© ICPPC
© ICPPC

Gericht: Zulassung der Amflora Gentechnik-Kartoffel in der EU nichtig

Das Gericht erklärt die Beschlüsse der Kommission über die Zulassung des Inverkehrbringens der genetisch veränderten Kartoffelsorte Amflora für nichtig

Die Kommission hat die Verfahrensvorschriften der Regelungen für die Zulassung von GVO in der Union verletzt. Genetisch veränderte Organismen (GVO) dürfen im Gebiet der Europäischen Union nur dann in die Umwelt freigesetzt oder in den Verkehr gebracht werden, wenn für sie im Anschluss an eine wissenschaftliche Risikobewertung eine Zulassung erteilt worden ist, die besonderen Bedingungen unterliegt und für bestimmte Verwendungen erteilt wird.

Die Zulassungsregelung umfasst zwei verschiedene Verfahren, die je nach der geplanten Verwendung der GVO durchgeführt werden. Das erste Verfahren, dessen Vorschriften in der Richtlinie 2001/18/EG1 niedergelegt sind, hat die Zulassung der absichtlichen Freisetzung von GVO in die Umwelt zum Gegenstand. Im Rahmen dieses Verfahrens ist die Zulassungserteilung grundsätzlich Sache des Mitgliedstaats, bei dem ein Unternehmen einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die übrigen Mitgliedstaaten sowie die Kommission können jedoch gegenüber der geplanten Zulassungsentscheidung Einwände erheben.

Das zweite Zulassungsverfahren, das mit der Verordnung Nr. 1829/20032 eingeführt wurde, betrifft genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel. Hier wird der Zulassungsantrag auf Gemeinschaftsebene geprüft.

Wird im Rahmen des erstgenannten Verfahrens ein Einwand geltend gemacht oder im zweitgenannten ein Zulassungsantrag gestellt, wird die endgültige Entscheidung über die Zulassung von der Kommission oder vom Rat auf der Grundlage der wissenschaftlichen Stellungnahmen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) getroffen.

In diesen Fällen wird die Kommission von zwei aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Ausschüssen3 unterstützt, die ihre jeweilige Stellungnahme in Kenntnis der Stellungnahme der EFSA abgeben. Spricht sich der zuständige Ausschuss in seiner Stellungnahme für eine Zulassung des GVO aus, wird diese von der Kommission erteilt. Andernfalls oder wenn keine Stellungnahme abgegeben wurde, legt die Kommission einen Vorschlag hinsichtlich der Zulassung dem Rat vor, der diese erteilen oder ablehnen kann. Erlässt der Rat keine Entscheidung, erteilt die Kommission die Zulassung.

Die BASF Plant Science GmbH stellte zum einen über eine Tochtergesellschaft bei den schwedischen Behörden einen Antrag auf Zulassung des Inverkehrbringens der genetisch veränderten Kartoffelsorte Amflora im Hinblick auf deren Anbau und Verwendung zu industriellen Zwecken. Nachdem sich mehrere Mitgliedstaaten zu diesem Antrag geäußert hatten, wurden die Unionsbehörden mit der endgültigen Entscheidung betraut.

Zum anderen betrieb BASF unmittelbar bei den Unionsbehörden ein Verfahren auf Zulassung der Erzeugung von Futtermitteln aus Kartoffeln dieser Sorte. Ihr Antrag umfasste auch den Fall des zufälligen Vorhandenseins von Spuren von GVO in Lebensmitteln oder Futtermitteln.

Nachdem bei ihr im Jahr 2005 befürwortende Stellungnahmen der EFSA eingegangen waren, legte die Kommission Zulassungsvorschläge den Ausschüssen und sodann, da deren Stellungnahmen ausblieben, dem Rat vor, der keine Entscheidung erließ. Demnach hätte die Kommission in diesem Stadium die beantragten Zulassungen erteilen können. Da sie jedoch im Laufe der Zulassungsverfahren Informationen über Diskrepanzen zwischen den einzelnen wissenschaftlichen Stellungnahmen der EFSA erhalten hatte, enthielt sie sich dem Erlass von Zulassungen und beschloss vielmehr, die EFSA erneut zu konsultieren, damit diese Klarstellungen zu ihren Stellungnahmen treffe. Im Juni 2009 gab die EFSA eine konsolidierte wissenschaftliche Stellungnahme ab, in der sie (angesichts von Minderheitsvoten, die ihren Schlussfolgerungen entgegenstanden) bestätigte, dass die Kartoffelsorte Amflora weder eine Gefahr für die Gesundheit des Menschen noch für die Umwelt darstelle. Aufgrund dieser Stellungnahme befasste die Kommission die zuständigen Ausschüsse nicht mit weiteren Entscheidungsentwürfen für Zulassungen, sondern erteilte die beiden beantragten Zulassungen mit Beschlüssen vom 2. März 20104.

Ungarn war jedoch der Auffassung, dass von der Kartoffelsorte Amflora eine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt ausgehe, weshalb dieser Mitgliedstaat gegen die Zulassungsbeschlüsse der Kommission eine Nichtigkeitsklage erhoben hat. Frankreich, Luxemburg, Österreich und Polen sind dem Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge von Ungarn beigetreten.

Mit seinem heutigen Urteil stellt das Gericht zunächst fest, dass die Kommission vor Erlass der angefochtenen Beschlüsse den zuständigen Ausschüssen keine geänderten Entwürfe dieser Beschlüsse zusammen mit der konsolidierten Stellungnahme der EFSA von 2009 und den Minderheitsvoten vorgelegt hat. Während die verfügenden Teile der angefochtenen Beschlüsse die gleichen sind wie diejenigen der den zuständigen Ausschüssen und dem Rat ursprünglich vorgelegten Entscheidungsentwürfe, sind die von der Kommission für den Erlass dieser Beschlüsse angeführten wissenschaftlichen Begründungen nicht die gleichen. Das Gericht stellt daher fest, dass die Kommission, indem sie beschloss, von der EFSA eine konsolidierte Stellungnahme einzuholen, und den angefochtenen Beschlüssen insbesondere diese Stellungnahme zugrunde legte, ohne den zuständigen Ausschüssen Gelegenheit zu geben, zur Stellungnahme und zu den geänderten Entscheidungsentwürfen ihrerseits Stellung zu nehmen, von den Vorschriften der Zulassungsverfahren abgewichen ist.

In diesem Zusammenhang geht das Gericht davon aus, dass das Ergebnis des Verfahrens oder der Inhalt der angefochtenen Beschlüsse wesentlich anders hätte ausfallen können, wenn die Kommission diese Vorschriften beachtet hätte. Da die in den Ausschüssen durchgeführten Abstimmungen über die früheren Entwürfe starke Meinungsunterschiede ergeben hätten und in den Schlussfolgerungen der mit Minderheitsvoten versehenen konsolidierten Stellungnahme der EFSA von 2009 noch größere Unklarheiten als in den früheren Stellungnahmen der EFSA zum Ausdruck gekommen seien, könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Mitglieder der Ausschüsse möglicherweise ihren Standpunkt überdacht und sich für oder gegen die beantragten Zulassungen entschieden hätten. Überdies wäre die Kommission bei einer ablehnenden Stellungnahme der Ausschüsse oder in Ermangelung einer solchen verpflichtet gewesen, Zulassungsvorschläge dem Rat vorzulegen, der für oder gegen die fraglichen Zulassungen hätte entscheiden können. Erst am Ende dieses Verfahrens und nur in Ermangelung einer Entscheidung des Rates hätte die Kommission ihre Beschlüsse erlassen können.

Dazu stellt das Gericht fest, dass die Aufnahme einer sich auf eine neue Stellungnahme der EFSA beziehenden Begründung als wissenschaftliche Grundlage in die Entwürfe der angefochtenen Beschlüsse eine wesentliche Änderung dieser Entwürfe gegenüber ihren früheren Fassungen darstellt. Daher können diese Beschlüsse nicht als mit den früheren Entwürfen und Vorschlägen identisch angesehen werden. Zudem ist die konsolidierte Stellungnahme von 2009, die gegenüber den früheren Stellungnahmen der EFSA erhebliche Unterschiede aufweist, als inhaltliche Neubewertung und nicht als rein formale Bestätigung der in den früheren Stellungnahmen enthaltenen Risikobewertungen anzusehen.

Da somit die Kommission ihre Verfahrenspflichten in erheblichem Maße verletzt hat, erklärt das Gericht die angefochtenen Beschlüsse für nichtig.

HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /