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Fukushima(film) - zwei Jahre danach

Zbynek Fiala berichtete vor kurzem in Tschechien über eine überaus spannende Veranstaltung- der Vortragende aus Japan ist demnächst in Österreich

Auch Dutzende Kilometer rund um das havarierte Atomkraftwerk in Fukushima ist das Land noch kontaminiert, die Menschen wissen jedoch nicht, wohin sie gehen sollen. Sie sind Zeugen eines Spiels, das Dekontamination genannt wird. Die Behörden reagieren ausweichend, die Wahrheit erfahren die Betroffenen nicht. Die Kinder sind krank. Die Bewohner teilen in einem von der japanischen Tradition geprägten Geiste ihr Schicksal mit den anderen Betroffenen emotionslos. Umso
erschreckender ist das zutiefst wahrhaftige Zeugnis aus dem gegenwärtigen Japan, welches im Dokumentarfilm A2 – B – C von Thomas Ash abgelegt wird. Der Filmname leitet sich übrigens von den verschiedenen Stadien ab, in denen sich die Kinder in der weiteren Umgebung von Fukushima auf ihrem Weg zur Krebserkrankung gerade befinden. Gezeigt wurde der Film im Rahmen des Dokumentarfilmfestivals der Tschechischen Landwirtschaftlichen Fakultät in Prag – Suchdol. Es war eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, was bei uns passieren würde, wenn es zu einem Atomunfall käme.

‘Dort ist Radioaktivität’, erklären die Kinder aus der Vorschule. Sie klettern über verschiedene Spielzeugkonstruktionen und deuten auf die gegliederte Oberfläche einer Spielrutsche. ‘Sie sitzt dort in den Löchern fest, wir können da nicht rutschen.’

Wir befinden uns etwa 60 Kilometer von Fukushima entfernt, zwei Jahre nach dem Erdbeben, dem folgenden Tsunami und der Explosion des Atomkraftwerks. In der ganzen Gegend liegt überall diese atomar verseuchte Bescherung. Sie lässt sich nicht beseitigen, maximal mechanisch konzentrieren, abkratzen, zusammenfegen und abtransportieren.

Wir beobachten Bagger, wie sie die obere Schicht der verstrahlten Erde herausschälen und dann in große(n) Säcke(n) hinter der Gemeinde deponieren, auf riesigen Haufen provisorischer Lagerstätten, direkt neben den verzweifelten Eigentümern weiterer Wohnhäuser.

Der Haufen ist gigantisch, dennoch ist er wie ein Tropfen im Meer. Man müsste ganze Berge abtragen, aber wohin? Es werden nur kleine Landinseln gereinigt, die Orten wo noch Menschen wohnen. Das Viereck rund um das Haus ist für eine Weile sauberer – bis es wieder regnet und der Wind ins Tal bläst. Nach einer gewissen Zeit liegen die Strahlungswerte aber wieder auf ihrem ursprünglichen Niveau.

Der Spielplatz, auf dem die Kinder spielen, strahlt wenig, er ist ‘in der Norm’. Die Rutsche wurde gewaschen, aber sich darauf setzen,…? Lieber doch nicht. Die Grundstücke hinter dem Zaun gehören nicht mehr zur Vorschule, sie sind so gut wie unberührt. Eine verzweifelte Mutter umschreitet sie mit einem Messgerät und zeigt uns drastisch erhöhte Werte. Insbesondere bei den Kanalschächten, wo sich die Abwässer konzentrieren. In der Vorschule erreichte sie wenigstens, dass bei Wind ihre Kinder im Gebäude bleiben und nicht mit den anderen hinausgehen müssen. Dennoch fand ein Arzt kleine Zysten an der Schilddrüse, wie bei den Anderen. Es handelt sich dabei vorerst um Zysten der Kategorie A2. Was passiert, wenn sie anwachsen in Zysten der Kategorie B und C? ‘Dann sterben wir’, sagt eine Gruppe zwölfjähriger Schülerinnen und Schüler. Sie haben sich schon an diese Situation gewöhnt.

Das alles verfolgen wir atemlos im abendfüllenden Dokumentarfilm ‘A2 – B – C’, welchen ein Stück von Fukushima entfernt der amerikanische Regisseur Ian Thomas Ash gedreht hat. Es handelt sich um ein fesselndes Werk engagierter Filmkunst. Der Film entstand praktisch gratis, im Abspann sind vor allem Danksagungen. Ich sah ihn an der Fakultät für Tropenlandwirtschaft der Tschechischen landwirtschaftlichen Universität in Prag – Suchdol. Er wurde dort im Rahmen des 4. Internationalen Dokumentarfilmfestivals mit der Thematik der Natur- und Landwirtschaftlichen Wissenschaften sowie nachhaltiger Entwicklung gezeigt – beim sogenannten Life Science Film Festival. Der Film bleibt in Prag, die Schule erhielt die Rechte, ihn für Bildungszwecke verwenden zu dürfen.

Spannendes Gespräch mit Kazuhiko Kobayashi

An den Film schloss dann eine Debatte mit dem pensionierten japanischen Geschäftsmann Kazuhiko Kobayashi an. Er hat sich einer besonderen Mission angenommen. In Tokio leben derzeit etwa 14 000 junge Mütter mit ihren Kindern, welche aus der Umgebung von Fukushima geflüchtet sind, unter sehr schwierigen Bedingungen leben müssen und kaum Arbeit finden. Daher reist er durch Europa, hält Vorträge, sammelt Spenden und schickt das Geld nach Japan. Seine Kappe geht im Saal herum, aber da die meisten Zuhörer Studenten sind, ist der Betrag, der am Ende zusammenkommt, nicht wirklich eine Riesenhilfe.

Der Atomunfall verbreitet aber nicht nur die Armut, er hilft auch dem Geschäft. Im Film sieht man, wie Arbeiter das Dach mit einer Spachtel abkratzen und so den radioaktiven Staub zu entfernen versuchen. Bezahlt wird das Ganze aus öffentlichen Geldern. Als die Besitzerin erfährt, wieviel das kostet, sieht sie, dass ein neues Dach eigentlich billiger käme. Aber das geht nicht, da würde ja eine andere Firma bezahlt werden müssen.

Geld von der Regierung gelangte aber auch in die Küche der Vorschule. Die Köchin erklärt, wie sie versucht, wenigstens die Speisen für die Kinder möglichst von der gefährlichen Strahlung frei zu halten. Daher kauft sie Lebensmittel aus entfernter gelegenen Regionen ein. Jetzt haben aber die Behörden begonnen, sie zu drängen, doch örtlichen Reis zu kaufen, aus dem hiesigen Distrikt. Es gebe da so einen Kontrakt, sie müsse sich dem beugen.

Die Mütter beschweren sich. Die Wahrheit über die Verseuchung erfährt man nicht. Bei den Kanälen und an anderen Orten, wo erhöhte Strahlungswerte erwartet werden, darf nicht gemessen werden. Von den gemessenen Werten wird dann etwas abgezogen, angeblich die natürliche Hintergrundstrahlung. Am Ende des Filmes kann die maschinelle Gleichmütigkeit nicht mehr gehalten werden, die Betroffenen brechen in Tränen aus. Sie besprechen die Ausweglosigkeit der Situation. Es gibt keinen Ort, an den sie fliehen könnten. Sie können ihre Emotionen nicht mehr unterdrücken. Warum sollten sie auch? ‘Wir müssen uns empören’, versichern sie einander selbst. ‘Wann sonst, wenn nicht jetzt?’

Der Geschäftsmann Kazuhiko Kobayashi verleugnet seine Ablehnung der Atomkraft nicht. Er sieht in ihr einen Versuch, wie eine Industrie attraktiv dargestellt werden soll, die aufgrund der Atombombe entstanden ist.
Er bemüht sich, Englisch zu sprechen, was ihm aber nicht ganz gelingt. Im Saal sind aber nur wenige Germanisten, für die er seinen Vortrag in jener Sprache halten könnte, welche er sich im Laufe von fast 30 Jahren Berufstätigkeit in Deutschland angeeignet hat.

Er sagt, dass am Ende des Zweiten Weltkriegs die Atombomben in Japan überflüssigerweise eingesetzt worden seien. Es sei nur darum gegangen, sie an Menschen zu testen. Als im September 1945 General MacArthur nach Nagasaki gekommen sei, habe er angeordnet, dass alle japanischen Bürgerinnen und Bürger, welche in Nagasaki bei der Explosion der Atombombe starben oder noch lebten, ‘US-Amerikanisches Eigentum’ seien.

Es sei eine Anordnung erlassen worden, wonach japanische Ärzte die Betroffenen nicht berühren und behandeln dürften. Nur amerikanische Ärzte hätten sie untersuchen dürfen. Daraus leitet Kobayashi ab, dass das bloß ein Experiment gewesen sei: die verstrahlten Menschen seien nicht behandelt, sondern nur untersucht und die gewonnenen Daten in die USA gesandt worden. Der Japanischen Regierung sei es nicht gestattet gewesen, sich mit diesen Daten bekannt zu machen. Die japanischen Opfer seien Objekte eines Versuches geworden.

Die Menschen hätten dann zunehmend begonnen, sich dagegen aufzulehnen und so habe Präsident Eisenhower etwas gesucht, was weltweit die Nukleartechnologie in einem besseren Lichte darstellen würde. So sei man dann mit der Atomenergie gekommen. Daher behauptet Kobayashi auch, dass Atomwaffen und Atomkraftwerke gleich einzuschätzen seien.

‘Es handelt sich um unversicherbares Fach’, setzt der japanische Geschäftsmann fort. Die Regierung sollte klar sagen, dass im Falle einer Havarie sämtliche Kosten sie übernimmt, sodass der jeweilige Kraftwerksbetreiber diese nicht im Strompreis verstecken müsse. Dann konzentriert er sich auf die Frage des nuklearen Abfalls. Es existiere keine Technologie, welche den Atommüll von seiner Strahlung befreien würde. Allerdings hat die Radioaktivität eine Lebensdauer von Hunderttausenden von Jahren. Wer trägt diese Kosten? Das sei ein Widerspruch zu den üblichen Behauptungen der Atomkraftbefürworter, dass Strom aus AKWs relativ billig sei.

Und was laut Herrn Kobayashi am wichtigsten ist: Keine Technologie sollte ohne die Sicherheit in Betrieb genommen werden, dass sie im Falle einer Havarie auch beherrschbar sein würde. Mit einer Atomkatastrophe schädigen wir aber viele weitere Generationen.


Die Empörung der Bevölkerung rund um das japanische Fukushima übertrug sich verständlicherweise aber auch auf andere Orte. Sie beschleunigte ebenso den deutschen Atomausstieg. Das ist keine billige Angelegenheit. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall klagt derzeit die deutsche Regierung auf 6 Milliarden Dollar, welche er als erlittenen Schaden in der Folge des frühzeitigen Abstellens von drei Atomkraftwerken, die Vattenfall in Deutschland besitzt, ausgerechnet hat.

Es handelt sich dabei um zusätzliche Kosten für die Liquidation und Dekontamination dessen, was von den Kraftwerken übrig bleibt.

Aber auch das Liquidationskonto wächst. Durch die tschechische Presse ging die Meldung, dass unter dem AKW Brunsbüttel im norddeutschen Schleswig-Holstein, das im Jahre 2011 abgestellt worden war, die Zahl der stark beschädigten Fässer mit schwach- und mittelstrahlendem Atommüll zunehme. Von den 355 ontrollierten Fässern seien bereits 102 stark beschädigt, einige dermaßen, dass ihr Inhalt herauszufallen beginne. Das teilte das Landesumweltministerium in Kiel mit.

Also teuer ist das alles sehr wohl und wird es auch in Zukunft sein. Trotzdem immer noch besser, als das Gefühl, dass alles verseucht ist und die Gewissheit, dass man nirgendwohin ausweichen kann.....


VERANSTALTUNGEN IN ÖSTERREICH


PS.: Wer Herrn Kobayashi noch persönlich erleben möchte, hat dazu in
Niederösterreich am 31.10. 2014 in Krems eine Chance, oder am 1.11.2014 in Korneuburg.

siehe auch: www.sonneundfreiheit.eu/termine.html

Autor Zbynek Fiala ist Ökonom und unabhängiger Journalist, er war auch als Moderator beim Tschechischen Fernsehen, als Sprecher der Regierung und als Chefredakteur der größten Wirtschaftszeitschrift Tschechiens, "EKONOM", tätig.

vasevec.parlamentnilisty.cz/vip-blogy/zbynek-fiala-fukusima-dva-roky-pote


Übersetzt ins Deutsche von: Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu

GastautorIn: Zbynek Fiala für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /