EU erleben wird. Er wies in diesem Zusammenhang auch auf bestehende Ausbaupläne für die Atomkraftwerke Temelin, Dukovany und Krsko hin. Sowohl er als auch Grün-Abgeordneter Georg Willi begrüßten in diesem Zusammenhang den Schulterschluss in Österreich, was die ablehnende Haltung zur Nutzung von Atomkraft betrifft. SPÖ-Abgeordneter Hannes Weninger zeigte sich davon überzeugt, dass die Klage Österreichs gut vorbereitet wird.

Unterschiedliche Expertenmeinungen zur Frage eines EURATOM-Ausstiegs

Neben dem Kernkraftwerk Hinkley Point C war der EURATOM-Vertrag zweites zentrales Thema des Expertenhearings im Umweltausschuss zu den beiden Anti-Akw-Anträgen, wobei es unterschiedliche Auffassungen in der Frage gab, ob ein Mitgliedsland der EU aus der Europäischen Atomgemeinschaft aussteigen kann, ohne gleichzeitig die EU zu verlassen. Während Völkerrechtsexperte Geistlinger die Frage bejahte, äußerte Andreas Kumin, Leiter der Abteilung für Europarecht im Außenministerium, eine gegenteilige Rechtsauffassung. EURATOM habe zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit, eine Mitgliedschaft bei EURATOM sei aber untrennbar mit einer Mitgliedschaft bei der EU verbunden, bekräftigte er. Wer der EU beitrete, trete implizit auch EURATOM bei, vice versa gelte das auch für einen Austritt. Daran habe auch der Vertrag von Lissabon nichts geändert, so Kumin.

Kumin und Pesendorfer machten überdies geltend, dass ein EURATOM-Austritt Nachteile für Österreich bringen würde. Österreich würde in einem solchen Fall nicht mehr mitbestimmen können, wofür Finanzhilfen verwendet werden, und auch keinen Einfluss mehr darauf nehmen können, ob es einen fairen Wettbewerb zwischen Nuklearenergie und anderen Energieformen in der EU gibt, sagte Pesendorfer. Ihr zufolge hat es immer wieder Bemühungen Österreichs gegeben, den Vertrag zu ändern, das sei aber stets an den Mehrheitsverhältnissen in der EU gescheitert. Kumin ist auch pessimistisch, dass in naher Zukunft Vertragsänderungen möglich sein werden.

Völlig konträr beurteilte Geistlinger die Sachlage. Seiner Meinung nach hätte man auch schon vor dem Vertrag von Lissabon aus EURATOM austreten können, nun sei dieser Schritt durch eine eigene Austrittsklausel erleichtert worden. Um Bewegung in die angestrebte Vertragsänderung zu bringen, regte Geistlinger an, mit einer diplomatischen Note den Austritt Österreichs aus EURATOM zu erklären. Damit würde man bewirkten, dass die Institutionen in Brüssel "zu rudern beginnen", sagte er. Am Ende des Verhandlungsprozesses könnte dann im besten Fall eine Vertragsänderung im Sinne Österreichs stehen. Aber auch wenn die Verhandlungen über eine Verbesserung des Vertrags im Sand verlaufen und der von Österreich erklärte EURATOM-Austritt nach zwei Jahren tatsächlich rechtswirksam würde, wäre das aus Sicht Geistlingers kein Problem. Österreich hätte als Nicht-Mitglied von EURATOM keine Nachteile, ist er überzeugt.

ÖVP-Abgeordneter Johann Höfinger machte dem gegenüber geltend, dass eine EURATOM-Mitgliedschaft Österreichs besser sei als ein Ausstieg. Die Mitgliedschaft gebe Österreich zumindest die Möglichkeit, die Forschungsgelder in eine bestimmte Richtung zu lenken, wandte auch Michael Pock von den NEOS ein. Ulrike Weigerstorfer (T) drängte darauf, die Kräfte der Atomkraftgegner auf EU-Ebene zu bündeln, um den veralteten EURATOM-Vertrag zu verbessern.

Quelle: Pressedienst der Parlamentsdirektion


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /