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Experten zweifeln an Rechnungen zu Energie- und Klimaplänen der EU-Kommission

Bis 2030 soll die Europäische Union, so schlägt es die EU-Kommission vor, 30 Prozent energieeffizienter werden. Allerdings stoßen die Berechnungen zu Kosten und Nutzen der Maßnahmen auf Kritik deutscher Experten – demnach wäre noch mehr Energiesparen öko

Die EU-Kommission hat eine neue Trias für ihre Energie- und Klimaziele bis 2030 vorgeschlagen: Demnach sollen die 28 Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2030 um 30 Prozent energieeffizienter als heute arbeiten. Bereits im Frühjahr hatte die Kommission die beiden Ziele ausgegeben, die EU solle 40 Prozent weniger Klimagase bis zum Ende der nächsten Dekade ausstoßen und den Anteil erneuerbarer Energien auf 27 Prozent steigern. Bereits heute gelten bis 2020 die sogenannten 20-20-20 Ziele.

Während die Klimaziele auf Basis einer absoluten Senkung des CO2-Ausstoßes (und anderer Klimagase, die in die Wirksamkeit von CO2 dargestellt werden) im Vergleich zu 1990 berechnet werden, werden die Ziele zur Energieeffizienz anhand von Erwartungen wie Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und dem daraus resultierenden Energieverbrauch im Jahr 2030 kalkuliert.

Auch die Frage, ob sich Energieeffizienz ökonomisch rechnet, ist dabei an Projektionen in die Zukunft gebunden – die erwartete Preisentwicklung fossiler Rohstoffe etwa und die Kosten der Technologien wie Gebäudedämmung, sparsamere Fahrzeugmotoren oder effizientere Elektrogeräte.

Dabei gibt es in der Fachwelt eine erhebliche Diskussion. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI um den Leiter des Competence Centers Energiepolitik und Energiemärkte, Wolfgang Eichhammer, kommt in einer Studie zu ganz anderen Ergebnissen als die Mitarbeiter von EU-Energiekommissar Günther Oettinger.

Die Beamten in Brüssel rechnen vor, dass der volkswirtschaftlich günstigste Weg, um bis 2030 40 Prozent Klimagase einzusparen, ein Energieeffizienz-Ziel von 25 Prozent ist. Die fünf Prozent zusätzliche Energieeinsparung begründen sie mit dem politischen Ziel, unabhängiger von Energieimporten speziell aus Russland werden zu wollen.

Fraunhofer-Institut fordert höhere Energieeffizienz

Eichhammers Team kommt dagegen zu ganz anderen Ergebnissen. Während die EU-Kommission zunächst ein CO2-Ziel und ein Ausbauziel für erneuerbare Energien bis 2030 festlegte, simulierte das Fraunhofer ISI zunächst, wie viel Energie die EU bis dahin kosteneffizient einsparen könnte: 41 Prozent bis 2030, als Vergleichsgröße dient der in 16 Jahren prognostizierte Verbrauch ohne weitere Maßnahmen. Aus der eingesparten Energie resultiert eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen um 49-61 Prozent.

Wie aber ist der Unterscheid zur EU-Kommission zu erklären? Deren Simulationen führt die Technische Universität Athen mithilfe des sogenannten Primes-Modells durch. Wie das Programm genau rechnet ist Betriebsgeheimnis der Universität. Es arbeite aber ‘sehr gut’, sagt Eichhammer. ‘Das eigentliche Problem sind die Input-Größen, mit denen gerechnet wird’, erklärt er. Genau genommen seien die Discount-Raten, mit denen die Kommission arbeitet, viel zu hoch.

Darunter ist Folgendes zu verstehen: Energieeffizienz erfordert zunächst Investitionen in verbrauchsarme Technologien, die sich irgendwann lohnen, falls die Energieeinsparungen höher als die Gesamtkosten sind. Diese berechnen sich vor allem aus den Zinsen für das eingesetzte Kapital, zusätzlich mit einem Puffer als Aufschlag für die zu erwartenden Risiken und Hemmnisse einer Investition.

Risiken wären im Fall eines Industriebetriebes etwa: Kann das Unternehmen auch die beste Technologie identifizieren? Ist der Markt dazu transparent genug? Funktionieren neue, verbrauchsärmere Maschinen so gut wie die alten? Die EU-Kommission bespricht das Problem in ihrer Analyse zu den Effizienzzielen und schreibt von ‘technischen, administrativen und institutionellen Risikofaktoren’, die zu den entsprechend hohen Discount-Raten führen. Diese verringern wie Zins und Zinseszins den Wert des zu investierenden Kapitals.

‘Die EU-Kommission rechnet bei der Energieeffizienz seit Jahren mit viel zu hohen Discountsätzen’, sagt Eichhammer. Für die Industrie und Gütertransport etwa mit 12 Prozent, für die Energieproduktion mit 9 Prozent, für private Haushalte mit 14,75 Prozent. Die Auswirkung: Wer sich einen energiesparenden Kühlschrank kauft, muss für einen Konsumentenkredit vielleicht mit zwei Prozent Zinsen rechnen. Die EU-Kommission rechnet hier ab 2015 mit 14,75 Prozent und kommt zu viel höheren Amortisationszeiten, wodurch Energieeffizienz als weniger lukrativ erscheint.

Claudia Kemfert: Kosten konventioneller Energie werden unterschätzt

Das Fraunhofer ISI rechnet je nach Sektor mit nur zwei bis acht Prozent. ‘Wir beraten die Wirtschaft seit Jahren in Sachen Energieeffizienz, diese Werte sind wesentlich realistischer’, sagt Eichhammer. Er nennt Beispiele, wie sich die Risiken der Investitionen minimieren lassen: etwa durch Netzwerke zwischen Firmen, die voneinander lernen, wie sich Energie sparen lässt. Das Fraunhofer ISI hat 30 solcher Pilot-Netzwerke mit circa 700 Unternehmen initiiert. Für Konsumenten helfen klare Label über die Energieeffizienz von Geräten, so Eichhammer.

Eichhammers Kritik schließt sich auch Claudia Kemfert an, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin für Energieökonomie. ‘Die Szenarien der EU basieren wieder auf dem Primes Modell, welches generell die Kosten für erneuerbare Energien und Energiesparen überschätzt, die Kosten für konventionelle Energien unterschätzt’, kritisiert sie. Auch die Diskontierungsraten für Energieeffizienzprojekte würden zu hoch angenommen – die Ziele zur Energieeffizienz könnten also höher Ausfallen und damit auch zusätzlich CO2-Ausstoß vermieden werden.

Noch sind die Ziele der EU nicht verabschiedet. Dazu müssen sich, wie üblich in der EU-Gesetzgebung, Parlament, Rat und Kommission einigen. Das soll erst ab Oktober passieren, wenn die neue EU-Kommission steht und das neue Parlament konstituiert ist. Das alte Parlament jedenfalls hat bereits vor Monaten ein Effizienzziel von 40 Prozent bis 2030 gefordert.

Quelle: Rat für nachhaltige Entwicklung


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /