© pixabay. Openclips
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Fukushima hat mich verändert

Er arbeitete als Manager. Jetzt organisiert Kazuhiko Kobayashi Spenden für durch Fukushima Betroffene

Ein Interview von Antonín Pelíšek mit Kazuhiko Kobayashi
Übersetzung: Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu

Kazuhiko Kobayashi räumte an diesem gerade seinen Arbeitsraum auf. Exakt um 14 Uhr und 46 Minuten bebte das Haus am Stadtrand von Tokio zum ersten Mal heftig. Der Fußboden im 11. Stock begann, sich zu bewegen. Aus den Regalen fielen Bücher und Teller. Nach dem ersten großen Beben folgte noch eine Reihe weiterer. "Mir kam in den Sinn, dass das wohl das Ende sei. Ich lief rasch ins Wohnzimmer, zog meine Mutter in die Ecke des Raumes und bedeckte sie mit meinem eigenen Körper. Wir sind an kleinere Erschütterungen gewöhnt, aber diese waren wirklich mächtig. Ich dachte, mein letztes Stündchen hätte geschlagen. Unser 12-stöckiges Hochhaus würde jeden Moment zusammenstürzen."

So schildert Kobayashi (68) das Erdbeben vom 11. März 2011, welches auch die Havarie im Atomkraftwerk Fukushima verursachte. Zurück blieb eine 20 km Zone, die fast menschenleer ist.

Durch Fukushima änderte für den ehemaligen Berater großer Firmen, der viele Jahre lang in Deutschland verbrachte, sein ganzes Leben. Seit der Tragödie beschäftigt er sich mit einer Kampagne zur Hilfe für Opfer der Katastrophe und organisiert Spendensammlungen. Er ist überzeugt davon, dass die Atomkraft ein Sicherheits- und auch ein ökonomisches Risiko darstellt. In Deutschland erschien ihm ein Buch über die Globalisierung. Kürzlich besuchte er auch Prag und Budweis.

Sie lebten lange in Deutschland.

Nach Deutschland ging ich im Jahre 1968, um das Gymnasium abzuschließen und um Germanistik zu studieren. Mein Vater stammte aus einer Familie, welche, genauso wie ich, ein besonders Interesse an Musik hatte. Ich wollte dieses Land persönlich kennenlernen. Nach den Studien habe ich bald ein Arbeitsangebot einer großen Firma bekommen. Ich war über 20 Jahre lang in der Wirtschaft tätig und habe in Deutschland eine Familie gegründet. Das Thema Umwelt war mir aber immer schon nah.

Wie haben Sie die Nutzung der Atomkraft in der Industrie empfunden?

Ich hatte keinen Grund, mich zu fürchten. Ebenso wie die Mehrheit der Bewohner dieses Planeten war auch ich viel zu bequem, als dass ich mich mit ihren Risiken beschäftigt hätte. Ich verspürte schlicht kein Bedürfnis, mich da zu engagieren.

Als Japaner mussten Sie wissen, was die Atomkraft schafft, Hiroshima, Nagasaki.... Hatte in Japan niemand Angst?

Ein normaler Mensch hat keine Angst. Den Politikern und ihren Vertreter(inne/n) gelingt es gut, die Japaner davon zu überzeugen, dass die Atomkraft sicher ist. Wissen Sie, es verursacht ihnen ja nicht einmal viel Arbeit. Als Nation sind wir gewöhnt an den Gehorsam, das ist unsere Mentalität.

Mitte der 60er Jahre bekam ich das Buch "Glocken in Nagasaki" in die Hände. Den Namen im Original weiß ich nicht mehr. Ich las es noch als Schüler und es hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Ich sagte mir, dass diese Erfahrung etwas ist, was Japan für immer prägen wird.

Ich erinnere mich an dieses Buch auch. Es wurde von einem jungen Arzt geschrieben, der den Untergang Nagasakis erlebte. Dieser Arzt war sogar so mutig, dass er trotz des Verbotes des Establishments selbst auf eigene Faust Untersuchungen der Verstrahlungen durchführte. Aber die spätere Politik Japans war es, einen Schlussstrich hinter all diesen Sachen zu ziehen. Und die Menschen gehorchten.
Wo entstand bei Ihnen der Impuls zu einer Änderung ihrer Denkweise gegenüber der Atomkraft? Hat Fukushima da einen Einfluss gehabt?


Mit Sicherheit!

Für uns als Europäer war diese Havarie ein Schock. Wenn ich jetzt mal Tschernobyl auslasse, so sehen wir japanische Technik und Technologie als eine Errungenschaft höchster Qualität.

Dasselbe Gefühl hatten die Japaner auch. Fukushima wurde in gewisser Weise ein Opfer des Erdbebens. Das wäre aber für unser Land noch nichts Ungewöhnliches. Jedes Jahr gibt es hunderte Erdbeben, die wir auch spüren. Schon die Kinder in der Schule trainieren regelmäßig, wie sie reagieren sollen, wie sie sich retten können. Diese Mentalität funktioniert, dass es etwas Normales ist und dass auch die Konstrukteure, Architekten und Politiker daran denken müssen.

Dennoch kam es zur Havarie. Hat sich seitdem die Haltung der Bevölkerung geändert?

Sie ist gleich geblieben. Ein Beispiel: Ich machte in der betroffenen Region ein Interview mit einer örtlichen Frau. Sie hatte ein kleines Kind bei sich. Das Dosimeter zeigte erhöhte Strahlungswerte an. Ich machte sie darauf aufmerksam. Sie zuckte mit den Schultern und antwortete: Die Regierung sagt, dass das in Ordnung ist und ich glaube das.

Gab es bei der Regierung eine Meinungsänderung?

Derzeit sind die Liberaldemokraten an der Macht, die das Atomprogramm immer unterstützt haben. Der Einzige, welcher seine Meinung änderte, war der ehemalige Ministerpräsident. Er kritisierte die Rettungsarbeiten, was ihm seinen Posten kostete. Er verschwand schlicht von der Szene. Die aktuelle Regierung versucht, den Menschen einzureden, dass alles in Ordnung sei und versucht, das Atomprogramm wieder zu starten.

Wie sieht das Gebiet um Fukushima heute aus? Wieviele Menschen mussten es verlassen und für wie lange?

Es wurde ein 20-Kilometer-Streifen evakuiert. Viele junge Frauen sind mit ihren Kindern nach Tokio gegangen. Was ist danach passiert? Von etwa 15 000 Familien ist die Hälfte bereits zerfallen. Die Männer mussten sich wegen der Arbeit von ihren Familien trennen und nicht alle haben diese Belastung überstanden. Manche Männer arbeiten jetzt noch in Fukushima. Sie blieben wegen der Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Meistens geht es um junge Familien mit kleinen Kindern. Das ist eine weitere Katastrophe. Dennoch sind trotz des Verbots einige Bewohner, vor allem ältere, im betroffenen Gebiet geblieben. Sie leben in primitiven Unterkünften. In Wirklichkeit ist die ganze Zone tot und wird nie mehr sein wie früher.

Weiß man, wieviele Menschen an den Folgen der Havarie gestorben sind?

Diese Daten werden von der Regierung verschwiegen. Aus den Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki wissen wir, dass viele Menschen noch lange nach der Katastrophe gestorben sind. Es kommen heute noch Kinder mit Beeinträchtigungen auf die Welt, die die nukleare Verseuchung gar nicht direkt erlebt haben.

Sie sagten, dass Fukushima Sie verändert hat. Wie äußerte sich das?

Ich betrachte Kernenergie kritisch. An ihrer ökonomischen Sinnhaftigkeit habe ich auch früher schon gezweifelt. Jetzt haben wir aber einen Beweis. Japan hat seine Atomkraftwerke vorübergehend komplett außer Betrieb genommen und dennoch haben wir deswegen kein echtes Problem mit der Energieversorgung. Mit der Beseitigung der Folgen der Havarie und mit den Aufräumarbeiten in der ganzen Region sind sehr viele Menschen beschäftigt. Die Regierung hat dafür auch eine Menge Geld in die Hand genommen. Bis allerdings diese Gelder das ganze Netz der Arbeitsvermittler durchfließt, gelangt an die Arbeiter selber nur mehr ein Rest davon. Häufig handelt es sich dabei auch um Obdachlose, die für wenig Geld gefährliche Arbeiten machen (und die auch niemandem fehlen, wenn sie erkranken oder sterben). Mit den Spendengeldern aus meinen Vorträgen unterstütze ich auch Projekte, die betroffenen Kindern z.B. durch Ferienaufenthalte in entfernt gelegenen Erholungsorten helfen.

Sie waren auch in Südböhmen, wo das AKW Temelín steht. Seiner Erweiterung haben auch die Kreisabgeordneten zugestimmt. Was würden Sie ihnen ausrichten wollen?

Dass sie den Argumenten der Atomlobby besser nicht glauben sollen. Es sind Lügen. Wie wir sehen, sind sie gefährlich. Und billig sind sie auch nicht, wenn wir Versicherungskosten und die Ausgaben für eine Entsorgung der strahlenden Abfälle mit einrechnen würden.

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PS.: Nachdem einige tschechische Zeitungen, ablehnten, dieses Interview abzudrucken, stellte der Autor es tschechischen Anti-Atom-AktivistInnen zur Verfügung.

Das Original erschient unter: http://www.temelin.cz/index.php?option=com_content&view=article&id=584:kobayashi&catid=45:bezpecnost-atomu&Itemid=92

GastautorIn: Antonín Pelíšek für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /